Weltspiegel

13. Febr. 2025

„Amerika zuerst“ bedeutet nicht „Europa allein“

Die zweite Trump-Regierung bietet eine Chance für die Erneuerung der trans­atlantischen Beziehungen. Allerdings muss Europa seine vielfältigen Probleme lösen.

Bild
US President Donald Trump arrives at the NATO Summit in Brussels, Belgium July 11, 2018.
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten

In Europa und darüber hinaus ist die Meinung weit verbreitet, dass die Vereinigten Staaten sich unter Führung der neuen Trump-Regierung gegen die übrige Welt – insbesondere gegen Europa – wenden werden. (Tatsächlich lautete der Arbeitstitel für diesen Artikel, als die IP zum ersten Mal an mich herantrat: „Die Vereinigten Staaten vs. die Welt: Die zweite Trump-Administration und die Zukunft der transatlantischen Beziehungen“.)

Zahlreiche Linksliberale in den USA, aber auch europäische Politikerinnen und Politiker sowie viele internationale Beobachter vertreten diese Ansicht. Sie sind überzeugt, dass Präsident Donald Trump aufgrund seiner „America First“-Orientierung grundsätzlich gegen Europa eingestellt sei. Diese Vorstellung wurde schon vor den US-Wahlen in vielen Gesprächen geäußert, in denen es um die Notwendigkeit ging, die transatlantischen Institutionen und vor allem die NATO „Trump-sicher“ zu machen.

Tatsächlich versteht Trump die Vereinigten Staaten nicht als „unverzichtbare Schutzmacht“ der Welt (wie es der ­Economist im Januar formulierte), und es ist unwahrscheinlich, dass er den Status quo in Europa – oder in weiten Teilen der übrigen Welt – akzeptieren wird. Aber genauso wenig sollten das die Europäer tun. Trumps Benennung von Schlüsselproblemen in den transatlantischen Beziehungen sollte als ein erster Schritt verstanden werden, um die Probleme gemeinsam zu lösen und von einer Erneuerung der ­Beziehungen zu profitieren. Diese Erneuerung wird im Rahmen der „America First“-Politik der zweiten Trump-Regierung stattfinden.


Sicherheit ernst nehmen

Wie schon in seiner ersten Amtszeit wird Trump, erstens, die Europäer auffordern, das Thema Sicherheit ernst zu nehmen und mehr dafür zu tun. Er ist nicht der erste US-Präsident, der Bedenken äußert, dass Europa viel zu wenig für die eigene Verteidigung tut. Schon Jahrzehnte vor Trumps Wahl haben amerikanische Präsidenten dasselbe gesagt, allerdings mit anderen Worten. So erklärte der damalige Präsident Barack Obama im Jahr 2016, dass „Europa sich in Bezug auf seine Verteidigung manchmal selbstzufrieden gezeigt hat“. 

In ähnlicher Weise forderte Präsident George W. Bush 2008 seine europäischen Verbündeten auf, „ihre Verteidigungsinvestitionen zu erhöhen, um sowohl NATO- als auch EU-Einsätze zu unterstützen“. In jüngster Zeit haben mehrere europäische Regierungen begonnen, diese Aufrufe zu beherzigen: Im April 2024 kündigte der damalige britische Premierminister ­Rishi Sunak eine schrittweise Erhöhung der Verteidigungsausgaben des Vereinigten Königreichs an und warnte, die Europäer könnten „nicht mehr erwarten, dass Amerika jeden Preis zahlt und jede Last schultert, wenn wir selbst nicht bereit sind, größere Opfer für unsere eigene Sicherheit zu bringen“.

Europäer wie der frühere finnische Präsident Niinistö sagen es selbst: Sicherheit ist die Grundlage für alles

In einem Bericht, den der ehemalige finnische Präsident Sauli Niinistö im Auftrag der EU-Kommission fertigstellte, hieß es im Oktober 2024, Europa müsse sich der „neuen Realität“ stellen, mit der es konfrontiert sei. Diese neue Realität werde am deutlichsten an Russlands Großangriff auf die Ukraine, der „Putins lang gehegte Wahrnehmung, dass der Westen und die Menschen im Westen schwach sind“, unterstreiche. Niinistö forderte die Europäer auf, der Sicherheit klar Vorrang zu geben, und erklärte: „Sicherheit ist die Grundlage für alles, was uns am Herzen liegt. Sicherheit ist ein öffentliches Gut – sie ist für jeden das Wichtigste. Sicherheit ist die Voraussetzung für die Wahrung ­unserer Werte, aber auch eine Notwendigkeit für unseren wirtschaftlichen Erfolg und unsere Wettbewerbsfähigkeit. Wenn wir die Sicherheit verlieren, gehen auch unser Wohlstand und unsere Zukunftspläne verloren.“

Diese Erkenntnisse liefern eine ausgezeichnete Grundlage, um mit dem neuen Team von Präsident Trump sowohl an militärischen Fähigkeiten als auch an operativen Konzepten zur Verbesserung der Sicherheit in Europa zu arbeiten. Bei diesen Gesprächen sollte auch darüber nachgedacht werden, wie der private Sektor auf beiden Seiten des Atlantiks zu diesem Umfeld beitragen und es gestalten kann. Es gibt viel, an dem wir arbeiten können. 


Verbesserung der Energiesicherheit

Zweitens wird Trump wahrscheinlich weiterhin die geopolitischen Risiken der europäischen Energiepolitik betonen. In seiner ersten Amtszeit erntete er viel Kritik dafür, dass er insbesondere Deutschland wegen dessen Abhängigkeit von russischem Gas kritisierte. Die Situation hat sich zwar seit dem Einmarsch Russlands geändert – der Thinktank Bruegel berichtete, dass die EU zwischen 2022 und Ende 2023 ihre Importe fossiler Brennstoffe aus Russland um 94 Prozent reduziert hat –, aber Trump dürfte darauf hinweisen, dass Europa nach wie vor auf russisches Flüssig­erdgas (LNG) angewiesen ist, was keinen Sanktionen unterliegt. Er dürfte auch der europäischen Energieanalystin Ana Maria Jaller-Makarewicz zustimmen, die im vergangenen Dezember in der Financial Times darauf hinwies, dass es in der Tat „überraschend“ sei, dass die LNG-Importe der EU aus Russland im Jahr 2024 ein Allzeithoch erreichten. „Anstatt die russischen LNG-Importe schrittweise zu reduzieren, erhöht [Europa] sie.“

Trump wird höchstwahrscheinlich Vereinbarungen anstreben, die den Verbrauch von mehr LNG aus den USA begünstigen – ein Thema, das er während seiner ersten Amtszeit und im Wahlkampf immer wieder angesprochen hat. Bei manchen Europäern stößt er damit auf Zustimmung. Mario Draghi, der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, stellte in seinem inzwischen berühmt gewordenen Bericht vom September 2024 fest, Europa habe die höchsten Energiepreise: „Die Strompreise in der EU sind zwei- bis dreimal so hoch wie in den Vereinigten Staaten und in China.“

Die Energiekosten wirken sich auch auf die Entwicklung des europäischen Technologiesektors aus, der schon jetzt hinter den USA und China zurückbleibt. Nur vier der 50 größten Technologieunternehmen der Welt sind europäische Firmen. Auch wenn die Gründe für diesen Rückstand vielfältig sind, behindern hohe Energiepreise Reformen und Innovationen, was sich seinerseits auf die transatlantischen Beziehungen auswirken kann.


Einbindung in die US-China-Politik

Drittens wird Trump vermutlich versuchen, Europa in die Bemühungen der USA einzubinden, sich Chinas zunehmender politischer, wirtschaftlicher und militärischer Aggression entgegenzustellen. Er ist sich darüber im Klaren, dass der beste Weg darin besteht, dass sich Europa erst einmal selbst hilft und aus seiner tiefen Abhängigkeit von China befreit. Dieser Prozess der kontinentalen Selbsthilfe erfordert, dass die Europäer Trump in gutem Glauben begegnen, wenn er auf die echten und drängenden Probleme hinweist, die von Peking ausgehen.

Es geht darum, dass sich Europa erst einmal selbst hilft und aus seiner Abhängigkeit von China befreit

Um nur ein Beispiel zu nennen: Europa hat seine Energieinfrastruktur und -versorgung von Lieferketten für grüne Technologien abhängig gemacht, die fast vollständig von China dominiert werden, weil sich Europa in dem Wunsch, seine Netto-Emissionen auf null zu senken, überstürzt von fossilen Brennstoffen abgewendet hat. Peking überschwemmt die europäischen Märkte gezielt mit billigen, subventionierten Gütern – unter anderem Solarpaneele und Elektrofahrzeuge –, die verhindern, dass europäische Unternehmen unter Marktbedingungen konkurrieren können. Auf diese Weise positioniert sich China als Alleinlieferant. Wenn es nicht zu einer politischen Kehrtwende kommt, wird die Kommunistische Partei Chinas, wie mein Kollege Peter Rough vom Hudson Institute festgestellt hat, weitere Möglichkeiten erhalten, sich in den elektronischen Systemen Europas festzusetzen, geistiges Eigentum zu stehlen und ihren Einfluss in einem Wirtschaftssektor zu festigen, der von chinesischem Kapital und Ressourcen abhängig ist.

Trump vertritt die Ansicht, dass wirtschaftliche und materielle Abhängigkeiten letztlich zu einer Erosion der politischen Autonomie führen. Dies hat er mit seiner „America First“-Politik und besonders mit seinem Vorstoß für eine größere Unabhängigkeit der US-Produktion deutlich gemacht. Aufbauend auf dieser Einsicht möchte er, dass Europa durch eine größere Unabhängigkeit in einer Vielzahl von Sektoren seinen Status als kompetenter und zuverlässiger Partner der USA zurückgewinnt. Nur dann wird der Westen insgesamt in der Lage sein, dem chinesischen Revisionismus zu widerstehen. Dieser ­Prozess kann, wie bereits erwähnt, mit einer erweiterten amerikanisch-europäischen Zusammenarbeit im Energiebereich beginnen, die Europa eine solide Grundlage für den Wiederaufbau seiner wirtschaftlich-industriellen Basis bieten und Chinas Einfluss auf europäische Entscheidungsprozesse mindern würde.


Politik der Stärke gegenüber Russland

Viertens gilt, dass mit Blick auf die Ukraine zwar die Meinung vorherrscht, dass der neue US-Präsident eine „freundliche“ Beziehung zum russischen Präsidenten Wladimir Putin anstrebt. Seine bisherigen Aussagen sprechen jedoch eine andere Sprache. Als der designierte Präsident Trump kurz nach seiner Wiederwahl mit Putin telefonierte, um über den nicht endenden Krieg in der Ukraine zu sprechen, soll Trump den russischen Präsidenten vor einer Eskalation des Krieges gewarnt und ihn an die bedeutende Militärpräsenz der USA in Europa erinnert haben. Der Kreml bestritt, dass ein solcher Austausch stattgefunden habe, was die Glaubwürdigkeit der ursprünglichen Berichterstattung noch unterstreicht. 

Dieses Gespräch ist ein Beispiel dafür, dass die zweite Trump-Regierung, wie Trumps ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater Robert O’Brien feststellte, den Leitspruch „Frieden durch Stärke“ ernst nimmt. Kurz nach seinem Gespräch mit Putin traf Trump anlässlich der Wiedereröffnung der Kathedrale Notre-Dame in Paris mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron zusammen. Bei diesem Treffen äußerte Trump die Hoffnung, die Ukraine als starkes Land aus dem Krieg hervorgehen zu sehen – als ein Land, dessen ­Sicherheit von Europa garantiert und unterstützt werden sollte, möglicherweise durch die Stationierung europäischer Truppen. Darüber hinaus forderte er seine Amtskollegen auf, Druck auf Peking auszuüben, um Moskau zur Beendigung des Konflikts zu zwingen. Eventuell könnte Europa durch die Verhängung von Zöllen Anreize für China setzen. 

Am Tag nach diesem Treffen rief Trump zu einem „sofortigen Waffenstillstand“ im russisch-ukrainischen Krieg auf und schrieb in den sozialen Medien, dass „Selenskyj und die Ukraine gerne eine Einigung erzielen und den Wahnsinn stoppen würden“. Im selben Posting auf TruthSocial suchte er auf Putin einzuwirken, indem er feststellte, dass „fast 600 000 russische Soldaten verwundet oder tot sind, in einem Krieg, der nie hätte beginnen dürfen und der ewig weitergehen könnte“.

Donald Trump gibt sich nicht damit zufrieden, russische Propaganda und Desinforma­tion blind zu akzeptieren. Seine offensichtliche Bereitschaft, sich der russischen Führung zu widersetzen, mit europäischen Akteuren über den Konflikt zu sprechen und sich für ein ausgehandeltes Ende des Krieges einzusetzen, steht im Widerspruch zu den Prognosen, die vor der Wahl abgegeben wurden, nach denen Trump bei seiner Rückkehr ins ­Weiße Haus die Ukraine und Europa sofort im Stich lassen würde. Bisher bemüht er sich, einen Prozess zur Beilegung des Krieges in Gang zu setzen.


Migration als gemeinsames Anliegen

Es gibt natürlich noch mehr Themen, bei denen die Vereinigten Staaten und Europa in den kommenden Jahren zusammenarbeiten können. Trump wird offen sein für Gespräche darüber, wie das um sich greifende Übel des Antisemitismus in den USA und in Europa bekämpft werden kann.

Und es wird viele Gelegenheiten geben, die Probleme der Massenmigration und der illegalen Einwanderung zu erörtern, die beiden Seiten des Atlantiks weiter zu schaffen machen. Die über Jahrzehnte betriebene Entwicklungspolitik der USA und Europas ist gescheitert. Sie hat nicht die Art von Gemeinschaften und Gesellschaften hervorgebracht, in denen Menschen bleiben wollen. Es lohnt sich nicht nur, diese Entwicklungsprioritäten und -ansätze ernsthaft zu überdenken, sondern es ist auch notwendig, ehrlich über das Problem der Migration zu sprechen, das erhebliche soziale und politische Auswirkungen auf die Vereinigten Staaten und Europa hat und weiterhin haben wird.

Es muss einen transatlantischen Konsens darüber geben, dass es die Hauptverantwortung unserer Demokratien ist, die Stabilität des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gefüges unserer Nationen zu erhalten. Dies kann nicht durch offene Grenzen, Massenmigration oder das Wachstum des radikalen Islamismus überall in Europa geschehen. Da gemeinsame Werte ein wesentlicher Bestandteil der transatlantischen Beziehungen sind, ist dieser Punkt wichtig.

Die Europäer müssen sich ebenso viel abverlangen, wie sie von den Amerikanern einfordern

Die Herausforderungen und potenziellen Lösungen entfalten sich im Kontext von Trumps politischer Agenda „America First“. Trump selbst ebenso wie viele seiner Berater haben immer wieder gesagt, dass „America First“ nicht bedeutet, dass Amerika allein handelt. Es bedeutet, dass die US-Politik in erster Linie darauf ausgerichtet sein muss, die US-Interessen zu fördern, und dass Europa als kompetenter Partner mit den USA zusammenarbeitet.

Die europäischen Staaten müssen zeigen, dass sie verlässliche Verbündete sind, indem sie ihre Landesverteidigung stärken, ihre Energieinfrastruktur sichern, ihre wirtschaftliche Sicherheit schützen und für die Werte eintreten, die die Vereinigten Staaten und Europa verbinden. 

Kurz gesagt: Die Europäer müssen beginnen, sich selbst ebenso viel abzuverlangen, wie sie von den Vereinigten Staaten fordern.

Einige europäische Regierungen haben dies erkannt. Kurz nach Trumps Wiederwahl sagte die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zu den anderen europäischen Staats- und Regierungschefs: „Fragen Sie nicht, was die USA für Sie tun können, sondern was Europa für sich selbst tun sollte.“ Meloni riet Europa dazu, einen pragmatischen, konstruktiven und offenen Ansatz gegenüber der neuen Trump-Regierung zu pflegen und sich auf Bereiche potenzieller Zusammenarbeit zu konzentrieren. 

In eine ähnliche Richtung zielte Macron mit dieser Mahnung vom November 2024: „Wir [in Europa] denken, dass wir unsere Geopolitik an die Vereinigten Staaten von Amerika delegieren sollten, dass wir unsere Wachstumsschulden an unsere chinesischen Wirtschaftspartner delegieren sollten, dass wir unsere technologische Innovation an die amerikanischen Hyper-Skalierer delegieren sollten. Das ist nicht die allerbeste Idee.“

Die Erneuerung der transatlantischen Beziehungen als politisches, wirtschaftliches und sicherheitspolitisches Arrangement auf Gegenseitigkeit ist möglich. Um sicherzustellen, dass sich die Beziehungen in eine positive Richtung entwickeln, muss Europa zunächst die unzähligen Probleme, die den Kontinent plagen, erkennen und Schritte unternehmen, um sie zu lösen. In der Zusammenarbeit mit Washington eröffnen sich nun Chancen, diesen Problemen zu begegnen. 

Aus dem Englischen von Bettina Vestring

Nadia Schadlow ist Senior Fellow am Hudson Institute. 2017 war sie die „Architektin“ der Nationalen Sicherheitsstrategie der ersten Trump-Regierung.