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01. Juli 2019

Charmeoffensiven

Ist das schon Außenpolitik, was die großen Technologiekonzerne betreiben? Oder machen Facebook, Microsoft & Co. eher geschickte Lobbyarbeit?

Als Facebook-Gründer Mark Zuckerberg am 10. Mai 2019 mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron im Élysée-Palast zusammentraf, erweckten die Pressefotos den Eindruck, es handele sich um das Arbeitstreffen zweier Staatsoberhäupter: Macron und Zuckerberg sitzen sich in einem Raum mit vergoldeten Wänden gegenüber, eingerahmt von ihren Beraterteams. Notizblöcke liegen bereit, die Mienen auf den Gesichtern sind ernst und entschlossen.

Heutige Technologiekonzerne gehören zu den wertvollsten Unternehmen der Weltgeschichte. Ihre Umsätze sind größer als das Bruttosozialprodukt mancher Staaten, die Zahl ihrer Nutzer ist höher als die Einwohnerzahl der allermeisten Länder. Entscheidungen, die diese Konzerne treffen, haben globale Auswirkungen. Dazu gehört beispielsweise die Frage, wie weit die Meinungsfreiheit im Internet gehen darf. Von diesen Entscheidungen sind folglich auch existenzielle Menschenrechte betroffen – was diese Konzerne zu bedeutenden politischen Akteuren macht. Dänemark hat den politischen Einfluss des Technologiesektors erkannt: Im August 2017 entsandte die Regierung einen „Tech-Botschafter“ ins Silicon Valley. „Die wirtschaftliche Stärke und der Einfluss von Firmen wie Google, IBM, Apple und Microsoft auf unseren Alltag sind größer als die einiger Staaten, mit denen wir diplomatische Beziehungen unterhalten“, begründete der dänische Außenminister diesen Schritt.

Es ist zu einer Art Klischee geworden, darauf hinzuweisen, wie mächtig und staatsähnlich vor allem die „großen Fünf“ – Facebook, Google, Amazon, ­Apple und Microsoft – sind. Das Treffen zwischen Macron und Zuckerberg ist nur ein Beispiel von vielen, dass die Unternehmen dem Anschein nach als gleichwertige Akteure in der internationalen Politik mitmischen.

Aber haben diese Konzerne tatsächlich eigene „Außenpolitiken“? Wenn ja, was wollen sie erreichen? Wie finden sich Tech-Giganten in der Welt der ­Diplomatie zurecht? Und inwiefern profitieren Firmen wie Facebook und Microsoft davon, als diplomatische Akteure bezeichnet zu werden – und sich selbst als solche zu verkaufen?

Facebooks schwierige Bilanz

Mark Zuckerbergs Verhältnis zu europäischen Politikern ist durchwachsen. Den einen geht er aus dem Weg, von den anderen lässt er sich gerne mit offenen Armen empfangen. Als ein Untersuchungsausschuss des britischen Unterhauses sich Ende 2018 mit „Desinformation und Fake News“ befasste, bemühten sich die Parlamentarier nach allen Regeln der Kunst, den Facebook-Chef zu einer Aussage zu bewegen. Sie schickten ihm schriftliche Vorladungen, stellten vertrauliche Dokumente sicher und kritisierten Zuckerberg öffentlich dafür, dass er nicht persönlich erscheinen wollte – ohne Erfolg. An einer Anhörung im Europaparlament in einem von ihm vorgegebenen Format nahm Zuckerberg dagegen teil. 45 Minuten lang hörte er sich die Fragen der Abgeordneten an, 25 Minuten lang beantwortete er gebündelt einige davon, meist ausweichend. Nachfragen waren nicht vorgesehen.

Bei Zuckerbergs Berlin-Besuch im April 2019 traf er sich unter anderem mit der damaligen Justiz- und Verbraucherschutzministerin Katharina Barley und dem Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck, der sich ein Jahr zuvor dafür ausgesprochen hatte, Facebook zu zerschlagen. Diese Treffen waren deutlich informeller als das zwischen Macron und Zuckerberg. Barley wies zudem Zuckerbergs Forderung nach stärkerem Eingreifen des Staates zurück: „Facebook hätte bereits heute alle Möglichkeiten, um, unabhängig von staatlicher Regulierung, höchstmöglichen Datenschutz für die User zu garantieren.“ Anders als in Frankreich erinnerte bei Zuckerbergs Empfang in Deutschland ­wenig an die Welt der internationalen Diplomatie, weder bei den Inhalten noch in Ton und Optik.

Letztendlich haben Staaten beziehungsweise deren Vertreter bei Verhandlungen mit Technologiekonzernen weiterhin die Oberhand. Das liegt insbesondere an der schwachen rechtlichen Stellung digitaler Plattformen, deren Geschäftsmodell auf nutzergenerierten Inhalten basiert. Internetfirmen sehen sich seit Langem mit einem Problem konfrontiert, das Tarleton ­Gillespie, Forscher im Social Media Collective von Microsoft Research, in seinem Buch „Custodians of the Internet“ sinngemäß so zusammengefasst hat: Um Nutzer und Werbepartner nicht abzuschrecken, mussten Firmen Systeme entwickeln, illegale Inhalte zu erkennen und zu entfernen. Dies erweckt jedoch rechtlich betrachtet den Anschein, dass diese Plattformen Verantwortung für die Inhalte übernehmen, wodurch sie zum Ziel von Strafverfolgung und Sanktionierung werden können, die ihre Existenz bedrohen.

Die Lösung der amerikanischen und europäischen Gesetze des frühen Internetzeitalters liegt in dem sogenannten Prinzip der „intermediary liability“, der Zwischenhändler-Haftung. Diese Art der Haftung dient dem Schutz der Unternehmen, die auf ihren Plattformen moderieren. Ansonsten müssten diese Konzerne für jede Copyright-Verletzung, Beleidigung oder jedes Hochladen von illegalen Inhalten haften.

Außenpolitik? Lobbyismus!

Die „Außenpolitik“ der Konzerne, die auf das Geld von Werbepartnern und die Daten von Nutzern angewiesen sind, zielt größtenteils darauf ab, kostspielige Verstöße gegen rechtliche Grundlagen zu vermeiden. Sie verstehen es, ihre politische Stimme einzusetzen, durch Lobbyismus, die Beeinflussung von Gesetzgebung und indem sie sich, vor allem in den USA, die Unterstützung der Zivilgesellschaft und von Interessengruppen sichern, um Gesetzesänderungen zu verhindern.

Zahlen des Projekts „LobbyFacts“ zeigen, dass Google mehr Geld für EU-Lobbyarbeit ausgibt als jedes andere Unternehmen. Mit über sechs Millionen Euro gab der Konzern 2017 sogar mehr aus als viele Branchenverbände. Microsoft liegt mit Ausgaben um die 4,5 Millionen Euro knapp dahinter und damit noch vor Unternehmen wie Shell, ExxonMobil und Bayer.

Ein Beispiel ist das „Global Internet Forum to Counter Terrorism“ (­GIFCT), ein Bündnis von Unternehmen, das die Verbreitung von terroristischen Inhalten bekämpfen will. Beim GIFCT kommen Tech-Unternehmer, Akademiker und Vertreter westlicher Sicherheitsdienste zusammen und erwecken dabei den Eindruck, es handele sich um ein äußerst erfolgreiches Forum internationaler Diplomatie. Es hatte sich allerdings nur auf Geheiß der Europäischen Kommission gegründet, die die IT-Unternehmen dazu zwingt, ihren Verpflichtungen nachzukommen und sich an den EU-Verhaltenskodex zu Hetze und Terror im Internet zu halten. Auch wenn das Forum nach außen hin wie eine internationale Organisation aussehen mag, geht es dabei letztendlich darum, die Aufsichtsbehörden zu beruhigen.

Die größten amerikanischen Technologiefirmen reagieren allerdings nicht nur, sondern versuchen auch, aktiv die Weichen zu ihren Gunsten zu stellen. Anfang November 2018 rauschte Microsoft-Präsident Brad Smith in die Hauptkammer des Internationalen Gerichtshofs im Den Haager Friedenspalast, um eine Rede über Krieg und Frieden zu halten und einen Film mit dem Titel „­Cybersecurity and the World: A Time to Reflect, a Time to Act“ zu präsentieren. Dieser Film zeigt Smith zusammen mit Carol Ann Browne, Leiterin der Kommunikationsabteilung von Microsoft, wie sie über die Schlachtfelder von Verdun gehen und die Gefahren von Krieg und Wettrüsten mit dem Leiter der französischen Kriegsgräberfürsorge diskutieren. Auch sprach der Microsoft-Chef über die Erpressungssoftware „WannaCry“, die im Mai 2017 Unternehmen rund um die Welt lahmlegte. Offenbar wollte er damit vor der Gefahr eines digitalen Konflikts warnen, der die katastrophalen Ausmaße des Ersten Weltkriegs haben könnte.

Microsoft ist Vorreiter darin, sich als sicherheitsbewusster und verantwortungsvoller internationaler Konzern zu präsentieren. Da Microsoft Benutzersoftware und Hardware produziert und IT-Dienstleistungen für andere Unternehmen bereitstellt, muss sich die Firma weniger mit Fragen nach der Haftung beschäftigen. Stattdessen versucht der Konzern, sein internationales Profil zu schärfen und seine Rechtschaffenheit in der Cybersicherheitsdebatte unter Beweis zu stellen.

Bereits 2017 hatte sich Smith für eine „Digitale Genfer Konvention“ ausgesprochen, die Cyberoffensiven von Staaten einschränken soll. Seither hat der Microsoft-Chef viel Lobbyarbeit betrieben, um dieses Vorhaben umzusetzen. Indem er sich an prestigeträchtigen Orten präsentierte und bedeutungsschwangere Konzepte wie die Genfer Konvention oder Orte wie die Schlachtfelder von Verdun ins Spiel brachte, konnte sich Microsoft auf die Traditionen internationaler Friedenssicherung berufen und die Rolle des Konzerns als legitimen, aber auch gerissenen Akteur in der Weltpolitik unterstreichen.

Smith nimmt regelmäßig an internationalen Treffen mit Außenministern und anderen hochrangigen Regierungsvertretern teil. Dies hat ihm die Autorität eines „Cybersecurity-Staatsmanns“ verliehen. In dieser Funktion war er bislang recht erfolgreich; Smith spielte eine Hauptrolle bei den Verhandlungen um die Erklärung „Paris Call for Trust and Security in Cyberspace“, die Macron beim Internet Governance Forum der UNESCO am 12. November 2018 verkündete – einmal mehr mit Bezug zum Ersten Weltkrieg, fand der Termin doch einen Tag nach dem 100. Jahrestag des Waffenstillstands von 1918 statt. Der „Paris Call“ wird von einer großen Zahl an Staaten, zivilgesellschaftlichen Organisationen und privatwirtschaftlichen Unternehmen getragen mit dem Ziel, die digitale Sicherheit zu erhöhen. Die USA, Russland und China haben sich jedoch nicht beteiligt. „Staaten müssen zusammenarbeiten, aber auch mit Unternehmen kooperieren“, heißt es in der Vereinbarung.

Microsoft kann tatsächlich auf eine lange Geschichte der Zusammenarbeit mit Regierungen zurückblicken. Der Konzern war der erste Partner des US-Geheimdiensts National Security Agency beim berüchtigten PRISM-Überwachungsprogramm, das Whistleblower Edward Snowden 2013 publik ­machte. In den vergangenen Monaten hat Microsoft für seine Zusammenarbeit mit der US Immigration and Customs Enforcement (ICE), der Polizei- und Zollbehörde des amerikanischen Heimatschutzministeriums, und mit dem US-Verteidigungsministerium viel Kritik einstecken müssen. Auch verschweigt Smith bequemerweise, dass Microsoft eine Mitverantwortung für einige der von ihm erwähnten Vorfälle trägt: So nutzte etwa WannaCry eine Sicherheitslücke im Windows-Betriebssystem von Microsoft.

Partner beim Regieren?

Während sich Amazon und Twitter eher zurückhalten, streben Facebook, Microsoft und auch Google offenkundig eine größere, öffentliche Rolle in Sachen Politikgestaltung an. Sie wollen aus den hierarchischen Beziehungen ausbrechen. Macron hat Zuckerberg mit der Androhung neuer Gesetze zu seinem Paris-Besuch veranlasst (die „Peitschen-Methode“), aber er hat ihm auch Zuckerbrot geboten, indem er Facebook an den Verhandlungstisch einlud. Ebenso wie die Rolle, die Microsoft bei den Verhandlungen zum „Paris Call“ gespielt hat, verdeutlicht dies, wie die Technologieunternehmen nach Möglichkeiten suchen, Politikgestaltung zu entpolitisieren und sie damit weniger konfrontativ zu machen. Es sind „gemeinsame Ziele“, die erreicht werden sollen – sei es beim Schutz des freien Zugangs und bei der Integrität des Internets, wie es im „Paris Call“ heißt, oder beim Kampf gegen die Verbreitung von Hetze im Internet.

Auch wenn andere Regierungen weniger enthusiastisch als die französische auf eine gleichrangige Partnerschaft mit Tech-Firmen reagieren, scheinen Bemühungen in diese Richtung in Europa gerade an Fahrt zu gewinnen. Kürzlich hat der Europarat eine verstärkte Zusammenarbeit mit Apple, Facebook und Google angekündigt, um ein offenes und sicheres Internet zu garantieren und Rahmenbedingungen für eine engere Kooperation zwischen Regierungen und Unternehmen zu schaffen.

Solche Initiativen sind zwar rechtlich nicht bindend, aber doch haben sie ein gewisses Gewicht; schließlich übertragen sie die Verantwortung teilweise von demokratisch gewählten Vertretern auf die von Unternehmen.

Die Politik und die breite Öffentlichkeit sollten vorsichtig sein, Technologiekonzerne als gleichwertige Partner zu betrachten und Stilmittel der Diplomatie auf die Beziehungen zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor zu projizieren. Dies dient letztlich nur der PR dieser Unternehmen, anstatt einen Beitrag zu tragfähiger Politikgestaltung zu leisten.

Robert Gorwa ist Doktorand am Institut für Politik und Internationale Beziehungen der Oxford University.

Anton Peez ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und ­Konfliktforschung und Doktorand an der ­Goethe-Universität Frankfurt a.M.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2019, S. 25-29

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