Kohärenz statt Konkurrenz
Wer Friedenspolitik aus einem Guss will, muss nicht nur an der ressortübergreifenden Zusammenarbeit zuhause arbeiten, sondern auch die inter- nationalen Partner besser einbeziehen.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten gehört es zum Mantra aller Bundesregierungen, dass Frieden und Sicherheit nur im Zusammenspiel aller Politikbereiche wirksam gefördert werden können. Der Ukraine-Krieg hat die Wechselwirkungen zwischen Entscheidungen in verschiedenen Politikfeldern schlaglichtartig deutlich gemacht. Damit ist auch das Bewusstsein dafür geschärft, wie wichtig eine kohärente Außenpolitik ist. So stehen etwa Fragen der Energiesicherheit immer wieder im Fokus deutscher und europäischer Beratungen über die Reaktionen auf den russischen Angriffskrieg; die potenziell dramatischen Auswirkungen des Krieges auf die globale Ernährungssicherheit beginnen sich gerade erst abzuzeichnen.
Nicht erst in den Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ aus dem Jahr 2017 hat die Bundesregierung versprochen, sich in ihrem Engagement zur Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung noch enger abzustimmen. Laut Koalitionsvertrag der Ampelregierung soll deutsche Außenpolitik „aus einem Guss agieren und ressortübergreifend gemeinsame Strategien erarbeiten, um die Kohärenz unseres internationalen Handelns zu erhöhen“. Und nicht zuletzt hat Außenministerin Annalena Baerbock in ihrer Auftaktrede zur Konzipierung einer Nationalen Sicherheitsstrategie im März die Bedeutung einer kohärenten Außenpolitik betont, für die die außenpolitisch aktiven Ressorts ihre „Zusammenarbeit im außen-, aber auch wirtschafts-, energie-, entwicklungspolitischen Raum“ sehr viel stärker miteinander koordinieren müssen. Klare Zielvorstellungen – die Umsetzung bleibt schwierig.
Kooperation nur in der Krise
Wenn von einem erweiterten oder umfassenden Sicherheitsbegriff die Rede ist, dann beschränkt sich das oft auf die Instrumente von Militär, Diplomatie und Entwicklungspolitik (im englischen Sprachgebrauch auch „3 D“ genannt: Defence, Diplomacy & Development). In Expertenkreisen dagegen weiß man auch um den Wert von internationalen Polizeimissionen und darum, dass Weltfinanz- und -handelsbeziehungen, Energie- und Ressourcenpolitik, globaler Klimaschutz und weitere Politikfelder mit internationaler Ausstrahlung wichtige Beiträge dazu leisten können, Frieden zu schaffen. Allerdings könnten alle diese Bereiche im Negativfall auch dazu beitragen, gewaltsame Konflikte zu befeuern.
Vertreterinnen und Vertreter des Wirtschafts-, Finanz- oder Umweltministeriums waren dennoch in den vergangenen Jahren höchst selten in ressortübergreifenden Abstimmungsrunden zum deutschen Engagement in fragilen Staaten zu finden – und wenn, dann meist erst in akuten Krisen. Wenn umgekehrt im Wirtschaftsministerium über eine Strategie zum Engagement in Afrika diskutiert wurde, dann blieben Fragen zu Krieg und Frieden meist außen vor – ganz so, als spielten Auseinandersetzungen um Erdöl und Mineralien oder subventionierte Lebensmittelexporte aus der EU keine Rolle für Konfliktdynamiken auf dem Kontinent. Um Erwägungen dieser Art musste man sich bislang erst dann wieder kümmern, wenn Menschen auf der Flucht vor Gewalt auch in Europa anklopften – und man delegierte das Thema der präventiven Außen(wirtschafts)politik dann gerne an das Entwicklungsministerium.
Ist eine kontinuierliche kohärente Ressortzusammenarbeit in der Prävention bis heute eine Baustelle mit mehr Leerstellen als tragenden Wänden, so hat sich das Bild bei der Bearbeitung akuter Krisen in den vergangenen Jahren merklich gewandelt. Im operativen Tagesgeschäft beginnen sich Abstimmungsrunden zu etablieren, in denen Vertreterinnen und Vertreter der vor Ort aktiven Ressorts einen intensiven Austausch pflegen, wie in zwei aktuellen, vom „Beirat Zivile Krisenprävention und Friedensförderung“ beauftragten Studien zur friedenspolitischen Kohärenz deutschen Regierungshandelns deutlich wird.
Allerdings zeigen die Ergebnisse auch, dass erhebliche Fragezeichen bei der inhaltlichen Ausrichtung des abgestimmten Vorgehens bleiben: Eine klare Orientierung an der friedenspolitischen Zielsetzung, wie sie in den Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ formuliert ist, konnte nicht ausgemacht werden. Dies gilt sowohl auf Ebene der Strategiepapiere als auch für das Handeln vor Ort.
Eine Studie des German Institute of Development and Sustainability, die afrikabezogene Leitlinien und Strategiepapiere der Bundesregierung und verschiedener Ressorts untersucht hat, hat gezeigt, dass die Erreichung eines nachhaltigen Friedens kein übergeordnetes Ziel dieser Strategien ist, sondern vielmehr als Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung verstanden wird. Und last not least kommt eine Studie der HSFK, die in Zusammenarbeit mit lokalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erstellt wurde, zum Schluss, dass es deutscher Regierungspolitik in Mali und Niger im Spannungsfeld zwischen Terrorismusbekämpfung, Migrationspolitik und Bündnistreue bislang nicht gelungen ist, ein ressortgemeinsames Verständnis davon zu entwickeln, welche Maßnahmen langfristig zur Schaffung eines nachhaltigen Friedens in der Region beitragen können.
Für einen solchen Verständigungsprozess gibt es nicht einmal ein Format. Verbindliche ressortübergreifende Länderstrategien existieren bislang nicht – und damit auch kein Ort, an dem um die Inhalte einer solchen Strategie gerungen und über das Für und Wider alternativer Herangehensweisen gestritten werden könnte. Das zu ändern sollte hohe Priorität für die Bundesregierung haben. Kohärenz alleine schafft noch keinen Frieden, wenn sie nicht mit einer plausiblen Strategie unterlegt ist, wie Positives bewirkt und Schädliches vermieden werden kann.
Allerlei Allianzen und Partnerschaften
Deutsche Diskussionen über Kohärenz enden allzu oft mit Forderungen nach mehr ressortübergreifendem Handeln. Kohärenz erfordert aber mehr als nur eine bessere Koordination verschiedener Ministerien in Berlin. Sie muss der Komplexität internationaler ziviler und militärischer Interventionen in Konfliktregionen Rechnung tragen. Hier sind zumeist eine Vielzahl internationaler Geber und Organisationen aktiv, etwa die EU oder auch die UN. Deutschland selbst engagiert sich zumeist nicht nur bilateral, sondern auch in EU- und UN-Missionen. Hinzu kommen die Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Organisationen, die gerade für die zivile Krisenprävention von großer Bedeutung sind.
Gerade wenn Konflikte eskalieren, kommt es oft zu einem plötzlichen Anstieg der medialen und politischen Aufmerksamkeit für bestimmte Länder und Regionen. Gleichzeitig nehmen auch die zur Verfügung stehenden (finanziellen) Ressourcen zu, die sich dann wiederum in einem plötzlichen Anstieg von Projekten und Maßnahmen vor Ort niederschlagen. So ist beispielsweise allein der Umfang des deutschen Engagements in Mali von 2013 bis 2021 von etwa 120 Millionen Euro auf über 700 Millionen Euro angewachsen.
Koordinationsbedarf besteht in Konfliktregionen somit nicht nur mit Blick auf das Engagement verschiedener deutscher Ministerien, sondern auch im Hinblick auf die Aktivitäten verschiedener internationaler Organisationen und anderer Geberstaaten. Internationale Kohärenz wird nicht nur durch verschiedene Ziele erschwert, die einzelne Staaten und Organisationen verfolgen, sondern auch durch Konkurrenzdenken zwischen Gebern, die im Wettbewerb um Ideen und Reputation stehen und außerdem darum ringen, wirtschaftlichen und politischen Einfluss in ihren Partnerländern ausüben zu können.
Nimmt man erneut Mali und den Sahel als Beispiele, so sind dort zwar im vergangenen Jahrzehnt verschiedene Foren der Geberkoordination entstanden, etwa die Sahel-Allianz, die Partnerschaft für Sicherheit und Stabilität im Sahel oder die Koalition für den Sahel. Die Mandate und Kompetenzen dieser Initiativen überlappen jedoch teilweise, ihr Verhältnis untereinander ist nicht vollständig geklärt. Zudem sind sie allesamt von Frankreich dominiert und treiben die oft beklagte Konzentration auf kurzfristige Stabilisierung und Sicherheit voran, was strukturelles friedenspolitisches Engagement konterkariert.
Die Schaffung von Kohärenz sollte für Deutschland nicht nur ein Anliegen auf nationaler Ebene sein, sondern auch auf europäischer und internationaler Ebene sowie vor Ort in Konfliktregionen. Um die friedenspolitische Kohärenz internationalen Engagements in diesen Regionen zu erhöhen, ist dann neben politischem Willen auch zusätzlicher Einsatz notwendig, der nicht zuletzt mehr personelle Kapazitäten in den Botschaften erfordert.
Lokales Wissen nutzen
In den Diskussionen über die friedenspolitische Kohärenz deutscher Außenpolitik geht nicht selten die Perspektive der Partnerländer verloren. Die lokalen Perzeptionen von Regierung, Zivilgesellschaft und Bevölkerung in Krisenregionen sind mitentscheidend dafür, wie glaubwürdig und erfolgreich die deutschen Handelnden sein können. Nur ein an den Bedürfnissen der Partnerländer orientiertes und international abgestimmtes Engagement kann tatsächlich helfen, Krisen zu vermeiden und nachhaltigen Frieden zu schaffen.
Dazu braucht es entsprechende Analysen und Kontextwissen sowie die Einbeziehung lokaler Akteure. Damit sind zwei Herausforderungen verbunden: Erstens muss detailliertes Wissen über Konflikte und deren Treiber und Ursachen gemeinsam mit lokalen Akteuren erhoben und analysiert werden. Dieses Wissen muss laufend aktualisiert werden, um Veränderungen der Lage Rechnung zu tragen. Mit lokalen Akteuren sind nicht nur die Regierungsvertreter gemeint, deren Legitimität in fragilen Staaten und Konfliktregionen ohnehin oft infrage gestellt ist, sondern gerade Akteure aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft.
Zweitens muss dieses Wissen Eingang in strategische Diskussionen in Berlin und in anderen Hauptstädten finden. Derzeit scheint das nur vergleichsweise selten zu funktionieren. Zwar verfügen deutsche Ministerien über unterschiedliche Formen der Konfliktanalyse und auch über Frühwarnsysteme – diese sind aber unzureichend, wenn es darum geht, lokales Wissen einzubeziehen. Zudem sind die Ergebnisse und Analysen zumeist den jeweiligen Ressorts vorbehalten und werden nur selektiv gemeinsam genutzt und ausgewertet.
Noch einiges zu tun
Wenn die Bundesregierung die friedenspolitische Kohärenz ihrer Außenpolitik stärken will, muss sie nicht nur sicherstellen, dass sich die Ressorts am Leitbild der Schaffung eines nachhaltigen Friedens orientieren, wie es in den Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ festgehalten wurde. Sie benötigt auch für die jeweilige Krise angepasste Strategien, die plausibel darlegen, wie dieses Ziel gemeinsam erreicht werden kann. Es ist auch klar, dass Anstrengungen zur Stärkung friedenspolitischer Kohärenz nicht in Berlin enden, sondern dort nur beginnen und international und vor Ort in Konfliktregionen und fragilen Staaten fortgesetzt werden müssen.
Trotz Fortschritten bei der Ressortkoordinierung in den vergangenen Jahren bleibt viel zu tun. So muss zuvörderst die Beteiligung aller relevanten Ressorts sichergestellt werden. Für Partnerländer mit einem substanziellen Engagement mehrerer Ressorts sollten ressortgemeinsame Länderstrategien entwickelt werden. Die Einbeziehung aller relevanten Ressorts ist auch für die erste Nationale Sicherheitsstrategie von großer Bedeutung, die bis Ende des Jahres entstehen soll – hier muss eine Beteiligung möglichst vieler Ressorts im Prozess der Strategieentwicklung sichergestellt werden. Außerdem müssen Strukturen geschaffen werden, die auch in der Umsetzung eine Prüfung und Verbesserung außenpolitischer Kohärenz zur Aufgabe haben und die Beteiligung verschiedener Ressorts sicherstellen.
Internationale Politik Special 5, September 2022, S. 26-29