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01. März 2015

Kleines Wirtschaftslexikon Japan

Arbeit ohne Ende
Bevölkerungsentwicklung
Dreifach-Katastrophe
Innovation
Nikkei 225
Prüfungshölle
Zuwanderung
 

Arbeit ohne Ende

➞ Disziplin, Loyalität, Harmonie: Die buddhistisch und konfuzianisch geprägte Gesellschaft Japans hat ihr ganz eigenes Arbeitsethos entwickelt, das sich vom westlichen deutlich unterscheidet.

Wie in vielen anderen asiatischen Ländern dominiert auch in Japan das konfuzianische Konzept der „Harmonie“, des friedlichen Miteinanders, das gesellschaftliche Zusammenleben. Als Harmonie wird das Funktionieren eines großen Ganzen verstanden: Indem jeder sein Bestes gibt, funktioniert die Gruppe. Diese Gruppe wird nicht als Ansammlung von Individuen gesehen, sondern als „kooperative Leistungseinheit“, als eine Art Familie.

Das gilt auch und besonders für die Arbeitswelt. „Wenn man seine Arbeit liebt, dann geht man für den Rest seines Lebens keinen Tag mehr zur Arbeit“, heißt es bei Konfuzius. Loyalität, Fleiß und Disziplin sind die Kernelemente dieses Arbeitsethos. Es wird zu nicht geringem Teil dieser Arbeitsmoral zugeschrieben, dass Japan nach dem Zweiten Weltkrieg einen beeindruckenden ökonomischen Aufschwung erlebte – das viel beschworene japanische Wirtschaftswunder.

Von den individualisierten Personalpolitiken europäischer Unternehmen unterscheidet sich das japanische Arbeitsethos neben anderem durch den Gedanken des „shushin koyo“, der lebenslangen Beschäftigung. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, seine gesamte Arbeitskraft dem Unternehmen zu widmen, während das Unternehmen zusichert, ihm stets Beschäftigung und Lohn zu bieten. Diese Praxis ist nicht rechtlich, sondern durch Konventionen geschützt – und „lebenslang“ bedeutet in vielen Fällen auch schlicht „sehr langfristig“.

Die Entlassung eines Arbeitnehmers gilt als Bruch des Vertrauensverhältnisses, als moralische Verfehlung. Selbst viele Kleinunternehmer, die sich eine lebenslange Beschäftigung ihrer Angestellten gar nicht leisten können, lassen ihre Firma in einer Krisensituation lieber pleite gehen und fangen mit einem niedrigeren Personalbestand neu an, als Arbeitnehmer zu entlassen – mit der Folge, dass nicht nur die Zahl von Neugründungen japanischer Kleinunternehmen überdurchschnittlich hoch ist, sondern auch die der Zusammenbrüche.

Da die Mitarbeiter sich in einer ähnlichen moralischen Verantwortung sehen, sind sie in der Regel vergleichsweise flexibel und kompromissbereit, wenn es etwa um Lohnkürzungen geht. Ihre Motivation beziehen sie aus einer Grundhaltung, die sich mit dem japanischen Begriff „kaizen“ beschreiben lässt. Er bedeutet, frei übersetzt, „Handlung/Veränderung“ (kai) zum „Besseren“ (zen). Es geht darum, etwas Besseres zu schaffen als das bereits Vorhandene.

Mit der Verinnerlichung des „kaizen“-Prinzips verpflichten sich alle Mitarbeiter dazu, regelmäßig ihre Arbeitsergebnisse zu kontrollieren und, wenn nötig, zu verbessern. Urlaub, Pausen und lange Wege zur Arbeit gelten als Vergeudung wertvoller Zeit. Kein Wunder, dass unbezahlte Überstunden, Arbeit während der Urlaubszeit, unbezahlte „freiwillige“ Arbeit sowie die Übernahme formeller und informeller Ämter außerhalb der Arbeitszeit gang und gäbe sind. Und dass Japan im Vergleich mit anderen Industrienationen längere Arbeitszeiten aufweist: Im Jahr 2013 arbeitete ein japanischer Arbeitnehmer im Schnitt 1735 Stunden, ein deutscher Arbeitnehmer kam lediglich auf 1489 Stunden.   
 
Die Schattenseite des japanischen Arbeitsethos ist das, was man auf Japanisch als „karoshi“ bezeichnet – ein plötzlicher, stressbedingter Tod auf der Arbeitsstelle. Der erste offizielle Fall wurde 1969 gemeldet. Damals starb ein 29-jähriger Angestellter einer Tageszeitung während der Arbeit an einem Herzinfarkt.

Jährlich erkennen Japans Behörden etwa 150 Fälle von „karoshi“ an. Es wird jedoch eine beträchtliche Dunkelziffer vermutet. Die Opfer sterben an Herzinfarkten, Gehirnblutungen oder Schlaganfällen, deren Ursache Überarbeitung ist. Auch viele Fälle von Depressionen und Burn-out werden unter dem Begriff zusammengefasst.

Seit dem Beginn der Wirtschaftskrise Anfang der neunziger Jahre wurde das japanische Arbeitsethos in seinen Grundfesten erschüttert; es kam zu einer ganzen Reihe von Massenentlassungen. Seitdem ist ein Trend hin zu einer flexibleren und enthierarchisierteren Personalpolitik zu beobachten – bis hin zu den zuvor für Japan untypischen Kurzarbeitsverträgen. Wenn es darum geht, am globalisierten Weltmarkt mithalten zu können, wird es immer schwerer, weiter an den traditionellen japanischen, gruppenorientierten Strukturen festzuhalten.

Bevölkerungsentwicklung

➞ Japan altert, der Nachwuchs bleibt aus. Die Regierung Abe müht sich, die Einwohnerzahl bis 2060 über der 100-Millionen-Marke zu halten. Vielleicht wird Japan aber auch das erste Land sein, das auf hohem Niveau immer kleiner wird.

Mit einer Lebenserwartung von 81  Jahren (Männer) und von 87  Jahren (Frauen) steht Japan seit langem weltweit an der Spitze – Zeichen einer guten medizinischen Versorgung und wohl auch einer gesunden Ernährungsweise. Gleichzeitig befindet sich die Geburtenrate seit Mitte der siebziger Jahre unter dem Niveau, das für eine gleichbleibende Bevölkerungsgröße notwendig wäre. Heute liegt sie mit 1,4 Geburten pro Frau ähnlich niedrig wie in Deutschland. Seit 2008 sterben jedes Jahr mehr Menschen als geboren werden.

Und das wird sich beschleunigt fortsetzen: Von 128 Millionen im Jahr 2008 wird die Bevölkerungszahl bis 2060 auf 87  Millionen sinken, ein Drittel weniger als heute. Die Zuwanderung nach Japan ist so überschaubar, dass sie diesen Rückgang nicht kompensieren oder auch nur abmildern kann. Die Vereinten Nationen haben im Jahre 2000 ein Szenario vorgelegt, wonach Japan bis 2050 jährlich 380 000 Zuwanderer benötigt, um seine Bevölkerung auf dem Stand von 1995 zu halten, und sogar 600 000 Zuwanderer jedes Jahr, um die Gesamtzahl der Erwerbsbevölkerung zu erhalten. Das ist völlig unrealistisch. Zuwanderung wird auf mittlere Sicht den demografischen Prozess in Japan nicht beeinflussen.

Das stellt Japan vor zwei große Herausforderungen: Man muss die Verringerung der Bevölkerungszahl managen. Kommunen müssen die administrative, wirtschaftliche und soziale Infrastruktur, die seit Ende des Zweiten Weltkriegs ausschließlich auf Wachstum ausgerichtet war, an weniger Einwohner anpassen.

Städtische Dienstleistungen im bisherigen Umfang werden zu teuer, Steuereinnahmen sinken, Schulen müssen zusammengelegt oder geschlossen werden, neue Nutzungskonzepte müssen gefunden werden. Ganze Straßenzüge werden von verlassenen Ladengeschäften gesäumt. Die Wege zum Einkauf oder ins Krankenhaus werden dadurch länger, der Individualverkehr nimmt zu – solange die Senioren noch mit dem Auto fahren können.

All dies erfordert ein grundlegendes Umdenken in Politik und Verwaltung, insbesondere im ländlichen Raum. Denn gerade die jungen Menschen wandern in die Städte ab, wo sie bessere Berufsperspektiven vorfinden. Während die großen Städte, allen voran Tokio, fürs Erste noch wachsen werden, erleben kleinere Städte zum Teil bereits eine dramatische Ausdünnung. Die einstige Kohlestadt Yubari auf Hokkaido etwa hat in 50 Jahren 90 Prozent ihrer Einwohner verloren und musste 2007 Konkurs anmelden. Seither wurden einige radikale Maßnahmen ergriffen, eine neue Fabrik angesiedelt und allmählich eine Stabilisierung erreicht – als kleine Stadt.

Die zweite große Herausforderung aus dem demografischen Wandel ergibt sich aus der Tatsache, dass der absolute Bevölkerungsrückgang mit einer dramatischen Verschiebung der Altersstruktur einhergeht: Es wird viel weniger Kinder und deutlich weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter geben. Die einzige Altersgruppe, die zumindest bis etwa 2040 noch wächst, ist die der Älteren. Ist heute jeder vierte Japaner älter als 65 Jahre, wird es 2030 schon jeder dritte sein. Und innerhalb dieser Gruppe wird die Zahl der über 75-Jährigen am stärksten wachsen.

Die Verschiebung der Altersstruktur hat erhebliche Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme und den Arbeitsmarkt. Japan hat ein ähnlich umfassendes Sozialversicherungssystem wie Deutschland mit einer Kombination aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen, Steuerzuschüssen und Eigenbeiträgen der Versicherten. Seit 2000 gibt es eine gesetzliche Pflegeversicherung.

Die Kosten für diese Systeme werden weiter steigen. Schon jetzt wird der größte Teil der Sozialausgaben für die Alten aufgewendet. Etwa zwei Drittel des Sozialbudgets fließen in Renten, Pflegeversicherung und Krankenversicherungen. Dort sind die 60- bis 64- und die über 75-Jährigen in gesonderten Kassen versichert, die schon jetzt auf hohe staatliche Zuschüsse angewiesen sind.

Die Finanzierung basiert auf einem Umlageverfahren; die kleiner werdende Generation von Beitragszahlern muss eine wachsende Generation von Leistungsempfängern finanzieren. Kommen heute noch etwa drei Erwerbstätige auf einen Rentner, werden es 2030 nicht einmal zwei sein. Um die finanziellen Lasten der Versicherten zu dämpfen, sollen daher die Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung in die soziale Sicherung fließen.

In Japan droht zudem ein Arbeitskräftemangel, nachdem die geburtenstarken Jahrgänge (1947–1949) in den Ruhestand gegangen sind. In einigen Bereichen ist der Mangel bereits spürbar, etwa in der Bauindustrie, die durch den Wiederaufbau im Erdbebengebiet Tohoku und zur Vorbereitung der Olympischen Spiele 2020 in Tokio derzeit einen erheblichen Bedarf hat. Aber auch einige Billigrestaurants mussten ihre Öffnungszeiten einschränken, weil sie nicht genügend Arbeitskräfte finden.

Pflegekräfte werden ebenfalls gebraucht. Prinzipiell dürfen Pflegekräfte aus Indonesien und den Philippinen im Rahmen von Freihandelsabkommen in Japan arbeiten; doch kaum jemand besteht die hohen Anforderungen wie etwa das japanische Sprachexamen.
Wie in Deutschland setzt die Politik in Japan auf ein Bündel von Maßnahmen, um die Folgen des demografischen Wandels abzufangen. Um den Arbeitsmarkt zu unterstützen, setzt man auf das Ausschöpfen einheimischer Potenziale, auf ältere Arbeitnehmer und Frauen. Eine „Rente mit 67“ ist bislang zwar nicht vorgesehen, Unternehmen werden aber angehalten, älteren Beschäftigten eine längere Tätigkeit zu ermöglichen. Zudem soll das Betriebsrentenalter, das häufig noch bei 60 liegt, schrittweise auf 65 Jahre angehoben werden.

Vor allem aber setzt die Abe-Regierung auf die Frauen. Frauen sollen weniger bzw. kürzere familienbedingte Unterbrechungen haben, mehr Arbeitsstunden und mehr Verantwortung übernehmen können. Ziel ist ein Anteil von 30 Prozent Frauen in Führungspositionen bis 2020 – ohne gesetzliche Quote, sondern durch Selbstverpflichtungen der Unternehmen. Im Gegenzug soll die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert werden. So wird der Ausbau der Kinderbetreuung forciert, um berufstätige Mütter zu entlasten; Erziehungszeiten sollen auch von Vätern genutzt werden.

An der grundlegenden Arbeitskultur in japanischen Unternehmen (vor allem den langen Arbeitszeiten) kann die Politik jedoch kaum etwas ändern, was eine gemeinsame, gleichberechtigte Übernahme der Familien- und Erwerbsarbeit von Männern und Frauen weiterhin erschweren dürfte. Ein solcher Prozess erfordert ein umfassendes Umdenken in allen Bereichen – und wohl auch viel Zeit.

Hinzu kommt, dass es in Japan bislang weder eine spezifische Familienpolitik noch ein Familienministerium gibt. Die Zuständigkeiten sind auf verschiedene Ressorts verteilt, und im Cabinet Office ist ein Ministerium neben der „regulatory reform“ auch für die „measures for the sinking birth rate“ und die „gender equality“ zuständig.

Auch die Revitalisierung der Regionen wurde von der Abe-Regierung zu einem Kernthema ernannt und dafür ein neues Ministerium für die „National Strategic Special Zones“ eingerichtet – ebenfalls innerhalb des Cabinet Office. Hierbei dürfte die Tatsache, dass in mehreren Präfekturen Wahlen anstehen, eine Rolle gespielt haben. Sinnvoll ist eine strategische Heran­gehensweise dennoch.
 

Dreifach-Katastrophe

➞ Das Erdbeben, der Tsunami und das Reaktorunglück, die Japan im März 2011 trafen, waren eine Jahrhundertkatastrophe – ein Desaster mit verheerenden Folgen auch für die Wirtschaft des Landes.

Am 11. März 2011 um 14.46 Uhr Ortszeit (6.46 Uhr MEZ) kam es vor der Ostküste der Insel Honshu zum „Tohuko-Beben“, dem stärksten in der jüngeren Geschichte Japans. In kürzester Zeit wurde ein Wasservolumen von schätzungsweise 125 Kubikkilometern bewegt, was einen Tsunami auslöste, der zwischen 15.27 und 15.41 Uhr Ortszeit mit einer Maximalhöhe von 14 Metern auf das Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi traf.

Die Sicherheitsvorkehrungen in Fukushima waren lediglich auf Tsunamis mit einer Höhe von 5,20 Meter ausgelegt. Nach dem Zusammenbruch des Stromnetzes infolge des Erdbebens fiel nun auch die Notstromversorgung des Kraftwerks aus. Es kam zu einer Überhitzung und in deren Folge zu einer chemischen Reaktion an den Hüllen der Brennstäbe. Die daraus resultierende Explosion zerstörte die Gebäude der Blöcke eins und drei, verursachte eine Kernschmelze und setzte erhebliche Mengen an radioaktiven Stoffen, so genannte Radionuklide, frei – ein Unfall, der später auf der höchsten Stufe der International Nuclear and Radiological Event Scale (INES) eingeordnet wurde. Hunderttausende Menschen mussten wegen der Gefahr radioaktiver Verstrahlung evakuiert werden. Zudem gelangte hochkontaminiertes Wasser in den Pazifik.    

Die offizielle Opferzahl durch das Beben und den darauffolgenden Tsunami wurde später mit rund 18 000 angegeben. „Das ist die schlimmste Katastrophe in Japan seit 1945“, verkündete der damalige Premierminister Naoto Kan am 12. März 2011 unter Tränen in einer Fernsehansprache. Seine Regierung musste nach heftiger Kritik an ihrem Krisenmanagement zurücktreten.

Die wirtschaftlichen Folgen der Dreifach-Katastrophe waren erheblich. Die Entsorgungsarbeiten werden voraussichtlich bis zu 40 Jahre dauern, die Kosten werden auf über 180 Milliarden Euro geschätzt. Japans Staatsverschuldung stieg auf über 200 Prozent des BIP. Neben zerstörten Produktionsanlagen und Infrastruktur ist auch die anhaltende erhöhte radioaktive Strahlung ein erhebliches wirtschaftliches Problem. Viele Lebensmittel weisen bis heute so hohe Cäsium-Werte auf, dass sie nicht verkauft, geschweige denn exportiert werden können. Auch die gesundheitlichen und sozialen Folgen dauern bis heute an. Um Schädigungen der Schilddrüse frühzeitig zu erkennen, werden 360 000 Kinder, die zum Zeitpunkt des Unglücks in der Präfektur Fukushima lebten und die jünger als 18 Jahre waren, regelmäßig medizinisch untersucht.

Das Vertrauen in die Atomkraft, mit der Japan vor der Katastrophe knapp ein Drittel seines Energiebedarfs deckte (siehe auch den Beitrag von Detlev Rehn auf Seite 24), sank seit dem Unglück stark. Die Regierung Kan hatte unmittelbar danach einen völligen Atomausstieg beschlossen und 50 Kraftwerke stillgelegt. Premierminister Shinzo Abe legte jedoch im April 2014 einen Energieplan vor, in dem die Atomenergie wieder eine zentrale Rolle spielt. Im November 2014 wurden zwei Reaktoren des Kernkraftwerks von Sendai erneut in Betrieb genommen.

Innovation

➞ Walkman, Hochgeschwindigkeitszug, Game Boy: Einst eroberten japanische Erfindungen reihenweise die Weltmärkte. Heute muss Japan um seine Erneuerungsfähigkeit kämpfen.

Die internationalen Gäste der Olympischen Sommerspiele in Tokio 1964 waren beeindruckt. Weniger als 20 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg war Japan auf dem Weg, eine der führenden Wirtschaftsnationen zu werden. Der blau-weiße Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen, der als erster seiner Art die Städte Tokio und Osaka verband, wurde zum Symbol eines „Wirtschaftswunders“, das dem deutschen nicht unähnlich war.

In den beiden folgenden Jahrzehnten beglückte Japan die Welt mit zahlreichen innovativen Produkten; auch die deutsche Wirtschaft eiferte dem „Toyotismus“ mit seiner Just-in-Time-Produktion und den „kaizen“, den ständigen Verbesserungszyklen, nach. Japan war Vorbild.

Heute ist das Land die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Erde. „Seit 1990 allerdings“, sagt der Harvard-Professor Clay Christensen, „hat Japan nur eine einzige marktschaffende Innovation entwickelt: die Nintendo Wii.“ Der Global Innovation Index 2014 führt Japan auf Rang 21 von 143 Staaten, deutlich hinter Singapur, Hongkong und Südkorea, den Konkurrenten aus der Region. Was ist aus der japanischen Innovationsfähigkeit geworden?

Als das Land noch boomte, war es für Entwickler leicht, die Geldtöpfe der Investoren anzuzapfen. Doch seit 20 Jahren stagniert die Wirtschaft und Investoren sind nur noch selten bereit, Geld in neue Ideen zu stecken. Auch in den großen Unternehmen tendieren die Manager dazu, vor allem an kurzfristige Kosten zu denken und nicht an Innovationen, die sich womöglich erst langfristig rentieren.

Zu lange haben die japanischen Hightech-Konzerne auf die Verbesserung von bestehenden Produkten gesetzt statt auf echte Innovation, meint Yasuhisa Itoh, Manager bei Sharp. Immer bessere Fernseher, immer bessere Bildqualität – dieses Geschäftsmodell stieß bald an seine Grenzen. Viele Kunden bevorzugten die billigere Konkurrenz aus Südkorea. 2011 und 2012 machte Sharp fast acht Milliarden Dollar Verlust.

Mittlerweile hat man begonnen umzudenken. Firmen wie Sharp, Sony, Hitachi und andere haben massive Umstrukturierungen vorgenommen und verlustreiche Sparten abgestoßen. So zog sich Panasonic im vergangenen September nach 40 Jahren aus der Gesundheitsbranche zurück. Anstelle des gesättigten Marktes für Fernseher konzentrieren sich die Firmen stärker auf den Automobilsektor. Hier sind Hochtechnologien gefragt: Sharp entwickelt flexible Displays für Unterhaltungssysteme im Auto, Panasonic liefert Bildschirme, Kameras und Sensoren für die Branche. Und auch den Wachstumsmarkt der tragbaren Geräte wie Smartwatches haben japanische Unternehmen mittlerweile für sich entdeckt.

Doch weil auch die Konkurrenz nicht schläft, versucht Japans Regierung ihrerseits, die Innovationskraft des Landes wiederzubeleben. Nach der Dreifach-Katastrophe im März 2011 wurde im „Basisplan zur Förderung von Wissenschaft und Technologie“ beschlossen, die Entwicklung erneuerbarer Energien anzukurbeln. Auch im Gesundheitswesen ist die alternde Gesellschaft Nippons auf Innovationen angewiesen. Im vergangenen Jahr hielt die Regierung ein Gipfeltreffen mit Forschungsinstituten, Start-ups und großen Unternehmen ab. Durch mehr Zusammenarbeit sollen Erfindungen schneller zur Marktreife gebracht werden.

Manche Wissenschaftler befürchten nun, dass ihre Forschungsergebnisse künftig nur noch nach der marktwirtschaftlichen Verwertbarkeit beurteilt werden. Befürworter der Wirtschaftspolitik der Regierung halten das Beispiel der aktuellen japanischen Nobelpreisträger dagegen: 2014 wurden die Physiker Isamu Akasaki, Hiroshi Amano und Shuji Nakamura für ihre Entwicklung blauer Leuchtdioden (LEDs) ausgezeichnet. Die heute allgegenwärtige Technik war in den achtziger Jahren das Ergebnis eines Forschungsprojekts an der Nagoya-Universität, das von staatlicher und privatwirtschaftlicher Seite gemeinsam gefördert wurde – ein Paradebeispiel für das japanische Innovationsrezept.

In Japan werden heute laut Global Innovation Index weltweit die meisten Patentfamilien angemeldet. Doch dieses Potenzial wird zu selten in Produkte umgesetzt, die Wachstum generieren. „Japan ist gut in der Technologie, aber schlecht im Geschäftemachen“, sagen Wirtschaftsexperten.

Viele Regularien behindern Investitionen und erschweren Firmengründungen. Zudem zögern die Banken, Kredite zu vergeben; sie verlangen Sicherheiten, die junge Unternehmen nicht haben. Immerhin, in Zukunft soll es für diese einfacher werden, sich Geld zu leihen. 2013 stiegen die Investitionen in Start-ups bereits um 80 Prozent gegenüber dem Vorjahr an – aber die Gesamtsumme beträgt nur 6 Prozent dessen, was etwa in den USA in junge Firmen investiert wird.

Dennoch: In Japan wachsen jetzt Bereiche wie die Software-Entwicklung. Außerdem treibt die Regierung ein weiteres Projekt voran, das beweisen soll, dass Japan noch immer ein führender Technologiestandort ist: Der Chuo Shinkansen, ein neuer Hochgeschwindigkeitszug, soll bis spätestens 2020 fertig sein. Dann sind wieder Olympische Spiele in Tokio.  

Nikkei 225

➞ 1950 eingeführter Aktienindex der Tokioter Börse, der von der Zeitung „Nihon Keizai Shimbun“ veröffentlicht wird. Er ist Asiens bedeutendster Index und bis heute ein wichtiges weltwirtschaftliches Barometer.

„Genau wie Gordon Gekko nach 23 Jahren sein Comeback in der Finanzwelt gefeiert hat, so können auch wir sagen: ‚Japan is back!‘“, verkündete Shinzo Abe im September 2013 in einer Rede an der New Yorker Börse. Dass sich Japans Regierungschef dabei auf den von Michael Douglas im US-Spielfilm „Wall Street“ (1987) und dessen Fortsetzung „The Money Never Sleeps“ (2010) verkörperten Börsenhai berief, ist kein Zufall. In Abes Wirtschaftskonzept spielt der japanische Aktienmarkt eine wichtige Rolle als Konjunktur­lokomotive.

In den achtziger Jahren, für die nicht zuletzt das Gekko-Zitat „Gier ist gut“ steht, ließ die Börse die japanische Wirtschaft boomen, der Nikkei setzte zu einem seither nicht wieder gekannten Höhenflug an. Allerdings entstand gleichzeitig eine gewaltige Spekulationsblase, was als „baburu keiki“ („Blasenkonjunktur“) in die Geschichtsbücher einging.

Ein starker Yen gegenüber einem 1985 infolge des „Plaza-Abkommens“ der damaligen G-5 (USA, Japan, Großbritannien und Frankreich, Deutschland) abgewerteten Dollar, eine expansive Geldpolitik der japanischen Notenbank, ein viel zu lange niedrig gehaltener Leitzins, ein überhitzter Immobilienmarkt und allzu risikofreudige Kreditvergaben durch die japanischen Banken befeuerten die „baburu keiki“; zeitweise überstieg der Gesamtwert japanischer Unternehmensaktien sogar den der amerikanischen Papiere. Am 29. Dezember 1989 schließlich erreichte der Nikkei mit 38 957 Punkten sein historisches Hoch.

Eine Anhebung des Leitzinses im Jahre 1990 ließ die „baburu keiki“ platzen. Die Banken blieben auf ihren von überhöht bewerteten Immobilien „abgesicherten“ Krediten sitzen, die Aktienkurse brachen um zwei Drittel ihres Wertes ein, Banken und Versicherer gingen Konkurs oder mussten von der Regierung gerettet werden.

Was folgte, war Japans vielbeschworene „verlorene Dekade“ („ushinawareta juu-nen“). Im Juni 1995 lag der Nikkei nur noch bei 14 485 Punkten, zur Jahrtausendwende unterschritt er nach 20 Jahren zum ersten Mal wieder die 10 000-Punkte-Marke.
Vor diesem Hintergrund sind neuerliche Höhenflüge des Nikkei für Japans schwächelnde Konjunktur nicht unbedingt ein gutes Zeichen. Doch Abe setzt seit seinem Amtsantritt 2012 stark auf die Börse als Stimmungsaufheller. Seine „Abenomics“ und kraftmeiernde Rhetorik sorgten beim Nikkei für Bewegung und ließen den Leitindex bis Ende 2013 um 65 Prozent ansteigen.

Das liegt auch an der nur noch nominell unabhängigen Notenbank, die zuletzt die von Abe verordnete Geldflut noch weiter verstärkte. Die Bank of Japan kauft vorrangig japanische Staatsanleihen auf, deren Renditen nur noch mit der Lupe erkennbar sind, und finanziert so die Regierung.

„Die Notenbank drängt private Investoren aus dem Staatsanleihenmarkt heraus“, klagte Chris Iggo, Chef der Anleiheabteilung bei Axa Investment Managers, im November 2014 im Handelsblatt. Anleger werden so gezwungen, unter anderem auf Aktien auszuweichen, was sich zuletzt in Kursgewinnen japanischer Unternehmen widergespiegelt hat.

Doch mittlerweile werden Kursfeuerwerke immer seltener, der Aktienindex hat sich nach der kurzen Rezession Ende 2014 bei 16 000 Punkten eingependelt. Ob der Nikkei 225 wirklich dazu beitragen kann, Japans Wirtschaft aus der Krise zu helfen, ist fraglich.

Prüfungshölle

➞ Bezeichnung japanischer Schüler für die Eingangsprüfungen, die über die Zulassung zur Oberschule oder Universität entscheiden. Prüfungsangst und „Paukschulen“ bestimmen das Bildungssystem in Japan.

Ein Studienplatz an einer der „Big Five“, an den prestigeträchtigsten Universitäten in Tokio und Kioto, ist das Ziel vieler junger Japaner. Hier rekrutieren die großen Unternehmen und der Staat zukünftige Führungskräfte. Aber nur ein ausgezeichnetes Abschneiden bei der zentralen Eingangsprüfung ermöglicht den Zugang zu den Elite-Unis.

Um für den schwierigen Test gewappnet zu sein, besucht ein Großteil der Jugendlichen nach der Schule und am Wochenende private Nachhilfeschulen, die so genannten „juku“ (Paukschulen). Dort werden sie auf die zahlreichen Aufnahmeprüfungen vorbereitet, die sie im Verlauf ihrer Schullaufbahn erwarten und deren Ergebnisse maßgeblich ihren Bildungs- und Karriereweg bestimmen.

Das japanische Schulsystem wird oft als 6-3-3-4-System bezeichnet: Auf eine sechsjährige Grundschule folgt die dreijährige Mittelschule. Zwar endet danach die Schulpflicht, doch besuchen rund 97 Prozent der Schüler im Anschluss für drei Jahre eine Oberschule. Den Abschluss der Oberschule schaffen fast alle – und über die Hälfte von ihnen beginnt auch ein Studium. Nach vier Jahren und dem Bachelor folgt meist der Einstieg in den Beruf. Ein weitergehendes Studium kann sich bei der Jobsuche mitunter sogar nachteilig auswirken, da jüngere Bewerber bevorzugt werden. Entsprechend geht der Trend zu verkürzten, zweijährigen Studienprogrammen.

Allgegenwärtig sind in diesem Bildungssystem die Einstufungstests, die an den Übergängen zur nächsthöheren Schulform stehen. Dabei sind die Leistungen im Unterricht nicht einmal so wichtig – sitzenbleiben kann man in Japan nicht. Wer nicht mitkommt, wird individuell gefördert oder wechselt auf eine weniger anspruchsvolle Schule.

Entscheidend sind die Eingangsprüfungen. Das führt zu einem enormen Wettbewerb um die besten Plätze und zu hohen Anmeldezahlen für die „Paukschulen“. Schon während der Grundschule wird ein Drittel der Schüler zur Nachhilfe geschickt – die „Prüfungshölle“ beginnt.

Japanische Familien geben viel Geld für die Ausbildung ihres Nachwuchses aus. Schon kleinen Kindern wird eingetrichtert, wie wichtig Bildung für ihr späteres Leben ist. Bei den PISA-Tests erbringen sie regelmäßig Spitzenleistungen; Japan führt die Rangliste der OECD-Staaten in Sachen Lesekompetenz, Mathematik und Naturwissenschaften an.

Zwischen Jungen und Mädchen gibt es kaum Unterschiede bei den Leistungen, auch der sozioökonomische Status spielt nur eine geringe Rolle. „Damit hat das japanische Ausbildungssystem trotz der hohen Kosten für die Familien einen sehr demokratischen Effekt“, meint Christian Tagsold, Professor am Institut für Modernes Japan der Universität Düsseldorf. „Wer begabt und fleißig ist, wird seinen Weg machen.“

Die ständigen Aufnahmeprüfungen schaffen ein Gefühl der Chancengleichheit, führen aber auch dazu, dass die Schüler unter großem Druck stehen. Ganztagsschulen und Nachhilfeunterricht rauben ihnen die Freizeit, der Wettbewerb ist hart.
Mancherorts wenden Lehrer sogar noch die eigentlich verbotene Prügelstrafe an: Ende 2012 diskutierte ganz Japan über einen Sportlehrer, der seine Schüler immer wieder geschlagen hatte. Der Skandal kam ans Licht, als sich ein verzweifelter 17-Jähriger erhängte.
Die Konkurrenzsituation im Bildungsbereich dürfte sich künftig im Zuge des demografischen Wandels etwas entschärfen. Weil es immer weniger Kinder und Jugendliche gibt, müssen die fast 800 staatlichen und privaten Universitäten ihre Anforderungen herunterschrauben, um die Studienplätze zu besetzen.

Japans Hochschullandschaft gilt als die beste Asiens. Die staatliche Universität Tokio, „Todai“ genannt, wird sowohl im Times ­Higher Education Ranking als auch im Shanghaier Academic Ranking of World Universities unter den besten 25 Universitäten der Welt geführt.

Kritisiert wird allerdings die mangelnde internationale Ausrichtung. Lediglich gut 120 000 ausländische Studierende kamen 2013 nach Japan (zum Vergleich: in Deutschland waren es über 280 000). Über 90 Prozent von ihnen stammen aus Asien, vor allem aus China und Südkorea.

Noch ist das Bildungssystem Japans für die Nachbarstaaten attraktiv; 20 japanische Universitäten zählen laut Shanghai-Ranking 2014 zu den Top 100 in Asien. Aber auch hier holt China auf – in der aktuellen Rangliste ist man mit 18 Unis vertreten.
Um die Spitzenposition zu behaupten, hat die Regierung Abe ein Programm aufgelegt, das mehr ausländische Studierende ins Land locken soll. Auch die staatlichen Ausgaben für Bildung, die derzeit bei 3,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen und damit unter dem OECD-Durchschnitt, sollen erhöht werden.

Bis zu einem Drittel der Gesamtausgaben für Bildung steuert der private Sektor Japans bei. Entsprechend viel anwendungsbezogene Forschung wird betrieben. Laut einer internationalen Umfrage unter Wissenschaftlern gilt Japan als führend in Sachen Automobilentwicklung, Informationstechnologien und Elektronik.

Zuwanderung

➞ Mehr Migration? Japans Bevölkerung ist skeptisch. Doch aus der Wirtschaft wächst der Druck, mehr Arbeitskräfte ins Land zu lassen. Die Lücken sind teilweise erheblich, und sie werden künftig noch größer werden.

Kaum ein Land auf der Welt leidet in einem solchen Maße an Überalterung und Bevölkerungsschwund wie Japan. In einigen Sektoren wie der Bauindustrie ist bereits heute ein Mangel an Arbeitskräften spürbar. Da diese Lücke allein mit inländischen Ressourcen nicht gedeckt werden kann und ein drastischer Anstieg der Geburtenrate nicht zu erwarten ist, wird verstärkt über die Frage diskutiert, ob der Bedarf nicht durch Zuwanderung von außen gedeckt werden soll. Bei dieser Diskussion geht es nicht um die grundlegende Frage, ob Japan ein Einwanderungsland ist oder werden will; die Diskussion wird ausschließlich im Kontext des demografischen Wandels geführt und mit den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts verknüpft.

Zuwanderung würde in der Tat den Alterungs- und Schrumpfungsprozess in Japan verlangsamen. Allerdings verläuft der demografische Prozess in Japan so rasant, dass über 50 Jahre lang jedes Jahr 380 000 Zuwanderer nötig wären, um die Bevölkerung zu erhalten (siehe „Bevölkerungsentwicklung“).

Nun gilt Japan ohnehin als ausgesprochen abgeschottetes Land, insbesondere in Sachen Arbeitsmarkt. Ausländer machen weniger als 2 Prozent der Bevölkerung aus, damit liegt man am unteren Ende der Skala unter den OECD-Ländern. Andererseits hat sich die Zahl der in Japan lebenden Ausländer seit 1990 immerhin verdoppelt, von 1,075 Millionen auf 2,066 Millionen im Jahr 2013. Faktisch suchen und finden also zahlreiche Menschen Wege und Möglichkeiten, um nach Japan zu kommen.

Die Attraktivität von Japan als Emigrationsziel war mit seinem wirtschaftlichen Erfolg gewachsen, und die Zahl der Ausländer nahm in den achtziger Jahren deutlich zu. Doch erst Anfang der Neunziger entschied man sich zu einem Kurswechsel in der Immigrationspolitik. Ziel war es nun, Arbeitskräfte ins Land zu holen. Und so konnten die Nachkommen von Japanern, die einst ausgewandert waren, Arbeitsvisa erhalten und in Fabriken der japanischen Exportindustrie arbeiten. Davon machten vor allem die „nikkeijin“ aus Südamerika regen Gebrauch. Lebten 1990 noch 71 000 Südamerikaner in Japan, so waren es 1995 immerhin 222 000 und 2005 schon 376 000 Menschen, darunter über 300 000 Brasilianer mit japanischen Wurzeln. In der Wirtschaftskrise steuerte Japans Regierung dann um und bot jedem Ausreisewilligen „nikkeijin“ Geld für die Rückkehr ins Heimatland. 2013 war die Zahl der Brasilianer wieder auf 181 000 gesunken.

In jüngster Zeit sind es vor allem Asiaten, die nach Japan kommen. Sie stellen mit 1,676 Millionen die mit Abstand größte Gruppe unter den Ausländern in Japan. Dabei sind die Chinesen mit 649 000 und die Koreaner mit 520 000 Personen am stärksten vertreten. Viele kommen allerdings nicht nach Japan, um zu arbeiten, sondern um zu studieren. Visa für Studierende sind relativ leicht zu bekommen, seit kurzem können auch „Pre-College Students“ kommen. Die japanischen Hochschulen werben verstärkt um ausländische Studierende, seit die Jahrgänge der japanischen Schulabgänger immer kleiner werden.

Aber offenbar tun die ausländischen Studierenden in Japan das, was Studenten überall auf der Welt machen: Sie arbeiten nebenbei – auf Stunden- oder Teilzeitbasis in wenig qualifizierten Jobs, in Supermärkten und Schnellrestaurants.

Obwohl also Japan von seiner offiziellen Politik, nur qualifizierte Fachleute ins Land zu holen, nicht abgewichen ist, dürfte inzwischen eine beträchtliche Zahl von ungelernten Ausländern im Lande tätig sein. Dazu gehören auch diejenigen, die für ein „Technical Intern Training“ gekommen sind. Offiziell zur beruflichen technischen Ausbildung für drei Jahre in Japan, werden diese Trainees häufig als billige Arbeitskräfte ausgenutzt. Dagegen wehren können sie sich nur bedingt, denn sie dürfen die Stelle nicht wechseln und müssen das Land verlassen, wenn sie ihren Job aufgeben. Wiederum sind es fast ausschließlich Asiaten, die für eine solche Ausbildung kommen, über 76 000 allein im Jahr 2013. Offensichtlich decken sie einen wichtigen Bedarf, denn die Regierung Abe will die erlaubte Aufenthaltsdauer von drei auf fünf Jahre verlängern.

Bedarf an Arbeitskräften besteht auch im Gesundheits- und Pflegebereich. Daher öffnete Japan explizit die Möglichkeit für Pflegekräfte aus Indonesien und den Philippinen, für drei bis vier Jahre in Japan zu arbeiten. Allerdings müssen sie, um die volle Dauer bleiben zu können, das Fachexamen in japanischer Sprache ablegen – eine Hürde, die nur sehr wenige überwinden. Der Bedarf an Pflegekräften, der künftig noch steigen wird, wird durch diese ausländischen Fachkräfte jedenfalls nicht annähernd gedeckt.

Die Politik versucht sich zurzeit an einem Kompromiss: mehr ausländische Arbeitskräfte ja, aber nur für ganz bestimmte Berufe und Qualifikationen und nur für begrenzte Zeit. Dabei akzeptiert man stillschweigend, dass offiziell unerwünschte ungelernte Arbeitskräfte über andere Wege ins Land kommen. Von einer echten Zuwanderung mit dauerhafter Integration ist keine Rede. Zuwanderung wird auch weiterhin nur eine begrenzte Rolle im demografischen Prozess spielen.
 

Bibliografische Angaben

IP-Länderporträt 1, März-Juni 2015, S. 30-43

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