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01. März 2003

Versorgungssicherheit

Die Risiken der internationalen Energieversorgung

Die Bedrohung für die Versorgungssicherheit mit Öl liegt derzeit weder in einer globalen Ressourcenknappheit noch im Verhalten der OPEC, sondern in der massiven Konzentration der Weltreserven in der instabilen Region des Persischen Golfes. Die Versorgung Europas mit Erdgas kann zumindest in naher Zukunft noch aus russischen Quellen gesichert werden.

Eine doppelte Herausforderung erreichte das westliche Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in den frühen siebziger Jahren. Die erste: 1972 boten die „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome substanzielle Nahrung für Selbstzweifel. Die viel beachtete Kernthese lautete: ein System, das zum Erhalt von Arbeitsplätzen ständig wachsen muss und dabei ressourcenverzehrende individuelle Bedürfnisse (Symbol: Auto) über das Gemeinwohl stellt, stößt an seine Grenzen. Wie zur Bestätigung dieses Menetekels trat als zweiter Schock die zuvor als Machtpotenzial gänzlich unbekannte Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC) auf den Plan. Androhung und (geringfügige) Umsetzung von Reduktionen der Ölproduktion führten im Winter 1973/74 zu geradezu hysterischen Bedrohungswahrnehmungen und letztlich zu der größten Krise der Weltwirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg.

Von alledem ist wenig an kollektiver Erinnerung geblieben außer einem eher romantischen Bild von autofreien Sonntagen. Das westliche Wirtschaftsmodell hat sich als erstaunlich flexibel erwiesen. Die Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcen-, insbesondere vom Ölverbrauch, ist ein gutes Stück weit gelungen, während bei dem konkurrierenden, staatsmonopolistischen Wirtschaftssystem sowjetischer Prägung ein immenser Ressourcenverbrauch 15 Jahre später zum Kollaps nicht nur von realen Staaten, sondern auch des Wirtschaftsmodells beitrug. Neue Energiefunde haben inzwischen deren Endlichkeit in die fernere Zukunft verschoben, neue Technologien haben unwirtschaftliche Erschließungen wirtschaftlich gemacht. Gegen abrupte, politisch motivierte oder durch Katastrophen bedingte Lieferunterbrechungen wurde die Internationalen Energieagentur (IEA)  geschaffen; ihr wurden die Sicherstellung von Vorratslagern und deren Verteilungsmanagement übertragen.

So ist die Frage nach der Sicherheit der Energieversorgung für ein Vierteljahrhundert aus den Schlagzeilen und strategischen Überlegungen verschwunden. Der Ölpreis erhielt zwar durch den ersten Golf-Krieg ab Herbst 1979 noch einmal einen Schub bis auf weit über 30 Dollar pro Barrel, doch nach 1980 folgten für die OPEC Jahre des Marktanteils- und Machtverlusts, die 1986 zum Absturz des Ölpreises auf 10 Dollar pro Barrel und in den folgenden 13 Jahren zu einer faktischen Funktionsunfähigkeit des Kartells führten.

Trotz mancher Vorboten, insbesondere der Rückgewinnung von Marktanteilen und Wirksamkeit der OPEC beim Einsatz ihres wichtigsten Instruments im März 1999, nämlich durch Mengenbegrenzungen Preiserhöhungen durchzusetzen, haben erst der 11. September 2001 und die Kriegsdrohung gegen Irak das Thema der Versorgungssicherheit auf die Agenden internationaler Politik und in die Medienaufmerksamkeit zurückgeholt. Warum ist dieses Thema wieder wichtig geworden, wenn doch die Krisen der siebziger Jahre kein wirkliches Versorgungsproblem geschaffen haben, der Strukturwandel sich eher zu Gunsten der marktwirtschaftlichen Industrieländer und die OPEC sich von einer politisch anti-westlichen zu einer im ökonomischen Eigeninteresse durchaus verantwortungsbewussten Institution gewandelt hat?

Tabelle 1: Ölreserven der Welt und ausgewählter Regionen Ende 2001

Reserven in Milliarden Fass

Anteil an Weltreserven %

R/P* Jahre

OECD

85,0

8

12

Russland

48,6

5

19

KaspischeRegion

17,0

2

32

China

24,0

2

20

OPEC

818,8

78

77

Golf-OPEC**

673,5

64

91

Welt

1050,0

100

39

*Reserven:Jahresproduktion 2001 **Golf-OPEC: Iran, Irak, Katar, Kuweit, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate Quelle: BP Statistical Review of World Energy, Juni 2002.

Die Bedrohung für die Versorgungssicherheit liegt in der Tat weder in einer globalen Ressourcenknappheit noch im (derzeitigen) Verhalten der OPEC. Sie liegt, soweit es um Öl geht, in der massiven Konzentration der Weltreserven in der Region des Persischen Golfes, einer Region, deren Stabilität nicht erst seit dem 11. September angezweifelt wird und die durch eine massive militärische Intervention von außen vermutlich eher weiter Schaden nimmt. Ganz anders stellt sich die Bedrohung bei Gas dar. Hier gibt es – wegen der viel starreren Transportstrukturen – eine massive wechselseitige Abhängigkeit zwischen dem Lieferanten Russland und dem Verbraucher Europa. Diese Abhängigkeit kann durch asymmetrische Angebots- und Nachfrageentwicklungen Risse erfahren, die sich abzuzeichnen beginnen; flexible Korrekturen sind aber auf Grund der starren Transportstrukturen ausgeschlossen. Auch hier kann längerfristig der Golf-Region eine bedeutsame Rolle zufallen. Andere Energieträger wie Kohle oder Strom werden nicht in einem Umfang international gehandelt, dass daraus ernsthafte Bedrohungen der Versorgungssicherheit entstehen könnten. Jedenfalls gibt es hierfür derzeit keine realistischen Szenarien. Dies mag sich beim internationalen Stromhandel in der weiteren Zukunft ändern.

Risiken der Ölversorgung

Tabelle 1 zeigt, dass die derzeit gesicherten und wirtschaftlich abbaubaren Ölreserven bei gleichbleibender Produktion noch fast 40 Jahre gefördert werden können. Zwar wird die Produktion steigen und damit die statistische Lebensdauer (R/P-Faktor) sinken, doch werden neue Felder entdeckt – die kaspischen Reserven zum Beispiel sind hier noch sehr konservativ geschätzt – und neue Technologien werden auch unkonventionelle Öle (Ölschiefer, Ölsände), die bereits bekannt sind, wirtschaftlich abbaubar machen. Dazu kommen riesige Kohlevorräte, die bei einem höheren Ölpreis verflüssigt werden können. Die Knappheit der Ölressourcen ist viel weniger zu befürchten als die Grenzen der Belastbarkeit der Atmosphäre durch die Verbrennung der heute bereits bekannten Ölreserven.

Tabelle 1 zeigt aber auch die massive Konzentration der Ölreserven bei der OPEC, insbesondere bei den sechs Golf-Staaten, die der OPEC angehören. Nicht nur, dass am Golf fast zwei Drittel der Weltreserven lagern. Der Abbau dieser Reserven erfolgt viel langsamer als andernorts, d.h., die anderen Quellen erschöpfen sich schneller, so dass der Anteil dieser Region an der Weltproduktion stetig ansteigen muss. Dies bringt Tabelle 2 zum Ausdruck.

Tabelle 2: Ölproduktion der Welt und ausgewählter Regionen/Millionen Fass pro Tag

 

2000

2010

2020

2030

OECD

21,2

19,8

16,3

12,8

Russland

6,5

8,6

9,0

9,5

Kaspische Region plus*

1,6

4,1

4,9

5,4

China

3,2

2,8

2,5

2,1

OPEC

28,7

35,9

50,2

64,9

Golf-OPEC

21,0

26,5

37,8

51,4

Welt

75,0

88,8

104,0

120,0

Anteil OPEC

38%

40%

48%

54%

Anteil Golf-OPEC

28%

30

36

43%

*Kaspische Region plus andere Transformationsländer Quelle: Internationale Energieagentur, World Energy Outlook 2002, Paris 2002, S. 96.

Während die erwartete Produktion in den OECD-Ländern, aber auch in China zurückgeht, wird die in Russland und der Kaspischen Region steigen, allerdings nicht in vergleichbaren absoluten Mengen wie bei der OPEC. Die Golf-OPEC allein muss laut Internationaler Energieagentur ihre Produktion bis 2030 verzweieinhalbfachen und ihren Anteil an der Weltproduktion von 28% auf 43% erhöhen, um die Weltnachfrage zu befriedigen. Ohne Zweifel sind so weit reichende Prognosen mit großen Unsicherheiten versehen, aber die Tendenz ist nicht zu leugnen, dass die westlichen Industrieländer, ebenso wie China und Indien wegen mangelnder Alternativen immer abhängiger von der Golf-Region werden.

Nun gibt es einerseits, wenn es um den Preis geht, einen integrierten Weltmarkt, andererseits, was die Lieferbeziehungen betrifft, durchaus regionale Teilmärkte.

Tabelle 3: Öllieferungen der wichtigsten Produzenten – die wichtigsten Verbraucherregionen 2001 in Millionen Fass pro Tag

                      Nach:

USA

Europa

Ost- und Südostasien

Rest der Welt

Gesamt

Von

 

 

 

 

 

Golf -OPEC

2,78

3,55

11,31

1,46

19,10

Frühere Sowjetunion

0,09

3,67

0,30

0,62

4,68

Nordafrika

0,29

1,96

0,16

0,32

2,72

Westafrika

1,37

0,70

0,83

0,28

3,18

Lateinamerika

3,99

0,48

0,17

0,46

5,03

Rest der Welt

3,10

1,17

2,80

1,97

9,04

Total

11,62

11,53

15,57

5,10

43,75

Quelle: BP Statistical Review of World Energy, Juni 2002.

Bezüglich des Preises ist der Weltölmarkt ein Vorreiter der Globalisierung. Die Spotmärkte in Rotterdam oder Singapur gleichen ihre Preise (für gleiche Qualität) fast so schnell an wie Aktien- oder Devisenmärkte, d.h. ein Ausfall des Öls in Venezuela hat unmittelbare Konsequenzen für den Ölpreis weltweit. Weit weniger flexibel sind die tatsächlichen Lieferflüsse. Teilt man die Importmärkte in die drei großen Regionen Vereinigte Staaten, Europa und (Ost-und Süd-) Asien, sowie den Rest der Welt, dem gerade mal noch 12% des international gehandelten Öls zufließt, ein, so zeigt sich, dass sich die USA vorwiegend aus Lateinamerika, Europa aus Russland, und Asien aus dem Golf versorgen (Tabelle 3). Der Golf liefert zwar auch noch signifikante Mengen nach Europa und in die USA, doch fließen heute 60% von dort nach Asien, während zur Zeit der ersten Ölkrise noch zwei Drittel des Golf-Öls nach Westeuropa und Nordamerika flossen. Das afrikanische Angebot teilen sich zu drei Vierteln Europa (mehr aus Nordafrika) und USA (mehr aus Westafrika) auf. Die Transportkosten sind ausschlaggebend für diese Regionalisierung, doch werden durch verstetigte Lieferbeziehungen auch Strukturen aufgebaut, die nicht einfach kurzfristig zu verändern sind: beim Pipelinetransport sind die Strukturen ohnehin fixiert, beim Tankertransport sind die Kapazitäten und Infrastrukturen ebenfalls nicht beliebig austauschbar. Dazu kommen auch beim Öl durchaus langfristige vertragliche Beziehungen, die lediglich die Preisgestaltung flexibel und in Anlehnung an den kurzfristig agierenden Spotmarkt gestalten.

Die USA betreiben eine bewusstere Politik der Bezugsdiversifizierung und damit der Versorgungssicherheit als Europa. Sie sind am wenigsten von der Golf-Region abhängig (14% ihres Ölverbrauchs kommen von dort, in Europa sind es 22%, in Japan 78%). 29% ihres Verbrauchs, genau die Hälfte ihrer Importe kommen aus der amerikanischen Hemisphäre. Wer wollte diese Importe im Krisenfall in eine andere Richtung leiten? Der neuerdings gemeinsam von Russland und den Vereinigten Staaten forcierte Ausbau des Hafens von Murmansk und der geplante Bau einer Pipeline von den westsibirischen Ölfeldern nach Murmansk zeigen ebenso wie das Engagement in Westafrika und bei der Transportinfrastruktur im Kaspischen Raum, dass die USA die russischen Reserven nicht wie in der Vergangenheit Europa überlassen wollen und sich auch Optionen für die neu erschlossenen Ölfelder in Westafrika und im Kaspischen Raum verschaffen wollen.

Tabelle 4: Erdgasimporte der großen Regionen 2001 in Milliarden m3

Pipeline

LNG**

Total

Europa*

157,9

33,5

191,4

Nordamerika (USA, Kanada, Mexiko)

6,6

6,6

Ostasien (China, Japan, Süd-Korea)

95,9

95,9

Rest der Welt

20,32

6,9

27,2

*Europa westlich der früheren Sowjetunion einschließlich Baltikum; ** Flüssiggas. Quelle: BP Statistical Review of World Energy, Juni 2002.

Europa überlässt seine Ölversorgung dem privaten Sektor, der aber gewinnorientiert operiert und sich deshalb für die Übernahme von Prämien der Versorgungssicherheit nicht als zuständig betrachtet. Eine von der EU-Kommission in ihrem Grünbuch „Die Sicherheit der Energieversorgung der Union“1 angestoßene Diskussion hat in den Hauptstädten der Mitgliedstaaten vor allem für Aufregung gesorgt, weil sich die Kommission mit diesem Thema Kompetenzen anmaßte, die sie nicht besitzt. Das Thema selbst und die in dem Grünbuch dargestellte drastisch wachsende Importabhängigkeit hat dagegen weder eine angemessene Besorgnis noch entsprechende Strategieentwicklungen ausgelöst.

Der Erdgasmarkt

Erdgas ist im Vergleich zu Öl ein noch junger Energieträger; es wird erst seit den sechziger Jahren international gehandelt. Der wichtigste Grund dafür liegt in der vergleichsweise aufwändigen Transportinfrastruktur. Um Erdgas sinnvoll einsetzen zu können, benötigt man im Verbraucherland eine Pipeline-Infrastruktur ab Grenze bzw. Hafen bis zum Endverbraucher (Heizung/Gasherd/Kraftwerk). Deshalb konzentriert sich der Verbrauch vor allem auf die OECD-Länder und Russland (zusammen 70% des Weltverbrauchs). Für Länder wie China und Indien beginnt erst jetzt das Erdgaszeitalter.

Auch der internationale Handel erfolgt, soweit möglich, kostengünstiger per Pipeline. Europa, die mit großem Abstand größte Importregion der Welt, bezieht 82% der Importe von außerhalb Europas per Pipeline (Tabelle 4). Ostasien, der zweitgrößte Importmarkt, ist mangels asiatischer Anbieter auf Flüssiggas-(LNG-)Transporte angewiesen. Dies wird auch in Zukunft verstärkt auf den nordamerikanischen Markt zutreffen, da dort die Nachfrage schneller wächst als die Eigenproduktion.

Tabelle 5: Erdgasreserven und -produktion in ausgewählten Regionen 2001

Reserven Trillionen m3

Produktion Milliarden m3

R/P Jahre

Russland

47,57

542

83

Kaspi/Zentralasien

7,4

117

63

Mittlerer Osten

55,9

228

245

Afrika

11,18

124

90

USA/Kanada

6,71

727

9

Europ

4,86

293

16

Welt

155,0

2464

62

Quelle: BP Statistical Review of World Energy, Juni 2002.

Die Erdgasreserven sind ähnlich dem Öl vor allem auf einem Streifen von Westsibirien über die Kaspische Region bis zum Golf konzentriert. Über 70% der Weltreserven lagern hier, wobei Russland, wesentlich mehr als bei Öl, ein knappes Drittel der Weltreserven in Anspruch nehmen kann (Tabelle 5). Für Europa vorteilhaft lagern 80% der Weltreserven in einem Umkreis von 5000 km von Mitteleuropa entfernt. Dies schließt außer dem genannten Streifen die nordafrikanischen und die europäischen Reserven ein. Da die Transportkosten bei Erdgas pro Energieeinheit wesentlich höher liegen als bei Öl, erwächst aus dieser Nähe ein bedeutsamer Standortvorteil insbesondere gegenüber Ostasien, in Zukunft aber auch gegenüber dem nordamerikanischen Markt, der zunehmend von Importen abhängig wird (Tabelle 6).

Auf Grund der bisher im Wesentlichen auf Industrieländer begrenzten Nachfrage nach Erdgas und der aus Kostengründen vermiedenen Transporte über weite Strecken, haben sich – ungleich stärker als bei Öl – regionale Märkte herausgebildet. Der nordamerikanische Markt ist ein praktisch geschlossener Markt. Er produziert derzeit noch so viel, wie er verbraucht. Doch wird dieser Markt, wie der europäische schon seit über 30 Jahren, bald mehr verbrauchen, als er bereitstellen kann. Dies zwingt zum Import über weite Entfernungen. Der europäische Markt wird aus zwei Quellen, nämlich Russland (Pipeline, insgesamt 66% der europäischen Importe von außen) und Afrika (vor allem Algerien, teils Pipeline teils LNG, zusammen 33% der Importe von außerhalb Europas) beliefert. Japan und Südkorea erhalten ihr Erdgas (LNG) vorwiegend aus Südostasien und Australien, zu knapp 30% aber auch aus der Region des Persischen Golfs.

Die Angebotsseite operiert unter sehr unterschiedlichen Bedingungen. Russland hat es auf Grund der frühen Entwicklung seines eigenen Gasversorgungsnetzes geschafft, bereits ab 1970 in Westeuropa als Exporteur Fuß zu fassen. Hilfreich war für den Aufbau der Pipeline-Infrastruktur, dass die Kosten hierfür nicht nach marktwirtschaftlichen Kriterien kalkuliert wurden. So hat sich die Sowjetunion/Russland einen Vorsprung vor anderen potenziellen Anbietern erworben. Insbesondere der Mittlere Osten (Iran und seine Nachbarn) liegt nicht weiter entfernt als Westsibirien, verfügt aber über mehr Erdgas als Russland und könnte auf dem Weg nach Europa noch die Türkei versorgen, die jetzt auf komplizierte Weise von Russland aus beliefert wird.

Tabelle 6: Erdgas-Importabhängigkeit ausgewählter Regionen

2000

2030

Menge Milliarden m3

Anteil an Verbrauch %

Menge Milliarden m3

Anteil an Verbrauch %

Nordamerika

5

1

345

26

OECD Europa

186

36

625

63

OECD Pazifik

83

67

121

50

China

0

0

47

29

Quelle: IEA World Energy Outlook 2002, S. 117.

Die russische Erdgasproduktion ist in den neunziger Jahren zurückgegangen und steigt in Zukunft nicht so, dass der beträchtlich wachsende Importbedarf Europas (Tabelle 6) weiterhin zu zwei Dritteln befriedigt und dazu noch neue Märkte in Ostasien erschlossen werden können. Da Russland aber der Versorger Europas bleiben will, gibt es nun massive Bemühungen, weitere potenzielle Lie- ferungen an Europa über Russland zu leiten und eine Erdgas-OPEC zu begründen. Dies trifft insbesondere für die Entwicklung der in den neunziger Jahren blockierten Erdgastransporte aus Turkmenistan und Kasachstan nach Europa zu.

Dabei behält sich Russland die Liefermengen vor, um damit den Preis zu kontrollieren und der Liberalisierung des europäischen Gasmarkts entgegenzutreten. Hier gibt es klare Interessengegensätze zwischen Europa und Russland. Europa muss um seine Versorgungssicherheit, aber auch um seine Chance als größter Nachfrager auf einem Angebotsmarkt kämpfen, und sich unabhängigen Zugang von drei potenten Anbietern – Russland, dem Mittleren Osten einschließlich der südkaspischen Region und Afrika – verschaffen. Russland bemüht sich dagegen um eine koordinierte bzw. kartellhafte Versorgung Europas.

Handlungsbedarf in Europa

Die beste Versorgungssicherheit gewährleistet ein funktionierender Wettbewerbsmarkt. Im Ölbereich gab es einen solchen zwischen 1986 und 1999, auch damals vorausgesetzt, dass die Produktion der Golf-Region von wirtschaftlichen Interessen geleitet wird. Das auf Dauer angelegte Wachsen des Weltmarktanteils der Golf-OPEC in Kombination mit politischer Instabilität in der Region lässt erwarten, dass die Versorgung nicht gesichert ist, zumal keine andere Region, auch nicht Russland, einen Lieferausfall aus der Golf-Region auffangen könnte. So andersartig die Situation bei Erdgas aussieht, so ähnlich ist doch, dass langfristig für die Deckung des Nachfragewachstums an erster Stelle die südkaspische und die GolfRegion in Frage kommen.

Deshalb muss Europa eine Strategie der Diversifizierung entwickeln,  wie dies die USA schon seit langem als Teil ihrer Sicherheitspolitik umsetzen. Zwei Dinge sind hierfür mit Vorrang voranzutreiben: Erstens geht es darum, den Erdölabsatz der Kaspischen Region in Richtung Europa zu lenken. Dazu bedürfte es einer Infrastrukturplanung, welche die europäischen Häfen im westlichen Schwarzen Meer als Umschlaghäfen mit Pipeline-Anbindung an Mitteleuropa ausbaut. Auch das auf amerikanischen Druck in Auftrag gegebene Pipeline-Projekt von Baku nach Ceyhan sollte für europäische Interessen mit entsprechenden Tankerrouten zu den Mittelmeer-Häfen genutzt werden. In ähnlicher Weise sollten die Beziehungen zu den nord- und westafrikanischen Produzenten auf- und ausgebaut werden.

Zweitens muss in den europäisch-russischen Beziehungen deutlich gemacht werden, dass Russland dauerhaft der wichtigste Energie- und insbesondere Erdgaslieferant bleiben soll. Auch langfristige Verträge können in diesem Sinne abgeschlossen werden, um Russland eine gewisse Investitionssicherheit zu geben. Doch muss andererseits klar werden, dass sich Europa insbesondere nach dem Kraftakt der Liberalisierung des Erdgasbinnenmarkts und auf Grund seiner geographisch günstigen Lage die Möglichkeit nicht nehmen lässt, einen Teil seiner Versorgung durch einen freien Markt abzudecken, auf dem die großen Lieferregionen Russland, der südkaspische und der Golf-Raum, sowie Afrika im Wettbewerb stehen und einen voneinander unabhängigen Marktzugang haben werden. Hierfür müssen, insbesondere auch im Verhältnis zu Iran als wichtigem Liefer- und Transitland, die politischen Voraussetzungen geschaffen werden. Eine solche Anstrengung sollte nicht daran scheitern, dass die Kompetenzabgrenzungen zwischen Brüssel und den Hauptstädten der Mitgliedsländer umstritten sind.

Anmerkung

1  Grünbuch –  Die Sicherheit der Energieversorgung der Union, Brüssel 30.11.2000.