Buchkritik

30. Okt. 2023

Bücher des Jahres 2023

„Welches Buch zur internationalen Politik war in diesem Jahr das wichtigste für Sie und warum?“ Diese Frage stellen wir jedes Jahr an Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Journalismus. Fazit: Auch 2023 und damit im zweiten Kriegsjahr spielen Russland und Osteuropa bei den ausgewählten Titeln eine herausragende Rolle. Doch auch die andere Macht, die den Westen herausfordert, beschäftigt viele: Wohin entwickelt sich China, wie sollten Deutschland und Europa mit ihm umgehen?

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Bild: Bücher auf einem Schreibtisch
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Thomas Bagger, Staatssekretär im Auswärtigen Amt,  empfiehlt: "Zeitzuflucht" von Georgi Gospodinov

Ein hellsichtiger Roman über Europa und das süße Gift der Vergangenheit in Zeiten fehlender Zuversicht.

Georgi Gospodinov: Zeitzuflucht. Aufbau Berlin 2022

Marieluise Beck, Mitgründerin des Zentrums Liberale Moderne,  empfiehlt: "Mit Hitler reden. Der Weg vom Appeasement zum Zweiten Weltkrieg" von Tim Bouverie

Tim Bouverie geht dem durchaus ehrenwerten Zögern von Chamberlain und den britischen Eliten nach, das letztlich in einen unausweichlichen Krieg mit Deutschland führte. Ein Lese-Muss für alle Entscheider – spannend wie ein Krimi dazu.

Tim Bouverie: Mit Hitler reden. Der Weg vom Appeasement zum Zweiten Weltkrieg. 

Rowohlt-Verlag 2021

 

Thorster Benner, Mitgründer und Direktor des Thinktanks Global Public Policy Institute,  empfiehlt: "Ende der China-Illusion. Wie wir mit Pekings Machtanspruch umgehen müssen" von Janka Oertel

Eine von Deutschlands besten China-Kennerinnen räumt schonungslos mit falschen Annahmen über Xis China auf. Pflichtlektüre für alle, die an einer realistischen China-Politik interessiert sind. Und besonders für diejenigen, die noch Illusionen anhängen.

Janka Oertel: Ende der China-Illusion. Wie wir mit Pekings Machtanspruch umgehen müssen. Piper 2023

 

Martin Bialecki, Chefredakteur der IP,  empfiehlt: "Europa. Eine persönliche Geschichte" von Timothy Garton Ash

Nüchtern, klug, leidenschaftlich, literarisch und sehr persönlich: Da ringt ein glühender Europäer mit „seinem“ Europa, verteidigt es in der Krise nach Kräften, analysiert scharf und ist dabei noch einfach lehrreich und unterhaltsam – eine herausragende Bündelung, voluminös und mitreißend.

Timothy Garton Ash: Europa. Eine persönliche Geschichte. Hanser 2023

Bijan Djir-Sarai, Außenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion,  empfiehlt: "Welt im Umbruch – was kommt nach dem Krieg?" von Nikolas Busse

In seinem neuesten Werk analysiert Rüdiger von Fritsch treffend, wie die großen Herausforderungen der aktuellen Weltpolitik miteinander verknüpft sind. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, die Expansionsbestrebungen Chinas, die aufgerüttelte innenpolitische Lage in den USA und die verschiedenen Krisen innerhalb der EU: Mit fachlichem Auge wird diesen Fragen und deren Gefahren und Perspektiven auf den Grund gegangen.

Rüdiger von Fritsch: Welt im Umbruch – was kommt nach dem Krieg? Aufbau 2023

 

Nikolas Busse, verantwortlicher Redakteur für Außenpolitik, Frankfurter Allgemeine Zeitung,  empfiehlt: "Der Fluch des Imperiums. Die Ukraine, Polen und der Irrweg in der russischen Geschichte" von Martin Schulze Wessel

Dieses Buch zeigt eindrucksvoll, dass der russische Überfall auf die Ukraine eine Vorgeschichte hat, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Die Lektüre hilft, die Aussichten auf eine dauerhafte Beilegung des Konflikts besser einzuschätzen.

Martin Schulze Wessel: Der Fluch des Imperiums. Die Ukraine, Polen und der Irrweg in der russischen Geschichte. C.H. Beck 2023

 

Liana Fix, Europa-Fellow, Council on Foreign Relations, Washington,  empfiehlt: "Der Angriff. Russlands Krieg gegen die Ukraine und seine Folgen für die Welt" von Serhii Plot

Die Geschichte dieses Krieges kann niemand besser schreiben als Serhii Plokhy, einer der wichtigsten Historiker der Ukraine. Plokhy beschreibt nicht nur die Ursprünge russischer imperialer Politik, sondern auch die Entwicklung der Ukraine zu einem freiheitlichen und unabhängigen Nationalstaat. Elegant geschrieben und analytisch tief, ist das Buch schon jetzt ein Standardwerk zu einem Krieg, der noch nicht vorbei ist.

 

Serhii Plokhy: Der Angriff. Russlands Krieg gegen die Ukraine und seine Folgen für die Welt. Hoffmann und Campe 2023

 

Ulrike Franke, Senior Policy Fellow, European Council on Foreign Relations,  empfiehlt: "Trafficking Data. How China Is Winning the Battle for Digital Sovereignty" von Aynne Kokas

Shoshana Zuboff hat gezeigt, wie amerikanische Technologiefirmen eine Welt des „Überwachungskapitalismus“ geschaffen haben. Aynne Kokas trägt diesen Befund weiter ins Internationale: Sie beschreibt, wie die Welt der laxen Datenkontrolle, die US-Technologieriesen geschaffen haben, zur unerlaubten, unkontrollierten internationalen Bewegung von privaten Daten führt, die oft ohne wirkliches Einverständnis gesammelt wurden.

Aynne Kokas: Trafficking Data. How China Is Winning the Battle for Digital Sovereignty. Oxford University Press 2022

Gregor Gysi, Ehemaliger außenpolitischer Sprecher, Die Linke,  empfiehlt: "Chinas Sozialismus neu entdecken" von Michael Brie

China spielt in der Welt sowohl ökonomisch als auch politisch eine immer wichtigere Rolle, sodass eine tiefere Beschäftigung mit der Volksrepublik jenseits von Autokratie- und Diktaturvorwürfen unabdingbar ist. Das Buch hilft, den deutschen Diskurs zu China, der bisher eher unterkomplex ist, zu weiten, ohne eine kritische Sicht zu vernachlässigen.

Michael Brie: Chinas Sozialismus neu entdecken. VSA: Verlag 2023

Florence Gaub , Direktorin der Forschungsabteilung, NATO Defense College,  empfiehlt: "An Unwritten Future: Realism and Uncertainty in World Politics" von Jonathan Kirshner

Es wird gerne übersehen, dass Internationale Beziehungen auch darüber definiert werden, wie ein politisches System Zukunft als solche definiert. Im Realismus – wie auch in der Demokratie – gibt es keine sichere Zukunft, nur einen Möglichkeitsraum, im Guten wie im Schlechten. Dieses Buch erklärt das anschaulich.

Jonathan Kirshner: An Unwritten Future: Realism and Uncertainty in World Politics. 

Princeton University Press 2022

Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz,  empfiehlt: "Die Moskau-Connection" von Reinhard Binger und Markus Wehner

Reinhard Bingener und Markus Wehner präsentieren in diesem Werk einen tiefgreifenden Blick in die Verzweigungen der deutschen Politik mit Russland. Eine „unheimlich“ lesenswerte Lektüre in diesen Zeiten des Umbruchs.

Reinhard Bingener und Markus Wehner: Die Moskau-Connection. C.H. Beck 2023

Astrid Irrgang, Geschäftsführerin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze,  empfiehlt: Revanche. Wie Putin das bedrohlichste Regime der Welt geschaffen hat" von Michael Thumann

Michael Thumann ist einer der letzten deutschen Korrespondenten, die noch in Moskau leben. „Revanche“ ist seine atemberaubende Beschreibung und Analyse der Radikalisierung Putins und Russlands Absturz in eine totalitäre Diktatur. Wer verstehen möchte, dass und wie Europa und die Welt unumkehrbar in ein neues Zeitalter gerutscht sind, wird dieses brillante Buch nicht mehr aus der Hand legen.

Michael Thumann: Revanche. Wie Putin das bedrohlichste Regime der Welt geschaffen hat. C.H.Beck 2023

Patrick Keller, Ehemaliger Vizepräsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik,  empfiehlt: "Deutschlands nukleare Interessen nach dem Ukraine-Krieg" von Karl-Heinz Kamp

Zeitenwende bedeutet auch, dass wir uns ernsthafter mit strategischen Fragen beschäftigen müssen. Deren Königsdisziplin ist die nukleare Abschreckung, hierzulande lange vernachlässigt. Kamp liefert, was nun gebraucht wird: Manche werden es als erhellende Einführung lesen, andere als nötige Auffrischung. Allen bietet es Ideen für die Gestaltung einer schwierigen Zukunft – kompakt, anregend, klug.

Karl-Heinz Kamp: Deutschlands nukleare Interessen nach dem Ukraine-Krieg. 

Nomos 2023

Manuela KasperClaridge, Chefredakteurin der Deutschen Welle,  empfiehlt: "Eine Geschichte Russlands" von Orlando Figes

Orlando Figes war bis 2022 Professor für Geschichte am Birkbeck College, London. Jetzt schaut er auf 1000 Jahre russische Geschichte. Sein Anlass: der russische Angriffskrieg auf die Ukraine – und damit Geschichte, die sich wiederholt. In einem ausgesprochen gut lesbaren Stil zeigt der Historiker, wie aggressiv russische Herrscher immer wieder ihre Macht ausbauten, oft zum Schaden des eigenen Volkes und der Nachbarländer.

Orlando Figes: Eine Geschichte Russlands. Klett Cotta 2022

Thomas KleineBrockhoff, Guido Goldman Distinguished Scholar for Geostrategy, GMF,  empfiehlt: "Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers" von Stefan Zweig

Das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert schien in seinem „liberalistischen Idealismus“ auf dem „unfehlbaren Weg zur besten aller Welten“ zu sein. In „Die Welt von Gestern“, einem grauenhaft aktuellen Klassiker, beschreibt Stefan Zweig, wie er machtloser Zeuge des „unvorstellbarsten Rückfalls der Menschheit in längst vergessen gemeinte Barbarei“ wurde.

Stefan Zweig: Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers.

Insel 2022

Stefan Kornelius, Ressortleiter Außenpolitik, Süddeutsche Zeitung,  empfiehlt: "End Times: Elites, Counter-Elites and the Path of Political Disintegration" von Peter Turchin

Was hält die Welt zusammen, was sorgt für ihren Zerfall? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Komplexitätsforscher Peter Turchin. „Kliodynamik“ heißt sein Ansatz – die Suche nach empirisch belegbaren Faktoren, die über den Zusammenhalt von Gesellschaften Auskunft geben. Turchins Fazit: Die Verarmung breiter, vor allem unterer Gesellschaftsgruppen und eine Überproduktion von Eliten haben in Kombination stets den Untergang eingeleitet.

Peter Turchin: End Times: Elites, Counter-Elites and the Path of Political Disintegration. Penguin Random House 2023

Anna Lührmann, Staatsministerin für Europa und Klima im Auswärtigen Amt,  empfiehlt: "Demokratie im Feuer" von Jonas Schaible

Dies ist eine pointierte Analyse der größten demokratie- und sicherheitspolitischen Herausforderung unserer Zeit: der Klimakrise. Zunehmende Extremwetterereignisse, Dürren und Hitzewellen bieten Nährboden für Krieg und Autokratisierung.

Jonas Schaible: Demokratie im Feuer. DVA 2023

Jörg Lau, Außenpolitischer Korrespondent, DIE ZEIT,  empfiehlt:

"Die Moskau-Connection" von Reinhard Binger und Markus Wehner

Dieses gründlich recherchierte Buch zeichnet nüchtern das geostrategische Systemversagen der deutschen Russland-Politik nach. Es ersetzt einstweilen den Untersuchungsausschuss, den wir in absehbarer Zeit nicht bekommen werden. Es ist auch eine Mahnung, andere Abhängigkeiten, etwa mit Blick auf China, früher zu erkennen und abzubauen.

Reinhard Bingener und Markus Wehner: Die Moskau-Connection. 

C.H. Beck 2023

Kristina Lunz, Mitbegründerin und Co-CEO des Centre for Feminist Foreign Policy,  empfiehlt: "Bodies Under Siege: How the Far-Right Attack on Reproductive Rights Went Global" von Sian Norris

Faschismus, der globale Rechtsruck und das Erstarken von autoritären Führern und Staaten basieren zu einem Großteil auf Anti-Feminismus, der Entrechtung von Frauen sowie dem großen Ziel, patriarchale Strukturen aufrechtzuerhalten. Der globale antidemokratische Trend kann nur verstanden und entsprechend dagegen vorgegangen werden, wenn wir den Anti-Feminismus dahinter verstehen.

Sian Norris: Bodies Under Siege: How the Far-Right Attack on Reproductive Rights Went Global. Verso Books 2023

Carlo Masala, Professor für Internationale Politik, Universität der Bundeswehr, München,  empfiehlt: "How to fight a War" von Mike Martin

Russlands Aggressionskrieg gegen die Ukraine hat das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit an Krieg und Kriegsführung geweckt. Doch unser Wissen darüber ist bestenfalls begrenzt. Das Buch von Mike Martin, ehemaliger Soldat und Fellow am King’s College, schafft hier Abhilfe. Martin erklärt, welche Entscheidungen auf welchen Ebenen (strategisch, operativ, taktisch) zu fällen sind und welche Faktoren dabei berücksichtigt werden müssen.

Mike Martin: How to fight a War. C. Hurst & Co. 2023

Almut Möller, Bevollmächtigte Hamburgs beim Bund, der EU und für Auswärtige Angelegenheiten,  empfiehlt: "In den Häusern der anderen. Spuren deutscher Vergangenheit in Westpolen." von Karolina Kuszky

Das einfühlsam erzählte Buch eröffnet eine neue Perspektive auf Flucht und Vertreibung, die Nazideutschland in Mitteleuropa verursacht hat. Kuszyk erzählt die Geschichte polnischer Siedler, die, ihrerseits Vertriebene, in die leerstehenden Häuser der Deutschen in Westpolen einzogen. Die Autorin, selbst in Legnica aufgewachsen, zeigt, wie die Erinnerung daran heute noch nachwirkt. Ein wichtiges Buch auch zum Verständnis des heutigen Polen.

Karolina Kuszyk: In den Häusern der anderen. Spuren deutscher Vergangenheit in Westpolen. Ch. Links 2022

Hanns W. Maull, Senior Fellow des Mercator Institute for China Studies und der SWP,  empfiehlt: "Nicht einen Schritt weiter nach Osten" von Mary Elise Sarotte

Das definitive Buch für alle, die sich ernsthaft dafür interessieren, wie die NATO-Osterweiterung bis an die Grenzen Russlands nach dem Ende des Kalten Krieges zustande kam – und wie wenig es dabei darum ging, Russland zu schwächen, zu demütigen oder gar zu gefährden.

Mary Elise Sarotte: Nicht einen Schritt weiter nach Osten. C.H. Beck 2023

Nora Müller, Leiterin des Bereichs Internationale Politik und des Hauptstadtbüros der Körber-Stiftung,  empfiehlt:  "Ökonomie für den Menschen" von  Amartya Den

Wer ein vertieftes Verständnis für die Positionen der Staaten des sogenannten Globalen Südens gewinnen möchte, muss sich auch mit ihren intellektuellen Traditionen beschäftigen. Zu den wichtigsten Lektüren gehört Amartya Sens Ökonomie für den Menschen, die globale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt und gesellschaftlichen Wohlstand nicht nur über Wirtschaftswachstum, sondern auch über Entwicklungschancen für alle definiert.

Amartya Sen: Ökonomie für den Menschen. Hanser 2000

Omid Nouripour, Bundesvorsitzender von Bündnis 90 / Die Grünen,  empfiehlt: "Ende der China-Illusion: Wie wir mit Pekings Machtanspruch umgehen müssen" von Janka Oertel

Janka Oertels Buch ist substanziell, umsichtig und pragmatisch. Mit feiner Feder zeichnet sie die dünne Linie zwischen der notwendigen Kooperation mit China – auch und besonders im Klimabereich – und dem dringenden Abbau von Abhängigkeiten.

Janka Oertel: Ende der China-Illusion: Wie wir mit Pekings Machtanspruch umgehen müssen. Piper 2023

Roderick Parkes, Direktor des Forschungsinstituts der DGAP,  empfiehlt: "A Swim in a Pond in the Rain" von George Saunders

Zu lesen, wie ein Meister seine Kunst beschreibt, ist immer ein Vergnügen, insbesondere dann, wenn es um die Kunst des Schreibens geht. George Saunders ist ein gefeierter amerikanischer Kurzgeschichtenautor, der sich seiner Metier hier mit Demut widmet: den Erzählungen von Tolstoi, Tschechow und Gogol. Wie sich solche „Geschichten des Widerstands“ für die heutige Zeit schreiben lassen, erläutert Saunders anregend und unterhaltsam.

George Saunders: A Swim in a Pond in the Rain. Random House 2021

Janka Oertel, Leiterin des Asien-Programms des European Council on Foreign Relations,  empfiehlt:

Nach „Economists at War. How a Handful of Economists Helped Win and Lose the World Wars“ (2019) ist Allan Bollard, Ökonom und Ex-Chef der neuseeländischen Zentralbank, jetzt ein weiterer Coup gelungen. In einer Zeit, in der alle über einen neuen Kalten Krieg nachdenken, lohnt der Blick zurück – nicht nur für bessere Entscheidungen in der Zukunft, sondern auch, um sich selbst und die eigenen Erkenntnisse immer wieder zu hinterfragen.

Alan Bollard: Economists in the Cold War. Oxford University Press 2023

Anna Sauerbrey, Außenpolitische Koordinatorin, DIE ZEIT,  empfiehlt: "Der Fluch des Imperiums. Die Ukraine, Polen und der Irrweg in der russischen Geschichte" von Martin Schulze Wessel

Seit Russland die Ukraine überfallen hat, sind viele sehr gute Bücher zur russisch-ukrainischen Geschichte erschienen. Dieses ist trotzdem besonders: Martin Schulze Wessel schaut auf die langen Linien des russischen Imperialismus. Er zeigt, wie sich im Wechselspiel mit den polnischen und ukrainischen Unabhängigkeitsbewegungen in Russland eine imperialistische Ideologie herausgebildet hat, die bis heute nachwirkt.

Martin Schulze Wessel: Der Fluch des Imperiums. Die Ukraine, Polen und der Irrweg in der russischen Geschichte. C.H. Beck 2023

Michael Scharfschwerdt, Leiter Planungsstab, Auswärtiges Amt,  empfiehlt: ": Deutschland 1923. Das Jahr am Abgrund" von Volker Ullrich

Geschichte wiederholt sich nicht, aber man sollte sie kennen - und daraus lernen.

Volker Ullrich: Deutschland 1923. Das Jahr am Abgrund. C.H. Beck 2023

Nils Schmid, Außenpolitischer Sprecher, SPD-Bundestagsfraktion,  empfiehlt: "Nicht einen Schritt weiter nach Osten" von Mary Elise Sarotte

Die renommierte Historikerin Mary Elise Sarotte legt in der hochemotional geführten Debatte um die Geschichte der NATO-Osterweiterung die Fakten auf den Tisch. Endlich ist das Standardwerk auch auf Deutsch erschienen.

Mary Elise Sarotte: Nicht einen Schritt weiter nach Osten. C.H. Beck 2023

Constanze Stelzenmüller, Inhaberin des Fritz-Stern-Chair bei der Brookings Institution,  empfiehlt: "Underground Empire" von Henry Farrell und Abraham Newman

Henry Farrell und Abraham Newman haben 2019 mit ihrem bahnbrechenden Aufsatz „Weaponized Interdependence“ den Nexus zwischen Geopolitik und Geoökonomie ausgeleuchtet. Nun folgt ein faszinierendes Buch, in dem die Geschichte des Kampfes um die Infrastruktur der Finanzwirtschaft (Kabel, Zahlungssysteme) erzählt wird.

Henry Farrell und Abraham Newman: Underground Empire.  Henry Holt 2023

Daniela Schwarzer, Vorständin der Bertelsmann Stiftung,  empfiehlt: "Liberalism in Dark Times. The Liberal Ethos in the Twentieth Century" von Joshua L. Cherniss

Joshua Cherniss porträtiert liberale Intellektuelle der Zeit des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Krieges, die für Freiheit, Demokratie und Pluralismus eintraten, als totalitäre und autoritäre Extremisten ebendiese zerstören wollten. Sie alle standen vor einer Frage mit heute größter Aktualität: Wie kann der Brutalität antiliberaler Kräfte begegnet werden, ohne dass der Liberalismus selbst rücksichtslos und illiberal wird?

Joshua L. Cherniss: Liberalism in Dark Times. The Liberal Ethos in the Twentieth Century. Princeton University Press 2021

Guntram Wolff, Direktor, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP),  empfiehlt: "India Is Broken. A People Betrayed, Independence to Today" von Ashoka Mode

Die Financial Times sieht Indien schon bald als Chinas ökonomischen Konkurrenten. Viele im Westen setzen auf Neu-Delhi als Verbündeten. Ashoka Mody argumentiert sehr lesenswert und provokant, dass Indien gar nicht die Voraussetzungen dafür hat, eine solche Wachstumslokomotive zu werden, weil es ihm an Humankapital, guten Ausbildungsmöglichkeiten und Chancengleichheit für Frauen mangelt. Bleibt zu hoffen, dass der Autor zu pessimistisch ist.

Ashoka Mody: India Is Broken. A People Betrayed, Independence to Today. Stanford University Press 2023

 

 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2023, S. 136-143

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