Titelthema

02. Sep 2024

Klima der Ungleichheit

Wenn der Globale Norden die Erderwärmungeffektiv bekämpfen möchte, muss er dem Süden zu mehr Klimaresilienz verhelfen. Konkret bedeutet das, finanzielle Verantwortung zu übernehmen. Ein Plädoyer für gelebte globale Klimasolidarität.

Bild
Bild: Dürre in Namibia
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten

Dass die Länder des Globalen Nordens historisch gesehen die Hauptverursacher der emittierten Treibhausgase sind, ist allgemein bekannt. Ebenso klar ist, dass die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf Wirtschaft, Sicherheit und Umwelt überproportional von den Ländern mit den geringsten Emissionen, also vor allem den Entwicklungsländern, getragen werden. Diese Unverhältnismäßigkeit lässt sich im Wesentlichen darauf zurückführen, dass diese Länder weder über eine ausreichend klimaresiliente Infrastruktur noch über die notwendigen Ressourcen zur Bewältigung klimabedingter Katastrophen verfügen. Häufig reichen die Mittel noch nicht einmal dafür aus, sich von den Folgen eines extremen Wetterereignisses zu erholen und entsprechende Wiederaufbaumaßnahmen zu finanzieren. 

Dies ist nicht nur die Realität in den ärmsten Staaten dieser Welt, sondern mittlerweile auch in Ländern mit mittlerem Einkommen. Trotz dieser eindeutigen Ungleichheit der Klimakrise ist die Frage der finanziellen Verantwortung immer wieder Knackpunkt bei Debatten innerhalb der offiziellen Strukturen der UN-Klimarahmenkonvention sowie bei vielen anderen Klimakonferenzen und Foren.

Das Thema Klima-Ungleichheit lässt sich aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Die erste ist die des CO2-Budgets. Über zwei Jahrhunderte hinweg wurde die von westlichen Ländern dominierte globale Wirtschaft nahezu ausschließlich mit fossilen Brennstoffen betrieben. Da Treibhausgase, insbesondere Kohlendioxid und Distickstoff­oxid, langlebig sind und sich über Jahrhunderte hinweg ansammeln, es jedoch keine ausreichend ­wirksamen Technologien zur Speicherung oder Zersetzung von CO2 (Carbon Capture and Storage, CCS) gibt, haben die zu Beginn der ersten industriellen Revolution entstandenen Treibhausgase auch heute noch negative Auswirkungen. Außerdem sind in der Zwischenzeit neue Staaten aus dem Globalen Süden hinzugekommen, die den globalen CO2-Ausstoß massiv in die Höhe getrieben haben. Dazu zählen vor allem China und Indien. 

Daten aus dem Jahr 2017 zeigen, dass Nordamerika und Europa zu diesem Zeitpunkt 62 Prozent der kumulativen globalen CO2-Emissionen zu verantworten hatten. Da sich die Weltgemeinschaft bislang nicht auf ein globales Abkommen mit verpflichtenden Emissionszielen für Staaten einigen konnte, müssen wir uns auf freiwillige sogenannte Nationale Klimaschutzbei­träge (Nationally Determined Contributions, NDCs) verlassen. Doch selbst diese Beiträge sind wenig ambitioniert.

Zudem haben globale Schocks – vor allem der Krieg in der Ukraine – dazu beigetragen, dass bereits gereifte Ideen wie ein schnellerer Ausstieg aus den fossilen Energieträgern wieder ins Wanken geraten sind. Die rasche Rückkehr zu Kohle in Europa, mit der eine drohende Energiekrise nach dem Importstopp von russischem Gas abgewehrt werden sollte, führte beispielsweise zu einer Verlagerung der Wertschöpfungsketten zurück zu fossilen Brennstoffen. So hat sich die kurzfristige Nachfrage nach Kohle, insbesondere in Europa, zuletzt trotz des Ausbaus der Erneuerbaren und der Verbreitung von Elektrofahrzeugen wieder erhöht. 

Auch die Ölnachfrage hat sich stabilisiert. Mittlerweile investieren viele große Ölkonzerne wieder in herkömmliche Produktionsbereiche, während ihre Investitionen in erneuerbare Energien seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges deutlich abgenommen haben. Ein großer Teil dieser Investitionen fließt in Öl- und Gasfelder im Globalen Süden und stärkt dort den Einfluss von Energiekonzernen, die sich fossilen Brennstoffen verschrieben haben.

Somit wird die Abkehr von nicht erneuerbaren Energiequellen maßgeblich von multina­tionalen Unternehmen aus dem Globalen Norden verzögert. Indem diese weiter in fossile Brennstoffe investieren, verhindern sie in Entwicklungsländern womöglich einen schnellen Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft. 


Humanitäre Dimension 

Ein zweiter Blickwinkel in der Debatte über Klima-Ungleichheit ist der humanitäre. Die akuten Auswirkungen des Klimawandels zeigen sich in Form von extremen Wetterereignissen wie Dürren, Überschwemmungen, massiven Stürmen und Waldbränden. Im südlichen Afrika kämpfen in diesem Jahr mehrere Länder mit Dürren infolge des Wetterphänomens El Niño, verstärkt durch die Folgen des Klimawandels. Simbabwe hat deshalb im April eine Ernährungskrise ausgerufen. Rund sechs Millionen Menschen sind dort akut in Not geraten. In Südafrika gab es verheerende Überschwemmungen und einen seltenen Tornado-ähnlichen Sturm. 

Nachrichten über extreme Wetter­ereignisse wie diese erreichen uns mittlerweile aus der ganzen Welt. Der entscheidende Unterschied zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden ist jedoch die Fähigkeit, sich gegen solche Ereignisse zu schützen beziehungsweise die notwendigen Institutionen und Investitionen zur Katastrophenbekämpfung ­bereitzustellen. Zudem bremst die steigende Zahl von Klimakatastrophen im Norden die potenzielle Katastrophenhilfe im Süden. 

Studien zeigen, dass die globale mittlere Oberflächentemperatur im Jahr 2023 um 1,48 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau lag. Sehr wahrscheinlich werden wir noch in diesem Jahrzehnt ein Jahr mit 1,5 Grad Celsius erleben. Die Auswirkungen unzureichender Investitionen in die Klimaanpassung werden dann noch verheerender sein. Die Menschen in Küstenstädten werden sowohl mit dem Anstieg des Meeresspiegels als auch mit extremen Stürmen konfrontiert sein, weil der Anstieg der Meeresoberflächentemperatur energiereiche Wetterphänomene wie Hurrikane, Taifune und Zyklone begünstigt. Die Versauerung der Meere beeinträchtigt zudem bereits heute die Fähigkeit der Ozeane, als wirksame Kohlenstoffsenken zu fungieren, und beschleunigt die sogenannte Korallenbleiche, die wiederum Fischbestände und damit auch die Grundlage der globalen Fischereiindustrie bedroht. 

In allen wichtigen Infrastrukturbereichen, einschließlich des Verkehrs, der Wasserversorgungs- und der Energiesysteme, braucht es umfangreiche Investitionen, um einigermaßen klimafest zu werden. In vielen Entwicklungsländern sind Investitionen in diesem Ausmaß jedoch ohne die direkte finanzielle Unterstützung von Industrieländern fast unmöglich.


Eine Frage der Sicherheit

Drittens hat Klima-Ungleichheit auch eine Sicherheitsdimension. Denn ein im Stich gelassener Globaler Süden wird in Zukunft mit noch größeren Krisen konfrontiert sein als ohnehin schon. Die Auswirkungen dieser Krisen werden jedoch nicht an den Grenzen der Industrieländer haltmachen – Stichwort Migration. 

Laut Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) könnten zur Jahrhundertwende mehr als zwei Milliarden Menschen aufgrund von klimabedingter Umweltzerstörung zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen sein. Zwar wird ein Großteil dieser Menschen innerhalb ihrer eigenen Regionen und Länder fliehen. Dennoch werden viele unweigerlich versuchen, dorthin auszuwandern, wo die wirtschaftlichen Aussichten besser sind: in die Länder des Globalen Nordens. Insbesondere die Migrationsströme aus Südamerika nach Nordamerika und aus Afrika nach Europa dürften in diesem Szenario massiv zunehmen. Auch deshalb ist es unerlässlich, in die Klimaresilienz des Globalen Südens zu investieren. Denn nur so kann dort eine nachhaltige und sichere Lebensgrundlage für Menschen geschaffen werden. 

Ohne eine Nord-Süd-Allianz könnte der Globale ­Süden künftig verstärkt auf fossile Brennstoffe setzen

Ein wichtiger Aspekt sind vor diesem Hintergrund auch Konflikte. So hat der Friedens- und Sicherheitsrat der Afrikanischen Union (AU) bereits anerkannt, dass der Klimawandel mit Blick auf bewaffnete Auseinandersetzungen ein Bedrohungsmultiplikator ist. Insbesondere die durch den Klimawandel verstärkte Ressourcenknappheit schafft die materiellen Voraussetzungen für lokale Konflikte, die das Potenzial haben, auf die nationale und sogar auf die internationale Ebene überzugreifen. Zudem können unter diesen Bedingungen auch extremistische und fundamentalistische Bewegungen an Einfluss gewinnen.

Der offensichtlichste Lösungsansatz ist der Ausbau der Nord-Süd-Partnerschaft, um den betroffenen Ländern eine schnellere Entwicklung hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft und mehr Klimaresilienz zu ermöglichen. 

Sollte eine solche Allianz nicht zustande kommen, dann könnte sich der Globale Süden künftig dazu gezwungen sehen, verstärkt auf fossile Brennstoffe zu setzen, um die Bedürfnisse der Wirtschaft zu stillen und Krisenbewältigung zu leisten. Gerade in Afrika, das über Öl- und Gasvorkommen im Wert von zehn Billionen US-Dollar und über äußerst wertvolle Kohlevorkommen verfügt, wäre ein solches Szenario wahrscheinlich – und hätte womöglich verheerende Konsequenzen: Denn sollte sich der Kontinent tatsächlich auf einen radikalen Industrialisierungspfad nach dem historischen Vorbild der Industrienationen versteifen, dann könnte der Anteil Afrikas an den globalen Emissionen von derzeit 4 auf bis zu 40 Prozent ansteigen. In diesem Fall müsste die Menschheit schleunigst Strategien entwickeln, um mit einer Erderwärmung von vier Grad Celsius oder mehr zu leben.


Globale Klimasolidarität leben 

Der Klimawandel ist eine globale Krise. Dementsprechend bedarf es globaler Klimasolidarität, um kohlenstoffarme Wirtschaftszweige auszubauen und sicherzustellen, dass die Welt klimaresilienter wird. Die dazu passende Lebensphilosophie ließe sich mit dem Begriff „Klima-Ubuntu“ beschreiben. Das Wort „Ubuntu“ existiert in vielen Bantusprachen des südlichen Afrikas und beschreibt die enge Interdependenz der Menschen. Wörtlich übersetzt bedeutet es „Ich bin, weil wir sind“.

In der heutigen Welt leben vor allem die Länder des Globalen Nordens im Wohlstand. Allein das sollte Grund genug sein, mehr Ressourcen für den Globalen Süden bereitzustellen, um dort ein höheres Maß an Klimaresilienz zu erreichen. Die Verantwortung für die Klimakrise, an der der Globale Norden – zumindest mit Blick auf die globalen Treibhausgasemissionen – einen Anteil von 62 Prozent hat, sollte ein weiterer triftiger Grund sein.

Aus dem Englischen von Kai Schnier          

Für Vollzugriff bitte einloggen.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special 5, September/Oktober 2024, S. 22-25


 

Teilen

Dhesigen Naidoo ist Senior Researcher am Institute for Security Studies (ISS) in Pretoria, Südafrika.

 

0

Artikel können Sie noch kostenlos lesen.

Die Internationale Politik steht für sorgfältig recherchierte, fundierte Analysen und Artikel. Wir freuen uns, dass Sie sich für unser Angebot interessieren. Drei Texte können Sie kostenlos lesen. Danach empfehlen wir Ihnen ein Abo der IP, im Print, per App und/oder Online, denn unabhängigen Qualitätsjournalismus kann es nicht umsonst geben.