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01. Mai 2009

Buß und Reu

Schlusspunkt

Wenn Deutsche an ihre Geschichte denken, sind sie zerknirscht. Je zerknirschter, desto besser. Und wenn sie ganz zerknirscht sind, bauen sie sich und der Welt ein überdimensioniertes Holocaust-Mahnmal mitten in ihrer Hauptstadt.

Amerikaner sind nicht so gern zerknirscht. Sie haben auch wesentlich weniger Grund dazu. Aber sie sind so wenig gern zerknirscht, dass ihr Selbstbewusstsein manchmal nervt. Das von George W. Bush nervte eigentlich jeden. Nun sitzt sein Nachfolger im Oval Office, und Barack Obama überraschte auf seiner ersten Europareise mit sehr deutschen Tugenden. Ob zur Finanzkrise („ging von den USA aus“), der Klimapolitik („Kyoto nicht zu ratifizieren, war ein Fehler“) oder den Atomwaffen („Hiroshima bleibt mit unserem Namen verbunden“): Plötzlich schämte sich ein US-Präsident und bereute, was das Zeug hält.

Das war neu. Will Obama gar die deutschen Zerknirschungs- und Gedenkfeierexperten auf ihrem ureigenen Gebiet schlagen? Wen solche Sorgen plagen, der sollte sich zur Beruhigung ein Stück amerikanischer Mahnmalskultur ansehen. Es steht auf kleinem Raum in Washington DC, etwa 500 Meter vom Hauptbahnhof und 600 Meter vom Kapitol entfernt. Die Vorgeschichte ist schnell erzählt: Am 19. Februar 1942, genau 73 Tage, nachdem die Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg gezogen waren, unterzeichnete Präsident Franklin D. Roosevelt den Befehl mit der Nummer 9006. Der Überfall auf Pearl Harbor hatte ihn misstrauisch gemacht. Ohne Ansehen der Person verdächtigte er alle japanischstämmigen Amerikaner der Illoyalität. 120 000 von ihnen wurden nach dem Angriff oft für mehr als drei Jahre zwangsinterniert. Erst 1983 wurde diese Maßnahme von der US-Regierung als Unrecht anerkannt; einige Opfer bekamen eine kleine Entschädigung.

Seit Sommer 2001 erinnert nun ein Denkmal an dieses düstere Kapitel. Es heißt „Japanese American Memorial to Patriotism During World War II“. Das Patriotische daran: Auf einer großen Granitplatte sind auch Aussagen japanischstämmiger Amerikaner eingraviert, die an der Seite der Alliierten gekämpft hatten. „Ich glaube an diese Nation, an ihre Ideale und Traditionen. Ich bin stolz auf ihre Geschichte, und ich vertraue auf ihre Zukunft“, sagt etwa ein gewisser Mike M. Masaoka.

Also keine Angst, liebe zerknirschte Deutsche: Auch Obama wird Geschichte anders bewältigen als wir. Er leitet aus seinen Schuldeingeständnissen einen Handlungsauftrag ab. Und er verbindet sie mit Glanz und Gloria, Stolz und Visionen.

MALTE LEHMING ist Leiter des Ressorts Forum beim Tagesspiegel.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, Mai 2009, S. 112.

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