IP

25. Nov. 2014

„Da muss man klare Stoppschilder aufstellen“

Interview mit Jens Spahn (CDU)

Es ist ein nüchterner, an Stellen auch skeptischer Blick, den der 34-jährige Bundestagsabgeordnete Jens Spahn als Vertreter der jüngeren Generation in der Union auf Europa wirft. Vom Ziel eines europäischen Bundesstaats will er nichts wissen – und wirbt doch nachdrücklich für die Idee einer europäischen Armee. Spahn, der seit 2002 dem Bundestag angehört, setzt sich unter Berufung auf Generationengerechtigkeit für Korrekturen in der Renten-, Gesundheits- und Wirtschaftspolitik ein.

IP: Herr Spahn, wie sieht Ihre Generation in der CDU Europa?

Jens Spahn: Wir sind anders als die Generation von Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble, die von den Kriegs- und Nachkriegsjahren geprägt wurde. Diese Euphorie, diese Überzeugung, dass man im Zweifelsfall immer für mehr Europa sein muss, haben wir so nicht. Unsere Generation fragt kritisch, ob wirklich alles auf europäischer Ebene gelöst werden muss. Wollen wir tatsächlich eine „ever closer Union“, ein immer engeres Zusammenwachsen? Oder ist nicht irgendwann der Zustand erreicht, an dem es passt?

IP: Das klingt wie eine ziemlich britische Einstellung zu Europa.

Spahn: Premierminister David Cameron sagt ja auch viel Richtiges, gerade zur Frage, ob alles auf europäischer Ebene geregelt werden muss und was besser bei den Nationalstaaten verbleibt oder dorthin zurückkehrt. Aber was er sagt, verpufft. Das ist wie bei einem Abendessen, wenn einer aufsteht und gehen will. Noch während er zur Tür geht, erklärt er den anderen die Welt. Aber leider hört dann keiner mehr zu.

IP: Manche werfen Ihrer Generation vor, dass ihr das europäische Gefühl fehlt.

Spahn: Das kann ich nicht verstehen. Gerade unsere Generation lebt Europa. Für uns ist es normal, in Helsinki, Barcelona, London, Paris, Warschau oder Bukarest zu leben, zu studieren, zu arbeiten. Kann man einer Generation zum Vorwurf machen, dass sie etwas als selbstverständlich nimmt, was sie seit ihrem ersten Lebensjahr nur so kennt? Nein. Aber wir müssen uns auch immer wieder bewusst machen, dass wir uns anstrengen müssen, damit es so bleibt. Auch wenn wir es selbstverständlich leben, ist der europäische Zusammenhalt nicht in Stein gemeißelt.

IP: Wie wird Europa nach Ihrer Einschätzung im Jahr 2040 aussehen? Was ist der beste Fall, was der schlechteste?

Spahn: Im besten Fall werden wir begriffen haben, dass wir wirtschaftlich wettbewerbsfähig sein müssen, wenn wir als alternder Kontinent in der Welt ganz vorne mitspielen wollen. Es wird uns auch gelungen sein, die Abläufe und Mechanismen in Brüssel transparenter und damit akzeptierter zu machen. Ich wünsche mir ein Europa, in dem keiner mehr – auch nicht die Briten – die grundsätzliche Entwicklung in Frage stellt. Um es kurz zu fassen: ein Europa, das so selbstverständlich geworden ist, dass man es auch kritisieren kann.

IP: Und was ist der schlechteste Fall?

Spahn: Dass wir auseinandergeflogen sind.

IP: Halten Sie die Idee von Kerneuropa für hilfreich?

Spahn: Ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten haben wir doch schon längst – nehmen Sie Schengen, den Euro oder die Migrationspolitik. Europa wird nur zusammenbleiben können, wenn wir verschiedene Unterkooperationen und Intensitäten der Zusammenarbeit ermöglichen. Es ist nun mal so, dass Deutschland, Frankreich oder Polen Europa anders erleben als beispielsweise die Briten. Den Briten fehlt ja schon die Alltagserfahrung, über die Grenze zu fahren. Die können über keine Grenze fahren, weil sie auf einer Insel leben. Darüber hinaus müssen wir eine Idee davon entwickeln, wo Europas Grenzen sind.

IP: Bitte erklären Sie das.

Spahn: Es gibt die, die schon über eine Aufnahme der Ukraine und Russlands sprechen. Wenigstens ist es um die Frage des Türkei-Beitritts etwas ruhiger geworden. Aber wir müssen weg davon, dass wir uns auf der einen Seite immer mehr Richtung Bundesstaat entwickeln wollen und gleichzeitig immer breiter werden. Irgendwann muss es einen Zustand geben, bei dem es bleibt. Wie sagt man beim Schraubendrehen? Nach fest kommt ab.

IP: Der europäische Bundesstaat ist nicht Ihr Ziel.

Spahn: Nein.

IP: Warum nicht?

Spahn: Ein Bundesstaat braucht eine gemeinsame Öffentlichkeit und einen gemeinsamen Diskurs. Wie wollen Sie das in Europa herstellen? Das fängt mit dem Sprachenproblem an, geht mit 28 verschiedenen Identitäten, Nationen und Wahrnehmungen der Welt aber weit darüber hinaus. Ein Bundesstaat ist auch gar kein Muss. Als Nationalstaaten-Kooperation, als Gebilde sui generis, funktioniert das Ganze ganz gut.

IP: Wie lösen Sie dann das Problem der demokratischen Legitimierung von Entscheidungen in Brüssel?

Spahn: Es gibt neben dem Europäischen Parlament den Europäischen Rat als maßgeblichen Entscheider. Jeder Regierungschef dort ist zuhause gewählt worden und muss sich vor seinem Parlament verantworten.

IP: Das bedeutet aber, dass alle wichtigen Entscheidungen einstimmig fallen müssen.

Spahn: Ja. Stellen Sie sich nur vor, was passieren würde, wenn wir oder Frankreich in zentralen Fragen regelmäßig überstimmt würden. Dazu wären wir nicht bereit. Wir sehen das doch in der Debatte um die Europäische Zentralbank, wo unser Vertreter die nächsten Monate nicht stimmberechtigt ist.

IP: Wenn Sie die Verteilung zwischen nationalen und europäischen Kompetenzen neu sortieren dürften, was würden Sie ändern?

Spahn: Landwirtschaftspolitik sollte an die Nationalstaaten zurückgegeben werden. Sie muss nicht in Brüssel gemacht werden. Die Agrarpolitik war zwar von Anfang an vergemeinschaftet, aber im Grunde gibt es dort nichts, was grenzüberschreitend ist. In anderen Bereichen müssen wir der schleichenden Kompetenzausweitung in Brüssel Einhalt gebieten.

IP: Geben Sie uns ein Beispiel.

Spahn : Nehmen Sie die Gesundheitspolitik, ein klassisch nationaler Bereich. Wir bekommen die Berichte von den Ministerräten in Brüssel, und da passiert immer dasselbe, und zwar egal, wer Kommissar ist. Es beginnt mit einem Erfahrungsaustausch zu einem bestimmten Thema. Ein oder zwei Treffen später fängt man dann an, über gemeinsame Ziele dazu zu diskutieren. Und wenn dann noch ein oder zwei Jahre vergangen sind, fängt Brüssel an, die Politik in diesem Bereich koordinieren zu wollen. Vielleicht ist das auch ein Problem von 28 Kommissaren, die alle etwas zu tun brauchen. Ich glaube, da muss man wirklich klare Stoppschilder aufstellen.

IP: Wo würden Sie noch ansetzen wollen?

Spahn : Es gibt auch Bereiche, da brauchen wir mehr Europa und auch mehr europäische Regulierung. Wir brauchen dringend einen einheitlichen Energiebinnenmarkt und einheitliche Regeln fürs Digitale. Bei uns müssen sich Start-ups an 28 verschiedene Datenschutzgesetze halten, in den USA an eines. Und ich wünsche mir zudem mehr Europa in der Außen- und Verteidigungspolitik.

IP: Im Wahlprogramm der Union stand als Fernziel, Europa solle eine gemeinsame Armee haben.

Spahn : Ich finde das richtig. Für mich wäre es der Idealzustand, einen europäischen Außenminister und einen europäischen Verteidigungsminister zu haben, der den Oberbefehl über eine europäische Armee hat, natürlich immer in Rückkoppelung zu den nationalen Regierungen. Die ersten Schritte auf diesem Weg sind wir ja schon gegangen mit der deutsch-niederländischen, der deutsch-polnischen oder der deutsch-französischen Brigade. Wir müssen aber auch dahin kommen, uns in den militärischen Fähigkeiten mehr zu spezialisieren – und noch stärker kooperieren. Warum sollten nicht deutsche Flugzeuge auf einem französischen Flugzeugträger stationiert werden?

IP: „Pooling and Sharing“, wie es die NATO nennt, funktioniert bislang allerdings nicht sehr gut.

Spahn: Es setzt ein Höchstmaß an Vertrauen zu den Partnern voraus. Wenn ich mich einer Fähigkeit entledige, weil ein anderer sie übernimmt, muss ich mich für die nächsten 50 Jahre darauf verlassen können, dass das klappt. Wir lernen ja gerade durch die Ukraine-Krise, dass Frieden nicht selbstverständlich ist.

Das Gespräch führten Bettina Vestring und Henning Hoff.

Teilen

Themen und Regionen