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01. Nov. 2018

Kleines Wirtschaftslexikon Golfstaaten

Mit Beiträgen von Christian Koch, Katja Scherer, 
Kristin Smith Diwan und Sebastian Sons

Migration und Arbeit/a>

Patronage und Korruption

Rüstungsindustrie

Staat versus Privat

Think Big

 

 

Arm und Reich

Die Golfstaaten präsentieren sich gerne als Heimat der Schönen und Reichen. Doch der Wohlstand ist ungleich verteilt: Vor allem Migranten, junge Menschen und alleinstehende Frauen sind von Armut bedroht.

Wer einen Eindruck davon bekommen will, was es bedeutet, zu den oberen Zehntausend der arabischen Welt zu gehören, braucht nur den Instagram-Kanal „RichKidsOfSaudi“ anzuklicken: Junge Männer posieren vor Autos mit vergoldeten Kühlerhauben, junge Frauen präsentieren diamantenbesetzte Uhren und Pelzjacken. Das ist jene glamouröse Seite der arabischen Gesellschaft, die gerne der Welt präsentiert wird. Doch es gibt auch eine andere Seite: Laut den Berichten von Nichtregierungsorganisationen und Medien wächst in einigen arabischen Ländern die Zahl der Menschen, die in Armut leben.

Offizielle Daten gibt es kaum, denn für die Regierungen sind diese Berichte ausgesprochen bedrohlich – untergraben sie doch das Sozialversprechen, das die arabischen Gesellschaften über Jahrzehnte zusammenhielt. Der exorbitante Reichtum weniger wurde toleriert, weil dank der Öleinnahmen letztlich jeder am Wachstum teilhaben konnte. Dieses Versprechen gilt nicht mehr – zumindest nicht für alle.

Einen ersten Anhaltspunkt zur Wohlstandsverteilung in den Golfstaaten liefert die World Wealth and Income Database. Danach gingen in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) 2016 knapp 23 Prozent des nationalen Einkommens an das reichste Prozent der Bevölkerung und in Katar sogar 29 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland entfielen im Jahr 2013 gut 13 Prozent des Gesamteinkommens auf das reichste Prozent der Bevölkerung.

Erhellend ist in diesem Zusammenhang auch ein Blick auf den Gini-Index, ein statistisches Maß für Einkommens- und Vermögensunterschiede. Dabei gilt: Je niedriger der Index, desto gleicher ist der Wohlstand in einem Land verteilt. Nach einer Schätzung von 2013 liegt der Gini-Index in Saudi-Arabien bei 45,9. In Deutschland betrug der Index 2017 laut Europäischer Statistikbehörde Eurostat 29,1.

Das Armutsproblem trifft in den Golfstaaten besonders die unzähligen Gastarbeiter aus Nepal und Indien. In Katar und den Emiraten machen sie Schätzungen zufolge bis zu 90 Prozent der Erwerbstätigen aus. Oft werden sie schlechter bezahlt als versprochen, wohnen in mangelhaft ausgestatteten Gemeinschaftsunterkünften und dürfen ohne Erlaubnis des Arbeitgebers teils nicht einmal ein Bankkonto eröffnen. Im Vorfeld der WM in Katar 2022 gab es Berichte über Arbeiter, die auf Baustellen vor Erschöpfung starben.

Zuletzt hat sich die Situation der Gastarbeiter in einigen Ländern leicht verbessert. So brauchen Gastarbeiter in Katar seit September in der Regel keine Erlaubnis ihres Arbeitgebers mehr, wenn sie das Land verlassen wollen. Das Emirat hat zudem Reformen umgesetzt, um die Arbeitsrechte von Gastarbeitern zu verbessern – allerdings reichen diese nach Auffassung von Amnesty International noch nicht aus.

Ein anderes Thema ist aus Sicht der arabischen Staatsoberhäupter noch weit sensibler: die Armut der einheimischen Bevölkerung. Die amerikanische Nichtregierungsorganisation The Borgen Project geht davon aus, dass allein in den Emiraten knapp 20 Prozent der Einheimischen in Armut leben. In Saudi-Arabien sollen es zwei bis vier Millionen Menschen sein – also etwa 10 Prozent der Bevölkerung.

Die Gründe dafür sind vielfältig. In Saudi-Arabien ist die Bevölkerung in den vergangenen Jahrzehnten rasant gewachsen, von rund sechs Millionen Menschen im Jahr 1970 auf derzeit 33 Millionen. Zum anderen führen die dauerhaft niedrigen Ölpreise dazu, dass die Herrscher ihre Sozialpolitik verändern müssen: Früher waren einheimischen Arbeitnehmern gut bezahlte Jobs im Staatsdienst sicher, die Preise für Energie, Kraftstoff und Wasser waren staatlich subventioniert, Gesundheitsversorgung und Bildung kostenlos. Vieles davon ändert sich nun, während gleichzeitig vielerorts die Mietpreise anziehen. Nach Angaben des Borgen Project sind es vor allem verwitwete oder alleinstehende Frauen, die von Armut betroffen sind. Zudem stellt die hohe Jugendarbeitslosigkeit die junge Generation oft vor große finanzielle Probleme.

Katja Scherer

Bildung und Innovation

➞ Smart Schools, private Hochschulen, E-Learning: Die Golfstaaten investieren kräftig in die Ausbildung ihrer Jugend. Doch wie lange sie ihr Ausgabenniveau aufrechterhalten können, ist fraglich.

Wer seine Wirtschaft diversifizieren und Raum für Innovationen schaffen will, tut gut daran, seine junge Bevölkerung vernünftig auszubilden. In der Golfregion sind 40 Prozent der Menschen jünger als 25 Jahre. Es gibt zwölf Millionen Schüler und Studierende; allein in Saudi-Arabien rechnet man bis 2020 mit einem Wachstum auf bis zu elf Millionen Studenten.

Ein erheblicher Anteil des Jahresbudgets der Golf-Kooperationsratsmitglieder fließt bereits in den Ausbau des Bildungssektors – das Budget liegt sogar deutlich über dem Weltdurchschnitt von 4,7 Prozent. Die Details ihrer Bildungsreformpläne haben die Golf-Kooperationsratsmitglieder in ihren „Vision 2030“-Strategien festgehalten. Angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit liegt der Fokus auf einem erleichterten Zugang zu Bildungsdienstleistungen, um die junge Generation auf den reformierten Arbeitsmarkt vorzubereiten.

Daneben gibt es zahlreiche Initiativen zur Verbesserung der Lehrmaterialien und zur Integration neuer Technologien in den Bildungsprozess, beispielsweise das Mohammed Bin Ra­shid Smart Learning Programm in den Vereinigten Arabischen Emiraten, das Smart School Projekt in Saudi-Arabien und das School Education Quality Improvement Projekt in Kuwait.

Gerade E-Learning hat deutlich an Bedeutung gewonnen. Bis 2022 soll dieser Sektor ein jährliches Wachstum von 13 Prozent verzeichnen. Bildungsreform und technische Neuerungen gehen Hand in Hand. Schon die bisherigen Erfolge sind vielversprechend. Die Alphabetisierungsrate beträgt inzwischen 97 Prozent, die Einschulungsrate liegt bei 90 Prozent. Die Ausbildungsqualität in den VAE, Katar, Bahrain und Saudi-Arabien schneidet im Competitiveness Report 2017/18 des Weltwirtschaftsforums im globalen Vergleich sehr gut ab. Prominente Bildungseinrichtungen wie die New York University, die Georgetown University oder die Sorbonne haben Standorte in den Golfstaaten eingerichtet. Auch einheimische Hochschulen haben an Bedeutung gewonnen.

Dennoch bleiben zahlreiche Fragen. Etwa, ob die Regierungen ihr Ausgabenniveau angesichts eines stagnierenden Ölpreises aufrechterhalten können. Das wäre wichtig, um Probleme wie den Lehrkräftemangel in den Griff zu bekommen. Saudi-Arabien plant, den Anteil saudischer Studenten an privaten Hochschulen bis 2023 von 18 auf 30 Prozent zu erhöhen. Das setzt aber voraus, dass die Privathaushalte die auf sie verlagerten Kosten stemmen können und wollen. Hinzu kommen die Kluft zwischen Ausbildungsabschlüssen und den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts sowie die fehlende Bereitschaft der Bevölkerung, sich an den Transformationsprozessen aktiv zu beteiligen.

Christian Koch

 

Fußball und Finanzen

➞ Eine Fußball-WM in der Wüste? Ein Spieler für über 200 Millionen Euro? Am Golf ist vieles möglich. Mit Sport lässt sich nicht nur Geld machen, sondern auch Politik. Der Fairplay-Gedanke bleibt da schon mal auf der Strecke.

Es war ein Transfer, der die Welt des Profifußballs erschütterte, als im Sommer 2017 der brasilianische Starstürmer Neymar vom FC Barcelona in die französische Hauptstadt zu Paris St. Germain (PSG) wechselte. Die Ablösesumme lag mit 222 Millionen Euro so hoch wie noch bei keinem Fußballer zuvor.

Finanziert wurde dieser Transfer durch den Besitzer von PSG, der katarischen Investorengruppe Qatar Sports Investments (QSI), die vor sieben Jahren Klubanteile für 130 Millionen Euro erworben und bereits vor der Neymar-Verpflichtung 250 Millionen Euro unter anderem in Spieler wie Zlatan Ibrahimovic investiert hatte.

Mit Hilfe des katarischen Geldes ist Paris zu einem europäischen Spitzenklub aufgestiegen. Hinter QSI steht der katarische Emir Tamim bin Hamad Al Thani persönlich. Für ihn ist Sport ein Mittel der Politik. Dies hat er von seinem Vater, Emir Hamad, gelernt, der erkannt hatte: „Sport ist der beste Weg, um jedermann auf dem Globus zu erreichen.“ Unter ihm wurden Tennis- und Golfturniere, Radrennen und die Asia Games in Katar ausgerichtet. Es folgten die umstrittene WM 2022, die an Katar vergeben wurde, oder die Handball-Weltmeisterschaft 2015.

Auch der Neymar-Transfer soll ein politisches Zeichen setzen: Denn im Juni 2017 begannen Katars Nachbarstaaten Saudi-Arabien, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate gemeinsam mit Ägypten, eine Wirtschaftsblockade gegen das Emirat zu implementieren. Luft- und Landwege wurden gesperrt, Katar sollte von der Außenwelt abgeschnitten werden.

Die Blockadestaaten werfen den katarischen Herrschern nicht nur enge Beziehungen zum Erzfeind Iran vor, sondern auch Unterstützung der Muslimbrüder sowie die Diffamierung der saudischen und emiratischen Monarchien durch den eigenen Satellitensender Al-Dschasira. Mit dem Neymar-Transfer wollte Katars Emir den Blockadestaaten zeigen, dass er immer noch in der Lage ist, viel Geld einzusetzen, um das katarische Image im Ausland aufzupolieren, und dass man sich nicht von der Krise einschüchtern lasse.

Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate wollen die katarischen Ambitionen im Sport zurückdrängen: Während die Emirate in den vergangenen Jahren mit der Ausrichtung von Formel-1-Rennen bereits auf die Bühne der sportlichen Großereignisse drängten, zeigte sich Saudi-Arabien eher zurückhaltend gegenüber solchen Veranstaltungen. Doch unter dem jungen Kronprinzen Mohammed bin Salman ändert sich das: Unter seiner Ägide wurde Frauen erlaubt, Fußballstadien zu besuchen, im April stiegen US-amerikanische Wrestler in Dschidda in den Ring und im Dezember soll das erste Formel-E-Rennen in der Hauptstadt Riad stattfinden.

Sport ist für MbS, wie er genannt wird, integraler Bestandteil seiner umfassenden Modernisierungskampagne, die der eigenen jungen Bevölkerung neue Unterhaltungsmöglichkeiten bieten und dem Westen zeigen soll, dass sich das konservative Königreich schrittweise öffnet.

Dahinter steckt wirtschaftliches Kalkül: Sport ist Business und kann dringend benötigte Einnahmen generieren. MbS muss ausländische Investoren ins Land locken, um Arbeitsplätze zu schaffen und die ölabhängige Wirtschaft zu diversifizieren. Und so sind die Ambitionen des Konkurrenten Katar der saudischen Führung in wachsendem Maße ein Dorn im Auge.

Weiterhin wird in saudischen Kreisen spekuliert, dass Mohammed bin Salman beim Präsidenten des internationalen Fußballverbands FIFA, Gianni Infantino, darauf gedrängt haben soll, bereits für die kommende WM in Katar die Zahl der teilnehmenden Mannschaften von 32 auf 48 zu erhöhen.

Eigentlich ist eine solche Aufstockung erst für das übernächste Turnier in den USA, Kanada und Mexiko angedacht. Sollte sie nun aber früher realisiert werden, wäre das kleine Katar gar nicht mehr imstande, ein solch gigantisches Ereignis zu organisieren: Mehr Spiele müssten durchgeführt werden, wofür mehr Stadien benötigt würden. Doch dafür fehlt in Katar der Platz. Somit könnte eine WM mit 48 Mannschaften Katar dazu zwingen, das Turnier gemeinsam mit Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten durchführen zu müssen. „Es geht ihnen darum, Katar die WM wegzunehmen“, sagt ein Journalist.

Sebastian Sons

Gleichberechtigung

➞ Frauen in Stadien, bei der Arbeit und am Lenkrad: Die Golfstaaten verabschieden sich von der strengen Rollenverteilung. Der Wandel ist jedoch von oben verordnet, Aktivistinnen werden verfolgt.

Wenn es um die Beteiligung von Frauen am öffentlichen Leben geht, dann boten die arabischen Golfstaaten über Jahrzehnte das gleiche Bild: Frauen lebten weitgehend abgeschottet; an eine Beteiligung an der Arbeitswelt war fast nicht zu denken. In dem vom Weltwirtschaftsforum herausgegebenen Arbeitsmarktstatistiken schlägt sich das eindeutig nieder: Dort rangieren alle Golfstaaten im weltweiten Vergleich der Partizipation von Frauen am Arbeitsmarkt in den unteren 15 Prozent. Das ist umso bemerkenswerter, als die Golfstaaten beim Bildungsgrad von Frauen auf deutlich höheren Plätzen liegen. Außerdem gehören einige Golfstaaten zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen weltweit.

Diese Kluft zwischen Wohlstand und mangelnder Geschlechtergerechtigkeit ist jedoch nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Tatsächlich ist es gerade der ölbefeuerte Reichtum, der den Golfstaaten die kostspielige Politik ermöglicht hat, Frauen erst auszubilden und dann größtenteils vom Arbeitsmarkt auszuschließen. Doch nun, da die Bevölkerungen wachsen und es in steigendem Maße unmöglich wird, wohlfahrtsstaatliche Programme über den Ölreichtum zu finanzieren, sehen die Regierenden endlich ein, dass sie all ihr Humankapital nutzen müssen, auch das der Frauen am Golf.

Aus diesem Grund nennen die Entwicklungspläne der Golfstaaten, die der wirtschaftlichen ­Diversifizierung dienen sollen, die Einstellung und den größeren beruflichen Erfolg von Frauen als wichtige Ziele.

So verfolgt die Vision 2030 das Ziel, den Anteil von Frauen an allen Erwerbstätigen von 22 Prozent auf 30 Prozent zu erhöhen. Um das zu erreichen, sieht die Strategie Programme vor, die Frauen beim Eintritt in den Arbeitsmarkt unterstützen und ihnen helfen sollen, dabei auftretende Schwierigkeiten zu überwinden. Dazu gehören die Förderung von Kinderbetreuungsangeboten sowie Selbstständigkeits- und Home-Office-Programme, die es Frauen leichter machen sollen, Arbeit und Familienleben unter einen Hut zu bekommen. Einige Ministerien schreiben außerdem Stellen aus, die sich gezielt an Frauen richten.

Die Bemühungen darum, Frauen den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern, werden von einer weiteren Lockerung der religiösen Kontrolle über das öffentliche Leben begleitet. Vor allem werden die Befugnisse der einst gefürchteten Religionspolizei Saudi-Arabiens eingeschränkt, die das Verhalten und die Bekleidung von Frauen überwacht. Die Entscheidung von 2018, das Fahrverbot für Frauen zu kippen – eine Besonderheit, für die das Königreich lange berüchtigt war – ist das sichtbarste Zeichen für diesen Einstellungswechsel.

Andere Golfstaaten arbeiten ebenfalls daran, Frauen eine wichtigere Rolle im öffentlichen Leben zu verschaffen, auch wenn sie dabei weniger Aufmerksamkeit erregt haben. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar haben in dieser Hinsicht schon Kuwait hinter sich gelassen, das bis dato regionaler Vorreiter in Sachen Gleichberechtigung war. So haben die Emirate neun Ministerinnen in ihr Kabinett berufen und mit der Präsidentin Amal Al Qubaisi die erste weibliche Vorsitzende einer Nationalversammlung in der gesamten arabischen Welt vorzuweisen. Katar war der Pionier bei der Verbesserung der Ausbildung von Frauen und ist heute führend in der Region, wenn es darum geht, den Gender Gap beim Bildungsgrad zu schließen.

Tatsächlich erzielen Frauen in allen Golfstaaten an Sekundarschulen und Universitäten bessere Ergebnisse als Männer, und das oft in Fächern, in denen man es nicht unbedingt erwarten würde. Denn während Studiengänge wie Informatik oder IT an westlichen Universitäten von Männern dominiert werden, sind in Saudi-Arabien und den Emiraten über 70 Prozent der Studierenden dieser Fächer weiblich.

Wie hoch der Preis dafür ist, das Talent und das Wissen von Frauen ökonomisch brachliegen zu lassen, zeigen globale Studien wie die von McKinsey aus dem Jahr 2015. Danach würde es schon genügen, wenn sich die Länder des Nahen und Mittleren Ostens dem Grad der Gleichberechtigung zumindest annäherten, der in dem in dieser Hinsicht führenden Land der Region bereits herrscht, um eine Steigerung des BIP um 11 Prozent zu erreichen.

Doch trotz der offensichtlichen Vorteile einer größeren Beteiligung von Frauen am Arbeitsleben bleiben erhebliche soziale und politische Widerstände gegen eine wirkliche Gleichberechtigung am Golf. Das Recht und die politischen Strukturen der Golfstaaten sind tief in patriarchalischen Normen verwurzelt, und die männliche Vormundschaft über das Leben von Frauen in Bezug auf ihre Ausbildung, Reisen und fundamentale Lebensentscheidungen be­steht fort. Dass inzwischen immer mehr feministische Denkerinnen und Aktivistinnen die Sache der Frauen in den Golfstaaten offensiv vertreten, hat gewiss zu Fortschritten geführt. Doch viele dieser Vorkämpferinnen haben dafür einen hohen persönlichen und sozialen Preis gezahlt. Saudi-Arabien hat kürzlich einige der bekanntesten Aktivistinnen des Landes verhaftet. Und während die Herrscher der Golfstaaten begonnen haben, die Errungenschaften zu feiern, die sie für Frauen erreicht haben, müssen Frauen immer noch öffentlichen Spott und Belästigung ertragen, wenn sie ungeschriebene rote Linien überschreiten. Die Notwendigkeit ökonomischer Diversifizierung und der Wunsch nach ausländischen Investitionen treiben die Teilhabe der Frauen des Golfes in Entwicklungsplänen voran. Doch für die einzelne Frau ist der Weg zur Selbstbestimmung noch oft beschwerlich.

Kristin Smith Diwan

 

Handelsdrehscheiben

➞ Mit modernen See- und Flughäfen haben sich die Emirate als Logistik-Knotenpunkt zwischen Asien, Afrika und Europa positioniert. Saudi-Arabien versucht, dem Nachbarn diese Position streitig zu machen.

Noch ist der Sieger nicht absehbar, der Wettlauf aber ist in vollem Gange: Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate konkurrieren darum, das logistische Zentrum der Golfstaatenregion zu werden – um so auch in einer Zeit nach dem Ölboom ihren Wohlstand sichern zu können. Die Rollen sind dabei klar verteilt: Saudi-Arabien ist Spätzünder und Angreifer, die Emirate sind Vorreiter und Verteidiger.

Seit Langem nutzen die Emirate ihre geografisch zentrale Lage, um sich als Drehscheibe zwischen Nah- und Mittelost, Afrika und Europa zu positionieren. Im Logistic Performance Index der Weltbank liegen die VAE derzeit auf Rang elf, noch vor Hongkong und der Schweiz.

Wichtige Knotenpunkte für logistische Prozesse in den VAE sind Dubais Hafen Jebel Ali sowie der nur etwa zehn Kilometer entfernte Flughafen Al Maktoum International Airport. Die Nähe zwischen See- und Flughafen sorgt für kurze Umschlagzeiten – ein wichtiger Faktor für viele Kunden, denn ein Großteil des Frachtaufkommens liegt im Transit.

Freihandelszonen in Dubai und Abu Dhabi machen es zudem einfach, vor Ort Unternehmen zu gründen. Betriebe, die sich in diesen Zonen ansiedeln, sind von Steuern, Zöllen, Export- und Importgebühren befreit; die Einstellung von Arbeitskräften läuft unbürokratisch.

Dass dieses Anreizmodell funktioniert, zeigt ein Blick auf die Zahlen. Der Hafen Jebel Ali ist der neuntgrößte Frachthafen der Welt; rund 14,7 Millionen Container wurden dort im vergangenen Jahr umgeschlagen. Zum Vergleich: In Hamburg waren es nur 8,9 Millionen. Und der nahe gelegene Flughafen war nach Angaben des Airport Council International 2015 der fünftgrößte Frachtflughafen weltweit. Derzeit arbeiten die Emirate daran, durch hohe Investitionen ihre Position in der Region weiter zu stärken. 2015 gab Dubai bekannt, seinen Flughafen für rund 32 Milliarden Dollar weiter ausbauen zu wollen; in den Hafen Jebel Ali Port sollten immerhin 1,6 Milliarden Dollar gesteckt werden. Und auch die Umschlagkapazitäten des Khalifa Port in Abu Dhabi sollen kräftig steigen.

Denn die Konkurrenz vor der eigenen Haustür wächst: Auch Saudi-Arabien hat den Ausbau der logistischen Infrastruktur in seiner Vision 2030 zur obersten Priorität erklärt. Dafür stellte das saudische Königshaus im April 2016 einen Neun-Punkte-Plan vor. Dieser sieht vor allem Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur vor: Die Kapazitäten der See- und Flughäfen sollen verstärkt, das Straßen- und Schienennetz verbessert werden. Dazu kommen Investitionen in Digitalisierung und Automatisierung, um Im- und Exportprozesse zu beschleunigen. Zudem ist die Einrichtung von speziellen Handelszonen geplant. Eine besondere Rolle in Saudi-Arabiens Logistikkonzept soll die Retortenstadt King Abdullah Economic City spielen, die zu einem wichtigen Umschlagplatz am Roten Meer werden soll.

Medienberichten zufolge machen diese Pläne Fortschritte. So berichtete das Online-Portal Middle East Logistic Ende vergangenen Jahres, dass die Zeit, die das Entladen von Schiffen in saudischen Häfen in Anspruch nimmt, sich im Schnitt auf 2,2 Tage halbiert habe; die bürokratischen Anforderungen für den Im- und Export seien um 75 Prozent gesunken.

Für die Emirate ist der neue Ehrgeiz seines direkten Nachbarn durchaus bedrohlich; vor allem, weil Saudi-Arabien seine Geschäftspartner mit einem deutlich größeren Binnenmarkt locken kann. Das Bruttoinlandsprodukt von Saudi-Arabien lag 2016 fast doppelt so hoch wie das der VAE. Gleichzeitig hat das Land einen doppelten Meereszugang zum Roten Meer und zum Arabischen Golf.

Dennoch hinkt Saudi-Arabien den Emiraten nach wie vor in mancher Hinsicht hinterher. Im Logistic Performance Index der Weltbank etwa liegt das Königreich gerade einmal auf Platz 55. Im aktuellen Ease of Doing Business Ranking liegt Saudi-Arabien auf Platz 92, während die ­Vereinigten Arabischen Emirate auf Platz 21 zu finden sind – nur einen Rang hinter Deutschland. Und auch im Global Competitiveness Index des Weltwirtschaftsforums liegt Saudi-Arabien (Rang 30) deutlich hinter den VAE (17) – unter anderem, weil das Land in Sachen Infrastruktur noch Nachholbedarf hat. Noch können die Vereinigten Arabischen Emirate ihren Führungsanspruch in Sachen Logistik also verteidigen.

Ihren Kampf um die logistische Vorherrschaft fechten die beiden Länder nicht nur vor der eigenen Haustür aus. Auch der Nachbarkontinent Afrika wurde zur Kampfzone erkoren. Dort besteht derzeit und in den kommenden Jahren ein gewaltiger Bedarf an neuer Infrastruktur. In Ländern wie Nigeria oder Kenia wächst die Mittelschicht, die große Bevölkerung bietet – zumindest theoretisch – ein enormes Marktpotenzial. Viele arabische Länder sehen darin eine große Chance: Einem OECD-Bericht von 2016 zufolge haben die Golfstaaten über ein Jahrzehnt mit insgesamt rund 100 Milliarden Dollar Infrastrukturprojekte in Afrika finanziert.

Auch hier spielt die Konkurrenz zwischen Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten eine Rolle. So besitzt der saudische Prinz Alwaleed bin Talal einem Bericht der IHK Mittlerer Niederrhein zufolge über sein Unternehmen Kingdom Africa Management mehrere Hotels in Subsahara-Afrika. Dem saudischen Telekommunikationskonzern Saudi Telecom Company gehören rund 75 Prozent der südafrikanischen Mobilfunkgesellschaft Cell C. Und wohl nicht zufällig sind zahlreiche Projekte, die der staatliche Saudi Fund for Development finanziert, ebenfalls auf dem afrikanischen Kontinent verortet. Erst im Juli wurde zudem bekannt, dass Saudi-Arabien den südafrikanischen Energiesektor in den kommenden Jahren mit zehn Milliarden Dollar unterstützen will.

Die Emirate wollen dem nicht nachstehen. Nach Angaben der IHK Mittlerer Niederrhein hat sich die dortige Fluggesellschaft Etihad mit 40 Prozent in die Fluggesellschaft Air Seychelles eingekauft. Der führende Mobilfunkbetreiber der Emirate, Etisalat aus Abu Dhabi, ist unter anderem in Nigeria aktiv, und die arabisch-indische Stallion Group aus Dubai ist sogar in fast 20 Ländern auf dem afrikanischen Kontinent präsent. Diese Unternehmensgruppe befasst sich dort unter anderem mit Rohstoffen, Nahrungsmittelerzeugung, Bergbau, Immobilien und Schifffahrt – kurz gesagt: mit fast allen Geschäften, die gewinnversprechend erscheinen. Allein beim West Africa Investment Forum 2015 wurden insgesamt 21,5 Milliarden Dollar für Infrastrukturprojekte in Subsahara-Afrika durch die VAE und den Oman ­bereitgestellt.

Parallel dazu mischen in diesem Wettbewerb auch weitere Golfstaaten mit. So hat Katar erst kürzlich der Regierung des Sudans vier Milliarden Dollar für den Ausbau des Hafens Sawakin am Roten Meer zugesichert. Ökonomisch wird sich in den kommenden Jahren sowohl in der Golfregion als auch in Afrika einiges verändern. Davon werden auch die politischen Machtverhältnisse nicht unberührt bleiben – ein Prozess, bei dem sicherlich nicht nur wirtschaftlicher Ehrgeiz, sondern auch Fingerspitzengefühl gefragt ist.

Katja Scherer

Katar-Krise

➞ Vor über einem Jahr verhängten Katars Nachbarn wegen „Terror-unterstützung“ eine Totalblockade gegen das Emirat. Wirtschaftlich hat man sich schnell davon erholt, doch die politischen Schäden bleiben.

Es kam für fast alle Beobachter in den Golfstaaten völlig überraschend, als Saudi-Arabien, die Emirate, Bahrain und Ägypten im Juni 2017 gemeinsam eine umfassende Land-, See- und Luftblockade gegen Katar ankündigten und gleich danach starteten. Zwar war bekannt, dass die diplomatischen Beziehungen angespannt waren. Aber derart drastische und harte Maßnahmen hatte niemand erwartet.

Auch mehr als ein Jahr später zeichnet sich kein Ende dieses Ringens ab. Während sich Kuwait weiterhin als Vermittler zwischen den Kontrahenten versucht, gibt es keine Anzeichen dafür, dass das Blockade-Quartett die Sanktionen bald aufheben wird. Die unmittelbaren Auswirkungen der Blockade sind für Katar beträchtlich. Bereits in den ersten Tagen nach deren Beginn verlor die katarische Börse rund 10 Prozent ihres Wertes, während die Währung großen Schwankungen ausgesetzt war. Medien berichteten zudem von leeren Supermarktregalen durch Panikkäufe: Bis zu diesem Zeitpunkt waren bis zu 40 Prozent der Nahrungsmittelimporte über die Landesgrenze zu Saudi-Arabien gekommen. Katar war zu einem großen Teil von der Außenwelt abgeschnitten und musste neue Transportrouten und Einfuhrwege ausloten.

Nur dank seiner erheblichen finanziellen Reserven konnte das Land die Sanktionen bislang verkraften. Der Preis dafür ist jedoch enorm. Die katarische Regierung hat die Wirtschaft bereits mit 38 Milliarden Dollar subventioniert, um Schlimmeres zu verhindern. Weitere finanzielle Mittel fließen in das Bankensystem sowie in das 200 Milliarden Dollar schwere Infrastrukturprogramm für die Fußballweltmeisterschaft 2022.

Katars Reichtum hat es dem Land zudem ermöglicht, dem politischen Druck seiner Gegner standzuhalten. Die mittelfristigen Wirtschaftsprognosen haben in den vergangenen Monaten sogar an Dynamik gewonnen. Zugleich hat Katar neue Handels­routen vor allem in Richtung Türkei und Südostasien entwickelt und eine Reihe von Reformen eingeleitet, die insbesondere den Arbeitsmarkt modernisieren sollen.

Das Ergebnis ist, dass die Wirtschaft Katars 2018 voraussichtlich um 2,6 Prozent wachsen wird und das Haushaltsdefizit ebenfalls verringert werden kann. Angesichts dieser positiven Entwicklung kann sich ­Katar weiterhin Investitionen im Ausland leisten, darunter zehn Milliarden Dollar schwere Investitionen in Deutschland, die Emir Tamim bin Hamad Al-Thani im September 2018 auf dem Investitionsforum in Berlin ankündigte. Angesichts dessen sprach der katarische Wirtschaftsminister vom Glück im Unglück. Der Boykott betrifft jedoch nicht nur die katarische Wirtschaft; auch die boykottierenden Länder bekommen die wirtschaftlichen Auswirkungen zu spüren. Unternehmer aus den Emiraten, die in katarische Infrastrukturprojekte investiert hatten, mussten starke finanzielle Verluste hinnehmen. Nicht anders erging es Saudi-Arabien, dessen Bankensystem bis zu 30 Milliarden Dollar in ­Katar investiert haben soll.

Während die wirtschaftlichen Auswirkungen des Konflikts bislang für alle Parteien noch verkraftbar sind, dürften die politischen, gesellschaftlichen sowie institutionellen Schäden länger fortwirken.

Christian Koch

Migration und Arbeit

➞ Die Privatwirtschaft am Golf ruht auf den Schultern von Einwanderern, die als billige Arbeitskräfte dienen und oft genug ausgebeutet werden. Im Zuge der Nationalisierung der Ökonomie droht ihnen jetzt die Ausweisung.

Es ist ein ständiges Kommen und Gehen am King Khalid Airport, dem Flughafen der saudischen Hauptstadt Riad: Hunderte südasiatische Arbeitsmigranten drängeln sich nach ihrer Ankunft im Königreich schwer bepackt durch die Sicherheitskontrollen und quetschen sich in klapprige Minibusse. Sie stammen aus Indien, Pakistan, Bangladesch oder Indonesien und suchen in Saudi-Arabien ihr Glück als Bauarbeiter, Chauffeure, Gärtner, Hausmädchen oder Taxifahrer. Ähnliche Bilder bieten sich auch in den anderen arabischen Golfstaaten.

Insgesamt ein Drittel der saudischen Bevölkerung wurde nicht im Königreich geboren. Die meisten von ihnen kommen aus Indien und Pakistan – jeweils rund zwei Millionen. Sie sind und waren das Rückgrat des saudischen Modernisierungsschubs: Seit den 1970er Jahren bauen sie mit viel Schweiß und Tränen die fehlende Infrastruktur und den Dienstleistungssektor Saudi-Arabiens auf.

Bis dahin hatte das saudische Königshaus vor allem Arbeitskräfte aus arabischen Ländern wie Ägypten oder Syrien rekrutiert, weil diese über die benötigten Erfahrungen in der Verwaltung verfügten. Gleichzeitig brachten sie aber auch ihre politischen Überzeugungen ins Land, sodass sie in den Augen der Herrscher in wachsendem Maße als Unruhestifter galten. Die arabischen Migranten äußerten Kritik an der saudischen Monarchie und gründeten Ableger der islamistischen Muslimbrüder. Die Königsfamilie stand somit vor einem Dilemma: Zum einen brauchte sie billige Arbeitskräfte, zum anderen sollten diese keine politische Unruhe ins Land bringen.

Die Lösung fand sich in Südasien: Wirtschaftlich fragile Länder wie Pakistan suchten händeringend nach neuen Einnahmequellen und begannen, die wachsende Nachfrage nach günstiger Arbeitskraft in Saudi-Arabien zu stillen. Zwischen 1971 und 2015 gingen über acht Millionen Pakistaner in die Golfstaaten, davon mehr als die Hälfte nach Saudi-Arabien. Geschätzte 2,5 Millionen leben derzeit im Land, nur die Zahl der indischen Einwanderer liegt noch höher. Für das von wirtschaftlichen Krisen geplagte Pakistan sind die Migranten eine Goldgrube: Zwischen 2000 und 2015 stiegen die Rücküberweisungen um 15 Prozent auf 18 Milliarden Dollar. Allein 5,6 Milliarden Dollar dieser Geldtransfers stammten aus Saudi-Arabien. Somit machen die Rücküberweisungen etwa 8 Prozent des schwächelnden Bruttoinlandsprodukts aus. Dieses Geld hat in den vergangenen Jahrzehnten dafür gesorgt, dass sich eine neue Mittelschicht in Pakistan entwickeln konnte.

Doch dieser wirtschaftliche Aufstieg ist mit massiven Entbehrungen verbunden: Die Migranten werden in den meisten Golfstaaten nach wie vor als Menschen zweiter Klasse gesehen. Das so genannte Kafala-System, in dem ein arabischer Sponsor für seine ausländischen Arbeitskräfte bürgen muss, dient vielen Arbeitgebern als Freifahrtschein für Missbrauch, Ausbeutung und Profitgier.

Vielen Migranten wird nach ihrer Ankunft der Reisepass abgenommen, sodass sie ohne die Erlaubnis ihres Chefs weder das Land verlassen noch den Arbeitgeber wechseln können. Menschenrechtsorganisationen beklagen vor allem die körperlichen und psychischen Misshandlungen weiblicher Hausangestellter, die zumeist aus Indonesien stammen. Sie müssen häufig Schlaf- und Lohnentzug erdulden, ihnen wird medizinische Behandlung vorenthalten und es liegen Berichte über Vergewaltigungen vor. Auf den katarischen Baustellen für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 soll es außerdem immer wieder zu Unfällen gekommen sein.

So wird für viele Migranten die Reise ins erhoffte Glück zum Alptraum. Doch nur wenige beklagen sich, weil sie sich bei ihren Verwandten oftmals hoch verschulden mussten, um ausreisen zu können. In Pakistan liegen die Kosten für eine Migration nach Saudi-Arabien bei über 4000 Dollar – für viele Familien ein Vermögen. Dies erhöht den Druck auf die Migranten, ihre Arbeit fortzuführen, um ihre Schulden zurückzahlen zu können. Viele schämen sich und möchten nicht zugeben, dass ihre Entscheidung vielleicht ein Fehler gewesen ist.

Allerdings erreichen viele Migranten nicht einmal ihren zukünftigen Arbeitsplatz, sondern werden Opfer der einflussreichen Rekrutierungsagenturen. Diese vermitteln Arbeitskräfte gegen hohe Gebühren an golf­arabische Bürgen. Die Kontrolle der Rekrutierungsprozesse durch staatliche Institutionen hat sich zuletzt zwar deutlich verbessert. Doch nach wie vor zwingen illegale Rekrutierungsagenturen südasiatische Migranten zum Drogenschmuggel oder zur Prostitution.

Derzeit erwartet etwa 150 pakis­tanische Migranten in Saudi-Arabien die Todesstrafe, weil ihnen der Schmuggel von Heroin oder Amphetaminen vorgeworfen wird. Vielen von ihnen war nicht einmal bewusst, dass sie vor ihrer Abreise Drogen geschluckt hatten, da ihr Agent ihnen weisgemacht hatte, es handele sich um notwendige Medizin. Wieder anderen wurde gedroht, ihre Familien würden getötet, sollten sie sich weigern. Doch trotz all dieser Probleme wagen noch immer Millionen von Migranten den beschwerlichen Weg in die Golfstaaten. Alle hoffen auf bessere wirtschaftliche Bedingungen, die ihnen und ihren Familien den Weg aus der Armut ermöglichen.

Auf der anderen Seite ist die Abhängigkeit von ausländischen Arbeitskräften längst zu einem Fluch für die saudische Wirtschaft geworden: Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von mehr als 30 Prozent muss die saudische Regierung dringend Jobs für Staatsangehörige schaffen, um den Arbeitsmarkt zu „saudisieren“. In der Vergangenheit war das schwierig, wollte doch kein Saudi-Araber unter sengender Hitze auf dem Bau oder für geringen Lohn als Kellner arbeiten. Noch immer sind neun von zehn Migranten im Privatsektor beschäftigt, während sich das Verhältnis im öffentlichen Sektor genau andersherum darstellt. Die Mehrheit der jungen saudischen Frauen und Männer verfügt über eine gute Ausbildung und ist daher kaum zu motivieren, im Service- oder Bausektor zu arbeiten. Viele streben noch immer nach einer familienfreundlichen und gut bezahlten Tätigkeit im öffentlichen Dienst, der jedoch längst gesättigt und aufgebläht ist.

Sollte es dem Kronprinzen Mohammed bin Salman also nicht gelingen, die Anzahl der ausländischen Arbeitskräfte zu reduzieren und mehr saudische junge Frauen und Männer in den Privatsektor zu integrieren, droht massive soziale Frustration. Falls die Nationalisierung des Arbeitsmarkts aber erfolgreich verlaufen sollte, werden Entsendestaaten wie Pakistan darunter leiden, da sich ihre wichtigste Einnahmequelle reduzieren würde. Denn: Hunderttausende Arbeitsmigranten wurden bereits in ihre Heimatländer ausgewiesen.

Sebastian Sons

Patronage und Korruption

➞ Dass Bestechlichkeit zu den Grundübeln am Golf gehört, ist nichts Neues. Dass man nun dagegen vorgehen will, schon eher. Doch die Bevölkerung bleibt skeptisch, was die Ankündigungen der Herrscher angeht.

Für ein gewaltiges mediales Aufsehen sorgte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman im November 2017, als er Hunderte Geschäftsleute und Mitglieder der saudischen Königsfamilie wegen Korruptionsverdachts in einem Luxushotel in der Hauptstadt Riad festsetzen ließ. Bis zu 100 Milliarden Dollar an so genannten „verlorenen Einnahmen“ erhoffte sich die Regierung dadurch zurückzuholen.

Die Verhaftungswelle in Saudi-­Arabien ist nur das prominenteste Beispiel für die Korruptionsbekämpfung, die sich alle Staaten des Golf-Kooperationsrats im Zuge der wirtschaftlichen Diversifizierung auf die Fahnen geschrieben haben. Fast scheint es, als sei sie eine direkte Reaktion der saudischen Regierung auf die öffentliche Wahrnehmung, wonach Korruption in den Golfstaaten ein „endemisches“ Übel ist, also eines, das Staat und Gesellschaft durchdringt.

So ergab eine 2007 durchgeführte Umfrage, dass 77 Prozent der Menschen in den Golf-Kooperationsratsstaaten Korruption als erhebliches und endemisches Problem sehen. Darüber hinaus spiegelte die Umfrage eine weit verbreitete Skepsis gegenüber der Motivation der Herrscherhäuser, das Korruptionsproblem umfassend anzugehen. 70 Prozent waren der Meinung, dass die Regierungen in Wirklichkeit nur begrenzt an der Bekämpfung von Korruption arbeiteten.

Die jährlichen Daten des Korruptionswahrnehmungsindexes von Transparency International unterstützen diese Einschätzungen. So wurden die Staaten des Golf-Kooperationsrats zwar zwischen 2012 und 2015 besser bewertet, aber nur die Vereinigten Arabischen Emirate konnten diesen Trend auch 2017 fortsetzen. Bahrain etwa stürzte 2017 von Rang 50 auf Rang 103 ab.

Kein Wunder, dass die Maßnahme des saudischen Kronprinzen auf breite Zustimmung in der Öffentlichkeit stieß. Allerdings hatte sie unerwünschte wirtschaftliche Nebenwirkungen: Beobachter bewerteten die Aktion als Schocktherapie, die ohne juristische Grundlage durchgeführt wurde. Infolgedessen sanken ausländische Investitionen im Königreich auf 1,4 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Noch im Jahr 2016 betrugen diese Investitionen 7,5 Milliarden Dollar.

Zudem können diese und andere Aktionen nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass Patronagenetzwerke und Verwandtschaftspolitik ein integraler Bestandteil des politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozesses am Golf sind und bleiben. Es ist üblich, dass Kabinettsposten oder Parlamentsmandate an Familien vergeben werden, die der Herrscherfamilie dafür ihre Loyalität zusichern. Die Begünstigten haben kein Interesse daran, das System der Gefälligkeiten einzuschränken. Im Gegenteil: Sie dürften versuchen, die Anti-Korruptionsmaßnahmen der Regierungen zu torpedieren.

Da die Golfstaaten ihrer Bevölkerung im Rahmen der wirtschaftlichen Modernisierung Sparmaßnahmen verordnet haben, wird die Kritik an den Patronage-Netzwerken lauter. Sie macht auch keinen Halt vor den Ausgaben des saudischen Kronprinzen, zu denen eine Luxusyacht und ein Schlossgarten in Frankreich gehören. In diesem Sinne wird der soziale Gesellschaftsvertrag derzeit in allen Golfstaaten neu definiert.

Christian Koch

Rüstungsindustrie

➞ Die Golfstaaten investieren kräftig in ihr militärisches Gerät. Als sonderlich schlagkräftig galten ihre Armeen dennoch bislang nicht. Vor allem in Ländern wie Saudi-Arabien zieht man die Konsequenzen und denkt strategisch um.

Wenn es um den Erwerb von Waffen geht, bleiben die Regierungen im Nahen und Mittleren Osten ausgabefreudig. So veröffentlichte das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) im Mai eine Studie, wonach die Staaten der Region im Jahr 2017 insgesamt 6,2 Prozent mehr für Militärgüter ausgegeben hätten als im Vorjahr. Insgesamt steckten sie 5,2 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in Rüstungsvorhaben. Zum Vergleich: In allen anderen Regionen weltweit waren es maximal jeweils 1,8 Prozent. Der ausgabenfreudigste Golfstaat war Saudi-Arabien, das Waffen für insgesamt 69,4 Milliarden Dollar erwarb. Weltweit bezahlen nur China und die USA noch mehr für ihr Militär.

Begonnen hat diese Entwicklung mit der Islamischen Revolution im Iran in den 1980er Jahren. Weil das saudi-arabische Königshaus nach der Machtergreifung der schiitischen Mullahs in Teheran um seinen Einfluss in der Region fürchtete, erhöhte es seine Militärausgaben SIPRI zufolge in den Jahren 1978 bis 1982 von zwölf auf 24 Milliarden Dollar. Großzügig mit Waffen beliefert wurde Saudi-Arabien dabei insbesondere von den USA, die mit dem Sturz des Schahs im Iran einen wichtigen Verbündeten in der Region verloren hatten – und nun umso entschiedener auf die Königsfamilie am Golf setzten.

Dieser Trend hat sich seitdem in der gesamten Region fortgesetzt. So haben SIPRI-Wissenschaftler ausgerechnet, dass die Zahl der Waffenimporte in den Nahen und Mittleren Osten im Zeitraum 2012 bis 2016, verglichen mit 2007 bis 2011, um 86 Prozent gestiegen sei.

Das Bonn International Center for Conversion macht dafür insbesondere zwei Gründe aus. Zum einen sind das die jahrzehntelangen Konflikte und Rivalitäten in der Region. So hat die stetige Aufrüstung der saudischen Königsfamilie ihre Nachbarstaaten angetrieben, ebenfalls die Militärausgaben zu erhöhen. Zum anderen waren den Ausgaben der Golfstaaten in der Vergangenheit dank ihrer hohen Öleinnahmen kaum finanzielle Grenzen gesetzt. Letzteres hat sich durch den Verfall des Ölpreises seit Mitte 2014 zumindest zeitweise geändert: In Saudi-Arabien etwa sanken die Militärausgaben zwischen 2015 und 2016 um 30 Prozent. Inzwischen aber hat sich diese Entwicklung wieder umgekehrt.

Viele der Golfstaaten verfügen dank ihrer Rüstungsimporte über die neuesten Technologien am Markt. Dass ihre Armeen dennoch bisher als wenig schlagkräftig galten, hat mit dem hohen Grad an Korruption im Militärsektor zu tun. Der von Transparency International erstellte Government Defence Anti-Corruption Index zeigt, dass vor allem der Oman, Bahrain und Katar ein sehr hohes Korruptionsrisiko aufweisen; in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten wird die Situation zumindest als „kritisch“ eingestuft. Hinzu kommt mangelnde Transparenz: So liegen aus den betroffenen Ländern vergleichsweise wenig Daten über Rüstungsvorhaben vor, wie auch SIPRI in seinen Berichten immer wieder kritisch anmerkt.

Ein weiteres Manko am Golf ist die mangelhafte militärische Organisation. So verfügen die Staaten zumeist über vergleichsweise wenig Kampferfahrung. Das zeigt der Global Fire Power Index, der die Armeen von 136 Ländern nicht nur im Hinblick auf ihre Waffen- und Personenstärke, sondern auch mit Blick auf die Qualität ihrer Ausbildung und Organisation vergleicht.

Sucht man hier nach den Mitgliedern des Golf-Kooperationsrats, findet man Saudi-Arabien gerade einmal auf Platz 26, hinter Polen und Taiwan. Dann folgen die Vereinigten Arabischen Emirate auf Platz 65 und der Oman auf Rang 79.

Lange Zeit betrachteten die Golfstaaten ihre Panzer als Prestigeobjekte und ihre Militärausgaben als Teil der diplomatischen Strategie. Sie kauften für viel Geld Waffen im Westen und sicherten sich so das politische Wohlwollen dieser Länder – allen voran der USA. Kooperationen zwischen den arabischen Staaten gab es dabei kaum; zu groß war das gegenseitige Misstrauen in der Region. Noch immer sind die Golfstaaten stark von Waffenimporten abhängig. Nach Angaben von SIPRI war der gesamte Nahe und Mittlere Osten im vergangenen Jahr für 30 Prozent aller Waffenimporte weltweit verantwortlich. Die meisten Waffen kamen aus den USA, Großbritannien und Frankreich.

Inzwischen aber modifizieren Staaten wie Saudi-Arabien ihre Militärstrategie. Das hat auch damit zu tun, dass das Atomabkommen mit dem Iran Zweifel an der Verlässlichkeit ihrer westlichen Partner geweckt hat. So sind seit einigen Jahren arabische Truppen öfter zu Kampfeinsätzen ausgerückt. Den professionellsten Ruf haben sich dabei die Streitkräfte der Vereinigten Arabischen Emirate erarbeitet, die zuletzt bei Einsätzen im Jemen, in Afghanistan und in Libyen Erfahrungen gesammelt haben.

Die Bilanz von Saudi-Arabien dagegen ist durchwachsen: So leitet die Streitmacht seit 2015 einen internationalen Einsatz im Jemen gegen die dortigen Huthi-Rebellen, ohne dass bisher ein Ende in Sicht wäre. UN-Menschenrechtler werfen den Streitkräften vor, zivile Opfer leichtfertig in Kauf zu nehmen. Seit März 2015 sind in dem Krieg mindestens 6600 Zivilisten getötet und mehr als 10 000 verletzt worden, darunter zahlreiche Kinder.

Einhergehend mit ihrem stärkeren Engagement in Krisengebieten versuchen die Staaten des Golf-Kooperationsrats auch bei ihren Rüstungsimporten unabhängiger vom Westen zu werden. Schließlich liefern langjährige Partner wie Deutschland aus politischen Gründen immer weniger Panzer und Raketen. Dabei verfolgen die Golfstaaten zwei Strategien. Zum einen sucht man sich mit China und Russland neue Handelspartner: Der saudische König Salman bin Abd al-Aziz Al Saud hat Ende 2017 milliardenschwere Rüstungs- und Energiegeschäfte mit Moskau vereinbart. Und weil die Vereinigten Staaten nicht liefern wollten, lässt das Königshaus seine unbemannten Drohnen nun von China bauen – und zwar vor der eigenen Haustür.

Vor allem aber bemühen sich Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, eigene Rüstungsindustrien aufzubauen. So haben die Emirate 2014 die Emirates Defence Industries Company gegründet, einen staatlichen Rüstungshersteller mit Fokus auf autonome Systeme, Landsysteme und Lenkflugkörper. Und der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman hat im Mai 2017 den staatlichen Rüstungskonzern Saudi Arabian Military Industries ins Leben gerufen. Sein ambitioniertes Ziel: Bis 2030 soll sein Land die Hälfte der Waffeneinkäufe aus lokaler Produktion decken, ausgehend von einem heutigen Niveau von etwa 2 Prozent.

Katja Scherer

Staat versus Privat

➞ Ein Job im aufgeblähten Staatssektor ist das Ziel vieler Absolventen in den Golfstaaten. Doch die Regierungen müssen sparen – und drängen die junge Generation in den ungeliebten Privatsektor.

Die Situation in vielen arabischen Staaten erinnert an den Morgen nach einer gelungenen Party oder an den ersten Arbeitstag nach dem Urlaub: Die Rückkehr in die Realität ist hart – weil es zuvor einfach zu schön war. Jahrzehntelang flossen Öleinnahmen wie von selbst in die Staatskassen, für die einheimische Bevölkerung gab es jede Menge gut bezahlte Jobs im öffentlichen Dienst. Doch diese unbeschwerten Zeiten sind vorbei.

Beispiel Saudi-Arabien: Nach Schätzungen arbeiten 70 bis 80 Prozent der dortigen Bevölkerung für den Staat; die Privatwirtschaft des Landes gilt als stark unterentwickelt. Die Arbeitslosigkeit lag nach Angaben der saudischen Statistikbehörde Ende 2016 zwar insgesamt nur bei 5,7 Prozent. Von den 15- bis 24-Jährigen aber war im vergangenen Jahr nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation jeder Vierte arbeitslos. Der bereits jetzt überbesetzte Staatssektor kann keine weiteren Arbeitskräfte mehr aufnehmen. Und die schlechter bezahlten Jobs in der privaten Wirtschaft werden von vielen jungen Saudis abgelehnt.

Die kleinen Nachbarn Kuwait und Katar sind fast noch stärker von den Öleinnahmen abhängig. In Kuwait etwa liegt der Anteil der Staatsdiener Medienberichten zufolge bei über 80 Prozent. Besser aufgestellt sind die Vereinigten Arabischen Emirate und allen voran Dubai, das selbst kaum nennenswerte Ölvorräte besitzt. Dementsprechend hat das Emirat frühzeitig angefangen, die Wirtschaft auf eine breitere Basis zu stellen. Gefördert wurden etwa der Immobiliensektor mit gewaltigen Bauprojekten wie dem höchsten Gebäude der Welt, dem Burj Khalifa. Auch den Finanzsektor hat das Emirat kräftig ausgebaut.

Die anderen Golfstaaten versuchen seit mehreren Jahren, einen ähnlichen Wandel einzuleiten. Sie tun sich damit bisher aber schwer. Denn während die Herrscher immer wieder betonen, wie wichtig der Ausbau der Privatwirtschaft sei, um neue Jobs zu schaffen, hält sich die Begeisterung der Bevölkerung darüber in Grenzen. In Saudi-Arabien etwa sind bisher nur rund 16 Prozent der privat Beschäftigten saudische Staatsbürger, den Rest der Arbeit erledigen Gastarbeiter. Im Oman liegt der Anteil der Einheimischen bei 12 Prozent. Die Arbeiten im Privatsektor sind oft eher einfache Tätigkeiten im Bausektor, Handel oder Gaststättengewerbe – Jobs also, die wenig prestigeträchtig und kaum nachgefragt sind.

Im höheren Management ist die Situation oft umgekehrt: Diese Jobs würden arabische Nachwuchskräfte gerne annehmen, viele Arbeitgeber lehnen aber dankend ab. Sie stellen lieber ausländische Fachkräfte ein, die teils besser ausgebildet, vor allem aber billiger sind und auch weniger familienfreundliche Arbeitszeiten akzeptieren.

Um Arbeitgeber und -nehmer zum Umdenken zu bewegen, haben die Regierungen mehrerer Golfstaaten so genannte „Einheimischenquoten“ eingeführt. Private Unternehmen sind also verpflichtet, einen bestimmten Anteil ihrer Stellen mit Staatsbürgern zu besetzen. In den Vereinigten Arabischen Emiraten beträgt diese Quote nach Angaben des deutschen staatlichen Außenwirtschaftsförderers GTAI für Betriebe ab 50 Mitarbeitern 2 Prozent. Im Bankensektor liegt die Quote sogar bei 4 und in der Versicherungsbranche bei 5 Prozent.

Ob solche Regelungen die gewünschte Wirkung zeigen, ist allerdings fraglich. So berichtete ZEIT ONLINE Mitte Juli, dass einige saudische Firmen als Reaktion Einheimische nur zum Schein anstellen – ihnen also monatlich Geld dafür zahlen, dass sie zu Hause bleiben.

Die saudische Regierung dagegen sieht erste Erfolge der Maßnahmen. Noch vor wenigen Jahren hätten erst 750 000 Saudis in privaten Unternehmen gearbeitet, nun seien es bereits 1,8 Millionen, erklärte Arbeitsminister Ali Nasser Al-Ghafis im vergangenen Jahr. Ziel sei es, bis 2030 drei Millionen Einheimische im Privatsektor unterzubringen. Ende 2017 hat das Königshaus beschlossen, seine Anstrengungen nochmals auszuweiten. Mit rund 72 Milliarden saudischen Rial (16 Milliarden Euro) wolle er die private Wirtschaft fördern, teilte König Salman mit. Ein Großteil des Geldes solle in die Bauwirtschaft fließen.

Ähnliche Initiativen gibt es auch in anderen Staaten. Dubai und die anderen Emirate bemühen sich stark, den Tourismus in der Region zu fördern. So reisten allein im vergangenen Jahr knapp 16 Millionen Menschen nach Dubai – ein neuer Rekord. Gut eine halbe Million Gäste stammten aus Deutschland. Die Ausrichtung der Expo 2020 soll weitere Reisende anziehen. Dafür sorgen auch neue steuerliche Regeln: Im August gaben die Emirate bekannt, dass Touristen, die vor Ort shoppen gehen, am Ende ihres Urlaubs die vor Kurzem eingeführte Mehrwertsteuer von 5 Prozent zurückerstattet bekommen. Das soll elektronisch und vollautomatisch geschehen.

Daneben investieren die Emirate kräftig in den Ausbau ihrer erneuerbaren Energien und in die IT-Wirtschaft – Sektoren, die künftig für neue Arbeitsplätze sorgen sollen. Ziel ist es, die Zahl der Arbeitnehmer im Privat­sektor auf 225 000 zu verzehnfachen.

Andere Golfstaaten tun sich mit dem Umbau ihrer Wirtschaft deutlich schwerer. In Kuwait stellte Scheich Sabah Al-Ahmad Al-Dscha­bir As-Sabah bereits 2010 eine „Vision 2035“ für sein Land vor, die aber ein Jahr später wieder ad acta gelegt wurde. Seit Anfang 2017 gibt es nun die „New Kuwait Vision 2035“, die – ähnlich wie die Vorgängerversion – den Umbau des Landes zu einem regionalen Finanz-, Handels- und Kulturzentrum vorsieht. Ob aus der Vision nun im zweiten Anlauf Realität wird, gilt allerdings als unsicher.

Katja Scherer

Think Big

➞ Futuristisch glänzende Städte im Wüstensand, Brücken, auf denen man einen Halbmarathon austragen könnte: Die Planer am Golf denken gerne in gigantischen Maßstäben. Und Geld spielt – noch – keine Rolle.

Gleich mehrere neue Planstädte sind es, die Saudi-Arabien in den kommenden Jahren aufbauen will. So soll nahe Medina am Roten Meer für rund 5,7 Milliarden Euro eine so genannte Knowledge City entstehen – eine Art arabischer Gegenentwurf zum Silicon Valley. Dort sollen sich vor allem Start-ups und Technologiefirmen ansiedeln.

Daneben will das Königshaus für 17,7 Milliarden Euro die Industriestadt Jubail ausbauen und zahlreiche Raffinerien, Stahlwerke und chemische Fabriken errichten. Als Ergänzung geplant ist die neue Hafenstadt Rabigh, die den Handel mit Europa und Asien stärken soll. Und die vierte Planstadt ist Jazan als Produktionshochburg für Pharmazie, Plastik- und Metallverarbeitung. Ziel dieser Projekte ist es, die saudische Wirtschaft unabhängiger von der Ölförderung zu machen.

All diese Pläne werden allerdings in den Schatten gestellt vom Bauvorhaben „Neom“ – so lautet der Name einer vollautomatisierten Wüstenstadt, die im Nordwesten des Landes auf einer Fläche so groß wie Hessen entstehen soll. Kostenpunkt: etwa 400 Milliarden Euro. Das Zukunftsprojekt soll mehr Roboter beherbergen als Menschen, ausschließlich mit erneuerbaren Energien versorgt werden und schon 2030 fertiggestellt sein.

Andere Golfstaaten wollen da nicht zurückstehen. In den Vereinigten Arabischen Emiraten, genauer gesagt in Dubai, soll eine neue Planstadt namens Ziggurat entstehen, in Form einer über 300 Stockwerke hohen Pyramide. Rund eine Million Menschen soll dort unterkommen. Erstmals vorgestellt wurden die Pläne 2008, der Baubeginn war für 2021 geplant. Jedoch gibt es bisher wenige Informationen darüber, ob der Termin eingehalten werden kann.

Nicht nur bei Immobilien- und Stadtentwicklungsprojekten haben die Golfstaaten große Pläne, sondern auch beim Infrastrukturausbau. In Kuwait etwa wird derzeit für rund drei Milliarden Dollar eine gut 36 Kilometer lange Brücke über die Bucht von Kuwait gebaut; die Eröffnung steht kurz bevor. Zudem planen mehrere Länder in der Region den Ausbau ihrer Flughäfen und U-Bahn-Systeme. So soll Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad bis 2019 mit sechs U-Bahn-Linien von insgesamt 176 Kilometern Länge ausgestattet werden. Die Bauarbeiten gelten als größtes Metro-Projekt der Welt und kosten rund 18,2 Milliarden Euro. Dagegen wirken die Pläne des Königreichs Bahrain, ab 2019 das ­Metro-Netz für bis zu 1,7 Milliarden Euro auszubauen, fast bescheiden.

Auch der Fernverkehr in der Golfregion soll modernisiert werden. So plant der Golf-Kooperationsrat ein länderübergreifendes Eisenbahnnetz. In einer ersten Phase sollen dabei der Oman, die Emirate, Saudi-Arabien und Katar verbunden werden – Kuwait und Bahrain sollen bis Ende 2023 folgen. Ursprünglich sollte ein solches Bahnnetz sogar schon in diesem Jahr fertiggestellt sein, aber der Einbruch der Ölpreise 2014/15 machte die Finanzierung der Pläne unmöglich. Die Kosten für den Ausbau des insgesamt rund 2100 Kilometer langen Schienennetzes wurden damals auf 15,4 Milliarden Dollar geschätzt.

Viel Geld geben die Golfstaaten auch für Prestigeprojekte aus. Saudi-Arabien etwa will Dubai den Rekord für das höchste Gebäude der Welt streitig machen. Der so genannte Jeddah Tower in der gleichnamigen Hafenstadt am Roten Meer soll bald den Burj Khalifa mit seinen 828 Metern übertreffen. Der neue Wolkenkratzer soll knapp über einen Kilometer in den Himmel ragen und auf 652 Metern Höhe eine Aussichtsplattform für Besucher bieten. Dieses Vergnügen lassen sich die Bauherren insgesamt rund eine Milliarde Euro kosten. Außerdem feierte die Königsfamilie kürzlich den Start der Bauarbeiten an einem riesigen Freizeitpark südwestlich der Hauptstadt Riad. Geplant sind Sportanlagen, Kulturzentren und Themenparks auf einer Fläche von insgesamt 334 Quadratkilometern – ein Areal, mehr als doppelt so groß wie das Walt Disney Land in Florida.

In Dubai konzentriert man sich dagegen lieber auf eine andere Baustelle: Das Emirat richtet 2020 die Weltausstellung Expo aus – und baut dafür direkt neben dem Messegelände noch einen neuen Flughafen. Auch eine neue Stadt für 30 000 Einwohner ist geplant. Sie soll zunächst die Messebesucher aufnehmen und dann von Dubais Bevölkerung genutzt werden. Von der Organisation der Expo lernen könnte Katar: Dort bereitet man sich derzeit auf die Fußballweltmeisterschaft vor, die 2022 dort ausgetragen werden soll.

Katja Scherer

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Bibliografische Angaben

IP Wirtschaft 03/2018, November 2018 - Februar 2019, S.30-51

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