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01. Sep 2005

Nuklearterrorismus

Können Terroristen eine nukleare Kettenreaktion auslösen? Nein. Haben sie schon die „schmutzige Bombe“? Vermutlich ja. Beides gilt es zu unterscheiden

Es gab einmal eine Zeit – das war vor dem 11. September 2001 – da schrieben die Sicherheitsexperten, dass Terroristen wenig Interesse an Massenvernichtungswaffen hätten. Schließlich ginge es ihnen ja nicht um Auslöschung, sondern vielmehr darum, ein Publikum für sich zu gewinnen.

Das denkt heute niemand mehr. Weshalb die Frage, ob es so etwas wie Nuklearterrorismus geben könne, leider sehr wirklichkeitsnah klingt. Und die Antwort ist noch unangenehmer, denn sie lautet Ja. Allerdings ist genauer zu definieren, was denn unter Nuklearterrorismus verstanden werden muss. Zwei Fälle sind scharf voneinander zu unterscheiden: Erstens die Zündung einer nuklearen Kettenreaktion durch Terroristen, und zweitens die Verbreitung nuklearen Materials mit Hilfe konventionellen Sprengstoffs. Der erste Fall hätte katastrophale Folgen, der zweite nicht unbedingt – oder zumindest nicht unmittelbar.

Gottlob ist der erste Fall wenig wahrscheinlich. Was nicht bedeutet, er sei unmöglich. Zwei Wege sind denkbar, auf denen Terroristen in den Besitz eines nuklearen Sprengsatzes gelangen könnten. Erstens ist es möglich, dass sie an fertige Waffen mitsamt Zündvorrichtung gelangen. Und zwar entweder, indem sie diese von Unterstützern aus Atomwaffenstaaten erhalten oder indem sie sich solche Waffen mittels Diebstahls verschaffen. Von den existierenden Atomwaffenstaaten kommen eigentlich nur Pakistan oder vielleicht Nordkorea als Lieferanten in Frage. Das pakistanische Militär hat seine Atomsprengköpfe bisher gehütet, doch seit die Welt erfahren hat, dass nukleares Material und Know-how das Land auf illegalen Wegen verlassen haben, ist sie zumindest irritiert. Zumal Pakistan ein strategisches Rückzugsgebiet des Dschihadismus ist. Nordkorea ist wiederum ein anderer Fall: Das Land hat kein politisches Interesse am Terrorismus, wohl aber ein verschärftes an Geld.

Allerdings genügt es nicht, jemandem eine fertige Bombe zu geben. Die Zündvorrichtungen sind alles andere als trivial. Ausbildung und Training wären also von Nöten, und das wiederum bedeutet, dass ein recht entwickeltes System der Zusammenarbeit zwischen den Terroristen und ihrem nuklearen Lieferantenstaat bestehen muss. So ein System dürfte auf Dauer nicht unentdeckt bleiben. Leider existiert ein solches System bereits, nur eben ist der in Frage kommende Staat noch nicht so weit, dass er liefern kann: Gemeint sind der Iran und die aus Teheran (nicht vom gesamten Establishment) unterstützte oder geführte Hisbollah. Woher eine Atomwaffe nehmen, wenn sie einem niemand gibt? Stehlen. Unzureichend bewachte Arsenale existieren insbesondere in Russland. Aber in diesem Fall stellt sich erst recht die Ausbildungsfrage. Paradoxerweise ist es einfacher, eine primitive Atomwaffe selbst herzustellen als einen militärischen (und damit hochkomplizierten) Sprengsatz zu zünden. Im Grunde bieten sich drei Prinzipien für Kernwaffen an; zwei davon, nämlich die Wasserstoff- und die Plutoniumbombe, fallen für Terroristen wegen des Herstellungsaufwands aus. Die dritte indes, die Uranbombe, liegt nicht in vollkommen unerreichbarer Ferne. Um sie zu bauen, müssten die Terroristen eine ausreichende Menge hochangereicherten Urans in die Hände bekommen. Es ließe sich womöglich durch Attacken auf Forschungsreaktoren in der ehemaligen Sowjetunion beschaffen – es selbst herzustellen, das steht außerhalb der Macht von Terroristen. Es kommt hinzu, dass ihnen nicht jene Großanlagen der Waffentechnik zur Verfügung stehen, in denen Staaten ihre Atomsprengköpfe bauen. Eine terroristische Atombombe wäre folglich sehr primitiv – und müsste aus diesem Grund ausgesprochen viel Waffenuran enthalten. Das macht die Sache für die Terroristen wiederum zum logistischen Problem.

Und auch die primitivste Uranbombe ist kein triviales Ding. Selbst wenn man das Uran beisammen hat, selbst dann ist erhebliches Know-how von Nöten, noch dazu eines, das nicht aus Lehrbüchern oder Anweisungen oder Konstruktionszeichnungen abgeleitet werden kann. Das fertigungstechnische Wissen von den Feinheiten der Metallurgie und der Handhabung ist typischerweise das, was Wissenschaftstheoretiker „tacit knowledge“ nennen – „schweigendes Wissen“ also, das aus Erfahrung besteht und sich selten nur im Kopf eines Einzelnen befindet, sondern vielmehr ein auf ganze, oft größere Kollektive verteiltes Handlungswissen ist.  Mehr noch: Sämtliche Atomwaffenprogramme, das amerikanische, russische, chinesische, britische, französische, indische, pakistanische, brasilianische, südafrikanische oder sogar das nordkoreanische, sind bisher in Wahrheit internationale gewesen – die Ausnahme ist das deutsche Atomwaffenprogramm, das bekanntlich nichts Nennenswertes zustande brachte. Die Wahrscheinlichkeit, dass es Terroristen gelingt, ungestört eine einsatzfähige Atombombe in die Hände zu bekommen, ist denkbar gering.

Hoch hingegen ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie bereits im Besitz einer „schmutzigen Bombe“ sind. Radiologisches Material, das messbar strahlt, ist in jedem Industrieland zu finden; es wird mal mehr, mal weniger gut bewacht. Es zu beschaffen, kostet etwas Aufwand, aber nicht übermäßig viel. Aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wird immer wieder von „orphan sources“ berichtet – also von Strahlungsquellen, die stark sind und darüber hinaus herrenlos. Sehr viel Material ist nicht nötig, um so eine Bombe wirkungsvoll zu zünden. Es genügt, dass in einer Innenstadt nach der Detonation leicht erhöhte Strahlung gemessen wird – und die Panik kann ausbrechen. Mag die Belastung dann auch geringer ausfallen als die natürliche Strahlenlast in manchen Bergregionen: Es dürfte kaum mehr eine Rolle spielen, sobald von „Atomterror in der City“ zu hören und zu lesen sein wird. Schmutzige Bomben sind psychologische Bomben. Und dass der Dschihadismus besonders auf die psychologische Wirkung zielt, ist mittlerweile allgemeine Meinung. Weshalb mit der Zündung einer Panikbombe, die radioaktives Material verteilt, leider gerechnet werden muss.

Was Iran betrifft, muss das Ziel heißen: zu verhindern, dass Iran waffentaugliches Spaltmaterial produzieren kann. Doch wenn das Land weiter auf sein Recht auf Nukleartechnik für friedliche Zwecke pocht? Es gibt immer noch Hoffnung auf einen europäisch-iranischen Deal: Eintausch des Rechts auf Urananreicherung gegen wirtschaftliche Vorteile. Auf Dauer machen die Mullahs aber nur mit, wenn der Verzicht nicht vom Iran allein käme. Das würde eine Reform des Sperrvertrags bedeuten. Ein Anfang wäre ein von mehreren Ländern getragenes Moratorium des Brennstofftechnikerwerbs; die Belohnung wären Lieferung und Rücknahme der Brennstäbe und die im Iran begehrteste Ware: Prestige.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9, September 2005, S. 90 - 91

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