Made in Poland
... aber keiner weiß es: Wie aus der Bezeichnung ein Gütesiegel werden soll
„Inglot“ oder „Soraya“ heißen international erfolgreiche Kosmetikprodukte, von „Gino Rossi“ sind die Schuhe: Viele Produkte haben ausländische Namen, weil „Made in Poland“ anscheinend den Absatz hemmt. Mit Gütesiegeln will der Staat den Bekanntheitsgrad im In- und Ausland fördern, erste Erfolgsgeschichten sind vielversprechend.
Der Beitritt Polens zur EU 2004 wirkte wie ein Katalysator: Er vervielfachte den Absatz polnischer Produkte im Ausland um bemerkenswerte 120 Prozent, von 60 auf 131 Milliarden Euro in den vergangenen acht Jahren; dabei gehören elf der 20 exportstärksten Produktgruppen in den Lebensmittelbreich. Doch die ausländischen Kunden – auch in Deutschland, in das ein Viertel der polnischen Warenausfuhr fließt – wissen kaum etwas davon. Denn die polnischen Produzenten werben nur selten mit der Herkunft ihrer Produkte. Sie fürchten immer noch, dass die Aufschrift „Made in Poland“ den Absatz hemmt, weshalb sie sich lieber hinter international klingenden Namen verstecken.
Zu kommunistischen Zeiten gab es in Polen nur eine begrenzte Auswahl an Produkten und kaum Konkurrenz. Im Allgemeinen hielt man die eigenen Erzeugnisse für minderwertig; auf die Waren aus dem Westen, die man nur in speziellen Geschäften gegen Dollar kaufen konnte, schaute man neidisch. Die standen für hohe Qualität, gutes Design und sorgfältige Verarbeitung – mit einem Wort: Luxus. Nach der Wende füllten sich die Geschäftsregale mit Unmengen bunter, ausländischer Artikel; jetzt ging es nur noch darum, wer sich das leisten konnte. Westliche Waren blieben weiterhin begehrt und wurden lieber als polnische Produkte gekauft.
Das wirkt bis heute nach. In zahlreichen polnischen Städten findet man kleine Geschäfte, die damit werben, „deutsche Haushaltschemie“ (sprich: in Deutschland produziertes Waschpulver) zu verkaufen. Und diese Geschäfte haben damit immer noch Erfolg. Denn obwohl seit Jahren die gleichen Marken in Deutschland wie in Polen angeboten werden, glauben viele Polen weiterhin daran, dass in Deutschland produziertes Waschpulver besser wasche als das für den polnischen Markt vorgesehene, meistens in Mittel- und Osteuropa hergestellte Produkt.
Dagegen mussten sich die nach der Wende neu entstandenen Unternehmen behaupten. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass viele die polnische Herkunft ihrer Produkte verschleierten. Ein bezeichnendes Beispiel ist die Firma LPP aus Danzig, heute die größte Bekleidungskette Polens. Anfangs belieferte sie Supermärkte mit T-Shirts aus Asien; 1994 brachte sie die erste eigene Marke auf den Markt – mit einem englischem Namen, der positive Assoziationen wecken sollte: Reserved. In den folgenden Jahren kamen bei LPP noch weitere Marken hinzu, alle mit ausländisch klingenden Namen: House, Mohito, Cropp und, ganz aktuell, Sinsay. Heute besitzt LPP über 600 Geschäfte im Inland sowie in Tschechien, Ungarn, im Baltikum, in der Slowakei, der Ukraine, in Russland und Rumänien.
Die gleiche Marketingstrategie ist auch bei anderen großen Unternehmen zu beobachten: bei den Textilfirmen Diverse, Tatuum und Simple, den Schuhproduzenten Gino Rossi und Venezia und dem Möbelproduzenten Black Red White. Viele von ihnen sind heute nationale Marktführer in ihren Branchen. Black Red White hat einen Marktanteil von 20 Prozent in Polen, 21 Produktionsstätten im In- und Ausland und liefert seine Möbel in über 40 Zielländer; der Exportanteil liegt bei 40 Prozent.
Im Herbst 2012 hat das Beratungsunternehmen PEMI polnische Unternehmen nach ihren Marketingstrategien befragt. Das Ergebnis: Nur 13 Prozent verweisen explizit auf ihre Herkunft. Obwohl die Firmen ihre Produkte heute in hochpreisigen und hochspezialisierten Segmenten erfolgreich platzieren und im Ausland Erfolge feiern, haben sie auch 20 Jahre nach der Wende mit den Vorurteilen der Kunden zu kämpfen. Denn ausländisch klingende Namen werden nach wie vor mit höherer Produktqualität assoziiert.
Sonderfall Lebensmittel: gesund, weil polnisch
Es gibt dennoch einige wenige Bereiche, in denen eine andere Tendenz zu beobachten ist, vor allem in der Lebensmittelbranche. Hier gibt es eine große Nachfrage nach allem, was polnisch ist. Firmen unterstreichen daher gerne die polnische bzw. regionale Herkunft ihrer Produkte und setzen auf Lokalpatriotismus und das Traditionsbewusstsein der Kunden. „Gesund, weil polnisch“, lautet das Motto. Die kleinen Märkte mit ihren lokalen Produkten sind wieder „in“, Lebensmittelgeschäfte werden stilisiert wie Dorfhütten mit Strohdach, großer Beliebtheit erfreuen sich auf altpolnisch getrimmte Gaststätten, so genannte Karczmas. Traditionelle Gerichte wie Zurek (saure Suppe), Borschtsch, Pirogen oder Wild erleben eine Renaissance. Sogar die polnische Gans – die jahrzehntelang als Arme-Leute-Essen verpönt war, so dass über 90 Prozent der Tiere für den Export produziert wurden (davon 85 Prozent für den deutschen Markt) – kommt mit massiven Unterstützungskampagnen der Regionen wieder auf die Tische polnischer Restaurants und Familien.
Auch in der Kosmetikbranche ist eine stärkere Hinwendung zu den heimischen Produkten sichtbar. Das ist nicht verwunderlich, da polnische Kosmetika seit Jahren Spitzenplätze bei diversen Tests der angesehenen Modemagazine und Frauenzeitschriften belegen. In dieser Branche können es Marken wie Dr Irena Eris, Soraya, Dermika, Mirraculum, Ziaja und Inglot erfolgreich mit ihren westlichen Konkurrenten aufnehmen.
Dr Irena Eris, eine der stärksten Marken Polens laut Superbrands Polska, betreibt seit elf Jahren ein eigenes Wissenschaftszentrum. Das Unternehmen verfügt heute über 21 eigene kosmetische Institute, zwei Spa-Hotels und ein Sortiment mit 500 verschiedenen Produkten, von denen es pro Jahr rund 25 Millionen Stück in 28 Ländern weltweit verkauft. Im Laufe der Zeit hat die Marke 160 Preise, Auszeichnungen und Zertifikate erhalten; 2012 wurde sie in den exklusiven Kreis der französischen Luxusgütervereinigung Comité Colbert aufgenommen, in der u.a. Chanel, Louis Vuitton, Hotel Ritz und Cartier vertreten sind. Die Kosmetikfirma Inglot besitzt Läden in 47 Ländern, die meisten in den USA, u.a. auf dem Broadway in New York, sowie auch in Abu Dhabi, Saudi-Arabien, Australien, Argentinien und Südafrika. Durch den international klingenden Namen wird Inglot für alles andere gehalten, nur nicht für eine polnische Marke.
Steigender Wohlstand
Allmählich ändert sich die Einstellung der Polen zu einheimischen Produkten. Umfragewerte zeigen, dass die Käufer vor allem auf Preis und Qualität achten und die Herkunft eine eher untergeordnete Rolle spielt. Gleichzeitig kann man aber eine starke Veränderung des Kundenprofils feststellen. Auf die Herkunft von Waren achten vermehrt gut situierte und gebildete Menschen, die in größeren Städten wohnen. Das ist genau die Gruppe, die noch vor einigen Jahren westliche Artikel bevorzugte. Diese Menschen wollen wissen, woher die Produkte kommen, für sie ist „Made in Poland“ zu einem Qualitätsmerkmal geworden – vor allem im Gegensatz zu „Made in China“, das in Polen einen ausgesprochen schlechten Ruf hat. Dieses Verhalten entspricht dem internationalen Trend, nach dem die Bindung an einheimische Produkte und Marken, der so genannte Kaufpatriotismus, eine Erscheinung ist, die mit dem steigenden Wohlstand einer Gesellschaft zusammenhängt. Anders gesagt: Je reicher eine Gesellschaft ist, desto bewusster fällt sie ihre Kaufentscheidungen.
Der steigende Kaufpatriotismus der Polen zeugt also einerseits vom wachsenden Wohlstand der Gesellschaft und der damit verbundenen größeren Zufriedenheit einzelner Bürger mit ihrem Leben. Andererseits ist er ein Zeichen dafür, dass die Polen immer selbstbewusster mit dem Label „Made in Poland“ umgehen. Initiativen wie „590 Gründe ... um polnische Produkte zu kaufen“ oder „Kauf Einheimisches – es gibt Gründe, stolz zu sein“ tragen dazu bei.
Auch der Staat bemüht sich, einheimische Firmen zu fördern und die positive Wahrnehmung von besonders hochwertigen Produkten zu unterstützen. Zu den bekanntesten Kampagnen gehört „Teraz Polska“ (Polen jetzt), die seit 1993 unter der Schirmherrschaft des Präsidenten jährlich ausgetragen wird. Bis heute wurden 460 Firmen ausgezeichnet, die nun das charakteristische weiß-rote Gütesiegel verwenden dürfen. Ein prominentes Beispiel für den Erfolg dieser Auszeichnung ist der Baumaterialienhersteller Atlas. In den ersten beiden Jahren nach der Gründung 1991 warb die Firma mit deutschen Warenaufschriften. Nachdem Atlas 1993 das Gütesiegel „Teraz Polska“ erhielt, stiegen die Verkaufszahlen im selben Jahr um das Vierfache. Von da an änderte Atlas die Marketingstrategie und setzte konsequent auf seine polnische Herkunft. Der seither benutzte Slogan lautet „Kocham Polske“ (Ich liebe Polen), was unterschwellig auch den Nationalstolz bedient. Binnen weniger Jahre wurde Atlas zum Marktführer im Bereich Bauchemie und wiederholt zur besten Marke Polens gewählt.
Wenig Wirkung im Ausland
International zeigt dieses Gütesiegel allerdings noch nicht viel Wirkung. Weiterhin begegnet man den altbekannten Stereotypen, nach denen Polen mit Lech Walesa, Solidarnosc und Papst Johannes Paul II. assoziiert wird. Eine umfassende, 2011 für das Wirtschaftsministerium durchgeführte Studie zeigt jedoch, dass in manchen Ländern Produkte aus den Bereichen Lebensmittel, Bekleidung, Lederwaren, Bauwesen, Kosmetika und Möbel bereits mit Polen in Verbindung gebracht werden. Diese Kenntnisse über konkrete polnische Marken sind eher in den ost- und mittelosteuropäischen Ländern anzutreffen, da die Firmen dort häufiger unter ihrem eigenen Markennamen präsent sind. In den westlichen Ländern werden hingegen polnische Luxuswaren (Jachten, Schmuck, vor allem Bernstein) genannt. Aber insgesamt sind polnische Marken im Ausland immer noch relativ unbekannt.
Auch in Deutschland ist es laut der genannten Studie nicht anders. Polen wird als ein traditionsbewusstes Land wahrgenommen, mit schönen Landschaften, aber einer nicht besonders innovativen Wirtschaft. Mit dem Land werden vor allem Lebensmittel assoziiert, darunter Wodka, Bier, Würste, Schokoladenerzeugnisse, Agrarprodukte und Tankstellen der Firma Orlen mit ihrer deutschen Marke Star. Nur in Berlin wurden in der Umfrage Bernstein, Schmuck, Luxusgüter und Kunst genannt. Die Produkte werden im Allgemeinen als günstiger empfunden, aber nicht als höchste Qualität angesehen.
Unterstützung vom Staat
Das polnische Wirtschaftsministerium hat ein Programm zur Exportförderung aufgelegt, das für die Jahre 2007 bis 2015 mit einem Budget von 78 Millionen Euro ausgestattet ist. Dabei wurden 15 führende Branchen ausgewählt, die in den Genuss der staatlichen Unterstützung kommen. Parallel dazu versucht man seit Jahren, eine nationale Dachmarke zu schaffen. Die häufigen Regierungswechsel und unklare Kompetenzaufteilung unter den beteiligten Akteuren führten jedoch zu häufigen Änderungen, so dass es bis heute kein stimmiges Konzept gibt. Auch der einst von Willy Olins, einem international anerkannten Experten im Bereich Nation Branding, vorgeschlagene Slogan: Creative Tension (Kreative Spannung) wurde nicht konsequent verfolgt.
In der innerpolnischen Diskussion über eine Branding-Strategie für Polen erstrecken sich die Meinungen vom Wunsch, eine starke Marke zu schaffen – am besten im Hightech-Bereich, eine Art polnisches Nokia – bis hin zur Überzeugung, dass man an das Bestehende anknüpfen und das unterstützen soll, was bereits im Ausland bekannt ist und positiv wahrgenommen wird. Da Polen in vielen Ländern vor allem als Agrarland gilt, liege es auf der Hand, landwirtschaftliche Produkte und Lebensmittel zu Nationalmarken zu machen. Noch ist nichts entschieden, die Diskussion dauert an.
Ob nun mit oder ohne Unterstützung des Staates: Veränderungen von Wahrnehmung und Überwindung von Stereotypen sind immer langfristige Prozesse. Die aktuellen Tendenzen sind zwar positiv und vielversprechend, doch es wird wohl noch Jahre dauern, bis polnische Firmen branchenübergreifend davon profitieren können. Bis dahin werden ihre Produkte gewissermaßen „getarnt“ Erfolg haben. Denn in- und ausländische Kunden, die z.B. Produkte der Firma Inglot kaufen, werden nach wie vor keine Ahnung haben, dass sie aus Polen stammen.
Anna Quirin arbeitet am Zentrum für Mittel- und Osteuropa der Robert Bosch Stiftung im Forschungsinstitut der DGAP.
IP Länderporträt Polen, März/April 2013, S. 57-61