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01. Juli 2013

Das Wachsen der Anderen: Lähmende Unsicherheit

Die Wirtschaft der USA wächst wieder – aber nicht ausreichend

Nicht nur Europa sucht Wege aus der Wachstumskrise. Auch andere Industrie- und Schwellenländer ringen um die richtigen Konzepte, um ihre Volkswirtschaften stärker anzukurbeln. Konsolidieren, Geld drucken, reformieren, auf Hightech setzen - wir haben fünf Experten gefragt: Welche Erfahrungen macht man in Amerika und Ostasien, in Afrika und Nahost?

Die Finanz- und Wirtschaftskrise nahm zwar 2007/08 in den Vereinigten Staaten ihren Anfang, doch der Einbruch fiel nicht so tief aus wie in Europa. Schon im Sommer 2009 war die Rezession überwunden. Seither wächst die US-Wirtschaft recht konstant mit etwas mehr als 2 Prozent – stärker als im Euro-Raum, aber für amerikanische Verhältnisse, wo rund 3 Prozent das Normalmaß sind, doch eher bescheiden. Für die USA mit ihren wachsenden Bevölkerungszahlen sind 2 Prozent zu wenig, um für eine deutliche Entspannung am Arbeitsmarkt zu sorgen. In den vergangenen Jahren wurden netto zwar mehr als 6,1 Millionen neue Stellen geschaffen; das gleicht aber die Verluste von rund 8,7 Millionen Arbeitsplätzen noch nicht aus. Mit zuletzt 7,5 Prozent liegt die Arbeitslosenquote offiziell immer noch auf einem für Amerika ungewöhnlich hohen Niveau (5 bis 6 Prozent gelten als normal). Der jüngste Rückgang ist nicht zuletzt jenen Beschäftigungslosen geschuldet, die sich ganz vom Arbeitsmarkt zurückgezogen haben. Nach breiter gefasster, realistischerer Berechnung lag die tatsächliche Quote zuletzt bei 13,9 Prozent, der Anteil der Langzeitarbeitslosen bei rund 40 Prozent.

Der Aufschwung ist drei Jahre nach Beginn der Erholung bei vielen noch nicht angekommen; die USA laborieren weiter an den Spätfolgen der Finanzkrise. Am Immobilienmarkt macht sich mit steigenden Hauspreisen und mehr Bautätigkeit zwar eine Erholung bemerkbar. Der Weg zu einer Normalisierung aber ist noch weit. Finanzinstitute und private Haushalte haben ihre Verschuldung deutlich reduziert. Aber die Zahl überschuldeter Hausbesitzer, die ihre Hypotheken nicht bedienen können, wird noch auf mehrere Millionen geschätzt. Der private Konsum, aber auch die privaten Bruttoanlageinvestitionen haben noch nicht zu gesunden Zuwachsraten zurückgefunden.

Präsident Barack Obama hatte 2009 seine Amtszeit mit einem schuldenfinanzierten Nachfrageimpuls begonnen, dessen Kosten zunächst auf 787 Milliarden Dollar und später auf 831 Milliarden Dollar (über zehn Jahre) beziffert wurden. Die staatlichen Mehrausgaben für Infrastruktur, temporäre Abgabensenkungen und verlängerte Arbeitslosenzahlungen haben auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise geholfen, den privaten Nachfrageausfall etwas auszugleichen. Die Hoffnungen der Regierung, damit auch die Basis für einen soliden Aufschwung gelegt zu haben, trogen aber: Die Krise erwies sich als dauerhafter als erwartet, denn der „Crash“ von 2008 war eben kein regulärer Konjunktureinbruch, sondern eine Finanzkrise, die durch eine Kreditblase ausgelöst wurde. Es dauert, bis nach solchen Krisen mit einer Bereinigung der Bilanzen von privaten Haushalten und Unternehmen wieder der Grundstock für einen sich selbst tragenden Aufschwung gelegt ist. Die extrem lockere Geldpolitik der Federal Reserve ist dabei weniger als Mittel der Nachfragestimulierung, sondern eher als Versuch zu lesen, die Bilanzsanierung überschuldeter Haushalte zu erleichtern. Die Finanzhäuser und Unternehmen haben diese Anpassung zu großen Teilen hinter sich gebracht.

Nach dem Verlust der demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus 2010 und aufgrund der Blockade im Kongress hat Obama keine nennenswerten neuen gesamtwirtschaftlichen Impulse mehr durchgebracht. Seine Pläne für weitere keynesianische Konjunkturprogramme scheiterten am Widerstand der Republikaner, die auf mehr Haushaltsdisziplin und eine geringere Neuverschuldung dringen. Die Regierung wird so gezwungen, die Neuverschuldung stärker zu begrenzen als von ihr gewollt. Im Vergleich zu Europa allerdings gehen die Staatsschulden deutlich langsamer zurück. Das Defizit der Regierung ist von 10,1 Prozent im Jahr 2009 auf 7 Prozent im vergangenen Fiskaljahr gesunken und dürfte in diesem Fiskaljahr auch dank größerer Steuereinnahmen bei deutlich weniger als 6 Prozent enden. Rechnerisch belasten die real schrumpfenden Staatsausgaben etwa seit Mitte 2010 über die Nachfrageseite das amerikanische Wachstum.

Im vierten Jahr nach der Rezession aber fällt es immer schwerer, die Krise allein mit fehlender gesamtwirtschaftlicher Nachfrage zu begründen. Es ist weniger Obamas zögerliche und weitgehend erzwungene Sparpolitik, die einen kräftigen Aufschwung verhindert, sondern eher seine Forderungen, die Reichen und Wohlhabenden sowie Kapitaleinkünfte mit höheren Steuern zu belegen. Zu Recht kritisieren die Republikaner, dass damit weniger die Reichen, sondern Unternehmer und Investitionen getroffen werden. Eine dringend benötigte Körperschaftssteuersatz, um den im OECD-Vergleich rekordhohen Unternehmenssteuersatz auf ein wettbewerbsfähiges Niveau zu senken, gehört nicht zu Obamas Prioritäten. All das hemmt die wirtschaftliche Erholung. So sind die Investitionen trotz guter Unternehmensgewinne vergleichsmäßig schwach.

Einige wesentliche Unsicherheiten umtreiben die amerikanische Wirtschaft: wie es mit der hohen und noch steigenden Staatsverschuldung weitergeht und ob weitere Herabstufungen des Schuldners USA durch Ratingagenturen drohen; ob das geldpolitische Experiment der Nullzinspolitik und der quantitativen Lockerung gut ausgehen wird; wie hoch die Kosten der Gesundheitsreform „Obamacare“ ausfallen, die von kommendem Jahr an voll greifen wird, und wie hoch mögliche Kosten weiterer Umweltregulierungen in Obamas zweiter Amtszeit veranschlagt werden müssten. All das hat nichts mit dem Nachfrageeinbruch als Folge der Krise zu tun. Aber Unsicherheiten blockieren einen kräftigeren Wirtschaftsaufschwung.

Wachstumsrate: 1,2 %
BIP pro Kopf: 45.680 $
Inflationsrate: -0,1 %
Arbeitslosenquote: 4,4 %
Haushaltsbilanz (% BIP): -8,2

Patrick Welter ist Wirtschaftskorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Washington.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2013, S. 28-30

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