Titelthema

24. Juni 2024

Vielfalt und Verteidigung

Israel und Deutschland verfolgen unterschiedliche Ansätze bei der Integration von Frauen in Militär und Sicherheitspolitik. Warum? 

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Kriege waren für den Großteil der Geschichte eine männliche Angelegenheit: Männer erklärten Kriege, kämpften sie und verhandelten über ihr Ende, während Frauen zumeist entweder in die Rolle der Zuschauerinnen oder der Opfer gedrängt wurden. Die heutige Realität zeichnet jedoch ein anderes Bild: Frauen übernehmen mehr militärische und sicherheitspolitische Aufgaben und verändern die Art und Weise, wie über Verteidigungspolitik nachgedacht wird. Um diese historische Entwicklung besser zu verstehen und die Diskussion über feministische Außenpolitik voranzutreiben, hilft ein vergleichender Blick auf Israel und Deutschland. 

Beide Länder stehen vor sehr unterschiedlichen Sicherheitsherausforderungen. Seit seiner Grün­dung ist Israel mit konventionellen, hybriden und terroristischen Bedrohungen konfrontiert – wie dem Krieg von 1948, dem Sechs­-Tage-Krieg, dem Jom-Kippur-Krieg, den Libanon­-Kriegen und den beiden Intifadas –, was wiederum zu erheblichen Investitionen in Streit­kräfte und Verteidigung geführt hat. Die Teilung des mo­dernen Deutschlands in Ost und West verhinderte hingegen den Aufbau einer großen Streit­macht. Deutschland verfolgte eine Außenpolitik, die einige Kommentatoren als „pazifistisch“ be­zeichneten und die sich auf Strategien wie „Wandel durch Handel“ und Ent­wicklungshilfe als Mittel zur regionalen Stabili­sierung stützte. 

Sowohl der israelische als auch der deutsche Ansatz haben jedoch ihre Grenzen. So hat Israel bis heute trotz seiner militärischen Überlegenheit weder einen entscheidenden Sieg über irreguläre palästinensische Truppen errungen noch die hybriden Bedrohungen aus dem Iran gebannt. Immer wieder musste sich Israel in den vergangenen Jahren mit aufflammenden Grenzkon­flikten auseinandersetzen. Der andauernde Krieg mit der Hamas im Gazastreifen, der bereits Zehntausende Tote gefordert und zu internationalen Gerichtsverfahren gegen den Staat Israel und seine politische Führung geführt hat, wird von vielen als Versagen der israelischen Sicherheitspolitik betrachtet. 

Auch Deutschland hat in jüngster Zeit die Quittung für einige alte Verfehlungen bekommen: Der Krieg in der Ukraine hat die Schwachstellen des europäischen Sicherheitsparadigmas offengelegt, insbesondere die Abhängigkeit von russischer Energie und amerikanischen Sicherheitsgarantien. Zudem sah sich Deutschland unter internatio­nalem Druck dazu gezwungen, seine Haltung, keine Waffen an aktive Kriegsparteien zu liefern, aufzugeben. Seitdem leistet Deutschland der Ukraine militärische Unterstützung in noch nie dage­wesenem Umfang.


Erst militarisiert, dann traumatisiert 

Die Entwicklungsgeschichte Israels und Deutschlands hat die Sicherheitsstrategie der beiden Staaten und auch die Integration von Frauen in die Verteidigungspolitik tiefgreifend beeinflusst.

Im Fall Deutschlands kann der Militarismus des 20. Jahrhunderts nicht losgelöst von der reichen militärischen Tradition des Landes und seinem Vorläufer Preußen betrachtet werden. Denn gerade diese Region war lange Zeit das Zentrum kriegerischer Auseinandersetzungen in Kontinentaleuropa: von den feudalen Auseinandersetzungen im Mittelalter über die Religionskriege während der Reformation bis hin zur langwierigen Einigung Deutschlands im Jahr 1871. Vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstärkte sich die Militarisierung der Gesellschaft noch weiter. 

So führte der Erste Weltkrieg in Deutschland zur „totalen Mobilisierung“ und bereitete der Beteiligung von Frauen im Militärapparat den Weg, wenn auch zunächst nur in Funktionen ohne Kampfeinsätze. In der Zwischenkriegszeit veränderte sich die Rolle der Frauen in der deutschen Gesellschaft im Zuge der Emanzipation drastisch. Frauen standen nicht nur an der Spitze des politischen Widerstands gegen die französische Besatzung des Ruhrgebiets, sondern beteiligten sich in den 1920er und 1930er Jahren auch an Straßenkämpfen, Demonstrationen und Unruhen. 

Im Narrativ Israels ist die Bereitschaft, zu den Waffen zu greifen – für Landesverteidigung und den Fort­bestand der Nation – von hoher Bedeutung

Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Militarismus unter den Nationalsozialisten noch extremer: Hunderttausende Frauen wurden als Hilfskräfte rekrutiert, zum ersten Mal trugen mehrere Tausend Soldatinnen auch Waffen, Kinder wurden zur Mitarbeit in paramilitärischen Orga­nisationen eingezogen und der Kriegseinsatz wurde zur höchsten Priorität erklärt.

Umso traumatischer wirkte die Niederlage auf das Land. Deutschland verfehlte im Zweiten Weltkrieg nicht nur seine militärischen Ziele, sondern wurde besetzt, zerstückelt und blieb über 40 Jahre lang geteilt. Tausend Jahre militärischer Tradition gipfelten in einem völligen Scheitern – und in einer Katastrophe für das deutsche Volk. Zudem musste sich Deutschland fortan mit dem moralischen Schandfleck des Holocausts und den Konsequenzen des Angriffskriegs, den es begonnen hatte, auseinandersetzen – und feststellen, dass diese Verbrechen auf Militarismus und Ultranationalismus gründen. Noch heute liegt dieses Trauma der deutschen Sicherheitspolitik zugrunde. 


Israels Weg zu militärischer Stärke

Das größte Opfer der deutschen Aggression während des Zweiten Weltkriegs war das jüdi­sche Volk. Theoretisch hat das Judentum eine religiös-militärische Tradition. In der Tat erinnern zwei Feiertage, Hanukkah und Lag baOmer, an jüdische Triumphe gegen einstige Besatzungsmächte. Dazu kommt Tisha Be’Av, ein Tag der kollektiven Trauer in Gedenken an historische Tragödien, darunter auch militärische Verluste. In israelischen Schulen werden den Kindern Volkshelden nähergebracht, Krieger, die die Feinde des jüdischen Volkes besiegt und seine Sicherheit gewährleistet haben. Über die Echtheit dieser biblischen Geschichten lässt sich streiten, aber es ist offensichtlich, dass diese Ereignisse – wenn sie stattgefunden haben sollten – sehr lange zurückliegen. Tatsächlich gab es seit den letzten bedeutenden jüdischen Aufständen im 4. Jahrhundert n. Chr. bis zum 20. Jahrhundert keine weiteren nationalen jüdi­schen Aufstände. Aufgrund von Beschränkungen beim Landbesitz und bei der Bekleidung von politischen Ämtern waren Juden überwiegend im Handel, in der Industrie und im Bankwesen tätig und übernahmen nur selten militärische Führungs­positionen. 

Dies veränderte sich erst mit dem Aufkommen des Nationalismus im 19. Jahrhundert und der Entstehung des Zionismus, der sich als Reaktion auf die Pogrome und die Verfolgung des jüdischen Volkes in Europa herausbildete. Die zionistische Bewegung selbst war jedoch in der Frage der Bewaffnung gespalten. So lehnte die ideologische Fraktion des „spirituellen Zionismus“ den Einsatz von Waffen ab. Zudem war der Zionismus vor dem Zweiten Weltkrieg nur eine von mehreren jüdischen politischen Bewegungen, die mit dem sozialistischen „Bund“ und den ultrareligiösen Traditionalisten um die politische Vorherrschaft konkurrierten. 

Die innergemeinschaftliche Gewalt in Palästina – als osmanische Provinz und später unter britischem Mandat – führte zur Entstehung bewaffneter jüdischer Organisationen, die zunächst in Form verstreuter Gruppen auftraten. Erst als jüdische Siedler begriffen hatten, dass die Errichtung eines jüdischen Staates in der Region ohne den Einsatz von Waffen nicht zu bewerkstelligen war, formierten sich organisierte nationale Milizen.

Unklar bleibt, wie sich diese militärische Ent­wicklung ohne den Holocaust, das wohl traumatischste und prägendste Ereignis im jüdischen kollektiven Gedächtnis und politischen Denken, fortgesetzt hätte. Zweifelsohne verbesserten sich die militärischen Fähigkeiten der Juden im britischen Mandatsgebiet erheblich: Während des Zweiten Weltkriegs meldeten sich zahlreiche Freiwillige aus dem Jischuw – der jüdi­schen Gemeinschaft in Palästina vor der Staatsgrün­dung Israels 1948 – bei der britischen Armee, und Hunderttausende kämpften in den verschiedenen Truppenverbänden der Alliierten, in der Hoffnung, dem Schrecken Einhalt gebieten zu können. 

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa zogen Hundert­tausende in den neu entstandenen Staat Israel. Dort mussten sie sich sofort auf einen erbitterten Kampf ums Überleben mit mehreren arabischen Staaten einlassen, die ihnen den Krieg erklärt hatten. Israel kämpfte und siegte in einem Krieg der totalen Mobilisierung, in dem 1 Prozent der Zivilbe­völkerung ums Leben kam. Im israeli­schen Narrativ kann die Bedeutung dieser Bereit­schaft, zu den Waffen zu greifen – sowohl für die Landesverteidigung als auch für den Fortbestand der Nation –, gar nicht genug hervorgehoben ­werden.


Gegensätzliche Nachkriegspolitik

Während Deutschland aus seiner Geschichte den Schluss zog, dass der bewaffnete Kampf in die Katastrophe führe, trugen die Erfahrungen Israels eher zu der Erkenntnis bei, dass dem Horror des Völkermords und der immer wiederkehrenden Verfolgung nur durch Selbstverteidigung beizukommen war. So hat das Trauma des Zweiten Weltkriegs auf beiden Seiten, bei den Opfern wie bei den Tätern, seine Spuren hinterlassen und bestimmt seither die Nachkriegspolitik. 

Um seine Existenz zu sichern, handelte Israel schnell: Das Land führte die Wehrpflicht ein und intensivierte die Kontakte in die Vereinigten Staaten. So sicherte man sich einen Partner, der sowohl die modernsten Waffen liefern als auch – so die weitverbreitete Annahme im Ausland – bei der Ent­wicklung von Atomwaffen assistieren konnte. In der Folge ließ sich Israel sogar auf militärische Operationen wie den Sinai-Krieg im Jahr 1956 ein und errang im Sechs-Tage-Krieg von 1967 einen schnellen Sieg. Im blutigen Jom-Kippur-Krieg von 1973 entdeckte das Land dann allerdings auch die Grenzen seiner militärischen Macht. 

Deutschland hingegen legte den Schwerpunkt nicht auf das Militär, sondern auf die europä­ische Integration. Zwar verfügten beide deutsche Staa­ten in den Jahren des Kalten Krieges über Streitkräfte. Diese waren aber hauptsächlich Teil eines geopolitischen Schachspiels zweier Supermächte und dienten kaum einer nationalen Agenda.


Frauen im Verteidigungsapparat

Die Integration von Frauen in die Streitkräfte ist untrennbar mit der Verteidigungspolitik im Allgemeinen verbunden. Denn dieser Schritt erfordert eine bewusste politische Anstrengung und eine Anpassung der Streitkräfte an die Bedürfnisse und Anforderungen von Frauen. Aus diesem Grund haben Israel und Deutschland entsprechend ihrer unterschiedlichen sicherheitspolitischen Überzeugungen verschiedene Modelle zur Integration von Frauen in den Verteidigungsapparat ­entwickelt.

Israel, das sich stark auf seine konventionelle Armee konzentriert, führte 1949 die Wehrpflicht für Frauen ein. Schon früh sahen Feministinnen im Militärdienst für Frauen einen Weg zu gesellschaftlicher Gleichberechtigung und größerer öffentlicher Wahrnehmung. 1955 traten die ersten Frauen den Fallschirmjägern bei, 1972 wurde die erste weibliche Militäringenieurin zugelassen, und in den 1980er Jahren erhielten Frauen Zugang zu Positionen mit mehr Kampf­einsätzen. Nach jahrelanger öffentlicher Debatte entschied der Oberste Gerichtshof Israels 1995 in ei­nem bahnbrechenden Urteil, dass Frauen als Kampfpilotinnen eingesetzt werden dürfen. Kürzlich hat Israel zudem als eines der ersten Länder Programme aufgelegt, die es Frauen ermöglichen, Panzer zu bedienen.

All diese Prozesse zeigen, dass die Armee in der israelischen Gesellschaft einen hohen Stellenwert genießt und von vielen als wichtiger Schritt auf dem Weg zu Führungspositionen angesehen wird. Dies gilt im Übrigen nicht nur für Frauen, sondern auch für andere Bevöl­kerungsgruppen wie Drusen, äthiopisch-jüdische, ultrareligiöse und transsexuelle Soldaten sowie für Menschen mit Behinderungen. Für sie alle gibt es Anpassungen, die darauf abzielen, ihre Beteiligung in der israelischen Armee zu erleichtern – auch, weil eine solche Beteiligung nicht nur als Pflicht, sondern auch als Recht angesehen wird. Wie Zehava Galon, Vorsitzende der Meretz-Partei und ehemaliges Mitglied der Knesset sowie des Ausschusses für Sicherheit und Auswärtige Angelegenheiten, feststellt, handelt es sich dabei um eine „liberale Form des Fe­minismus, die besagt: Was Männer können, können Frauen auch“.

Im Deutschland der Nachkriegszeit wurde die Bundeswehr nie in demselben Maße wie in Israel als einigende Kraft und als Bestandteil einer nationalen Wiederaufbaustrategie gesehen. Im Gegenteil: Wie einige Beobachter bereits beschrieben haben, liegt die Vermutung nahe, dass Deutschland die Bundeswehr „hasst“. Etwas nüchterner formuliert, lässt sich zumindest feststellen, dass man in der deutschen Gesellschaft auch ohne militärische Laufbahn vorankommen kann. Diese Einschätzung teilt auch Franziska S. aus Hamburg, die nach ihrem Bachelor-Abschluss in den Jahren 2018 und 2019 bei der Bundeswehr gedient hat. Bei unserem Gespräch im April 2024 sagt sie: „Ich glaube nicht, dass die Bundeswehr für die meisten Deutschen eine zentrale Rolle spielt.“

Die breite Ablehnung militärischer Tendenzen zeigt sich nicht nur in der pazifistischen Grundhaltung Deutschlands, die eine Abneigung ­gegen militärische Abenteuer im Ausland und die Nichteinmischung in laufende Kriege (mit der bemerkenswerten Ausnahme des Ukraine-Krieges) einschließt. Sie zeigt sich auch in der weitverbreiteten Angst der deutschen Gesellschaft vor der Rolle der Bundeswehr und einem gewissen Misstrauen gegenüber dem Verteidigungsapparat, das in jüngster Zeit durch verschiedene rechts­­-
ex­treme Skandale in der Bundeswehr noch verstärkt wurde.

Diese skeptische Haltung der Deutschen begünstigte in der Vergangenheit eine Unterfinanzierung der Bundeswehr und trug auch dazu bei, dass Deutschland seinen Zah­lungsverpflichtungen innerhalb der NATO bis zur russischen Invasion der Ukraine nur sehr zögerlich nachkam. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass viele Deutsche der Bundeswehr nur ungern gesellschaftspolitische Relevanz beimessen wollen. Folglich hatten Bemühungen, die Bundeswehr zu einer repräsentativeren Institution zu machen, historisch gesehen auch keine gesellschaftliche Priorität. 

Dies ist einer der Gründe, warum Deutschland bei der Integration von Frauen in das Militär hinter Israel und anderen westlichen Ländern zurückgeblieben ist. Die ersten Soldatinnen traten in Deutschland 1975 in die Bundeswehr ein, allerdings nur als Sanitäterinnen oder als Teil von Militärkapellen. Andere Funktionen wurden erst 2001 – nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs – für Frauen geöffnet. Auch heute liegt der Anteil der Soldatinnen in der Bundeswehr noch unter 15 Prozent, im zivilen Bereich der Bundeswehr machen Frauen rund 39 Prozent aus.


Auch politisch zu Höherem berufen

Selbstverständlich kann die Integration von Frauen in den Militärapparat nicht automatisch als Gradmesser für eine feministische Außenpolitik gewertet werden. Schließlich wird Politik in liberalen Demokratien nicht von Soldatinnen und Offizieren gemacht, sondern von einem Geflecht aus gewählten Vertreterinnen und Vertretern, Beamtinnen und Beamten, den Medien und der Öffentlichkeit.

Hier scheint Deutschland Israel in Sachen Gleichberechtigung voraus zu sein: Mehr als ein Drittel der Bundestagsabgeordneten sind Frauen, verglichen mit 24 Prozent der israelischen Knesset-Mitglieder; die Regierung in Berlin war bei ihrem Amtsantritt im Dezember 2021 nahezu geschlechterparitätisch besetzt, während in der israelischen Regierung bei Entstehung dieses Textes nur ein Fünftel der Ministerposten von Frauen bekleidet werden. Zudem haben in Deutschland bereits mehrere Frauen das Verteidigungsressort geleitet, während es in Israel noch nie eine Verteidigungsministerin gegeben hat – dieses Amt bleibt in der Regel Generälen im Ruhestand vorbehalten. 

Die breite Ablehnung militärischer Tendenzen zeigt sich in der pazifistischen Grundhaltung Deutschlands sowie in einem gewissen Misstrauen der deutschen Gesellschaft 
gegenüber dem Verteidigungsapparat

Für die Meretz-Vorsitzende Zehava Galon ist es jedoch „nur noch eine Frage der Zeit“, bis sich daran etwas ändere. In unserem Gespräch im Januar 2024 stellt sie fest, dass „Frauen in der Armee bislang noch nicht genug Zeit hatten, um in militärische Spitzenpositionen aufzusteigen, die sie in den Augen der israelischen Öffentlichkeit für diese hohen politischen Ämter qualifizieren würden“.

Ein ähnlicher Trend könnte sich auch in der Bundeswehr entwickeln, wie Franziska S. berichtet: „Frauen in der Bundeswehr sind ein ziemlich neues Phänomen, aber es gibt eigentlich keine offensichtlichen Hindernisse für ihren Aufstieg in höhere Positionen. Ich habe den Eindruck, dass sich die Bundeswehr wirklich für Frauen geöffnet hat, auch, was den Kommunikationsstil angeht.“ Der Verbleib in der Bundeswehr sei für viele Frauen trotzdem eine Herausforderung: „Ich würde mich dort nicht wohlfühlen, weil ich irgendwann Mutter werden will; viele andere Frauen wollen das auch. Zur Armee zu gehen und so hart zu arbeiten, kann meiner Meinung nach mit der Mutterschaft in Konflikt geraten.“


Anreize verstehen

Wie können feministische Prinzipien Sicherheitsstrategien in Deutschland und Israel prägen und zu deren Umgestaltung beitragen? Und warum ist dies bisher noch nicht umfassend geschehen? Zur Beantwortung dieser Fragen können ökonomische und spieltheoretische Ansätze herangezogen werden, um Anreizstrukturen und die Rolle verschiedener Entscheidungsträger zu untersuchen.

Ein bekanntes Sprichwort sagt: „Wer einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel.“ In Israel macht sich dieses Prinzip bemerkbar, wenn politische Entscheidungsträger, die überwiegend aus dem Militär kommen, aus beruflichem Interesse und persönlicher Neigung eine militärisch geprägte Außenpolitik verfolgen. Diese Eigeninteressen können zum Beispiel durch Verbindungen zur Rüstungsindustrie entstehen, durch Verwandte, die in der Armee dienen, oder auch einfach durch ein System, in dem das Militär im Mittelpunkt steht und Prestige und politisches Kapital verspricht. 

Ökonomische Modelle wie das der „Tragik der Allmende“ besagen, dass gemeinsam genutzte, aber begrenzte Ressourcen – zum Beispiel Staatshaushalte oder Arbeitskräfte – über ein für die Gesellschaft verträgliches Maß hinaus verbraucht werden, wenn die beteiligten Akteure einen individuellen Anreiz dazu haben. Übertragen auf den militärischen Bereich bedeutet dies, dass diejenigen, die nicht zu den Kriegsprofiteuren gehören, wie etwa die meisten Frauen, im Kriegsfall als Verliererinnen dastehen – nicht nur wegen der Erschöpfung der Ressourcen, sondern auch, weil Krieg von Natur aus eine destruktive, kontraproduktive Aktivität ist. 

Gibt es zu viele Hinder­nisse für die ­Diversifizierung des ­Militärapparats, kann das ein Eingreifen des Volkes rechtfertigen

Frauen hatten im Vergleich zu Männern oft nicht die Möglichkeit, in militärischen Kommando- und Sozialstrukturen aufzusteigen. Wenn nun mehr Frauen Sicherheitsfunktionen übernehmen, könnte gerade diese „Outsider“-Perspektive einen gesellschaftlichen Nutzen bringen. Neue Perspektiven und eine Affinität zur Friedensarbeit ergeben sich also nicht aus ihrem „Frausein“ per se, sondern auch daraus, dass sie keinen Anreiz haben, eine destruktive Politik zu verfolgen oder fortzusetzen.

Im Hinblick auf den israelischen Ansatz, der vor allem auf die militärische Integration von Frauen abzielt, könnte dies allerdings auch ein schlechtes Omen sein. Zwar ist die israelische Armee, die IDF, das Tor zu sicherheitspolitischen Funktionen in Israel. Doch ob die Strategien und Entscheidungen der IDF aufgrund einer diverseren Kommandostruktur wirklich feministischer und friedlicher sein werden, bleibt abzuwarten. Wenn Frauen innerhalb der IDF „aufsteigen“, tendieren sie dann nicht sogar eher dazu, die bestehenden Paradigmen fortzuführen? Würden sie dann nicht auch jene Normen und Überzeugungen teilen, die zum Krieg in Gaza, zum Ende des Friedensprozesses und zu den anderen großen politischen Verfehlungen Israels geführt haben?


Zivile Intervention 

Zudem stellt sich die Frage, warum die Befürworterinnen und Befürworter einer weniger konfrontativen Außenpolitik ihr Schicksal nicht selbst in die Hand nehmen, wenn sie doch eigentlich jeden Anreiz dazu haben. Aber das ist leider nicht so einfach. Denn in der Demokratie gibt es zwar Wahlen, doch Minister, Regierungsbeamte und die militärische Führung werden nicht direkt gewählt. Es gibt eine Vielzahl von Hindernissen und gesellschaftlichen Hürden, die den Zugang zu diesen Ämtern beschränken. Somit lässt sich zwar auf das Problem hinweisen, dass es bestimmte Gruppen gibt, die ein Interesse an der Fortsetzung einer kriegerischen Außenpolitik haben. Eine Lösung dieses Problems ist jedoch nicht selbstverständlich und ergibt sich nicht zwangsläufig von selbst aus dem demokratischen System.

Gibt es zu viele Hindernisse, dann kann das ein Eingreifen rechtfertigen. Doch wie könnte eine solche Intervention des Volkes gegen verkrustete militärische Eliten aussehen? Um im Bild der Wirtschaftswissenschaften zu bleiben: In Unternehmen mit schlechten Managern – also solchen, die ihren eigenen Profit über das Wohl des Unternehmens stellen – neigt die Geschäftsleitung oftmals dazu, Mehrheitsentscheidungen vorzuschreiben, wenn es um Bestrebungen geht, sie aus dem Amt zu entfernen. 

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, streichen immer mehr Aufsichtsorgane solche Bestimmungen aus den Satzungen von Unternehmen. Solche Schutzmaßnahmen gibt es für militärische Strukturen nicht. Bürgerinnen und Bürger sollten daher selbst als „zivile Regulierungs­behörden“ auftreten und sich bemühen, Hindernisse für die Diversifizierung des Militärapparats und für geschlechtsspezifische politische Maßnahmen zu beseitigen.

Dass positive Veränderungen auch im Rahmen normaler schrittweiser politischer Prozesse möglich sind, haben in Deutschland die Ernennungen von Verteidigungsministerinnen – auch ohne militärischen Hintergrund – gezeigt. Aber kann das auch in Israel funktionieren? In einem Land, in dem eine IDF-Laufbahn als Voraussetzung gilt, um in Verteidigungskreisen aufzusteigen, wird es dazu wohl zunächst notwendig sein, über die Einführung von Geschlechterquoten und die Schaffung neuer ziviler Kontrollgremien nachzudenken.


Differenziert diversifizieren

Sowohl Israel als auch Deutschland haben Fortschritte bei der Integration von Frauen in die Sicherheitspolitik gemacht. Die Unterschiede zwischen den beiden Ländern sind jedoch frappierend. Es wäre sicherlich interessant, mehr darüber zu erfahren, welcher politische Ansatz erfolgreicher darin war, Frauen in Sicherheitsfragen mehr Gehör zu verschaffen. Auch könnten die genauen quantitativen Unterschiede in der Besetzung bestimmter Ämter und Gremien ermittelt werden. Die grundlegende Frage, ob Integrationsbemühungen auf politischer oder militärischer Ebene wichtiger sind, wäre damit aber noch nicht geklärt.

Die Antwort könnte im nuancierten Zusammenspiel politischer, militärischer und gesellschaftlicher Faktoren liegen. Vielleicht ist es für Länder wie Israel, in denen ein Großteil der Außenpolitik in den militärischen Kommandozentralen bestimmt wird und die Armee Einfluss auf Haushaltsdebatten und politische Diskussionen hat, wichtiger, zentrale militärische Positionen mit Frauen zu besetzen. Und vielleicht eignet sich das deutsche Modell wiederum besser für Länder, in denen – mehr oder weniger – Frieden herrscht und nicht militärische, sondern vor allem politische Mechanismen relevant sind, um feministische Politik voranzutreiben und umzusetzen. Auch im Sinne einer feministischen Außenpolitik, die den Anspruch erhebt, inklusiv zu sein, ist ein solcher dynamischer Ansatz elementar.


Chancen und Herausforderungen

Das veränderte Sicherheitsumfeld in Israel und Deutschland dürfte sich auch auf die weitere Entwicklung der Debatte auswirken. Die Hamas hat im Zuge des Terrorangriffs vom 7. Oktober israelische Soldatinnen entführt; ihr wird massivster geschlechtsspezifischer Missbrauch vorgeworfen. Kurzfristig könnte sich dies negativ auf die Bereitschaft der israelischen Gesellschaft auswirken, mehr Frauen in die Armee zu integrieren. Andererseits erklärte Verteidigungsminister Yoav Gallant am 21. März 2024 vor Soldatinnen in Gaza: „Nach diesem Krieg werden Frauen und Männer in allen IDF-Einheiten eine neue und gleichberechtigte ­Realität vorfinden. Das ist ein sozialer und operativer Durchbruch.“

In Deutschland ist es derweil vor allem der Krieg in der Ukraine, der das Sicherheitsdenken verändert hat. Bundeskanzler Olaf Scholz beobachtete nach der russischen Invasion eine Zeitenwende; das Parlament bewilligte daraufhin umfangreiche Finanzpakete zur Modernisierung der Bundeswehr. Ohne eine Wehrpflicht könnte es allerdings schwierig werden, die Bundeswehr personell aufzustocken. Franziska S. stellt dazu fest: „Diskussionen über die Wiedereinführung der Wehrpflicht sind im Gange, aber es ist unklar, ob sie auch für Frauen gelten soll und ob die deutsche Gesellschaft für eine solche Änderung bereit ist.“

 Solche Überlegungen mögen angesichts dringender Sicherheitsbedenken zweitrangig erscheinen. Dennoch können größere gesellschaftliche Prozesse in beiden Ländern nicht einfach ignoriert werden. In Israel ist die Macht der religiösen und ultrareligiösen Minderheiten in den vergangenen Jahren gewachsen, was auch zu einer immer stärkeren Ablehnung der Integration von Frauen in den Militärapparat geführt hat. Zehava Galon bemerkt dazu in unserem Gespräch: „Die israelische Gesellschaft war und bleibt eine traditionelle Gesellschaft. Von Frauen wird in weiten Teilen des Landes immer noch erwartet, dass sie zu Hause bleiben oder in traditionellen ‚weiblichen‘ Rollen arbeiten. Selbst die von Frauen geführten Ressorts in der Regierung sind nach wie vor hauptsächlich auf Wohlfahrt und Bildung ausgerichtet. Durch die militärische Integration allein können die Hindernisse nicht überwunden werden, die weiblichen Führungsrollen im Sicherheitsbereich entgegenstehen.“ Dies gelte auch für andere Bereiche, so Galon: „In der Praxis werden Frauen einfach nicht oft genug in höhere Funktionen berufen.“

In Deutschland steht vor allem die AfD nicht für eine frauenfreundliche Politik. Sollte diese Partei jemals an die Macht kommen, dürfte sie kein Interesse daran haben, die Integration von Frauen in die Bundeswehr voranzutreiben. Die AfD hat sich auch ausdrücklich gegen eine feministische Außenpolitik ausgesprochen. Zudem könnte der Zugang von Frauen zu hohen verteidigungspolitischen Ämtern infrage gestellt werden.

 All diesen Herausforderungen müssen sich sowohl die deutsche als auch die israelische Gesellschaft stellen, wenn eine feministische Außenpolitik vorangetrieben werden soll. Die Regierungen sollten derweil dem Druck von rechts widerstehen und sich weiterhin für echte Diversifizierung einsetzen. Denn nur eine vielfältigere sicherheitspolitische Landschaft wird dazu führen, dass neue Ansätze, Lösungen und Werte in die Diskussion gelangen. Und das wird letztlich nicht nur Frauen oder den Opfern von Kriegen zugutekommen, sondern der Menschheit im Allgemeinen.  

Aus dem Englischen von Kai Schnier 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special 3, Juli/August 2024, S. 4-7

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Dvir Aviam-Ezra  ist ein niederländisch-israelischer Rechtsanwalt. Derzeit promoviert er an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Dvir engagiert sich ehrenamtlich in verschiedenen Organisationen und Initiativen zu den Themen Menschenrechte, Frieden und europäische Integration. Als Empfänger des Johannes-Rau-Stipendiums der Deutschen Botschaft in Tel Aviv und Mitglied der Israelisch-Deutschen Juristenvereinigung ist Dvir auch im Bereich der deutsch-israelischen Beziehungen aktiv.