Wer bewegt die Wirtschaft Russlands?
Öl-, Gas- und Metallmagnaten, Suchmaschinenbetreiber und Putin-Freunde
In keinem anderen Land prägen Superreiche die Volkswirtschaft so sehr wie in Russland. Die Oligarchen haben in praktisch jedem Wirtschaftszweig ihre Finger im Spiel, leisten sich extravagante Hobbys und haben manchmal ein kompliziertes Verhältnis zu den Mächtigen im Kreml – aber manchmal auch ein sehr enges. IP stellt die sieben wichtigsten von ihnen vor.
Der Chef der Russischen Eisenbahnen (RZD), Wladimir Jakunin, ist ein enger Vertrauter von Wladimir Putin und ein scharfer Kritiker des Westens. In den RZD unterstehen ihm mehr als eine Million Mitarbeiter. Nach Studium und Militärdienst arbeitete er für den Ministerrat der damaligen UdSSR und war sechs Jahre lang im diplomatischen Dienst der Sowjetunion tätig. Gerüchten zufolge soll er – wie Putin, den er in den frühen neunziger Jahren in St. Petersburg kennenlernte – für den Geheimdienst KGB gearbeitet haben, wofür es aber keine konkreten Beweise gibt. Unter Putin wurde er 2000 zum stellvertretenden Verkehrsminister ernannt, 2005 stieg er zum Präsidenten der Russischen Eisenbahnen auf. Jakunin ist Gründungspräsident der Nichtregierungsorganisation World Public Forum „Dialogue of Civilizations“, die als Plattform für internationale Experten dienen soll, um über ein „größeres Europa von Lissabon bis Wladiwostok“ zu diskutieren. Wiederholt fiel Jakunin mit extrem antiwestlichen Positionen auf. Nachdem die österreichische Drag-Queen Conchita Wurst den Eurovision Song Contest 2014 gewonnen hatte, attestierte Jakunin dem Westen „vulgären Ethno-Faschismus“. Dass seine Auslandskonten im Frühjahr 2014 in den USA gesperrt wurden, schien ihn nicht zu stören: Er sei damit „in guter Gesellschaft“ und fühle sich „geehrt“.
Einfach viel Geld zu verdienen, das reicht Michail Prochorow nicht. Der 49-Jährige spielt viele Rollen: Unternehmer, Sportclubbesitzer, Präsidentschaftskandidat, Lokalpolitiker. Sein auf über zehn Milliarden Dollar geschätztes Vermögen stammt hauptsächlich aus inzwischen verkauften Anteilen an dem Nickel- und Palladiumproduzenten Norilsk Nickel. Aktuell ist er unter anderem am weltweit größten Aluminiumhersteller Rusal und Düngemittelproduzenten Uralkali beteiligt. Von einem Teil seines Geldes kaufte er sich 2010 einen Mehrheitsanteil am amerikanischen Basketball-Club Brooklyn Nets, bei dem auch der russische Starspieler Andrei Kirilenko spielt. Bei der Präsidentschaftswahl 2012 trat Prochorow als Gegenkandidat zu Wladimir Putin an und schnitt vor allem in einigen Großstädten gut ab. Nach der Wahl gründete er eine Bürgerplattform, mit der er bei Kommunalwahlen antreten will. Dass Prochorow bei seinen politischen Aktivitäten weitgehend ungestört bleibt, ist verdächtig. Tatsächlich hätte Prochorow wohl kaum ohne Putins Billigung an den Präsidentschaftswahlen teilnehmen können. Ein Jahr zuvor hatte er sich jedoch in der Partei „Gerechte Sache“, die oft als Erfindung des Kremls kritisiert wurde, eine offene Auseinandersetzung mit der Regierung geliefert. Prochorow scheint es mit seinen politischen und gesellschaftlichen Engagement durchaus ernst zu meinen. Er will nicht nur wegen seines Geldes berühmt sein, sondern auch wegen der Themen, für die er es einsetzt.
Igor Setschin ist kein Oligarch. Ganz im Gegenteil: Lange wurde der gewiefte Politstratege „Schreck der Oligarchen“ genannt, weil er an Putins Kampf gegen die mächtigen Reichen in dessen erster Amtszeit, der mit der Verurteilung von Michail Chodorkowski endete, entscheidend mitgearbeitet haben soll. Inzwischen ist Setschin, der mit Putin bereits zu dessen Zeit als Vizebürgermeister in St. Petersburg zusammenarbeitete, aber zu einem der wichtigsten Wirtschaftsführer Russlands aufgestiegen, denn er leitet den staatlichen Ölkonzern Rosneft. 2012 übernahm Rosneft das Ölunternehmen TNK-BP und wurde damit zum größten Energiekonzern der Welt. Allein deswegen hat Setschin Macht, vor allem aber, weil Erdöl das wichtigste Produkt der russischen Wirtschaft ist. Setschin sieht seine Funktion bei Rosneft weiterhin politisch. Für ihn ist der weltgrößte Energiekonzern ein verlängerter Arm des Kremls, der vor allem die politischen und wirtschaftlichen Interessen der russischen Regierung durchsetzen soll.
Gennadij Timtschenko schafft es mit einem Vermögen von 15,2 Milliarden Dollar auf Platz 6 der Liste der reichsten Russen. Er wuchs in Armenien, Ostdeutschland und im ukrainischen Odessa auf, schloss ein Ingenieurstudium in St. Petersburg ab und arbeitete dann bei einer staatlichen Raffinerie. Mit 45 Jahren gründete er die Gunvor-Gruppe mit, die zu den weltweit größten Energiehändlern zählt. Im März verkaufte er seinen 43-prozentigen Anteil an seinen Geschäftspartner Torbjorn Tornquivst – genau einen Tag bevor das US-Finanzministerium Sanktionen gegen ihn verhängte. Allerdings hält er nach wie vor Beteiligungen an mehreren Gas-, Transport- und Bauunternehmen wie zum Beispiel Novatek, dem größten privaten Gasförderunternehmen Russlands. Timtschenko gehört seit seiner Petersburger Zeit zu den engsten Vertrauten Putins; in dem von ihm gegründeten Judoklub ist der Kremlchef Ehrenpräsident. „Wir kennen uns schon seit Jahren, und wir treffen uns auch von Zeit zu Zeit“, sagte er dem Magazin Forbes. Allerdings streitet Timtschenko vehement ab, jemals geschäftlich von dieser Beziehung profitiert zu haben und verklagte nach entsprechenden Vorwürfen 2009 den Economist. Der medienscheue 61-Jährige lebt heute mit seiner Frau und drei Kindern in der Schweiz.
Alischer Usmanow ist der Reichste der Reichen. Mit einem Vermögen von mehr als 18,6 Milliarden Dollar führt er die aktuelle Forbes-Liste für Russland an, und das schon seit drei Jahren. Der 1953 in Usbekistan Geborene hat sein Geld zunächst im Gazprom-Konzern verdient, später kamen zahlreiche Beteiligungen vor allem in der Metallindustrie sowie bei Telekommunikations- und Internetunternehmen hinzu. So ist er seit 2009 Aktionär bei Facebook. Nach dem Börsengang des Sozialen Netzwerks 2012 hat Usmanow seine Facebook-Aktien nach und nach verkauft und dabei einen ordentlichen Gewinn eingestrichen. Ebenfalls zu seinem Imperium gehört ein Teil des Londoner Fußballclubs FC Arsenal, an dem er zusammen mit Farhad Moshiri rund 30 Prozent hält. In Großbritannien besitzt Usmanow, der eng mit dem Oligarchen und FC-Chelsea-Eigner Roman Abramowitsch befreundet ist, das Anwesen Sutton Place in der Grafschaft Surrey, das einst dem US-Milliardär J. Paul Getty gehörte. Usmanow ist zudem Eigentümer der russischen Wirtschaftszeitung Kommersant. Lange Zeit konnten die Kommersant-Journalisten relativ frei berichten. Als sie nach der Präsidentschaftswahl 2012 jedoch einen kritischen Artikel über Wladimir Putin und angebliche Wahlfälschungen veröffentlichten, entließ Usmanow sofort den Chefredakteur. An einem Image als Vorkämpfer für die Pressefreiheit liegt Usmanow nichts. Sein Draht zur Macht ist ihm bedeutend wichtiger.
Wiktor Wekselberg hatte bereits in der Sowjetunion seine ersten geschäftlichen Erfolge, als er Kupferreste und Computer verkaufte. Seine große Zeit begann aber wie bei so vielen Oligarchen in den wilden neunziger Jahren, als er sich lukrative Stücke aus dem ehemaligen Staatseigentum sichern konnte. Darunter war auch der Ölkonzern TNK, der ihm in den kommenden Jahren große Gewinne, aber auch viel Ärger bescherte. Wekselberg führte TNK mit dem britischen Ölkonzern BP in einem Joint Venture zusammen, in dem es 2008 zu einem erbitterten Machtkampf zwischen Wekselberg und zwei anderen Oligarchen auf der einen und dem britischen TNK-BP-Chef Robert Dudley auf der anderen Seite kam. Die Oligarchen nutzten ihre Verbindungen in die Politik, um ihren Willen durchzusetzen. Inzwischen gehört TNK-BP dem staatlichen Ölkonzern Rosneft, und Wekselberg konzentriert sich auf seine anderen Unternehmen, vor allen den riesigen Mischkonzern Renova. Wekselberg ist zudem Koordinierungsdirektor des Technologieparks und Hightech-Forschungszentrums „Skolkowo“, das momentan in der Nähe von Moskau entsteht. Der 57-Jährige gilt als eher zurückhaltend, für Eskapaden ist er nicht bekannt. Spektakulär war allerdings sein Kauf einer Sammlung von Fabergé-Eiern für 100 Millionen Dollar im Jahr 2004.
In der Liste der reichsten Russen findet man Arkadi Wolosch erst auf den hinteren Plätzen. Doch der 50-Jährige hat etwas ganz Besonderes geschafft: Google zu besiegen. Russland ist eines der wenigen Länder, in denen Google nicht die Internetsuche beherrscht, und das liegt an der von Wolosch mitbegründeten Suchmaschine Yandex. 60 Prozent der Suchanfragen in Russland laufen über Yandex. Weltweit hat sie sogar mehr Nutzer als die von Microsoft entwickelte Suchmaschine Bing. Wolosch und sein inzwischen verstorbener Mitgründer Ilja Segalowitsch entwickelten nicht nur einen ähnlich leistungsfähigen Suchalgorithmus, sondern profitierten auch davon, dass Google lange Zeit Probleme mit der russischen Grammatik hatte. Außerdem kopierten sie geschickt die Strategie des großen Konkurrenten aus den USA und expandierten unter der Marke Yandex in immer neue Geschäftsbereiche wie Navigationssoftware, Online-Bezahlsystem oder Musik-Streamingdienste. In den vergangenen Jahren geriet Yandex in Konflikt mit der Staatsmacht und dann ganz sicherlich mit seinen Kunden. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, Daten von Personen, die über den Online-Bezahldienst von Yandex Geld an den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny gespendet hatten, an den Inlandsgeheimdienst FSB weitergereicht zu haben. Ganz anders verhielt sich der inzwischen ausgewanderte Gründer von VKontakte, Pawel Durow: Er hat sich konsequent geweigert, mit dem Geheimdienst zu kooperieren.
IP Länderporträt Russland 4, Juli/August 2014, S. 54-57