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01. Juli 2007

Kein Herz für Bären

Eine allzu schroffe Haltung gegenüber Russland trübt die deutsche EU-Bilanz

Es waren hohe, mitunter zu hohe Erwartungen, mit denen die deutsche EU-Ratspräsidentschaft begleitet wurde. Ein Problem wie das des Verfassungsvertrags etwa konnte die deutsche Kanzlerin zunächst gar nicht öffentlich in Angriff nehmen. Ihre Vorschläge wären mitten im französischen Wahlkampf gelandet – und das wäre ihnen gar nicht gut bekommen. Weder Nicolas Sarkozy noch Ségolène Royal waren zu diesem Zeitpunkt bereit, irgendwelche verbindlichen Aussagen zum Thema Europa zu machen. Erst nach dem Ausgang der französischen Wahlen konnte man sich der Frage wieder annehmen und nach einem Kompromiss suchen, den man dann ja schließlich auch fand.

Nichts dokumentiert die Schwierigkeiten, mit denen Frau Merkel sich auseinandersetzen musste, besser als der Schlussparagraph der Berliner Erklärung. Da heißt es, dass „wir heute, 50 Jahre nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge, in dem Ziel geeint sind, die Europäische Union bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 auf eine erneuerte gemeinsame Grundlage zu stellen“. Wir wissen, dass die Worte „gemeinsame Grundlage“ für „Verfassung“ stehen und dass das Adjektiv „erneuerte“ die Änderungen ankündigt, die die deutsche Kanzlerin für notwendig hält, um aus dem Schwebezustand herauszukommen, in dem sich die Europäische Union seit dem Scheitern der Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden befindet. Eine klassische Kompromissformel: Großbritannien wollte nicht, dass das Wort „Verfassung“ erwähnt würde, und sie waren nicht die einzigen, die Bauchschmerzen damit hatten, anlässlich des 50. EU-Geburtstags über den europäischen Verfassungsvertrag zu sprechen.

Doch es gibt noch mindestens zwei weitere Aspekte, die Angela Merkels Ratspräsidentschaft interessant machen: die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und die zu Russland. Bei ihren Treffen mit George W. Bush hat die Kanzlerin ausdrücklich das Problem der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und Amerika angesprochen. Denn bei allen transatlantischen Meinungsverschiedenheiten lassen sich die Interessenverflechtungen nicht ignorieren, die in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind. Es gilt, sich auf gemeinsame Standards und Normen für eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit zu einigen. Während die Briten auf eine atlantische Gemeinschaft setzen, in der die Europäische Union einen Großteil ihrer Einigungsbestrebungen verlieren würde, schwebt Frau Merkel eine Zusammenarbeit vor, bei der Europa sich den Vereinigten Staaten als strategischer Wirtschaftspartner präsentiert und so die eigene Identität stärkt.

Was die Beziehungen zu Russland angeht, so sind meine Eindrücke weniger positiv. Deutschland täte gut daran, die Gefühle zu respektieren, mit denen man in Russland die Aufnahme der baltischen Länder in die NATO, die Perspektive eines amerikanischen Schutzschilds auf polnischem Territorium oder gewisse abschätzige Urteile aus dem Westen über das russische politische System aufgenommen hat. Ich meine, dass Gerhard Schröder, ungeachtet einiger peinlicher Ausrutscher in Stilfragen, insgesamt eine überzeugendere Russland-Politik betrieben hat als zuletzt Angela Merkel auf dem Gipfel von Samara. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass die Kanzlerin beim euro-russischen Gipfel wohl unbedingt den Part der versöhnenden Repräsentantin aller Länder der Union spielen wollte und es daher für nötig hielt, noch die größten Flegel unter ihren Mitgliedern in Schutz zu nehmen. Das ist eine Lektion in Sachen europäischer Stil, die sich an alle richtet, denen die Beziehungen zu den USA wichtiger sind als die zu Brüssel.

Aus dem Italienischen von Joachim Staron

SERGIO ROMANO, geb. 1929, war u. a. italienischer Botschafter in Moskau. Er schreibt für verschiedene Medien, darunter den Corriere della Sera, Panorama und Affari Esteri.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7/8, Juli/August 2007, S. 144 - 145.

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