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02. März 2018

Angewiesen auf Europa

Die nächste Regierung in Italien wird sich Euroskepsis kaum leisten können

Wahrscheinlich wird Italien künftig von einer ­Mitte-Rechts-Koalition unter Beteiligung von zwei rechtsextremen, antieuropäischen und fremdenfeindlichen Parteien regiert. Nicht nur in der Haushaltspolitik drohen Konflikte mit der EU. Doch kann Italien keines seiner großen Probleme, auch nicht die Flüchtlingsfrage, ohne die Hilfe Europas lösen.

Die italienische Parlamentswahl am 4. März ist ein wichtiger politischer Test mit erheblichen Auswirkungen auf Europa. Drei Gruppierungen bewerben sich um die Macht: eine Mitte-Links-Koalition, ein Mitte-Rechts-Bündnis und die Fünf-Sterne-Bewegung, die gegen das Establish­ment antritt. Eine Pattsituation im Parlament ist nicht unwahrscheinlich. Die Folge könnte eine Phase der politischen Instabilität sein, die Italiens Spielraum für diplomatische Initiativen in der EU begrenzen würde.

Jüngsten Umfragen zufolge fehlt dem Mitte-Rechts-Bündnis nicht viel, um in einer oder gar beiden Kammern des Parlaments die absolute Mehrheit der Sitze zu erringen. Allerdings gehören zu diesem Bündnis auch zwei rechtsgerichtete, fremdenfeindliche und euroskeptische Parteien – die Lega und die Brüder Italiens. Sie lehnen vor allem die Haushaltsvorschriften der EU ab und wollen Italien aus den Zwängen der Austeritätspolitik befreien. In der Vergangenheit haben sie sich auch für Italiens Austritt aus dem Euro eingesetzt, selbst wenn sie jetzt nicht mehr davon sprechen.

Die dritte Partei dieser möglichen Koalition – die Forza Italia von Silvio Berlusconi – hat sich zu den Haushaltsregeln der EU bekannt. Doch ihr Wirtschaftsprogramm, das die Einführung einer Flat Tax und starke Erhöhungen der öffentlichen Ausgaben vorsieht, steht im klaren Gegensatz zu den Haushaltszielen, auf die sich Italien verpflichtet hat. Dazu gehören eine allmähliche, aber stetige Verringerung des öffentlichen Defizits (das sich derzeit auf 2,1 Prozent des BIP beläuft) und der gigantischen Staatsverschuldung (von 132 Prozent des BIP).

Wenn Mitte-Rechts keine Mehrheit im Parlament bekommt, könnten sich die gemäßigteren Parteien – vor allem Forza Italia, die derzeit regierende Demokratische Partei und kleinere Zentrumsparteien – an einer Koalition versuchen. Doch würde sich ein solches Bündnis vermutlich bestenfalls auf eine kleine, volatile Mehrheit stützen können. In Kernfragen wäre es tief zerstritten, auch was die Beziehungen zur EU anbelangt.

Ungewiss ist die Rolle der Fünf-Sterne-Bewegung. Sie könnte als größte Partei aus der Wahl hervorgehen, scheut aber vor Koalitions­aussagen zurück. Die Fünf-Sterne-Bewegung lehnt die Haushaltsregeln der EU entschieden ab. Sie hat mit einem Referendum über den Euro gedroht, wenn sie nicht gelockert werden. Die Haltung der nächsten Regierung zur EU droht damit antagonistisch, wenn nicht sogar feindlich zu werden. Auch die Beziehungen zu wichtigen Partnern wie Deutschland und Frankreich dürften schwieriger werden.

Es gibt keinen Zweifel, dass die Wirtschaftspolitik der wichtigste Lackmustest für Italiens Europa-­Politik ist. Nach einer besonders langen Krisenzeit durchlebt das Land inzwischen einen Aufschwung. Aber er fällt schwächer aus als in den meisten Ländern der Euro-Zone, sodass das durchschnittliche Einkommen der Italiener noch immer niedriger ist als 2007. Wegen seiner angespannten Finanzlage gilt Italien weiterhin als schwaches Glied der Euro-Zone.

Zaghafte Reformen

Unter diesen Umständen sollte die Kontrolle der öffentlichen Finanzen unbedingten Vorrang genießen, zumal die derzeitige Expansionsphase es leichter macht zu sparen. Die enorme öffentliche Verschuldung belastet die Zukunft der italienischen Volkswirtschaft. Sie verschlingt wertvolle Ressourcen, die genutzt werden könnten, um die niedrigen öffentlichen Investitionen wieder in Gang zu bringen oder um künftige Rezessionen abzumildern. Doch enthalten die Programme der wichtigsten Parteien kaum konkrete Vorschläge, wie das Wirtschaftssystem reformiert und finanziell nachhaltiger gestaltet werden kann. Die regierende Mitte-Links-Koalition hat zwar eine Reihe von Reformen beschlossen, aber sie war zu zaghaft. Dies gilt besonders für ihre Versuche, Teile der Wirtschaft zu liberalisieren, die ineffiziente Verwaltung zu reformieren und eine Lösung für die Schwächen des Bankensystems zu finden.

Nur wenn es einen konsequenten Reformkurs verfolgt, kann Italien auf Gehör in Europa hoffen. Das Land hat ein vitales Interesse an der Einführung neuer Mechanismen zur Risikoteilung. Wichtig ist Italien vor allem, dass im Rahmen der Bankenunion eine glaubwürdige Letztsicherung für die Abwicklung von Kreditinstituten und eine gemeinsame Einlagensicherung eingeführt wird. Im Gegenzug fordern Deutschland und andere Staaten allerdings neue Regeln zur Risikoverringerung, die für Italien schwer einzuhalten wären. Dazu gehört der auch von Frankreich unterstützte Vorschlag, ein Verfahren für die Restrukturierung von Staatsanleihen einzuführen und Obergrenzen für Staatsanleihen im Bankenbesitz zu setzen.

Italien lehnt diese Vorschläge ab; die Regierung warnt, dass sie prozyklische Effekte hätten, die die Finanzsysteme Italiens und der Euro-Zone destabilisieren würden. Auch der Vorschlag der EU-Kommission, den Fiskalpakt in Gemeinschaftsrecht zu überführen, stößt bei der Regierung in Rom auf Widerstand. Schließlich besteht sie darauf, dass es in der Bewertung der Haushaltssituation einzelner Mitgliedstaaten mehr Flexibilität geben soll.

Es wird nicht leicht werden, einen tragfähigen Kompromiss zwischen den sich widersprechenden Forderungen nach Risikoreduzierung und Risikoteilung zu finden. Für Italien ist das Risiko groß, isoliert dazustehen, besonders dann, wenn es nicht gelingt, ein glaubwürdiges Bündel von Strukturreformen vorzulegen, um sowohl die öffentliche Verschuldung als auch das Volumen notleidender Kredite bei den Banken zu verringern. Deren Anteil ist im vergangenen Jahr deutlich gesunken, bleibt aber immer noch besorgniserregend hoch.

London, Moskau, Warschau

Als Folge der Wahlen könnte sich die italienische Haltung auch in anderen europäischen Kernfragen ändern. Die eine ist der Brexit: In der ersten Phase der Austrittsverhandlungen haben die verbleibenden 27 Staaten einen bemerkenswerten Zusammenhalt gezeigt. Eine Mitte-Rechts-Regierung würde sich dem Grundsatz der europäischen Einheit aber vermutlich weniger stark verpflichtet fühlen. Wenn es in der nächsten Phase der Brexit-Verhandlungen um die künftigen Handelsbeziehungen geht, könnte sie geneigt sein, den britischen Forderungen entgegenzukommen.

Ein weiterer Bereich, wo es zu signifikanten Abweichungen von der bisherigen Haltung kommen könnte, sind die Beziehungen zu Russland. Tatsächlich hat ja auch die bisherige Mitte-Links-Regierung nicht verhehlt, dass sie Vorbehalte gegen die Russland-Sanktionen der EU hat. Sie hat die Gemeinschaft gebeten, alle erdenklichen Kanäle der Zusammenarbeit mit dem Kreml offenzuhalten. Trotzdem hat Rom keine größeren Probleme verursacht, als die EU ihre Sanktionen gegen Russland verschärft hat. Die jetzigen großen Oppositionsparteien – die beiden rechtsextremen Parteien, aber auch Forza Italia und Fünf Sterne – haben dagegen die Sanktionen gegen Russland scharf kritisiert, sie als schädlich für Italien bezeichnet und ihre Aufhebung verlangt. Viele prominente Persönlichkeiten von Mitte-Rechts, unter ihnen Silvio Berlusconi, haben Erklärungen zugunsten von Präsident Wladimir Putin abgegeben.

Ein drittes Thema sind die Beziehungen zu den zentraleuropäischen Staaten, vor allem der Visegrad-Gruppe. Die Mitte-Links-Regierung hat gegenüber den Regierungen von Polen und Ungarn, denen die Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze vorgeworfen wird, eine harte Haltung. Auch die Weigerung der Visegrad-Gruppe, auf Grundlage der EU-Verteilungs­quoten Flüchtlinge auf­zunehmen, um den Migrationsdruck auf Griechenland und Italien zu lindern, hat für erhebliche Spannungen gesorgt. Die italienische Regierung hat sogar die Kürzung von EU-Mitteln für diese Länder verlangt, wenn sie sich in der Flüchtlingsfrage weiterhin unsolidarisch zeigen. Eine Mitte-Rechts-­Regierung könnte hier nachsichtiger sein. Ideologisch würde sie den Regierungsparteien in Polen und Ungarn ohnehin näher stehen. Soweit es um Einwanderung geht, dürfte sie sich mehr auf Maßnahmen zur Kontrolle ihrer nationalen Grenzen als auf die europäische Solidarität konzentrieren.

Es gibt keinen Zweifel, dass die Bewältigung des Flüchtlingsstroms eine enorme Herausforderung für jede künftige Regierung ist. Auch in den Beziehungen zu den europäischen Partnern wird sie eine Kernfrage bleiben. Die weitverbreitete Wahrnehmung, dass die Migration außer Kontrolle geraten ist, hat wesentlich dazu beigetragen, das Ansehen der Mitte-Links-Regierung zu untergraben. Das nutzt den rechten Parteien, die versprochen haben, hart gegen illegale Einwanderer vorzugehen.

In Wahrheit ist die Zahl der Ankommenden aufgrund ­neuer Maßnahmen von Innenminister Marco Minniti seit Juni 2017 dramatisch gesunken. Minniti hat eine differenzierte Strategie umgesetzt: ein Abkommen mit der UN-gestützten Regierung Libyens, das die libysche Küstenwache in die Lage versetzt, Flüchtlinge zurückzuholen, und Vereinbarungen mit libyschen Stämmen und örtlichen Verwaltungen zur Bekämpfung von Schmugglerbanden. Zugleich wird dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR eine aktivere Rolle im Migrationsmanagement auf libyschem Boden ermöglicht.

Allerdings ist die Nachhaltigkeit dieser Strategie zweifelhaft. Die offizielle libysche Regierung ist fragil, und die Sicherheitslage bleibt hochgefährlich, solange es keinen echten nationalen Versöhnungsprozess gibt. Der Minniti-Plan ist zudem scharf kritisiert worden, weil er die Überfüllung der Internierungslager in Libyen verschlimmert, wo Migranten systematischer Gewalt und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind.

In Anbetracht dieser Herausforderungen wird jede italienische ­Regierung genötigt sein, die EU in alle Versuche stärker einzubinden, mit den Migrationsströmen entlang der zentralen Mittelmeer-Route fertig zu werden. Für eine Neuauflage des gescheiterten Verteilungsplans für Flüchtlinge scheint es keinen Spielraum zu geben. Aber in vier anderen Bereichen kann viel erreicht werden: Zunächst geht es um eine Reform des Dublin-Abkommens, um die übermäßige Belastung der Länder zu lindern, in denen die Flüchtlinge in der EU ankommen. Dann sollte die EU ihre Mittel für die afrikanischen Herkunftsländer erhöhen, den Einsatz von Frontex verstärken und die Aufgaben und Verantwortlichkeiten bei Marine-Missionen im Mittelmeer gerechter verteilen.

Italien kann zumindest bei einem Teil dieser Fragen auf Unterstützung der EU-Institutionen und wichtiger Mitgliedstaaten zählen, unter ihnen Deutschland und Frankreich. Es ist zu hoffen, dass die künftige italienische Regierung alle diplomatischen Möglichkeiten ausnutzt, um im Bereich der Migration ebenso wie in anderen Bereichen, wo es um lebenswichtige nationale Interessen geht, wirksamere Instrumente europäischer Solidarität zu schaffen. Den illusorischen Versuchungen des Nationalismus sollte sie widerstehen.

Ettore Greco ist Vizepräsident des Istituto Affari Interna-zio­nali in Rom.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März-April 2018, S. 64 - 67

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