Titelthema

02. Jan. 2024

Szenario 2: Donald Trump gewinnt die US-Präsidentschaftswahl

Die Konturen einer „Trump 2.0“-Außenpolitik sind bereits erkennbar. Im schlimmsten Fall könnte sie dazu führen, dass die USA ihre Rolle als Sicherheitsgarant für Europa aufgeben.

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Bild:Donald Trump beim Wahlkampf im US-
Bundesstaat New Hampshire im November 2023.
Für Donald Trump (hier beim Wahlkampf im US-
Bundesstaat New Hampshire im November 2023) steht außer Frage, dass europäische Verbündete, allen voran Deutschland, die USA ausnutzen.
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Die Wahrscheinlichkeit, dass Donald Trump Präsidentschaftskandidat der Republikaner für die US-Wahlen im November 2024 sein wird, ist überwältigend. Und die Meinungsumfragen im November 2023 deuten darauf hin, dass die Rückkehr Trumps ins Weiße Haus dann auch hoch ist.

Vor diesem Hintergrund findet innerhalb der Republikanischen Partei ein heftiger Kampf um die Festlegung der Außenpoltik der nächsten Trump-Regierung statt. Einig sind sich die Republikaner zwar in ihrer Ablehnung der Klimakooperation und des Freihandels, aber in anderen außenpolitischen Fragen, darunter die Sicherheit Europas und die Ukraine, sind sie stark gespalten. Bei diesen Fragen teilt sich die Partei in drei Lager: in „Primacists“ (die auf eine Fortsetzung der US-Vorherrschaft setzen), „Prioritizers“ (die dem Indo-Pazifik Vorrang vor Europa einräumen wollen) und „Restrainers“ (die der Überzeugung sind, dass die USA sich insgesamt weniger engagieren sollten.

Im Kongress und im Washingtoner Establishment sind nach wie vor die traditionellen Primacists dominant, die an der US-Führungsrolle und der dafür notwendigen globalen Militärpräsenz festhalten wollen. Zu ihnen gehören Senatoren wie Mitch McConnell aus Kentucky, Mitt Romney aus Utah, Lindsey Graham aus South Carolina, James Risch aus Idaho und die republikanische Vorwahlkandidatin ­Nikki Haley. Sie befürworten den Verbleib der USA in der NATO, ein fortgesetztes militärisches Engagement in Europa und die Fortsetzung der Unterstützung für die Ukraine.

Die Restrainers, die überwiegend in der republikanischen Basis und im „Freedom Caucus“, einer Untergruppe der Republikaner im Repräsentantenhaus, vertreten sind, fordern im Gegensatz dazu einen radikalen Abbau der amerikanischen Sicherheitszusammenarbeit in der Ukraine und Europa und wollen die Rolle der USA in der NATO auf das absolute Minimum reduzieren. Die Prioritizers, darunter die Senatoren J.D. Vance aus Ohio und Josh Hawley aus Missouri sowie der Gouverneur von Florida und republikanische Vorwahlkandidat, Ron DeSantis, ­vertreten die Ansicht, dass sich die US-Außenpolitik stark auf Asien und China konzentrieren soll.

Der bisherige Verlauf der republikanischen Vorwahlkampagne deutet darauf hin, dass die Restrainers und Prioritizers näher am Puls der republikanischen Wählerinnen und Wähler sind. Wenngleich US-Wahlen in der Regel nicht aufgrund von außenpolitischen Fragen entschieden werden, darf man nicht vergessen, dass bei den Präsidentschaftswahlen 2016 eine starke Korrelation zwischen der Quote der US-Gefallenen in Irak und Afghanistan und der Unterstützung für Trump in wichtigen Swing States festzustellen war. Mit anderen Worten: Ein Sieg in Bundesstaaten wie Pennsylvania, Michigan und Wisconsin setzt voraus, die Stimmen der Veteranen und ihrer Familien zu gewinnen, die dem militärischen Engagement der USA in Europa und im Nahen Osten zutiefst skeptisch gegenüberstehen.

Dies läuft konträr zur Außenpolitik von Präsident Joe Biden und den Vorstellungen der Primacists, die Zurückhaltung oder Prioritätensetzung für keine echte geopolitische Option halten. Sie sind der Meinung, dass die Geopolitik jeden US-Präsidenten unweigerlich wieder nach Europa und in den Nahen Osten ziehen wird, wie die jüngsten Ereignisse zeigen, und dass eine Konzentration auf China und Asien nicht möglich ist. Unter den noch im Rennen befindlichen republikanischen Kandidaten ist allerdings Haley die einzige Politikerin, die dem Primacists-Lager angehört. Laut Umfragen liegt sie in der Gunst der republikanischen Wähler mittlerweile fast 50 Prozent hinter Trump.

 

Für Trump sind die Ukraine und die Niederlage Russlands für das US-Interesse nicht entscheidend

 

Der Ex-Präsident selbst bleibt äußerst unberechenbar. Die Außenpolitik seiner zweiten Amtszeit gleicht einer Leinwand, auf der die Konturen schon zu sehen sind, wo aber auch viel Weißraum übrig ist, der noch mit konkreteren Ideen zur Umsetzung der Außenpolitik gefüllt werden muss.

Welche Konturen sind zu erkennen? Trumps außenpolitische Ansichten, und vor allem die zu Europa, haben unverändert Bestand. Trump versteht internationale Beziehungen weiterhin als Marktplatz, auf dem man geschäftsmäßig verhandelt. Für die gemeinsamen Normen und Werte der EU hat er nur Verachtung übrig, ebenso für die militärische Schwäche von Amerikas Verbündeten in Europa. Unverändert ist er zudem der Meinung, dass die wohlhabenden Europäer die Sicherheitsgarantien der USA ausgenutzt und Amerika durch unfairen Handel „abgezockt“ haben. Die US-Handelsdefizite zählen weiterhin zu seinen Obsessionen.

In der Sicherheitspolitik präsentiert sich Trump im Wahlkampf als der einzige „Friedenspräsident“ der vergangenen Jahre, der gegen die „Kriegstreiber“ und das „korrupte globalistische Establishment“ kämpft. In der ersten Amszeit schwankte Trump rhetorisch wie ein Pendel zwischen verschiedenen Lagern hin und her, aber seine Außen- und Sicherheitspolitik fiel relativ zurückhaltend aus: keine Kriege oder größeren Militärinterventionen, keine „Nation-Building“-Projekte und vor allem keine Demokratieförderung.

Für Trump sind die Ukraine und die strategische Niederlage Russlands nicht entscheidend für das nationale Interesse der USA; die Beendigung des Krieges und die Einstellung der Waffenlieferungen ­dagegen schon. Die von Trump vertretenen Ideen zur Beendigung des Krieges basieren auf einer völligen Gleichgültigkeit gegenüber der territorialen Integrität der Ukraine. Er hat versprochen, keine weiteren Mittel mehr zur Unterstützung der Ukraine bereitzustellen und einen Friedensvertrag schnellstmöglich auszuhandeln, der die Konfliktlinien einzufrieren sucht.

 

Die Agenda 2025

Sollte Trump 2024 wiedergewählt werden, würde die Außenpolitik der nächsten republikanischen Regierung höchstwahrscheinlich aus einer Kombination der Agenda der Restrainers und Prioritizers bestehen. Eine Reihe der „Neuen Rechten“ zugehörigen Denkfabriken, die von ehemaligen Mitarbeitern der Trump-Regierung gegründet wurden, arbeiten an verschiedenen Plänen, um diese von Trump konturierte Leinwand zu füllen. Dazu gehören die „Heritage-2025-Agenda“ und die „America First Foreign Policy Platform“ des America First Policy Institute.

Diese Dokumente konzentrieren sich auf den Widerstand gegen die Außenpolitik des sogenannten „Deep State“, die nach Ansicht der meisten Restrainers und Prioritizers sowohl parteiisch als auch von Primacists dominiert ist. Die Heritage-2025-Agenda umfasst daher Pläne für einen umfassenden Austausch der Regierungsbürokratie und den „Rückbau des Verwaltungsstaats“ mit dem Ziel, die meisten Beamten der oberen Ebene durch Loyalisten zu ersetzen, die Trumps Politik zuverlässig umsetzen werden.

Ein außenpolitischer Punkt, der aus solchen Dokumenten und Regierungsplänen klar hervorgeht, lautet, dass Amerika zu viele Sicherheitsverpflichtungen im Ausland hat und von den europäischen Verbündeten ausgenutzt wurde. Die Erwartung ist, dass die Europäer sowohl bei den konventionellen militärischen Fähigkeiten als auch bei der politischen Führung ihren Beitrag radikal erhöhen müssen. Die Erwartungen an Deutschland sind besonders hoch: Das Land gilt als wohlhabender „freeloader“ (Schnorrer), der für die NATO und den Krieg in seiner eigenen Nachbarschaft viel mehr zahlen sollte, um US-Ressourcen für andere Bereiche freizugeben.

Die Restrainers bestehen darauf, dass die USA vom Konzept des „Burden Sharing“ (der Erwartung, dass die ­NATO-Verbündeten ihren Verpflichtungen in Bezug auf die Militärausgaben in Höhe von 2 Prozent des BIP nachkommen) zum „Burden Shifting“ (Minimierung der amerikanischen Rolle in der NATO, um die Europäer zu zwingen, die Verantwortung für die Sicherheit in Europa zu übernehmen) übergehen müssen. Sowohl die Restrainers als auch die Prioritizers sind gegen jede weitere NATO-Erweiterung und zudem der Ansicht, dass die Europäer niemals die notwendigen Anreize haben werden, ihre eigene Sicherheit in die Hand zu ­nehmen, wenn die USA ihre Präsenz in Europa nicht rasch reduzieren.

Die alternative Agenda der Restrainers besteht darin, eine neue, nicht US-zen­trierte Sicherheitsarchitektur in Europa zu schaffen. Dies würde bedeuten, die Mehrzahl der US-Truppen aus Europa abzuziehen und die NATO-Regeln zu überarbeiten, um eine „ruhende NATO“ („dormant NATO“) zu schaffen, das heißt eine von Europäern geführte NATO, in der die Amerikaner nur eine unterstützende Rolle spielen.

Die Prioritizers sehen die Notwendigkeit, Ressourcen von Europa in den Indo-

Pazifik zu verlagern. Sie halten einen Konflikt um Taiwan für sehr wahrscheinlich, aber erwarten nicht, dass Europa direkt verwickelt wird, und sie sehen auch keinen großen Wert in einer integrierten Abschreckung, bei der Europa eine Rolle spielen würde. Sie erwarten eher eine europäische Beteiligung an den Bemühungen der USA, China technologisch einzudämmen.

 

Schwerwiegende Konsequenzen

Die Außenpolitik einer neuen republikanischen Regierung wird Deutschland und Europa vor dramatische Herausforderungen stellen: bei Klima und Energie, beim Handel und internationaler Kooperation, bei der China-Politik, dem Umgang mit Allianzen und der europäischen Sicherheit. Restrainers und Prioritizers, die wahrscheinlichsten Architekten der „Trump 2.0“-Außenpolitik, würden für die größten Schocks sorgen, von einem überstürzten Ende der Ukraine-Hilfe bis zur absoluten Minimierung der amerikanischen Rolle in der NATO.

 

Die Ziele sind ein US-Truppenabzug und eine von den Europäern ge­führte „ruhende NATO“

 

Der Krieg in der Ukraine, die sicherheitspolitischen Herausforderungen im Nahen Osten und der Rückzug der USA aus weniger relevanten Regionen, um sich auf China zu konzentrieren – all dies bedeutet, dass Europäer in EU und NATO rasch außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit entwickeln müssen. Ein republikanischer Präsident wird wahrscheinlich der Ansicht sein, dass die derzeitige Unterstützung für die Ukraine in direktem Widerspruch zu innenpolitischen Prioritäten sowie dem Ziel steht, einen Angriff Chinas auf Taiwan zu verhindern. Die Europäer wären auf sich allein gestellt und müssten die Ukraine gegen eine Reduzierung der US-Unterstützung absichern.

Was folgt daraus für Deutschland? Klar ist: Ein Rückzug der USA aus der NATO würde eine Lücke hinterlassen, die kurzfristig nicht gefüllt werden kann. Trotzdem müssen Deutsche und Europäer sich bestmöglich auf dieses Szenario vorbereiten. Das Wichtigste ist der zügige Aufbau deutscher militärischer Fähigkeiten und die Aufrechterhaltung der Unterstützung der Ukraine. Deutschland muss letztlich wieder eine Rolle einnehmen, wie sie die Bundeswehr im Kalten Krieg gegenüber der Sowjetunion und dem Warschauer Pakt hatte, nämlich als Rückgrat der konventionellen Verteidigung gegen Russland.

Das erfordert auch den Aufbau von Vertrauen, insbesondere, was die Partner an der Ostflanke angeht. Dass ein Regierungswechsel in Warschau ansteht, ist eine große Chance. Eine enge deutsch-polnische Zusammenarbeit ist unverzichtbar, wenn die USA im schlimmsten Fall ihre Rolle als Sicherheitsgarant ganz abgeben.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special 1, Januar/Februar 2024, S. 42-45

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Dr. Majda Ruge ist Senior Policy Fellow im WiderEurope-Programm des European Council on Foreign Relations (ECFR).

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