Weltspiegel

24. Febr. 2025

Demokratische Integrität stärken

„Europa,  du bist dran!“ gilt auch im Kampf gegen strategische Korruption. Dabei wird die Positionierung gegenüber Washington zu einer entscheidenden Herausforderung.

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Bild: Elon Musk auf ist bei einer AFD-Wahlkampfkundgebung auf einem großen Screen auf der Bühne zu sehen
Elon Musks Einmischung in den Bundestagswahlkampf wirkte noch hölzern und uninformiert, lässt aber vorausahnen, wie aggressiv die US-Unterstützung für rechtsextreme Kräfte in Europa ausfallen dürfte.
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Europa, du bist dran!“ Unter diesem Titel widmete sich die Internationale Politik Anfang 2025 den Folgen des radikalen Richtungswechsels amerikanischer Außenpolitik in der zweiten Trump-Präsidentschaft für Deutschland und Europa. Ein bislang unbeachteter Aspekt ist, dass auch im Bereich der Korruptionsbekämpfung eine Kehrtwende zu erwarten ist – mit weit­reichenden Auswirkungen für die Zukunft demokratischer Gesellschaften. 


Sicherheit und institutionelle Qualität

Über Jahrzehnte wurde Korruption auf internationaler Ebene primär als Entwicklungshemmnis und als Problem ärmerer Länder mit schlechter Regierungsführung betrachtet. Auch die oligarchischen und kleptokratischen Strukturen, mit denen autoritäre Herrscher wie Wladimir Putin, Nursultan Nasarbajew oder Ramsan Kadyrow im postsowjetischen Raum ihre Macht zementierten, wurden lange unter dem Gesichtspunkt der Plünderung wertvoller Ressourcen oder der Machtsicherung nach innen betrachtet. 

Dabei wurde ignoriert, wie die unter tatkräftiger Mithilfe westlicher Banken und von Intermediären gewaschenen und ins globale Finanzsystem eingeschleusten gestohlenen Vermögenswerte zu gewaltigen Schattenbudgets insbesondere der russischen Außenpolitik avancierten, die im Sinne „strategischer Korruption“ wiederum weltweit für verdeckte Operationen eingesetzt werden können.

Transparency International Deutschland definiert strategische Korruption als den „Einsatz korrumpierender Mittel durch einen Staat, um direkt oder indirekt die politische Willensbildung in einem anderen Staat zum eigenen Vorteil zu beeinflussen“. Anders als im Kontext hybrider Kriegsführung oft angenommen wird, können westliche Staaten mit Blick auf strategische Korruption keineswegs nur als Opfer ausländischer Angriffe betrachtet werden. Korrupte Beziehungen setzen ein Einverständnis zwischen den involvierten Akteuren voraus und funktionieren gerade im transnationalen Kontext meist über professionelle Intermediäre und hochkomplexe Netzwerke.

In Deutschland fehlt es  an einem Risikoverständnis für die Bedrohung durch strategische Korruption

Im Vereinigten Königreich hat sich der Begriff „Londongrad“ eingeprägt, um das Konglomerat aus Finanz-, Rechts- und Immobilienfirmen zu bezeichnen, das es mit maßgeschneiderten Dienstleistungen postkommunistischen Eliten ermöglicht, illegal erworbene Vermögen zu verstecken, zu legalisieren und sicher in westliche Märkte zu transferieren. Milliarden derart gewaschener Gelder bieten ungeahnte Möglichkeiten für die Beeinflussung und Unterwanderung politischer Prozesse und die Schaffung asymmetrischer Abhängigkeiten – sei es durch gezielte Wahlkampfunterstützung, Drehtür­effekte, über lukrative Beratungsaufträge oder stille Unternehmensbeteiligungen.

Erst der umfassende russische Angriffskrieg auf die Ukraine lenkte in Europa Aufmerksamkeit auf dieses Thema. Die Anfälligkeit europäischer Demokratien für strategische Korruption wusste in der Vergangenheit aber längst nicht nur Russland auszunutzen. Belgische Behörden arbeiten immer noch an der Aufarbeitung der hochrangigen „Katargate“-Affäre im Europäischen Parlament.

In Deutschland müssen sich in der Aserbaidschan-Affäre seit Januar zwei ehemalige Unionspolitiker wegen mutmaßlicher Bestechlichkeit vor dem Oberlandesgericht München verantworten. Ihnen wird vorgeworfen, hohe Geldsummen aus Baku angenommen zu haben, um das autoritär geführte Land vor internationaler Kritik an Menschenrechtsverletzungen und ­Demokratiedefiziten zu schützen. In Frankreich läuft unterdessen ein weiteres Verfahren gegen Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, der sich mutmaßlich seinen Wahlkampf 2007 vom libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi mit Millionenbeträgen aus Staatskassen Libyens finanzieren ließ: im Gegenzug für diplomatische Rehabilitierung, wirtschaftliche Zusammen­arbeit und juristische Gefälligkeiten.


US-Regierung: vom Vorbild …

Seit 2020 war es die von Demokraten geführte US-Regierung, die unter dem Eindruck der ersten Trump-Präsidentschaft den Kampf gegen transnationale Korrup­tion hoch auf die Agenda setzte: Aufbauend auf der „US Strategy on Countering Corruption“ von 2021 wurde 2022 die Bedrohung durch „weaponized corruption“ in die Nationale Sicherheitsstrategie aufgenommen. Im Nationalen Sicherheitsrat und im State Department wurden personelle Ressourcen für Koordination und Umsetzung bereitgestellt. Auch war die US-Regierung stets hochrangig auf internationalen Anti-Korruptionskonferenzen vertreten und machte Korruptionsbekämpfung zu einer Priorität der internationalen Zusammenarbeit. 

Dagegen fehlt es in Deutschland weiterhin an einem Risikoverständnis, das der Bedrohung durch strategische Korruption gerecht werden würde. Diese wurde weder in der Nationalen Sicherheitsstrategie von 2023 anerkannt noch findet sie Er­wähnung in der Liste hybrider Bedrohungen des Bundesministeriums des Innern und für Heimat.


… zum Nutznießer von Korruption

Infolge der Rückkehr Donald Trumps und der noch viel umfassenderen Machtfülle seiner zunehmend autoritär geführten Partei wird die Situation eine gänzlich ­andere sein. Neben systematischen ­Angriffen autokratischer Staaten auf demokratische Prozesse und Infrastruktur muss sich Europa der Realität stellen, dass die US-Regierung nicht nur ihre Führungsrolle bei Gegenmaßnahmen aufgibt, sondern selbst Korruption als Mittel der Interessendurchsetzung normalisiert und grundlegende Integritätsstandards wie die Trennung öffentlicher und privater Interessen auflöst.

Aus Trumps erster Amtszeit lassen sich klare Risikoprofile ableiten. Gravierende ökonomische Interessenkonflikte wurden nicht nur in Kauf genommen, sondern vom Trump-Clan im Sinne eines konsequent transaktionalen Ansatzes in der Außenpolitik aktiv zum Geschäftsfeld ausgebaut: von der inzwischen gerichtlich bestätigten Wäsche russischer Gelder zur Beeinflussung der Präsidentschaftswahlen 2016 durch Vertraute des Trump-Anwalts Rudy Giuliani über die Verquickung außenpolitischer und privatgeschäftlicher Fragen in den Beziehungen zu Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten bis hin zu den von Global Witness aufgedeckten Verstrickungen des Trump Ocean Club in Narco-Geschäfte und Geldwäsche in Panama. Auch der NATO-Verbündete Türkei nutzte im großen Stil verdeckte (aber vermutlich aufgrund laxer Bestimmungen legale) Zahlungen an Trump-Verbündete über Lobby-Agenturen, um den eigenen Einfluss in Washington systematisch ­auszubauen.

Oligarchische „tech bros“ des Silicon Valley und ­superreiche Mitglieder im Mar-a-Lago-Club erkaufen sich exklusiven Zugang zum Präsidenten und zu seinem Umfeld

Verstärkt und enthemmt werden die privat-öffentlichen Verquickungen und Interessenkonflikte in Trumps zweiter Amtszeit durch den inzwischen als „Broligarchy“ bezeichneten zunehmenden Oli­garchenstatus der sogenannten „tech bros“ des Silicon Valley. Auch der Aufstieg von Mar-a-Lago zum faktischen Zweitregierungssitz ging nicht umsonst mit einer weiteren massiven Anhebung der bereits exorbitanten Mitgliedsbeiträge des Clubs einher: Inzwischen können sich gut betuchte Spenderinnen und Mittelsmänner für Beiträge von bis zu einer Million Dollar exklusiven und weitgehend unkontrollierten Zugang zum Präsidenten und zu seinem Umfeld kaufen – paradiesische Zustände für diskrete Einflussmakler aus dem In- und Ausland.


Bedrohung für Europa

Im durch Trumps Sieg weiter beflügelten politischen Vorfeld sind Protagonisten der MAGA-Bewegung schon seit Jahren eng mit europäischen rechtsextremen Kräften vernetzt und fördern diese auch finanziell. Diese immer engere politische Symbiose reicht von Ungarn und Orbáns Bündnis mit der einflussreichen Heritage Foundation über Italiens postfaschistische Meloni-Regierung bis zur umfangreichen Kooperation der französischen radikalen Rechten mit Organisationen der Alt-Right-Bewegung. 

Diese transnationalen Netzwerke bergen die Gefahr, autoritäre Strömungen und demokratiefeind­liche Narrative in Europa weiter zu stärken und im Interesse der Trump-Regierung die gemeinsame Handlungsfähigkeit der Europäischen Union massiv zu schwächen.

Die prominente Einmischung von Trumps wichtigstem Wahlkampfspender Elon Musk zugunsten rechtsradikaler Kräfte in verschiedenen europäischen Ländern baut somit auf bestehenden Netzwerken auf, hebt diese aber finanziell auf eine neue Ebene. Musks öffentliche Einmischung in den Bundestagswahlkampf wirkte zwar noch hölzern und uninformiert, lässt aber vorausahnen, wie aktiv und aggressiv die Unterstützung aus den USA für rechtsextreme und antidemokratische Kräfte in Europa ausfallen dürfte. 

Für die Risikoanalyse von staatlichen Institutionen, die den fairen Wettbewerb aller Parteien sicherstellen müssen, ergeben sich aus Musks massiver Wahlkampffinanzierung für Trump – in für europäische Verhältnisse bislang unvorstellbaren Dimensionen von über 250 Millionen Dollar – Szenarien für bevorstehende Kampagnen. Zusätzlich zu seiner Ankündigung, 100 Millionen Dollar für die rechtspopulistische britische Partei Reform UK spenden zu wollen, hat Musk bereits in jüngerer Vergangenheit seine Bereitschaft demonstriert, auf „kreative“ Maßnahmen der politischen Einflussnahme zurückzugreifen und dabei rechtliche Grauzonen auszutesten, wie die Auslobung einer millionenschweren Lotterie für neu registrierte republikanische Wählerinnen und Wähler eindrucksvoll zeigte.

Theoretisch sind der direkten finanziellen Einflussnahme in Deutschland durch das jüngst novellierte Parteiengesetz Grenzen gesetzt: So sind insbesondere Spenden durch Nicht-EU-Bürger auf 1000 Euro limitiert. Darunter fallen explizit auch geldwerte Vorteile wie Dienstleistungen, die unter normalen Umständen teuer zu bezahlen wären. Ob die Bereitstellung einer exklusiven globalen Bühne, wie sie Alice Weidel am 9. Januar bei einem „Live-Talk“ auf Musks Plattform X geboten wurde, bereits eine unzulässige Parteienfinanzierung in Form von Wahlkampfunterstützung nach § 27a PartG darstellt, prüft zum Redaktionsschluss noch die Bundestagsverwaltung.

Einem „Innovator“ wie Musk wird es aber nicht an Ideen und Mitteln fehlen, diese juristischen Grenzen zu umgehen oder auszutesten. Mit Tesla verfügt er bereits über eine bestehende Unternehmens­infrastruktur auf deutschem Rechtsgebiet. Notwendig wäre daher mindestens eine allgemeine Höchstgrenze für Parteispenden – ein Parteispendendeckel, wie er in vielen EU-Staaten, z.B. in Frankreich oder Spanien, längst selbstverständlich und aus Gründen der gerechteren demokratischen Teilhabe ohnehin überfällig ist. 

Die Bekämpfung von Unregelmäßigkeiten bei der Finanzierung der AfD und ­neuer Parteien wie BSW und WerteUnion kann dabei nicht Selbstzweck, sondern nur Anlass für umfassendere Reformen sein, mit denen die etablierten demokratischen Parteien auch ihrer eigenen Verantwortung gerecht werden und Gesetzeslücken bei Parteienfinanzierung und politischer Einflussnahme schließen. Weitere präventive Maßnahmen wären die Senkung der Anzeigeschwellen und -fristen für Parteispenden sowie eine höhere Transparenz bei Nebeneinkünften von Abgeordneten und ihren Anschlusstätigkeiten. 


Eine positive Agenda 

Die neue Weltlage erfordert einerseits entschiedene Reformen zum Schutz demokratischer Systeme in Europa und andererseits eine deutsche und europäische Führungsrolle im Kampf gegen strategische Korruption und internationale Geldwäsche, etwa im Rahmen der G7 und G20. Außerdem sollte die Staatengruppe gegen Korruption des Europarats aufgewertet und die Kooperation mit der OECD gestärkt werden. Da gerade in Deutschland jenseits prominenter Einzelfälle politischer Einflussnahme viel zu wenig Informationen vorliegen, wäre die Einrichtung einer Enquetekommission durch den neuen Bundestag ein wichtiger Schritt, um parteiübergreifend vergangene Fälle aufzuklären und Anfälligkeiten und Schwachstellen für die externe Unterwanderung demokratischer Entscheidungsprozesse zu identifizieren sowie risikobasierte Handlungsempfehlungen vorzuschlagen.

Nicht nur reagieren: Demokratische Parteien müssen Transparenz und Integrität systematisch stärken

Eine Koordinierungsstelle im Kanzleramt könnte die Entwicklung einer nationalen Anti-Korruptionsstrategie vorantreiben und sicherstellen, dass diese institutionell verankert wird. Politische Integritätsstandards und der Kampf gegen Geldwäsche sollten als wesentliche Bestandteile der Prävention hybrider Kriegsführung priorisiert werden. Insbesondere Behörden mit sicherheitspolitischer Verantwortung benötigen Ressourcen und klare Verantwortlichkeiten bei der Um­setzung. Öffentliche Konsultationen, wie sie etwa bei der Ausarbeitung eines „Dekleptification Guide“ 2022 in den USA stattfanden, können dabei Know-how ­sichern und die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Stellen, Zivilgesellschaft und internationalen Partnern fördern.
Die demokratischen Parteien müssen strategischer Korruption und den Angriffen auf liberaldemokratische Institutionen nicht nur reaktiv, sondern auch durch eine systematische Stärkung von Normen der Transparenz und Integrität trotzen. Nur so können gleichzeitig Strategien der verdeckten Einflussnahme entkräftet und die Legitimität demokratischer Systeme gestärkt werden, um den vielfältigen (neo)autoritären Bedrohungen wirksam zu ­begegnen.

Der vorliegende Text gibt die Meinung der Autoren wieder.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2025, S. 80-84

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Christoph ­Kowalewski ist Mitglied im Führungskreis von Transparency International Deutschland e.V.

Dr. Bertram Lang ist Mitglied im Führungskreis von Transparency International Deutschland e.V..