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01. Aug. 2004

Der teure Heiligenschein erneuerbarer Energien

Europa muss kostenbewusst und weltorientiert agieren

Der weltweite Verbrauch an Energie wird sich zwischen 2000 und 2050 verdoppeln, wobei der
größte Zuwachs aus den sich entwickelnden Ländern kommen wird. Wollen Deutschland und
Europa angesichts dieser Tatsache wirklich eine – auch im internationalen Maßstab – sinnvolle
Klimapolitik betreiben, dann ist vor allem eines gefragt: nüchterne, weltorientierte und nicht eurozentrische
Kostenrechnung. Dabei spielt dann auch die Kernenergie eine wichtige Rolle.

Die hohen Treibstoffpreise an der Tankstelle machen dem Normalbürger bewusst, dass der Rohstoff Erdöl, aber auch alle anderen verbrennbaren Rohstoffe, ein wertvolles und vielleicht knapper werdendes Gut ist. So wird in der Öffentlichkeit in diesen Wochen die Frage nach der Erschöpfbarkeit der fossilen Brennstoffe intensiver diskutiert. Wir müssen uns aber in Acht nehmen davor, kurzfristige Schwankungen der Treibstoffpreise als Indikatoren der langfristig relevanten Verknappungserscheinungen zu nehmen.

Benzin und Dieselkraftstoff für Automobile werden mit Hilfe von Verfahren produziert, bei denen langfristige Investitionen eine dominante Rolle spielen. Eine Raffinerie, die aus Rohöl Erdölprodukte wie Benzin und Dieselkraftstoff produziert, eine Pipeline, die Rohöl oder Ölprodukte von einem Ort zum anderen transportiert, ein Förderturm, der in der Nordsee Rohöl oder Erdgas aus dem Erdboden fördert, eine Tankerflotte, die Rohöl oder in zunehmendem Maße auch Erdgas in verflüssigter Form über die Weltmeere transportiert, sie alle sind Teile eines Produktionsprozesses, der außerordentlich kapitalintensiv ist und im Vergleich zum Kapitalaufwand nur geringen Arbeitsaufwand erfordert. Das aber bedeutet, dass die Produktionskapazitäten in diesem Sektor nicht in kurzer Frist erhöht werden können. Wenn in Kapazitätserweiterungen investiert wird, dann mit einem Blick auf lange Zeiträume von mehreren Jahrzehnten. Die Amortisationsperioden dieser Anlagen sind immer um eine Größenordnung höher als zum Beispiel die von Maschinen in der verarbeitenden Industrie.

Auf der anderen Seite steht eine heute sehr dynamische Weltwirtschaft. Das Weltsozialprodukt wächst in diesem Jahr mit 4,5%. Drei Fünftel der Weltbevölkerung leben heute in Staaten, deren nationale Wachstumsraten des Sozialprodukts oberhalb von 5% pro Jahr liegen. Dieser wirtschaftliche Boom (von dem man in Deutschland nur wenig merkt) führt zu einer raschen Zunahme der Nachfrage nach Energie und insbesondere auch nach Transportenergie wie Treibstoffen. So schnell kann der Kapazitätsaufbau der gestiegenen Nachfrage nicht folgen, und das ist der Grund für die Verknappungserscheinungen und die damit einhergehenden Preissteigerungen auf dem Weltmarkt für fossile Rohstoffe.

Diese vorübergehenden Verknappungserscheinungen sind kein Indikator für eine massive Verminderung der bekannten Reserven an fossilen Rohstoffen. Sie sind auch kein Indikator für die kommenden Jahre, es sei denn, dass politische Turbulenzen den Ausbau der Energieproduktionskapazitäten hemmen würden. Von dem Störfaktor Politik abgesehen, ist der eigentliche wirtschaftliche Knappheitsfaktor der des Kapitals. Um dem steigenden Bedarf an Energie nachzukommen, müssen hohe Kapitalsummen in der Energiewirtschaft investiert werden. Dies wird nur geschehen, wenn die Kapitalbesitzer sich entsprechende Renditen ausrechnen können, so dass es für sie lukrativ ist, ihr Vermögen der Energiewirtschaft statt anderen Branchen zur Verfügung zu stellen. Es ist nicht auszuschließen, dass Energieengpässe auch in Zukunft angesichts des wirtschaftlichen Wachstums deswegen entstehen, weil politische Störfaktoren die Bereitschaft des Kapitals, sich langfristig in der Energiewirtschaft zu engagieren, hemmen.

Setzt man aber voraus, dass die Zukunft weltpolitisch einigermaßen friedlich aussieht, dann kann erwartet werden, dass die erforderlichen Investitionen in der Energiewirtschaft auch finanziert werden können. Der sich immer mehr integrierende Weltkapitalmarkt kann die entsprechenden Mittel dann zur Verfügung stellen, wenn die politischen Risiken des Investierens in die Energiewirtschaft überschaubar bleiben. Und von der Rohstoffseite her ergibt sich kein Problem, die Rohstoffbasis für eine steigende Produktion von Energie zu finden.

Reserven fossiler Energie

Es ist interessant festzustellen, wie sich die so genannte Reichweite der bekannten Rohstoffreserven bei Kohle, Erdöl und Erdgas entwickelt hat. Unter der Reichweite der Reserven versteht man das Verhältnis der bekannten wirtschaftlich abbaubaren Reserven zum Weltjahresverbrauch. Mit anderen Worten, die Reichweite gibt die Antwort auf die Frage: Wie lange reichen die gegenwärtig wirtschaftlich förderbaren Reserven aus, wenn die jährliche Förderung in den zukünftigen Jahrzehnten konstant bleibt und wenn keine neuen wirtschaftlich abbaubaren Reserven hinzukommen?

Paradebeispiel ist das Erdöl. Seitdem man im Jahre 1859 das erste Mal Rohöl aus der Erde gewonnen hat, haben sich die Menschen Gedanken gemacht, wie weit die Erdölreserven reichen würden. Im Verlauf der Zeit ist sowohl die Förderung als auch das Volumen der bekannten Reserven gestiegen. Interessanterweise hat die Reichweite des Erdöls seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts bis in die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts immer in der Größenordnung von 30 bis 40 Jahren gelegen. Die bekannten abbauwürdigen Reserven haben sich also ungefähr proportional mit der jährlichen Förderung erhöht. Das ist kein Zufall. Wir müssen nur die Frage beantworten: Woher stammen die Informationen über die abbauwürdigen Reserven? Die Antwort ist, sie stammen im Wesentlichen aus der Explorationstätigkeit der in der Ölindustrie tätigen Unternehmen, heute insbesondere also der großen internationalen Konzerne wie Exxon, BP, Shell und anderen.

Das Volumen der bekannten Reserven hängt also vor allem davon ab, mit welcher Intensität die Erdölunternehmen Exploration betreiben. Exploration ist aber kein Lottospiel, sondern eine teure Investition. Wird sie kompetent gemacht, so führt sie auch heute zum Auffinden neuer Lagerstätten. Die Frage, ob sich eine solche Exploration lohnt, ist aber davon abhängig, wie der Ölmarkt aussieht. Wäre die Reichweite so niedrig wie zehn Jahre, dann wäre in Antizipation der künftigen Verknappung von Erdöl der heutige Preis des Erdöls sehr hoch. Damit aber würde sich massive Exploration lohnen und dieses führte dann dazu, dass so viele zusätzliche Lagerstätten gefunden werden, dass die Reichweite wieder steigt. Umgekehrt, läge die Reichweite bei 100 Jahren oder mehr, dann hätte die Angst vor der Verknappung heute keinen großen Einfluss auf den Ölpreis. Der Ölpreis läge deswegen niedrig, weil die vorhandenen Reserven massiv ausgebeutet würden; weitere Exploration lohnt sich nicht mit der Folge, dass allmählich die Reichweite abnimmt. Angesichts der Kosten der Exploration scheint sich ein Gleichgewicht für die Reichweite irgendwo in dem Bereich zwischen 30 und 40 Jahren einzupendeln.

Allerdings ist diese Regel nicht einfach in die Zukunft fortschreibbar. Der technische Fortschritt in der Exploration und in der Förderung ebenso wie im Transport von Öl und Ölprodukten war wesentlich mit dafür verantwortlich, dass trotz der Ausbeutung von vorhandenen Erdölreserven die Förderkosten nicht massiv gestiegen sind. Wenn heute die Förderkosten in der Nordsee weitaus niedriger liegen als vor 30 Jahren, d.h. als man mit der Förderung in der Nordsee in größerem Stil begann, so verdankt man das bemerkenswerten technischen Entwicklungen der Fördertechnik. Die Fördertechnik ist allerdings heute auch in der Lage, zu erträglichen Kosten ganz neuartige Quellen für Rohöl auszubeuten. Ich meine hier das so genannte nicht konventionelle Erdöl, also Schweröl, Ölsand, Schwerstöl, Ölschiefer. Sollte sich die Meinung durchsetzen, dass der derzeitige hohe Rohölpreis ein länger anhaltender Zustand ist, so wird man massive Investitionen in die Gewinnung von Erdöl aus Ölsand und Ölschiefer beobachten, denn bei diesem Preis kann Öl rentabel aus diesen nicht konventionellen Quellen gewonnen werden. Bezieht man aber diese Quellen in die Reichweitenanalyse mit ein, dann steigt die Reichweite von Erdöl sprunghaft von einem knappen halben Jahrhundert auf weitaus mehr, vielleicht zwei bis vier Jahrhunderte.

Die Fortschritte der Technik haben es auch möglich gemacht, dass das Erdgas eine rasch wachsende Rolle in der Energieversorgung spielt. Heute kann man in vielen Teilen der Welt große Gasfelder zu erträglichen Kosten ausbeuten und damit das Gasangebot ganz wesentlich über das Niveau hinaus steigern, das man sich früher als möglich vorgestellt hat. So ist trotz einer Verdreifachung des Erdgasverbrauchs zwischen 1970 und 2000 auf der Welt die Reichweite des Erdgases von ungefähr 40 Jahren auf heute ungefähr 70 Jahre gestiegen. Bei hinreichend hohem Preis für das Erdgas wachsen im Übrigen die verschiedenen regionalen Erdgasmärkte zu einem globalen Erdgasmarkt zusammen. Dies beruht darauf, dass dann auch der Transport von Gas auf dem Wege der Gasverflüssigung (Liquid Natural Gas, abgekürzt LNG) und der Verfrachtung über Gastankschiffe rentabel wird.

Die LNG-Branche ist heute eine „booming industry“. Mit dem ständig steigenden Energiebedarf und den daraus resultierenden vergleichsweise hohen Preisen für Erdgas lohnen sich Investitionen in die Infrastruktur des Transports mittels der Gasverflüssigung über die Meere. Damit aber wird der Bestimmungsort von Gas, das über die Meere transportiert wird, kurzfristig disponibel. Das bedeutet, dass es zu einer raschen Angleichung des Gaspreises in den verschiedenen Kontinenten kommt. Die LNG-Branche kann „Gasarbitrage“ betreiben und sorgt daher für einen einheitlichen Gas-Weltmarktpreis. Zugleich entstehen somit Chancen für abgelegene Gasfördergebiete, die bisher hohe Transportkostennachteile hatten und deshalb kaum angezapft wurden; dies trifft insbesondere auf Afrika zu. Die Vorräte an Steinkohle erbringen eine noch weitaus größere Reichweite als bei Rohöl und Erdgas. Hier beläuft sich die Reichweite auf Jahrhunderte.

Das Weltklima

Der eigentliche Engpass für die Energiepolitik ist das so genannte Klimaproblem. Durch die Verbrennung von fossilen Rohstoffen wie Kohle, Öl und Gas wird CO2 freigesetzt, das in der Atmosphäre angereichert wird. Hierdurch verändert sich das thermo-dynamische Gleichgewicht der Erdoberfläche. Es kommt zu einer Erhöhung der Durchschnittstemperatur auf der Erde. Die Klimatologen bearbeiten zurzeit mit großem Nachdruck die Frage, wie stark dieser Erderwärmungseffekt ist. Darüber besteht bisher keine Einigkeit. Dennoch ist die vorherrschende Meinung, dass die von der menschlichen Gesellschaft verbrannten Mengen an Kohle, Öl und Gas einen merklichen Einfluss auf das Erdklima haben werden. Das Vorsichtsprinzip legt nahe, das Ausmaß der Klimaveränderung und deren Folgen für Natur und menschliche Gesellschaft nicht zu verharmlosen, obwohl es noch nicht genau bekannt ist.

Aus diesem Grunde besteht seit ungefähr anderthalb Jahrzehnten eine intensive Bemühung der Staatengemeinschaft, durch internationale Vereinbarungen zu einer Politik gemeinschaftlicher Reduktion der klimarelevanten Emissionen von CO2, aber auch von Methan zu kommen. Das Stichwort heute in dieser Sache ist das Kyoto-Abkommen, welches 1997 geschlossen worden ist, wobei allerdings seine völkerrechtliche Verbindlichkeit noch aussteht, da noch nicht eine hinreichend große Anzahl von Staaten dieses Abkommen ratifiziert hat. In diesem Kyoto-Abkommen haben sich die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, ihre CO2-Emissionen bis zum Jahre 2010 auf einen Stand zu reduzieren, der größenordnungsmäßig 10% unter dem Emissionsvolumen des Jahres 1990 liegt. Zusätzliche Vereinbarungen auf späteren Weltklimakonferenzen haben Japan und Russland Sonderkonditionen zugestanden. So kann insbesondere Russland unter Verweis auf seine hohen Waldbestände quasi einen Rabatt bei den CO2-Emissionsreduktionen erhalten. Dennoch hat auch Russland das Kyoto-Abkommen noch nicht rechtskräftig ratifiziert. Insbesondere aber fehlt unter den Staaten, die sich zu dieser Klimapolitik bekennen, noch der größte Emittent von CO2, die Vereinigten Staaten von Amerika.

Im Rahmen der Kyoto-Selbstverpflichtung hat sich die Europäische Union auf nationale Emissionsreduktionszahlen geeinigt. Deutschland hat eine Reduktion von mehr als einem Viertel zugesagt, was aber auch damit zusammenhängt, dass beim Ausgangspunkt 1990 die sehr hohen und unwirtschaftlichen CO2-Emissionen der DDR noch mitgezählt wurden. Frankreich hat umgekehrt unter Verweis auf die überwiegend mit Kernenergie produzierte Stromwirtschaft und dem deshalb wesentlich niedrigeren Pro-Kopf-CO2-Emissionsstand sehr viel geringere Reduktionsverpflichtungen auf sich genommen. Im Auftrag des Ministerrats hat die Europäische Kommission zur Umsetzung der Kyoto-Selbstverpflichtungen ein System des Handels mit CO2-Emissionsrechten vorbereitet, das 2005 in Kraft treten soll. Die Primärallokation der handelbaren CO2-Emissionsrechte war z.B. in Deutschland intensivem Streit ausgesetzt, der sich insbesondere zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesumweltministerium abspielte. Man kann aber aus heutiger Sicht davon ausgehen, dass das CO2-Emissionshandelssystem in der nahen Zukunft funktionsfähig sein wird und sich ein Markt für CO2-Emissionslizenzen etablieren wird.

Im Weiteren betrachte ich die Möglichkeiten, wie man möglichst kostengünstig zu den klimapolitisch notwendigen CO2-Reduktionen kommt. Dabei steht eine Weltperspektive im Vordergrund und nicht so sehr die Perspektive allein für Deutschland. Nach der Prognose des Weltenergierats wird sich der Verbrauch an Energie zwischen 2000 und 2050 weltweit verdoppeln. Der Löwenanteil des Zuwachses an Energieverbrauch innerhalb dieser 50 Jahre kommt aus den Entwicklungs- und Schwellenländern, während für die OECD-Länder der Energieverbrauch kaum noch ansteigen wird. Im Jahre 2000 wurde der weltweite Energiebedarf zu mehr als 80% aus fossilen Energieträgern Kohle, Öl und Gas gedeckt. Nach den Prognosen des Weltenergierats wird auch im Jahre 2050 noch mindestens 70% des Weltenergiebedarfs aus fossilen Rohstoffen gedeckt. Damit aber steigt gemäß dieser Prognose der Verbrauch von fossilen Energieträgern um 75%. Selbst wenn man berücksichtigt, dass der Anteil von Gas relativ zu Öl und Kohle ansteigen wird, und Gas am wenigsten CO2-intensiv ist, ergibt sich hieraus eine weitere massive Steigerung der weltweiten CO2-Emissionen. Das Ziel einer Verminderung der CO2-Emissionen würde damit verfehlt.

Unterschätztes Wachstum

Es kommt noch etwas weiteres hinzu. Die Prognosen des Weltenergierats und vergleichbare Prognosen etwa der Internationalen Energieagentur oder der amerikanischen Energiebehörde unterschätzen den Wachstumsprozess in den Schwellenländern, den wir wahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten zu gewärtigen haben. Im Verlauf der Zeit bis zum Jahre 2050 werden Länder wie China und Indien, aber auch kleinere Länder vom Status des Entwicklungslandes zum Status der heutigen OECD-Länder aufschließen. Die gegenwärtigen hohen Wachstumsraten in China und Indien sind Aspekte dieses Prozesses. Die allmähliche Durchsetzung des marktwirtschaftlichen Prinzips sowohl in China als auch in Indien hat zu diesen Wachstumserfolgen geführt. Heute steigt der Lebensstandard für diese beiden Länder jedes Jahrzehnt um den Faktor Zwei. Die beiden Länder allein umfassen aber bereits mehr als ein Drittel der heutigen Weltbevölkerung, und ihr Anteil an der Weltbevölkerung wird aufgrund eines weitergehenden Bevölkerungswachstums in Indien nicht wesentlich abnehmen. Damit aber wird voraussichtlich der Energiebedarf in der Welt rascher steigen als vor wenigen Jahren noch vom Weltenergierat vorausgesagt.

Der Kampf um die Stabilisierung des Klimas ist somit noch keineswegs gewonnen. Wollte man sich im Interesse einer Stabilisierung des Klimas das Ziel setzen, den Verbrauch von fossilen Energieträgern bis zum Jahre 2050 im Vergleich zum Jahre 2000 zu halbieren, dann müssten die nicht-fossilen Energieträger bis dahin eine Lücke füllen, die dem heutigen Gesamtweltenergieverbrauch entspricht. Sie müssten damit insgesamt um den Faktor Sechs wachsen. Es wäre nun vollkommen utopisch anzunehmen, dass die erneuerbaren Energien diese Lücke füllen könnten.

Unter dem heutigen Beitrag der erneuerbaren Energien befinden sich auch die traditionellen Formen der Energiebereitstellung durch Verbrennen von Holz. Dies geschieht in vielen armen Ländern heute in Form der Abholzung von ökologisch wertvollem Urwald und kann deshalb nicht in die ökologisch verträglichen erneuerbaren Energieträger eingereiht werden. Die ökologisch unbedenklichen Formen der Vermehrung von Wasserkraft sind ebenfalls begrenzt. Die Bereitstellung von Elektrizität aus Wasserkraft kann zu wirtschaftlichen Bedingungen und zu ökologisch unbedenklichen Bedingungen bis zur Mitte des Jahrhunderts allenfalls verdoppelt werden. Es gibt ohne Zweifel ein gewisses Potenzial bei der Windenergie und bei der Verbrennung nachwachsender Rohstoffe, die eigens zu diesem Zweck angebaut werden. Außerdem gibt es die Solarenergie.

Man sollte sich hier aber keine Illusionen machen. Gegenwärtig sind diese Formen der Energiegewinnung bei der Strombereitstellung exorbitant teuer. Schwellenländer wie China und Indien und andere Länder der so genannten Dritten Welt werden auf diese erneuerbaren Energien nur bauen, wenn sie hinreichend kostengünstig sind. Ohne Zweifel gibt es den Lernkurveneffekt bei Windrädern und bei der Solarenergietechnik, der dazu führt, dass durch Massenproduktion die Herstellung der entsprechenden Aggregate kostengünstiger wird als heute. Aber preislich konkurrenzfähig mit den fossilen Energieträgern werden diese Formen der Energiebereitstellung auf absehbare Zeit nicht sein, von Nischen einmal abgesehen.

Kernenergie und CO2-Rückhaltung

Demgegenüber gibt es zwei vergleichsweise kostengünstige Alternativen zum Wachstum der CO2-Emission. Die eine Alternative ist wohl bekannt: Es ist die Kernenergie. Es mag viele Leute in Deutschland geben, die meinen, dass der Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie eine Pioniertat ist, der alle anderen Länder der Welt im Verlauf der Zeit folgen werden. Es ist dies eine der vielen Formen eurozentrischen Denkens, der man die harten Tatsachen der Kostenrechnung gegenüberstellen muss.

Die Kosten eines Kernkraftwerks sind ganz überwiegend Kapitalkosten. Was aber ist Kapital? Es ist – wie Karl Marx schon formulierte – „vorgetane Arbeit“. Neben der Kapitalverzinsung stecken in den Kosten eines Kernkraftwerks also im Wesentlichen die Löhne der Arbeitskräfte, die das Kernkraftwerk gebaut haben. Damit aber ist klar, dass ein Kernkraftwerk, das mit chinesischen oder indischen Löhnen gebaut wird, zu wesentlich geringeren Kosten erstellt werden kann als ein Kernkraftwerk, das in Frankreich oder Finnland gebaut wird. Demgegenüber sind die Kosten von Kohlekraftwerken oder Gaskraftwerken ganz wesentlich mitbestimmt durch den Weltmarktpreis für Kohle oder Gas. Das bedeutet, dass der Kostenvorteil beim Kohlekraftwerk oder beim Gaskraftwerk in China oder Indien gegenüber einem entsprechenden Kraftwerk in einem Hochlohnland wesentlich geringer ausfällt als bei der Kernenergie. Nun ist aber die Kernenergie in einem Land wie Frankreich kostengünstiger als die entsprechende Gewinnung von Strom aus Kohle oder Gas. Das gilt gemäß der eben abgeleiteten Logik somit erst recht für ein Land wie Indien oder China.

Wenn wir uns von unserem grün-eurozentrischen Weltbild lösen und an dessen Stelle uns die Brille eines chinesischen oder indischen Kostenrechners und Energiepolitikers aufsetzen, dann wissen wir, dass in den kommenden Jahrzehnten die Kernenergie einen ganz wesentlichen Anteil an der Deckung des wachsenden Energiebedarfs dieser Länder haben wird.

Die Kernenergie kann allerdings nicht so stark ausgebaut werden, dass allein wegen ihrer Verfügbarkeit die CO2-Emissionen weltweit bis zum Jahre 2050 auf die Hälfte reduziert werden können. Auch wenn ich der Ansicht bin, dass die Kernenergie im Jahre 2050 eine größere Rolle spielen wird als vom Weltenergierat vorausgesagt, wird sie doch wohl kaum mehr als 20% des Weltenergiebedarfs bereitstellen können.

Wichtig ist deshalb eine zweite Alternative, nämlich die Technik der CO2-Rückhaltung. Hier geht es darum, dass Kohlekraftwerke, Öl- oder Gaskraftwerke und andere Anlagen mit einem hohen Verbrauch von fossilen Rohstoffen ausgerüstet werden mit Zusatzanlagen, die in der Lage sind, das Entweichen des nach dem Verbrennungsprozess entstehenden CO2 in die Atmosphäre zu verhindern. Das CO2 wird quasi „eingefangen“ und in natürliche Kavernen verfrachtet und dort gelagert. Solche Kavernen sind nicht zuletzt die Lagerstätten des geförderten Erdgases zum Beispiel unter der Nordsee. Die Kosten dieses Verfahrens halten sich in Grenzen. Wie alle Verfahren, in denen eine hohe räumliche Konzentration erreicht werden kann, ist auch dieses Verfahren im großtechnischen Einsatz vergleichsweise preiswert. Die Abschätzungen der Experten kommen heute auf Zahlen in der Größenordnung von ungefähr 10 bis maximal 20 Euro pro Tonne CO2. Das würde eine Verteuerung der Kilowattstunde Strom um größenordnungsmäßig einen Cent bedeuten. Die Kosten wären in diesem Fall also wesentlich geringer als die Kosten der CO2-Vermeidung durch Forcierung der sehr teuren erneuerbaren Energien.

Die Quintessenz für eine deutsche und europäische Energie- und Umweltpolitik lautet wie folgt: Es heißt Abschied nehmen von dem sehr teuren Heiligenschein, den die erneuerbaren Energien heute tragen. Die volkswirtschaftlichen Kosten der Einsparungen an CO2, die heute durch Windräder oder Fotovoltaikanlagen erbracht werden, sind pro Tonne CO2 um eine Größenordnung höher als die Kosten der Einsparungen an CO2-Emissionen, die durch das Betreiben von Kernkraftwerken, durch die Ertüchtigung von Kohlekraftwerken in der Dritten Welt und künftig durch die CO2-Rückhaltetechnik erzielt werden können. Auch wenn man sich das Wohlstandshobby einer milliardenschweren Förderung der erneuerbaren Energien hier in Deutschland leistet und (noch) leisten kann, sollte man sich wenigstens im Klaren darüber sein, dass man die Dritte Welt zu dieser Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen nicht überreden wird. Dort wird man moderne erneuerbare Energien zwar vermehrt einsetzen, aber doch nur dann, wenn sie mit den anderen Energieformen wirtschaftlich konkurrenzfähig sind. Lokale Solarenergie auf dem Dorf, das an das nationale Stromnetz nicht angeschlossen ist, macht sicherlich Sinn. Auch Solarthermik ist in heißen Ländern auf Dauer konkurrenzfähig. Aber die Vorstellung, eine Region wie Mexiko City oder Wuhan oder Kalkutta werde sich energetisch aus Windrädern und fotovoltaischen Anlagen speisen, ist kabarettreif.

Der vor unseren Augen ablaufende Industrialisierungsprozess der Dritten Welt wird begleitet sein von einem rasch expandierenden Energiesystem, das Platz sparend und Kosten sparend mit großtechnischen Anlagen der Stromerzeugung (und – hoffentlich – der CO2-Rückhaltung) arbeitet. Wollen Deutschland und Europa wirklich eine – auch im internationalen Maßstab – sinnvolle Klimapolitik betreiben, dann ist auch hier bei uns vor allem eines gefragt: nüchterne, weltorientierte und nicht eurozentrische Kostenrechnung.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 8, August 2004, S. 7‑15

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