Porträt

28. Okt. 2024

Klimabotschafter des Clans

Wie schon bei der COP 28 vor einem Jahr kommt auch 2024 der designierte Präsident der UN-Klimakonferenz aus der Ölindustrie. Gelingt Mukhtar Babayev der Spagat zwischen Umweltschutz und den Zielen der Herrscherclique in Baku?

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Bild: Mukhtar Babayev hält einen Rede auf der COP 28 in Baku
Erklärungsbedarf: Als Vertreter der fossilen Industrie dürfte sich Mukhtar Babayev (hier auf der COP 28) in Baku mit kritischen Nachfragen beschäftigen müssen.

Mit den Untiefen der UN-Klimakonferenzen ist Mukhtar Babayev vertraut: Bei den vergangenen fünf Klimagipfeln war er Delegationsleiter Aserbaidschans. Und anders als man es angesichts seiner Tätigkeit in der fossilen Industrie erwarten würde, haben Umweltthemen die Karriere des Managers und Politikers durchaus geprägt. 

Babayevs Berufsleben begann in politisch und wirtschaftlich instabilen Zeiten, die Aserbaidschan nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion im Jahr 1991 prägten. 1967 in der Hauptstadt Baku geboren, bekam er mit Studienabschlüssen in Politik und Ökonomie von Universitäten in Baku und Moskau 1994 eine Anstellung im Amt für Außenwirtschaftsbeziehungen der staatlichen Erdölgesellschaft Aserbaidschans SOCAR. 

Während sich der Ölexport für das Land am Kaspischen Meer dank eines „Jahrhundertvertrags“ mit internationalen Energiekonzernen zur Haupt­einnahmequelle entwickelte, stieg Babayev bei SOCAR auf. Von 2007 bis 2010 war er als Vize­präsident des Konzerns für Umweltfragen zuständig. Wie in einer von Wikileaks veröffentlichten Depesche der US-Botschaft in Baku nachzulesen ist, war Babayev im November 2008 Gastgeber einer internationalen Umweltkonferenz, wie es sie so noch nicht in Aserbaidschan gegeben hatte. US-Diplomaten gegenüber beschrieb er es als seine Aufgabe, Umweltbewusstsein bei SOCAR und im Land zu entwickeln, ohne vom Ausbau der Ölindustrie abzurücken. 

Damals war der Küstenstreifen am Kaspischen Meer von unzähligen Ölpumpen gesäumt, auch entlang der Straße vom Flughafen nach Baku. Über die Jahre entstanden dort Wohn- und Geschäftskomplexe; mit Pflanzen bestückte Mauern versperren den Blick auf die Areale.

Babayev blieb der Umweltthematik treu, als er 2010 Parlamentsabgeordneter wurde. Für die Regierungspartei „Neues Aserbaidschan“ gehörte er dem Ausschuss für natürliche Ressourcen, Energie und Ökologie an, bevor er 2018 zum Umweltminister ernannt wurde. 

Seine Hauptaufgaben blieben die Beseitigung historischer Klimaschäden und die Verringerung der Umweltverschmutzung. Neben der seit mehr als 100 Jahren bestehenden Ölförderung gibt es im Land eine bedeutende Chemie­industrie; auch Gold und Kupfer werden hier abgebaut, ohne dass harte Umweltstandards umgesetzt würden. Wasserknappheit und der sinkende Wasserspiegel des Kaspischen Meeres werden vor allem in den steppenartigen Gebieten des Landes zum Problem.

In die Öffentlichkeit geriet Babayev im Sommer 2023, als die Bewohner eines Dorfes in der Region Gadabay gegen den Betreiber einer Goldmine protestierten. Sie beklagten die Kontamination ihres Dorfes und ihrer Felder mit hochgiftigen Rückständen aus der Goldgewinnung. Nachdem die Polizei den Protest brutal niedergeschlagen und das Dorf abgeriegelt hatte, erklärte Babayev dem Exilmedium Meydan TV zufolge, dass die Schadstoffgrenzwerte im Dorf und der Umgebung nicht überschritten würden. Später übte Staatspräsident Ilham Alijew jedoch Kritik am Minenbetreiber und ordnete eine Untersuchung an. Eine Kommission unter Babayev kam dann zu dem Schluss, dass das Unternehmen Vorschriften verletzt und notwendige Zustimmungen nicht eingeholt habe. 


Es bleibt in der Familie

Als designierter COP-Präsident tritt Babayev nun als das umweltfreundliche Gesicht seines Landes auf, das sich immer mehr zu einer Familiendynastie ohne Opposition und unabhängige Medien entwickelt. Ilham Alijew folgte als Präsident seinem Vater Heydar nach, der 1969 an die Spitze der damaligen Sowjetrepublik Aserbaidschan gelangt war. 2003 übernahm sein Sohn Ilham, dessen Ehefrau Mehriban Alijewa ist als Erste Vizepräsidentin die zweitmächtigste Person im Staat.

Die Führung des Landes ist stark durch Clanstrukturen und Korruption geprägt, wobei die Alijews einem traditionell einflussreichen Clan aus der Exklave Nachitschewan angehören. Über die Jahre gelang es Ilham Alijew und seiner Frau, mächtige Konkurrenten innerhalb des Machtgefüges zu schwächen und ihre eigene Stellung zu sichern. Auch weil Korruption und Vetternwirtschaft Infrastrukturausbau und Auslandsinvestitionen gefährdeten, wurden in den vergangenen Jahren wichtige Leitungspositionen mit Fachleuten besetzt. 

Umweltminister Babayev ist, seiner Herkunft und seinem Werdegang nach zu schließen, diesen Technokraten innerhalb der aserbaidschanischen Führung zuzuordnen.

In seinen zahlreichen öffentlichen Auftritten folgt Babayev ganz der Linie Alijews, an dessen Präsidialverwaltung die Organisation der UN-Klimakonferenz angedockt ist. In Gesprächen zeigt er sich Teilnehmern zufolge interessiert, lernbereit und kompetent in Klimafragen. Babayev steht einem großen Team mit diplomatischen Beauftragten für verschiedene Themenbereiche vor, darunter Hauptverhandlungsführer Yalchin Rafiyev, der eher hinter den Kulissen aktiv ist. 

Auf Babayevs Fähigkeiten zum Aushandeln von Kompromissen wird es vor allem in den letzten Tagen und Stunden der Konferenz Ende November ankommen; einer Konferenz, die Aserbaidschan vor eine logistische Herausforderung stellt. Nicht nur, weil Zehntausende Gäste in Baku erwartet werden, sondern auch, weil angesichts eines verzögerten Entscheidungsprozesses nur elf Monate statt wie üblich zwei Jahre zur Vorbereitung blieben.


Mäßig ambitioniert

Aserbaidschan präsentiert sich im Rahmen der COP vergleichsweise bescheiden, eher als Moderator und Bereitsteller denn als Verfechter ehrgeiziger Klimaziele – die aber angesichts der angespannten Lage weltweit ohnehin unrealistisch sind.

Babayev beschrieb Aserbaidschan in einem Gastbeitrag für den Guardian als „Brücke“, um die unterschiedlichen Bestrebungen des Globalen Nordens und des Südens wieder miteinander in Verbindung zu bringen. Ein Thema ist die Finanzierung und Bereitstellung grüner Technologien für Entwicklungsländer, damit diese auf klimaschädliche Energieproduktion verzichten. An solchen Investitionen ist auch die aserbaidschanische Führung selbst sehr interessiert, da die Ölquellen absehbar versiegen werden und die Gasförderung im Kaspischen Meer aufwändig und teuer ist, während Wind und Sonne zur Energiegewinnung reichlich vorhanden sind. 

Ein zweiter Aspekt sind Gelder für die Bekämpfung von Zerstörungen in besonders vom Klimawandel betroffenen Ländern. Das passt gut zu einer Außenpolitik, bei der sich Aserbaidschan als Anwalt des Globalen Südens gegenüber dem Norden gibt. Besonders aggressiv tritt Baku gegenüber Frankreich auf, dem es Neokolonialismus vorwirft – dies vor allem, seit die französische Regierung 2023 Aserbaidschans verfeindetem Nachbarn Arme­nien die Lieferung von Militärgütern zugesagt hat.

Zurückhaltend ist Aserbaidschan dagegen bei konkreten Zielen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes, und das hat seine Gründe. Zwar arbeitet man an der Errichtung von Solar- und Wind­energieanlagen, weitet aber zugleich Förderung und Export von Gas aus – auch als Teil einer Vereinbarung, die Alijew 2022 mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen getroffen hat. Inzwischen deckt aserbaidschanisches Gas etwa 5 Prozent des Bedarfs in der EU. Per Vertrag mit dem Unternehmen Uniper ist aserbaidschanisches Gas auch für Deutschland verfügbar.

Für die Dauer der Konferenz ruft Aserbaidschan zu einem weltweiten Waffenstillstand auf – höchst ambitioniert angesichts von Russlands Krieg gegen die Ukraine und der Lage in Nahost. Zudem gibt es in den Verhandlungen über ein Friedensabkommen mit Armenien seit Wochen keinen Fortschritt, obwohl die armenische Regierung darauf dringt, wenigstens bereits vereinbarte Prinzipien zu unterzeichnen, während Alijew immer neue Forderungen an Armenien stellt. 

Und dann wurde kürzlich auch noch der aserbaidschanische Wissenschaftler und Friedensaktivist Bahruz Samadov unter dem Vorwurf des Landesverrats in U-Haft genommen. Als Grund wurden unter anderem Kontakte zu Friedensaktivisten aus Armenien angegeben. Das nährt nicht nur Befürchtungen, dass Alijew den Frieden mit Armenien nicht ernst meinen könnte. Es stärkt auch Kritiker, die mit Einschränkungen für Beobachter und Journalisten während der Konferenz rechnen. 

Für Babayev könnte die Konferenz zu einem Spagat werden, den er offensichtlich seit Langem versucht – seinen Einsatz für die Umwelt mit den Zielen der Präsidentenfamilie in Übereinstimmung zu bringen.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2024, S. 9-11

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Silvia Stöber  ist auf den postsowjetischen Raum spezialisiert. Sie ist Redakteurin im Ressort Investigativ der Tagesschau und Autorin für weitere Medien in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

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