IP Special

01. Nov. 2021

Klimawandel macht krank

Warum Anpassung und Schutz dringlich sind, um gesundheitliche Klimarisiken zu vermeiden.

Der menschengemachte Klimawandel schädigt die Gesundheit des Menschen und das, was sie bestimmt, massiv. Darüber herrscht wissenschaftliche Einigkeit – auch wenn es im Einzelfall schwierig sein mag, eine direkte Verbindung zwischen Klimawandel und Gesundheitsrisiken herzustellen. Viele Faktoren beeinflussen den konkreten Wirkungsgrad, mit dem der Klimawandel auf die Gesundheit einwirkt: Globalisierung, Migration, ökonomische Entwicklung und deren Wechselspiel. Die beobachteten Gesundheitsauswirkungen zeigen sich auf verschiedenen Ebenen – direkt, vom Ökosystem und sozial vermittelt.



Zu den direkten Auswirkungen gehören solche mit unmittelbaren Schädigungen durch extreme Temperaturen, Extremwetterereignisse (Starkregen, Fluten, Stürme, Brände, Dürren), Luftverschmutzung sowie ultraviolette Strahlung. Prominente Beispiele sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Hitzewellen und die Zunahme von Atemwegserkrankungen bei vermehrter Ozonbildung.



Auswirkungen, die das Ökosystem vermittelt, sind biologische, physikali­sche und ökologische Veränderungen: verminderte landwirtschaftliche Erträge, Verdünnungen von Nähr­stoffen in wichtigen Nahrungspflanzen, erschwerter Zugang zu sauberem Wasser und mehr Infektionskrankheiten. Sowohl abrupte Phänomene des Klimawandels als auch langsam voranschreitende Folgen können diese Beeinträchtigungen verursachen; konkret wirken sie sich etwa auf Erkrankungen aus, die von biologischen Vektoren wie Wasser und Lebensmitteln übertragen werden. Bei den sozial vermittelten Auswirkungen zeigt sich ein sehr ­komplexes Wechselspiel zwischen Klimawandel und Gesundheit. Das Voranschreiten des Klimawandels verschlimmert Lebens­umstände, die ohnehin prekär sind. Dadurch kann es zu Migration, bewaffneten Konflikten und Vertreibungen kommen. Scheinbar unabhängige Phänomene treten durch den globalisierten Handel und Multilateralismus in Bezug, wodurch sich neue gesundheitliche Beeinträchtigungen zeigen. Als Beispiele werden mentale Gesundheit und Unterernährung angeführt.



Anpassungsmaßnahmen

All diese Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit sind be­reits jetzt zu beobachten – die Gesellschaft muss also selbst bei Erreichen des 2°C-Zieles mit diesen Beeinträchtigungen umgehen. Konkret kann das durch Anpassung gelingen. Solche Maßnahmen zielen darauf ab, die Bevölkerung den Auswirkungen des Klimawandels weniger auszusetzen und auch weniger verletzlich zu machen.



Global gesehen spielt vor allem die Anpassungskapazität an Klimawandelfolgen wie Hitzewellen, Überflutungen oder Dürren eine große Rolle. Die Länder des globalen Südens können das meist aus sozioökonomischen Gründen weniger als die des globalen Nordens. So wirken sich verminderte Ernteerträge bei Kleinbauern in Subsistenzwirtschaft direkt auf das Überleben von Kleinkindern in deren Familien aus, während Landwirte in Ländern mit hohen Einkommen vor allem mit ökonomischen Konsequenzen zu rechnen haben.



Trotz der kontrovers geführten Debatte zur Klimagerechtigkeit: Aus gesundheitlicher Sicht besteht weltweit der Bedarf zur Klimaanpassung. Wichtige Maßnahmen für besonders verletzliche Bevölkerungsgruppen befassen sich mit neuen Technologien und verbesserter Infrastruktur zur Bewältigung von Extremwetterereignissen, um Nahrungssicherheit zu gewährleisten und Infektionskrankheiten vorzubeugen. Zur Verbesserung der Hygiene- und Ernährungssituation sollen gezielte Verhaltensänderungen helfen, den schleichenden wie den abrupten Folgen des Klimawandels entgegenzutreten. Insgesamt gibt es wenig Evidenz zu den gesundheitlichen Effekten von Anpassungsstrategien. Das im Folgenden vor­gestellte Projekt will diese Wissenslücke verkleinern.



Beispiel Subsahara

In zwei Regionen Subsahara-Afrikas untersucht das Projekt zu nachhaltiger Ernährung die durch den Klimawandel vorausgesagten Einbußen in der Landwirtschaft für die derzeitigen Entwicklungen des CO2-Ausstoßes bis 2050 und deren Konsequenzen für den Ernährungszustand bei Kindern bis fünf Jahren. Dieses Projekt bestimmt das Potenzial eines integrierten Landwirtschafts- und Ernährungsprogramms als mögliche Anpassungsstrategie zur Verbesserung des kindlichen Ernährungszustands für klimasensible Nährstoffe im ländlichen Burkina Faso und Kenia, wo der Klimawandel die Landwirtschaft schon jetzt besonders beeinträchtigt. Im Mittelpunkt stehen die Biodiversifizierung in der Selbst­versorgung durch heimischen Gemüseanbau sowie begleitende Ernährungs- und Gesundheitsberatung anhand der sieben essenziellen Ernährungsmaßnahmen der Weltgesundheitsorganisation (WHO).



Für Subsahara bildet Biodiversifizierung eine der meistversprechenden und praktikabelsten Maßnahmen zur Anpassung an CO2-be­dingte Einbußen in der Landwirtschaft – bezogen auf die Nahrungsmenge und den pflanzlichen Nährstoffgehalt von Protein, Eisen und Zink. Durch qualitative Befragungen von Vertretern aus Politik, Nichtregierungs­organisationen und Bauernfami­lien vor Ort werden in der ersten Projektphase die Anpassungsstrategien auf die Regionen in Burkina Faso und Kenia zugeschnitten. Dabei werden die anzubauenden Nutz­pflanzen ermittelt, außerdem die Akzeptanz und die Praktikabilität des Programms.



Es folgen zwei Studien mit jeweils 600 Haushalten und Kindern im Alter von sechs bis 24 Monaten, die über einen Zeitraum von zunächst einem Jahr nachbeobachtet werden. Wie hilfreich das Programm für die Kinder ist, wird hinsichtlich des Proteinstatus und einiger Marker für Eisen- und Zinkstatus sowie Malariarisiko ermittelt. Zusätzlich werden die Veränderungen des Ernährungsverhaltens und des mütterlichen Ernährungszustands sowie Kosten-Nutzen-Effekte berechnet. Beide Studien werden begleitet durch ein intensives Prozess-Monitoring mittels gemischter Forschungsmethoden zur Abschätzung der Wirkungsketten. In Abhängigkeit von den biophysikalischen Wachstums­anforderungen der eingesetzten Pflanzen und in enger Kooperation mit Experten der Klimamodellierung werden regio­nale Projektionen entwickelt, mit denen die Gesundheitseffekte auch für die Zukunft abgeschätzt werden können.



Verhalten und Klimaschutz

Neben den technologischen Innovationen zur Erreichung der Klimaziele rückt die Bedeutung einer gesamtgesellschaftlichen Verhaltensänderung immer stärker in den Fokus. Diese Klimaschutzmaßnahmen gehen mit gesundheitlichen Vorteilen einher, die sowohl auf der Bevölkerungs- als auch auf individueller Ebene sichtbar sind. Politisch motivierte und gesellschaftlich akzeptierte Lebensstilveränderungen bei Mobilität, Wohnen und Ernährung weisen das größte Einsparpotenzial für Treib­hausgasemissionen auf: Es beträgt bis zu 37 Prozent der aktuellen CO2-Äquivalente in der Europäischen Union.



Körperliche Aktivität hat schon bei kurzen, mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurückgelegten Wegstrecken einen positiven Einfluss auf die Gesundheit. In einem Modellversuch für die Stadt San Francisco wurde gezeigt, dass die Erhöhung der täglichen Fortbewegung zu Fuß oder mit dem Fahrrad von durchschnittlich vier auf 22 Minuten bei gleichzeitig weniger Autofahrten erheblich zur Minderung der Krankheitslast durch Diabetes mellitus und Herz-Kreislauf-Erkrankungen beiträgt. Gleichzeitig konnten dort die Treibhausgasemissionen um 14 Prozent gesenkt werden. Aufgrund der fußläufigen Wege zu den Haltestellen des ÖPNV wirkt sich auch die Nutzung von Bus und Bahn positiv auf die Gesundheit aus. In den Industrieländern können durch solche Formen der Mobilität jährlich bis zu 2,3 t CO2-Äquivalente eingespart werden.



Für den Bereich des Wohnens werden ähnlich gute Effekte beobachtet. Beispielsweise kann die gute Dämmung von Gebäuden Energie sparen und gleichzeitig die Gesundheit fördern. So wurde in Großbritannien gezeigt, dass durch Dämmung sowie isolierende Fenster und Türen nachweislich weniger Hausbewohner über 60 Jahre ins Krankenhaus müssen – und gut für das Klima waren die Maßnahmen auch.



Herausforderung Ernährung

Die globale Lebensmittelproduktion ist für mehr als 70 Prozent der weltweiten Frisch­wassernutzung, bis zu 30 Prozent der Treibhausgasemissionen und 80 Prozent der Waldrodung verantwortlich. Tatsächlich weisen moderne Ernährungsweisen aufgrund von Vieh­haltung, industrieller Verarbeitung und Verpackung sowie weiten Transportwegen große ökologische Fußabdrücke auf. Insbesondere eine Limitierung des globalen Verzehrs von rotem Fleisch und Milchprodukten wird bei wachsender Weltbevölkerung entscheidend sein, um die Erwärmung auf unter 2°C zu begrenzen.



Aktuelle Modellierungen für die Industrieländer zeigen, dass eine pflanzenbasierte Ernährungsweise zu einer Reduktion von nahezu einer Tonne CO2-Äquivalente pro Jahr beitragen kann. Der reduzierte Konsum von verarbeitetem und vermutlich auch von rotem Fleisch geht mit einem geringeren Risiko für Darmkrebs einher. Ersetzt man gesättigte Fettsäuren aus tierischen Produkten durch ungesättigte Fettsäuren aus pflanzlichen Produkten, führt dies zudem zu einer besseren Herz-Kreislauf-Gesundheit.



Nicht zuletzt in den sich entwickelnden Regionen der Welt sollte das Thema Klimaschutz durch nachhaltige Lebensstile ­Beachtung finden. Wachsender Wohlstand in diesen bevölkerungsreichen Ländern geht zumeist mit einem stärkeren Ressourcenverbrauch und höheren Treibhausgas­emissionen einher. Gleichzeitig wird das rasante Anwachsen ernährungsbedingter chronischer Krankheiten in diesen Weltregionen mit Sorge beobachtet.



Im Anschluss wird eine Ernährungsintervention beschrieben, die sich die gesundheitlichen Zusatznutzen einer nachhaltigen Ernährungsweise für Subsahara-Afrika zunutze macht. Dieses Projekt befasst sich mit den vielschichtigen Zusammenhängen zwischen Klimawandel, Ernährung und Gesundheit. Neben der unsicheren Ernährungslage in ländlichen Gebieten sind in den sich rasch entwickelnden städtischen Gebieten Afrikas südlich der Sahara auch Umweltauswirkungen durch veränderte Ernährungsgewohnheiten absehbar. Dort modernisieren sich die Ernährungsgewohnheiten, und die mit Überernährung verbundenen ­chronischen Krankheiten bei Erwachsenen nehmen zu. Das Projekt zielt darauf ab, Ernährungsinterventionen zu entwickeln, die die vier wesentlichen Kriterien einer nachhaltigen Ernährung für das urbane Afrika südlich der Sahara erfüllen. Diese Kriterien sind: Gesundheit, wirtschaftliche Erschwinglichkeit, kulturelle Akzeptanz und Umweltfreundlichkeit.



Gesünderes Essen ist gut für das Klima

Die Studie wird in Ouagadougou durchgeführt, der Hauptstadt Burkina Fasos. Sie befasst sich mit den Effekten für das Herz-Kreislauf-System und der Kosten­effektivität einer kulturell akzeptierten Ernährungsintervention zur Gewichtsreduktion bei Erwachsenen. Die Studie basiert auch auf den aktuellen internationalen Leitlinien für den Umgang mit Übergewicht und Adipositas. Im Rahmen des örtlichen Programms zur Gesundheitsberichterstattung nehmen 2 mal 125 Erwachsene mit Übergewicht oder Adipositas teil. Neben der Gewichtsabnahme werden maßgeblich die Änderungen des ökologischen Fußabdrucks ermittelt, weitere Gesundheitsparameter bestimmt (Nüchtern-Blutzucker, Blutdruck, Blutfettwerte) und das Kosten-Nutzen-Verhältnis berechnet.



Letztlich zeigt der Gesundheitsbereich, dass sich die Gesellschaften an nicht mehr vermeidbare Gefahren anpassen und Resilienz entwickeln müssen, um die schon jetzt beobachteten Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit einzudämmen: Sie müssen das Unvermeidbare bewältigen. Parallel dazu ist ein konsequenter Klimaschutz notwendig, um auf die Gefahrenquellen für die Gesundheit einzugehen und Risiken durch den Klimawandel für die Zukunft abzuwenden – um das Unkontrollierbare zu vermeiden.    

Jun.-Prof. Dr. Ina Danquah ist Forschungsgruppenleiterin „Klimawandel, Ernährung und Gesundheit“ am  Institut für Global Health der Universität Heidelberg.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special 6, November 2021, S. 27-31

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