Porträt

27. Juni 2022

Katarina Bervar Sternad: „Regierungen kommen und gehen, wir bleiben“

Ohne zivilgesellschaftliches Engagement hätte Slowenien anders gewählt. Porträt einer Aktivistin für Demokratie.

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Bild: Porträt von Katarina Bervar Sternard
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Eine der Wahlen, die den Befürwortern der Demokratie in diesem Frühjahr am meisten Hoffnung und Luft zum Atmen gab, fand in Slowenien statt. Dort gingen einer massiven Wahlbeteiligung umfangreiches zivilgesellschaftliches Engagement sowie eine Vielzahl von Aktionen und Kampagnen voraus. Das Ziel: Die anhaltenden antidemokratischen Angriffe der rechtsextremen Regierung abzuwehren, die Orbáns Autoritarismus in Ungarn nachgeahmt hatte. Eine derjenigen, die in den vergangenen Jahren einen wichtigen Beitrag zur Bildung von Koalitionen zum Schutz von Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Demokratie geleistet haben, ist Katarina Bervar Sternad.



„Die Zusammenarbeit und die Bündelung der Kräfte zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen sind von zentraler Bedeutung“, sagt die Rechtsanwältin, seit 2010 Direktorin des Legal Center for the Protection of Human Rights and the Environment (PIC). In den Jahren 2015 und 2016 schloss sich PIC mit anderen NGOs und Kollektiven zusammen, die Asylbewerbern in Europa Rechtsschutz bieten. 2021 gründete PIC mit Amnesty International Slowenien, dem IT-Institut Today Is A New Day und dem Institute for Culture of Diversity Open das sogenannte „Legal Network for the Protection of Democracy“. Dieser Schritt war eine Reaktion auf die immer schamloseren Versuche der rechtsextremen Regierung, die Rechtsstaatlichkeit zu untergraben und Menschenrechte zu verletzen.



„Zivilgesellschaftliche Organisationen sind von zentraler Bedeutung für den Schutz und die Verbesserung der Demokratie in der EU und in den Mitgliedstaaten“, sagt Bervar Sternad. „Ich bin an systemischen, nicht nur an individuellen Lösungen interessiert. Unsere kostenlose Rechtshilfe macht deutlich, wo systemische Veränderungen am nötigsten sind.“ Zivilgesellschaftliche Organisationen könnten die alltäglichen Erfahrungen von Menschen in Analysen und Untersuchungen umwandeln, um Verbesserungen im Rechtssystem anzustoßen.



Es war ihre Mentorin Senka Vrbica, mit der sie bis heute zusammenarbeitet, die Bervar Sternad 2010 dazu ermutigte, den Posten als PIC-Direktorin zu übernehmen. Vrbica erinnert sich noch gut: „Jeder Ökonom mit Wirtschaftsmodellen sagte voraus, dass PIC nicht überleben könne. Doch wir haben es geschafft und sind stark. Das ist das Ergebnis von Katarinas Arbeit, ihrem Mut und ihrer Beharrlichkeit. Ihr geht es wirklich um das Ideal der Gerechtigkeit, um Menschenrechte und um Rechtsstaatlichkeit – das überträgt sich.“



Angesichts des Aufstiegs autoritärer politischer Kräfte, die demokratische Errungenschaften sowohl auf EU-Ebene als auch in Mitgliedstaaten wie Slowenien untergraben wollen, stehen PIC und andere kleinere Organisationen der Zivilgesellschaft jedoch mittlerweile ständig vor neuen Herausforderungen, sagt Bervar Sternad. „PIC hat sich zum Ziel gesetzt, eine der führenden Rechtsberatungs­organisationen in den Bereichen Asyl, Umweltschutz, Kampf gegen Diskriminierung und Schutz von gefährdeten Gruppen zu sein. Das sind unsere Spezialgebiete. Ein demokratisches System sollte sicherstellen, dass NGOs frühzeitig in die Gesetzgebungsverfahren einbezogen werden. Denn wir bringen die Realitäten, mit ­denen die Menschen konfrontiert sind, auf den Tisch.“



Positive Gesetzesänderungen sollten einem Bottom-up-Prinzip folgen, sagt die Anwältin. „Regierungen sollten dankbar sein, dass Nichtregierungs- und andere zivilgesellschaftliche Organisationen als Vermittler fungieren und ihr Fachwissen, ihre Kenntnisse und ihre Erfahrungen einbringen können.“



Für ihre Integrität geachtet

Daraus ergeben sich jedoch auch eine große Verantwortung und die Notwendigkeit für NGOs, selbst offen, integrativ und verantwortungsbewusst zu handeln. Der slowenische Europaabgeordnete Milan Brglez betont die Integrität der PIC-­Direktorin. Bervar Sternad lasse sich in der universellen Achtung der Menschenrechte nicht erschüttern: „Sie dreht sich nie nach dem Wind und lässt sich nicht unterkriegen.“



Dabei waren die Angriffe und Drohungen gegen PIC – gerade von rechten Politikern und vor allem in den vergangenen Jahren – zahlreich. Dass die jüngste Wahlniederlage der rechtsextremen Koalition die Vorurteile und Verschwörungstheo­rien beenden wird, die von Politikern gegen NGOs geschürt werden, darf bezweifelt werden. Bervar Sternad sagt: „Auf lange Sicht müssen wir die Erwartungen der Menschen erfüllen. Wir arbeiten immerhin für sie. Aber um das zu erreichen, muss die konstruktive Kommunikation mit politischen Entscheidungsträgern fortgesetzt werden. Die größte Herausforderung ist es, als Organisation funktionsfähig zu bleiben und die notwendige personelle Ausstattung aufrechtzuerhalten. Wir sehen, was die Menschen brauchen und haben Verbesserungsvorschläge; aber das muss den Entscheidungsträgern auch vermittelt werden, damit sie handeln.“



Kritisch sieht sie die bestehenden Garantien für die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in Gesetzgebungsverfahren. „Wir brauchen Verfahren, die offener sind und die Beteiligung der Betroffenen fördern und ernst nehmen. Und wir brauchen eine systematische Finanzierung von tiefergehenden Analysen und Forschung sowie längere Zeitfenster für zivilgesellschaftliche Konsultationen. Derzeit hängt der Erfolg oft davon ab, dass die richtige Person zum richtigen Zeitpunkt angesprochen wird.“



Diese strukturellen Probleme von Demokratien seien sowohl auf der nationalen als auch auf der EU-Ebene erkennbar. „Eine offizielle EU-Strategie, die die Rolle der zivilgesellschaftlichen Organisationen anerkennt, könnte NGOs jedoch einen Platz in Gesetzgebungsverfahren geben. Dies ist vor allem für kleinere zivilgesellschaftliche Organisa­tionen wichtig.“



Wirtschaftslobbyismus hält Bervar Sternad für eines der größten Hindernisse der Demokratie und des öffentlichen Interesses und fragt: „Wenn wir versuchen, für etwas einzutreten und uns gegen Unternehmenslobbyisten stellen, wer wird dann gewinnen? Wer hat mehr Kapital, wer kann die Entscheidungsträger öfter besuchen, wer hat mehr Zeit und Ressourcen, wer kann mehr für Forschung und Analysen bezahlen? Ist das derzeitige System wirklich im öffentlichen Interesse?“ Besonders im Bereich des Umweltschutzes habe die Zivilgesellschaft keine Chance gegen die Lobbyisten, wenn diese tun und lassen könnten, was sie wollen.



Die Koalition People’s Voice, der sich PIC vor den Wahlen in Slowenien anschloss, rief die Menschen dazu auf, wählen zu gehen. Jetzt will das Netzwerk Instrumente nutzen und entwickeln, um Parlamentarier und die neue Regierung zur Rechenschaft zu ziehen – und den Politikern den Spiegel vorzuhalten. Bervar Sternad blickt voraus: „Vielleicht haben wir manchmal keinen Erfolg, aber wir bleiben hartnäckig – bis zur nächsten Regierung, oder bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Die Regierungen kommen und gehen, aber wir werden immer wieder hier sein. Die strukturellen Probleme müssen gelöst werden.“     



Aus dem Englischen von Kai Schnier

Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special 4, Juli 2022, S.52-53

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Kristina Božič ist eine slowenische Journalistin, die für verschiedene Medien über die Themen Menschenrechte, Gerechtigkeit und Freiheit schreibt.