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01. Juni 2009

Gewinner und Verlierer

... der Finanzkrise: eine Auswahl von Euro bis Entschleunigung

Verlierer der Finanzkrise

Protestantische Ethik

Arbeiten, sparen und das Vergnügen auf später verlegen – das ist die protestantische Ethik, die Max Weber als Grundlage des Kapitalismus ausmachte. Doch lange vor der Krise schlich sich ein Fehler ins System. Für die Produktion wurden weiter die alten Werte von Fleiß und Ordnung verlangt. Aber um die Produktion anzukurbeln, bedarf es des sofortigen Vergnügens, sprich Konsums. „Jetzt genießen, später bezahlen“ wurde in wachsendem Maße zur Devise. Und dass aus Geld mit immer abstrakteren Instrumenten noch sehr viel mehr Geld werden würde, zur falschen Verheißung. Dass die Tugenden der protestantischen Ethik in Vergessenheit gerieten, ist allerdings ebenso dem Bürger wie dem Banker geschuldet.

Vertrauen

Schlag nach bei Adam Smith: Nicht nur der Eigennutz, schrieb der Moralphilosoph und geistige Vater der Marktwirtschaft, bewege die „unsichtbare Hand des Marktes“. Sie rühre sich hilfreich nur dann, wenn das egoistisch handelnde Subjekt auch ein Mindestmaß an moralischem Handeln an den Tag lege. Vertrauen ist der Brennstoff des freien Marktes. Und je abstrakter und virtueller unsere Geldwirtschaft wird, desto wichtiger wäre es, wenn man sich aufeinander verlassen könnte – der Gläubiger auf die Bonität des Schuldners und der Anleger auf die Seriosität seiner Bank.

Wirtschaftswissenschaften

„Das Wort veraltet einem im Munde“, wusste schon Willy Brandt. Eine Erfahrung, die viele Wirtschaftswissenschaftler in den zurückliegenden Monaten gemacht haben. Nicht nur, dass die Krise sie völlig unvorbereitet traf. Als Wegbereiter der Politik tragen sie auch eine gehörige Mitschuld daran, dass es so weit hat kommen können. Nouriel Roubini von der New York University, der einzige, der das ganze Ausmaß der Krise voraussah, wurde von vielen aus seiner Zunft als Kassandra geschmäht. Der Crash der Finanzmärkte, er war auch der Bankrott der Ökonomen.

Extreme Ideologien

Parallelen zum Krisenjahr 1929 werden jetzt häufig gezogen. Der „schwarze Freitag“ – steht er nicht auch für den Aufstieg extremer linker wie rechter Ideologien, die sich erfolgreich als „echte Alternativen“ zu den Fährnissen des Kapitalismus verkauften? Doch 80 Jahre später ist weit und breit keine neue politisch-soziale Kraft am Horizont zu sehen und kein glaubwürdiges Zukunftsmodell, nur ein paar Handlungsreisende mit abgenutzter Ware im Musterkoffer der Ideologien.

Der Sozialstaat

Voll Bewunderung schaut die Welt auf Europa mit seinem Sozialstaat; federt er doch augenscheinlich die schlimmsten Folgen der Krise ab. Doch Transferleistungen im Dienste der sozialen Gerechtigkeit bedürfen einer wachsenden Wirtschaft und einer Gesellschaft, in der Armut, Arbeitslosigkeit und Überalterung nicht überhand nehmen. Wenn immer neue Konjunkturpakete die Verschuldung hochtreiben, bleibt wenig übrig für Investitionen in Bildung und Infrastruktur, stehen Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum auf dem Spiel. Und so wird der Sozialstaat das letzte Opfer der Krise sein. Oder doch: das vorletzte.

Die nächste Generation

„Was kümmert mich die Nachwelt“, pflegte einst Groucho Marx zu sagen, „hat die Nachwelt sich jemals um mich gekümmert?“ Krisen kosten Geld, aber die derzeitige sprengt viele Dimensionen. Ihre Folgen werden auch diejenigen bezahlen müssen, die über die aktuelle Politik noch nicht mitbestimmen können. Wenn Regierungen Schulden machen, bedeutet das für künftige Generationen eine Art Steuererhöhung – Kinder haften für ihre Eltern.

Gewinner der Finanzkrise

Der Sozialstaat

Zwei Jahrzehnte war der Sozialstaat der Paria unter den gesellschaftlichen Steuerungsinstrumenten. Zur allgemeinen (und oft berechtigten) Kritik an der ausufernden staatlichen Daseinsvorsorge kam seit Mitte der achtziger Jahre ein breiter Konsens darüber, dass in Sachen Sozialstaat weniger besser ist – und ganz wenig am besten. So breit war dieser Konsens, dass sich darüber nicht nur Ökonomen, Unternehmerverbände und die Dritte-Weg-Linke einig waren, sondern sogar große Teile des Stammtischs. Die Krise hat damit aufgeräumt. Der gesellschaftliche Wert des Sozialstaats wird nicht mehr bezweifelt. Teils weil die Krise nun auch jene erreicht, die wegen eigener Leistungsfähigkeit das soziale Netz für ein Relikt hielten, teils weil gerade die größten Propheten der Selbstvorsorge Milliarden zurückgelegte Euros und damit alle Glaubwürdigkeit verbrannt haben. Die Debatte darüber, wie viel Sozialstaat angemessen ist, wird bleiben. Aber die Argumente in diesem Streit sind wieder gleichmäßiger verteilt.

Der Euro

Argwöhnisch wurde er begrüßt, vor knapp siebeneinhalb Jahren. Euro = Teuro, das Etikett blieb lange haften. Wie die Furcht, er könnte die D-Mark, Symbol bundesrepublikanischer Stabilität und damit Demokratiefestigkeit, nicht gleichwertig ersetzen. Und heute? Wissen auch Euro-Skeptiker, dass die Finanzkrise in Europa ohne eine gemeinsame Währung wesentlich verheerender gewütet hätte.

Verhaltensökonomie

Aktiencrashs entstehen durch Panikverkäufe, Krisen durch Vertrauensverlust. Trotzdem schreibt die traditionelle Ökonomie dem Markt eine selbstheilende Wirkung zu, die auf der Rationalität der Akteure beruhe. Höchste Zeit, Mathematik und Modell über Bord zu werfen und ein realistischeres Bild vom menschlichen Verhalten in den Mittelpunkt der Ökonomie zu stellen? Ja, glauben einige Wirtschaftswissenschaftler: Schließlich handele der Mensch meist intuitiv. Und finde rationale Erklärungen für seine Entscheidungen erst im Nachhinein.

Entschleunigung

Schnelle Renditen, Bonuszahlungen noch vor Beendigung einer Transaktion und Spitzenmanagements ohne langfristige Perspektiven. Eine „allgemeine Hast“ macht Ralf Dahrendorf als Merkmal eines „Pumpkapitalismus“ aus, der in die jetzige Krise geführt habe. Ein neues Verhältnis zur Zeit sei jetzt gefordert, meint Dahrendorf. Mehr Voraussicht und Planung. Nicht das schnelle Geld, sondern die verlässliche Anlage.

Entschleunigung

Schnelle Renditen, Bonuszahlungen noch vor Beendigung einer Transaktion und Spitzenmanagements ohne langfristige Perspektiven. Eine „allgemeine Hast“ macht Ralf Dahrendorf als Merkmal eines „Pumpkapitalismus“ aus, der in die jetzige Krise geführt habe. Ein neues Verhältnis zur Zeit sei jetzt gefordert, meint Dahrendorf. Mehr Voraussicht und Planung. Nicht das schnelle Geld, sondern die verlässliche Anlage.

Die G-20

Spätestens seit dem Londoner G-20-Gipfel Anfang April ist klar, dass Schwellen- und Entwicklungsländer künftig nicht mehr von außen zusehen, sondern mit den Großen am Tisch sitzen und gestalten. Spürbar war die Verschiebung im globalen Machtgefüge schon im Vorfeld des Gipfels, als China kurzerhand die Abschaffung des Dollars als Leitwährung vorschlug. Der große Befreiungsschlag aus der Krise ist in London nicht gelungen. Aber der Gipfel hat gezeigt, dass die G-20 – und nicht G-7 oder G-8 – die zukünftige Entscheidungsplattform der globalen Finanz- und Wirtschaftspolitik ist. US-Präsident Obama formulierte es so: Die Welt werde nicht mehr von Roosevelt und ein paar anderen bei einem Glas Whiskey geregelt. Und das sei auch gut so.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, Juni 2009, S. 34 - 37.

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