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01. März 2013

Mali ist ein globales Problem

Die regionalen Kräfte reichen nicht aus, um die Terroristen zu bekämpfen

ECOWAS ist zuständig für die Mission in Mali, doch ihre Kapazitäten reichen grundsätzlich nicht aus, um aktuelle Sicherheitsherausforderungen zu bekämpfen. Notwendig sind eine verbesserte Kooperation in ganz Afrika und eine größere Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft, denn die Terrorgruppen sind eine globale Bedrohung.

Die Wirtschaftsgemeinschaft West­afrikanischer Staaten (ECOWAS) verfügt seit 1993 über ein völkerrechtliche Mandat, um für regionale Sicherheit und die Einhaltung rechtsstaat­licher Grundsätze zu sorgen. In diesem Rahmen wurde die ECOWAS Monitoring Group (ECOMOG) geschaffen, das militärische Interventionsinstrument für Friedensmissionen. Bislang wurde die ECOMOG jedoch nur drei Mal eingesetzt: in Liberia (1990–1997), Sierra Leone (1993–2000) und Guinea-Bissau (1998/99). Es sind vor allem Mediationsmissionen und Krisengipfel, die als Instrumente herangezogen werden.

Nigeria nimmt in der ECOWAS-­Sicherheitsarchitektur eine besondere Stellung ein. Als regionale Wirtschaftsmacht und bevölkerungsreichster Staat Afrikas verfügt nur Nigeria über militärische Kapazitäten, um sicherheitspolitische Auf­gaben in der Region voranzutreiben. Angesichts der innenpolitischen Unruhen, mit denen Nigeria und andere ECOWAS-Staaten in den vergangenen Jahrzehnten konfrontiert waren, war dies aber keine Selbstverständlichkeit. Auch wenn es viele kritische Stimmen gegen das brutale Vorgehen nigerianischer ECOMOG-Truppen gegen Zivilisten gab – vor allem in Sierra Leone – ist doch unstrittig, dass ihnen mit den Einsätzen in den drei genannten Ländern wenigstens teilweise ein regionales Konfliktmanagement gelungen ist.  

Doch die bisherigen ECOWAS-Einsätze offenbarten auch zahlreiche Probleme. Dazu gehören die unzureichende logistische Ausstattung und Planung der Interventionen sowie die knappen finanziellen Ressourcen, die zu Versorgungsengpässen während der Einsätze führten. Da verspätet Sold gezahlt wurde und die Soldaten nur unzureichend mit Nahrungsmitteln versorgt wurden, verbreitete sich Korrution. Das hat dem Ruf der ­ECOMOG-Truppen erheblich geschadet. Es wurde berichtet, dass vor allem nigerianische Soldaten in den Schmuggel mit Diamanten und Waffen involviert waren. Diese Vorgänge haben die Kritik an der Dominanz Nigerias in der ECOMOG verschärft und die Legitimität des Interventionsmechanismus an sich in Frage gestellt, weil vor allem Partikularinteressen verfolgt worden seien.

Eine weitere Schwachstelle der ECOWAS-Sicherheitspolitik sind die Demokratiedefizite in den einzelnen Staaten. Es fehlen effektive Sanktionsmechanismen, um Regierungen, die z.B. willkürliche Verfassungsänderungen oder Menschenrechtsverletzungen begehen, zu bestrafen. Doch vor allem fehlt es am politischen Willen, die gemeinsam beschlossenen Maßnahmen auch umzusetzen.

Betrachtet man das Krisenmanagement und die Sicherheitsarchitektur der ECOWAS genauer, offenbart sich dieses Problem. Von zentraler Bedeutung sind vier Organe: der Mediations- und Sicherheitsrat (MSC), das Exekutivsekretariat, die Verteidigungs- und Sicherheitskommission (DSC) und der Ältestenrat. Die große Herausforderung liegt darin, dass die regionalen Instanzen bzw. Ausschüsse, die die Sanktionen verhängen sollen, dem Diktat der Staatschefs unterliegen.

Die Entscheidungsprozesse zur Krisenbewältigung in der Verteidigungs- und Sicherheitskommission sind noch informell, wenig institutionalisiert, sehr hierarchisch und vor allem personenabhängig. Ein Großteil der Zusatzprotokolle zum ECOWAS-Krisenmechanismus wurde noch nicht ratifiziert. Oft wird mit der Androhung von Sanktionen diplomatischer Druck auf politische Akteure ausgeübt, um Konflikte zu bewältigen.

Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass dieses Vorgehen schnell an seine Grenzen stößt. So ist es ECOWAS 2009 in Niger nicht gelungen, den Verfassungscoup des damaligen Präsidenten Mamadou Tandja zu verhindern. Zwar wurden seine Willkürherrschaft einstimmig verurteilt und weitere Sanktionen verhängt, doch das reichte nicht aus, um die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen. Dies wurde erst ein Jahr später durch einen Putsch des nigrischen Militärs ermöglicht.

Weiterhin fehlt es der DSC an Kapazitäten zur professionellen Vorbereitung und Durchführung politischer Mediationsmissionen und Konfliktbearbeitungen. Ein Beispiel dafür ist die Krise in der Elfenbeinküste von 2002 bis zum Ausbruch der bewaffneten Auseinandersetzungen. Obwohl bereits in den neunziger Jahren deutliche Anzeichen einer Krise erkennbar waren, wurde ECOWAS erst infolge der gewalttätigen Unruhen nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl 2010 aktiv und drohte, den Amtsinhaber Laurent Gbagbo mit militärischer Gewalt zur Aufgabe seines Amtes zu zwingen.

Das erwies sich jedoch als unwirksam, weil die meisten Mitgliedstaaten keine Truppen nach Abidjan entsenden wollen; offensichtlich gab es keine für diesen Auftrag geeigneten Spezialkräfte. Erst mit dem Militäreinsatz Frankreichs und der Unterstützung durch UN-Truppen wurde der Konflikt im April 2011 beigelegt.

Globale Terrorbekämpfung

Nach 9/11 wurde Afrika in die globale Sicherheitsarchitektur der USA integriert, um den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Grenzüberschreitende Kriminalität und die Ausbreitung terroristischer Netzwerke wie Al Qaida im islamischen Maghreb (AQMI), Ansar Dine sowie Mujao (Movement for Unity and Jihad in West Africa) im Norden Malis sind ernsthafte Herausforderungen für die westlichen Staaten.

Deshalb setzten die USA bereits 2002 Programme ein, die afrikanische Streitkräfte entsprechend ausbilden sollten: die Africa Contingency Operation Training and Assistance (ACOTA) und das Africa Regional Peacekeeping Program (ARP). Mit der Schaffung eines Afrika-Kommandos 2007, genannt AFRICOM, sollten diese Programme gestärkt werden. Dazu zählen u.a. die Combined Joint Task Force – Horn of Africa, die Pan Sahel Initiative (PSI) sowie die Trans-Saharan Counterterrorism Initiative (TSCTI). Die beiden Letzteren wurden mit der Aufgabe betraut, transnationale Bewegungen von Terroristen, Waffenschmuggel und Drogenhandel am Horn von Afrika und in Nordafrika, nämlich in Mali, Mauretanien, Niger und Tschad, einzuschränken und die lokalen Streitkräfte bei der Terrorismusbekämpfung technisch zu unterstützen.

Trotz all dieser sicherheitspolitischen Maßnahmen und Initiativen konnten sich die islamistischen Gruppen in der Sahel-Zone ausbreiten und ihre Position festigen. Diese Entwicklungen zeigen nicht nur das Scheitern der globalen Sicherheitspolitik, sondern auch, dass ECOWAS als eigenständiger Sicherheitsakteur überfordert ist. Die neuen Bedrohungen in Westafrika sind globaler Natur und können deshalb auch nur global bewältigt werden.

Aus Erfahrungen lernen

Die Schwächen der ECOWAS-Sicherheitspolitik zeigen sich nun auch in Mali. Seit Ausbruch des Krieges sind bisher nur französische und malische Soldaten im Einsatz – die seit Wochen angekündigten afrikanischen Einsatztruppen lassen größtenteils noch auf sich warten. Bisher sind erst knapp 3000 Soldaten der westafrikanischen Nachbarn in Mali eingetroffen, um sich an der Mission „AFISMA“ (African-led International Support Mission to Mali) zu beteiligen. 1800 davon sind im Norden Malis im Einsatz; weitere 1300 bleiben in der Hauptstadt Bamako.

Von den 15 ECOWAS-Staaten haben nur acht ihre Bereitschaft erklärt, Eingreiftruppen nach Mali zu entsenden: Nigeria (1200 Soldaten), Benin (650), Senegal, Togo, Niger und Burkina Faso (je 500), Guinea (144) und Ghana (120). Obwohl der ivorische Präsident, Alassane OUATTARA, den ECOWAS-Vorsitz innehat, entsendet er keine Soldaten nach Mali; offizielle Begründung: Sein Land sei noch zu sehr mit innenpolitischen Sicherheitsproblemen konfrontiert, als dass es Streitkräfte für Auslandseinsätze zur Verfügung stellen könne.

Als Gründe für die geringe Interventionsbereitschaft der meisten ECOWAS-Staaten werden vor allem die schwache logistische und finanzielle Ausstattung der ECOWAS-Truppen genannt, die auf die Hilfe der Großmächte angewiesen sind. Der Wille und die Bereitschaft zur Intervention allein genügen nicht, sondern die entsprechenden Kapazitäten und Fähigkeiten müssen vorhanden sein, um einen erfolgreichen Einsatz durchführen zu können. Dieses Argument ist überzeugend, kann aber nicht erklären, warum ein Staat, der kein ECOWAS-Mitglied ist wie Tschad, in der Lage ist, bis zu 2200 Soldaten in den Norden Malis zu entsenden.

Entscheidend für den Sieg gegen die islamistischen Terrornetzwerke ist aber auch die Interventionsbereitschaft, denn westafrikanische Truppen müssen nach der von Frankreich geleiteten Angriffsphase die Friedenssicherung und Stabilisierung des Landes übernehmen.

Dabei könnte die ECOWAS Standby Brigade (ECOBRIG), 2005/06 im Rahmen der African Standby Forces gegründet, eine wichtige Rolle übernehmen. Der Ausbau dieser Brigade, die laut Plan aus 6500 westafrikanischen Soldaten bestehen sollte, müsste beschleunigt werden. Damit die Fehler, die bei den bisherigen ECOMOG-Einsätzen erkennbar wurden, nicht wiederholt werden, wäre die Etablierung eines dauerhaften und transparenten Konfliktlösungsmechanismus in Westafrika erforderlich, an dem alle Mitgliedstaaten der Region aktiv beteiligt werden. Dafür muss allerdings die Anzahl der vorgesehenen Soldaten deutlich aufgestockt werden.

Weiterhin wäre es sinnvoll, die bestehenden sicherheitspolitischen Instrumente zu harmonisieren: So sollten die PSI und TSCTI in ein neues westafrikanisches Sicherheitssystem integriert werden. Auch eine bessere Koordinierung zwischen der Afrikanischen Union und ECOWAS ist notwendig, denn der Militäreinsatz in Mali sollte als gesamtafrikanische Aufgabe betrachtet werden. Es verwundert daher, dass regionale Militärmächte wie Südafrika, die seit Beginn der neunziger Jahre die Idee der „afrikanischen Renaissance“ als neue panafrikanische Dynamik getragen haben, bis jetzt nicht aktiv geworden sind.

Prof. Dr. Kocra Lossina Assoua lehrt die Politik Afrikas und Entwicklungspolitik am Institut für Afrikastudien der Universität Bayreuth.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2013, S. 72-75

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