Schicht im Schacht
Noch vor knapp 50 Jahren war Südafrika mit rund 1000 Tonnen pro Jahr der mit Abstand größte Goldförderer weltweit. Mittlerweile stehen mickrige 138 Tonnen zu Buche; ein Abstieg, wie ihn auch andere Rohstoffsparten am Kap erlebt haben. Heute macht die unsichere Stromsituation der Minenbranche zu schaffen – und könnte ihr den Todesstoß versetzen.
Schwer hängt der Ammoniakgeruch von der Sprengung am Vorabend in der Luft. Den Männern, die zur Gesteinsräumung gekommen sind, rinnt der Schweiß durch den Staub im Gesicht. Linderung verschafft nur ein gigantisches Kühlsystem mit riesigen Eiswürfeln, das die Temperatur in den bis zu 3800 Meter tiefen Schächten von 65 auf knapp 30 Grad senkt. Das Tunnelsystem ist mit seinen 375 Kilometern fast so lang wie das der gesamten New Yorker U-Bahn. Mponeng, wie die Mine im Westen von Johannesburg heißt, ist mit fast 4000 Metern nicht nur das weltweit tiefste, sondern auch das letzte Bergwerk, das Anglogold Ashanti, der weltweit drittgrößte Goldförderer, in Südafrika betreibt.
Doch das dürfte sich in Kürze ändern: Mit dem Mitte Mai verkündeten Verkauf von Mponeng und aller anderen Förderanlagen verabschiedet sich Anglogold Ashanti endgültig aus Südafrika, wo 1917 die Geschichte seiner früheren Muttergesellschaft Anglo American begonnen hatte, die Südafrikas Wirtschaft jahrzehntelang dominierte. Vom Ende einer Ära schrieb das Fachblatt Miningmx, ein Fanal für den Bergbau am Kap sehen andere, vor allem für den so wichtigen Goldsektor. Noch vor knapp 50 Jahren war das Land mit rund 1000 Tonnen pro Jahr der mit Abstand größte Förderer des gelben Metalls weltweit. Doch mittlerweile ist man mit mickrigen 138 Tonnen auf Platz sieben zurückgefallen – weit hinter Australien, China und Russland. Steuerte Südafrika in den frühen achtziger Jahren noch mehr als 50 Prozent zur globalen Goldproduktion bei, sind es heute weniger als 5 Prozent.
Ein dramatischer Abstieg, wie ihn ähnlich auch viele andere Rohstoffsparten am Kap erlebt haben, darunter die Diamantenindustrie, die mit dem Fund der ersten Edelsteine vor 150 Jahren die Industrialisierung Südafrikas einläutete. Die 1867 auf einer Farm der De-Beers-Brüder entdeckten Edelsteine erwiesen sich als Wendepunkt für das Land. Bereits 1890 überstieg der Wert der vor allem von dem Unternehmen De Beers geförderten und exportierten Edelsteine den Wert aller landwirtschaftlichen Produkte des Landes. Heute besitzt die 1888 gegründete Firma nur noch eine einzige, im Untertagebau betriebene Diamantenmine am Kap.
Johannesburg, die „Stadt des Goldes“
Fast zeitgleich mit den Diamanten wurde im Februar 1886 am Witwatersrand im Norden Südafrikas erstmals ein Goldklumpen gefunden. Keine 20 Jahre nach der Entdeckung der ersten Diamanten löste dies einen wahren Goldrausch aus. Von überall her strömten Abenteurer und Glücksritter ins Land. Aus den staubigen Camps der Schürfer entstand Johannesburg oder „Egoli“ (Stadt des Goldes), wie Südafrikas Wirtschaftsmetropole auf Zulu heißt. Zwar befinden sich unter dem Witwatersrand noch immer große Goldvorkommen. Doch um den vor über 100 Jahren entdeckten Flözen immer tiefer ins Erdinnere zu folgen, wären gewaltige technische und finanzielle Anstrengungen notwendig. Aufgrund der Tiefe sind auch die Sicherheitsrisiken unter Tage extrem hoch.
Anders als in fast allen anderen Förderländern arbeiten in Südafrika zudem weiterhin viele Menschen in den Minen. Seit Jahren wird der verstärkte Einsatz von Maschinen erprobt, um den Ertrag zu steigern und die Kosten zu senken. Doch die geologischen Besonderheiten des Landes verhindern eine stark mechanisierte Förderung. Auch stemmen sich die mit der Regierung verbündeten Gewerkschaften vehement gegen eine Mechanisierung auf Kosten von Jobs. Schließlich liegt die offizielle Arbeitslosigkeit am Kap bei fast 28 Prozent.
Es sind jedoch nicht nur technische Herausforderungen, die der Minenbranche mächtig zusetzen. Die Bergbaukammer in Johannesburg, aber auch viele Unternehmenschefs klagen seit Langem über hohe Stromkosten und Stromabschaltungen, über eine ständige Unsicherheit im Hinblick auf die sich häufig ändernden gesetzlichen Bedingungen. Das größte Regulierungsproblem sehen die Konzerne dabei ausgerechnet in einer Politik, die den Schwarzen am Kap nach jahrzehntelanger Diskriminierung eigentlich helfen sollte, in der bislang noch von Weißen dominierten Wirtschaft stärker Fuß zu fassen: der Black-Economic-Empowerment (BEE)-Politik. Die Einmischung des Staates hat hier dazu geführt, dass die gut gemeinte Politik das Gegenteil bewirkt hat: Statt Anreize zu schaffen, schwarze Beschäftigte einzustellen, haben immer neue Vorgaben und Auflagen gerade bei den Unternehmen im Bergbau für eine Kostenexplosion gesorgt. Das hat viele veranlasst, Arbeitsplätze abzubauen oder, wie jetzt auch Anglogold Ashanti, immer größere Teile der Produktion ins Ausland zu verlagern. Trotz hoher Jobverluste sind die BEE-Regeln im Bergbau über die Jahre ständig verschärft worden – bei der Materialbeschaffung, beim Eigentum, bei der Einstellung von Mitarbeitern. Für Missachtung seiner Vorgaben droht der Staat den Rohstoffförderern hohe Geld- und sogar Gefängnisstrafen an. Das hat viele Unternehmen vergrault und ihnen international die Wettbewerbsfähigkeit geraubt.
Vor allem die Willkür der Gesetzgebung trifft viele Unternehmen hart. Das Gleiche gilt für die vielen Streiks, die ihren Grund darin haben, dass die (von Schwarzen geführten) Gewerkschaften die (oft weißen) Arbeitgeber nicht als Partner betrachten, sondern als Feinde. Symptomatisch dafür ist der erbitterte Streik, der fünf Monate lang in mehreren Bergwerken des Platin- und Goldförderers Sibanye tobte und in dessen Verlauf zehn Menschen starben.
Der Privatsektor als Monster
Trotz hehrer Worte hat auch die Regierung Cyril Ramaphosa noch nichts unternommen, um die Überregulierung zu stoppen, die der Wirtschaft die Luft zum Atmen nimmt. „Die Regierung sieht den so regen Privatsektor nicht etwa als großen Bonus, sondern als ein Monster, das eingesperrt und gemolken gehört“, klagt der renommierte Kommentator Tim Cohen, bis vor Kurzem Chefredakteur des Business Day, Südafrikas führender Wirtschaftszeitung.
Die Folge der Überregulierung, aber auch der vielen Arbeitskämpfe und damit verbundenen Kosten sind Entlassungen im großen Stil: Zu Jahresbeginn waren in Südafrikas Goldbranche erstmals seit über 100 Jahren weniger als 100 000 Kumpel beschäftigt. 1990 hatte ihre Zahl noch bei fast 500 000 gelegen.
Nichts hat die Kosten der Rohstoffförderer zuletzt jedoch mehr belastet als der Strompreis, der in den vergangenen zehn Jahren um satte 400 Prozent erhöht wurde – mit der Folge, dass vor allem energieintensive Branchen wie die Aluminiumindustrie ihre Schmelzen schließen. Bedenklich ist, dass nichts auf eine Trendwende hindeutet. Stattdessen soll der Strompreis bis 2022 immer weiter steigen – um rund 15 Prozent im Jahr oder sogar mehr. „Die jetzt vorgeschlagenen Erhöhungen würden die Goldindustrie zerstören, dem Platinsektor schwer zusetzen und Südafrikas Schmelz- und Verarbeitungsindustrie auslöschen“, warnt der Minerals Council South Africa.
Beobachter wie der Goldexperte Peter Major von Mergence Corporate Solution gehen deshalb davon aus, dass unter den gegenwärtigen Umständen schon in zehn Jahren fast kein Gold mehr im einst größten Förderland der Welt produziert wird – und auch andere Branchen massiv zurückschneiden könnten wie etwa Platin, das lange Zeit von seiner Verwendung im Dieselmotor profitierte. Südafrika produziert derzeit etwa drei Viertel allen Platins weltweit.
Lukrativ ist bei den gegenwärtigen Preisen nur noch sogenannte Massenware wie Kohle oder Eisenerz, die vor allem von Indien und China im Zuge der Industrialisierung gebraucht werden. Die jüngsten Zahlen der südafrikanischen Statistikbehörde zeigen, dass Kohle, weit vor Platin und Eisenerz, im ersten Quartal 2019 der größte Devisenbringer des Landes war.
Im Dezember und im März wurde Südafrika tagelang von verheerenden Stromausfällen geplagt – den schlimmsten, seit das sogenannte „Loadshedding“, wie die Abschaltungen zur Entlastung des unter Druck geratenen Stromnetzes beschönigt werden, vor zehn Jahren begann. Die plötzlichen und langen Unterbrechungen zeigen nach Ansicht von Experten, wie gefährlich die Lage beim Strommonopolisten Eskom inzwischen ist – so gefährlich, dass selbst ein Zusammenbruch des gesamten Netzes nicht mehr ausgeschlossen werden kann.
Selbst wenn es nicht zum GAU käme, könnten fortgesetzte Stromabschaltungen zum Sargnagel für die bereits schwer angeschlagene Wirtschaft in Afrikas einzigem Industriestaat werden. Vor allem der Minenbranche, die rund 15 Prozent des gesamten Stroms am Kap benötigt, könnte das den Todesstoß versetzen, warnt die Bergbaukammer in Johannesburg. Im ganzen Sektor seien mehr als ein Drittel der verbliebenen Arbeitsplätze gefährdet, wenn der Strom noch teurer werde. Kein Wunder, dass Mark Cutifani, Chef des großen Bergbauhauses Anglo American, in Eskom das derzeit größte Risiko für den südafrikanischen Bergbau sieht.
Die von Staatschef Ramaphosa im Februar verkündete Aufspaltung Eskoms in drei Teile ist nach Ansicht von Fachleuten zwar ein erster Schritt auf dem Weg zu einer vielleicht noch möglichen Genesung, aber nicht ausreichend für die überfällige Sanierung. So braucht der Staatskonzern Unsummen von Geld, weil die Belegschaft in nur zehn Jahren trotz sinkender Stromproduktion massiv gewachsen ist, auf 48 000 Mitarbeiter. Südafrikas regierender ANC hat viele ausgediente und oft korrupte Mitglieder bei Eskom untergebracht und im Gegenzug viele weiße Techniker entlassen, die man nun händeringend sucht.
Obwohl die Regierung seit Langem Besserung gelobt, ist im Land davon wenig zu spüren. Vielmehr scheint sich die Lage mit jedem Monat nur weiter zu verschärfen. Die meisten Experten rechnen inzwischen mit Stromengpässen für die kommenden 18 bis 24 Monate, nicht wenige sogar für weit darüber hinaus, was für den Bergbau trotz der dort unternommenen Anpassungen desaströs wäre.
25 Jahre nach dem Ende der Apartheid und der Machtübernahme des ANC könnte die Lage am Kap kaum düsterer sein. Der einstige Hoffnungsträger des Kontinents, gesegnet mit zahlreichen Bodenschätzen, hat sich in eine schlimme Lage manövriert. So schlimm, dass der Finanzminister nun schon davor warnt, der Internationale Währungsfonds müsse mit Krediten aushelfen, wenn die Staatsverschuldung, die sich binnen zehn Jahren verdoppelt hat, noch weiter steigt.
Wolfgang Drechsler ist Afrikakorrespondent für das Handelsblatt mit dem besonderen Schwerpunkt Rohstoffe/Edelmetalle.
IP Wirtschaft 02, Juli - Oktober 2019, S. 26-29
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