Gemeinsam für globale Gesundheit
In der aktuellen Coronakrise fordert nicht nur die WHO, sondern auch das Robert Koch-Institut zu weltweiter Zusammenarbeit auf. Denn öffentlicher Gesundheitsschutz ist Verpflichtung und Chance zugleich für globales Gestalten.
Gesundheit – ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen – stellt sich dieser Definition der Weltgesundheitsbehörde (WHO) gemäß ein, wenn sämtliche Grundbedürfnisse eines Menschen erfüllt sind. Ohne Gesundheit fällt es Menschen schwer, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen und an gesellschaftlichem Leben teilzuhaben. Gesundheit ist eine bedeutende Determinante menschlichen Glücks, und sie ist auch wirtschaftliche und soziale Ressource einer Gesellschaft. Die Gesundheit der Bevölkerung insgesamt hat entscheidenden Einfluss darauf, wie wirtschaftlich erfolgreich und stabil eine Gesellschaft ist.
Bedingungen für ein gesundes Leben zu schaffen, liegt in der Verantwortung von Staaten. Politische Entscheidungsträger bestimmen, wer Zugang zu welcher Art von Gesundheitsversorgung hat und welche Prioritäten im öffentlichen Gesundheitswesen gesetzt werden. Jeder Staat ist aufgefordert, auf nationaler Ebene zu garantieren, dass allen Menschen Zugang zu einer qualitativ hochwertigen und bezahlbaren Gesundheitsversorgung ermöglicht wird, und dass Risiken für die Gesundheit – zum Beispiel durch Straßenverkehr, einen gefährlichen Arbeitsplatz oder Wohnen in einem sozialen Brennpunkt – abgebaut und gesundheitsförderliche Lebenswelten geschaffen werden. Der Generaldirektor der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, betonte in seiner Rede beim World Health Summit 2019 in Berlin, dass politischer Wille der entscheidende und zu oft fehlende Faktor für die Verbesserung von Gesundheit ist. Dies gilt für alle Staaten weltweit. Ohne die politische Entscheidung, Verantwortung für die Gesundheit der eigenen Bevölkerung zu übernehmen, ist eine dauerhafte und nachhaltige Entwicklung von Gesundheitssystemen und einer gesundheitsförderlichen Umwelt unwahrscheinlich.
Gesundheitsbedrohungen durch globale Verschiebungen
Im 21. Jahrhundert können Ziele für Gesundheit nicht mehr nur unter nationalen Aspekten entwickelt und verfolgt werden, sondern müssen immer in einen internationalen Kontext gebracht werden. Die hohe Konnektivität und Mobilität von Menschen, Kapital und Waren hat die Bedingungen für Gesundheit grundlegend geändert. Sehr deutlich zeigt sich das im aktuellen Ausbruch des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2, insbesondere in der engen Verbindung von nationalem und internationalem Gesundheitsschutz. Gesundheitsgefahren können sich innerhalb sehr kurzer Zeit über den ganzen Globus verteilen, und Antibiotikaresistenzen bedrohen in allen Ländern die medizinisch-wissenschaftliche Errungenschaft, Infektionskrankheiten wirkungsvoll zu bekämpfen. Der Klimawandel verändert traditionelle Krankheitsmuster, und Gesundheitspersonal migriert aus ärmeren in reichere Länder. Insgesamt ist die Komplexität des Zusammenwirkens von Faktoren, die Gesundheit bedingen, in den vergangenen Jahrzehnten enorm gestiegen.
Angesichts dieser Globalisierung von Gesundheit muss nationale Gesundheitspolitik im 21. Jahrhundert auch international wirken. Prävention und Eindämmen von Gesundheitskrisen erfordern ein international koordiniertes Vorgehen. Zur Krisenvorsorge und gänzlichen Vermeidung von Krisen ist es zwingend notwendig, die internationale Zusammenarbeit nachhaltig über Krisen hinaus zu etablieren. Die Systeme, die für Gesundheitsförderung, Gesundheitsschutz und Prävention von Krankheiten sowie für die Berücksichtigung sozialer und wirtschaftlicher Determinanten von Gesundheit notwendig sind, müssen weltweit gemeinsam gestärkt werden. Es ist daher nur konsequent, dass deutsche Ministerien globale Gesundheitsinitiativen finanzieren, und dass das deutsche Gesundheitsministerium (BMG) die Federführung für die Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsbehörde (WHO) hat, denn die dort diskutierten Themen und gefassten Entschlüsse wirken sich direkt auf Gesundheit in Deutschland aus.
Gesundheit als globales Menschenrecht
Neben dem jeweiligen nationalen Interesse an bestmöglicher Gesundheit für die Bevölkerung – als Grundrecht der Bürgerinnen und Bürger, aber auch aus anderen nationalen Beweggründen wie wirtschaftlicher und sozialer Stabilität – ist Gesundheit unveräußerliches Menschenrecht. Die Förderung von globaler Gesundheit ist daher moralisch geboten und zielt auf eine weltweit gerechtere Verteilung nicht nur von Gesundheitschancen, sondern auch von Krankheitsrisiken. Inakzeptabel ist zum Beispiel, dass ein heute in einem reichen Land wie Deutschland geborenes Kind im Durchschnitt 81 Jahre alt wird, ein in einem armen Land wie Malawi geborenes Kind im Durchschnitt jedoch nur 63 Jahre. Aber auch innerhalb von Staaten sind Gesundheitschancen und Krankheitsrisiken ungleich verteilt. In Deutschland beispielsweise haben Personen mit niedrigem sozialen Status ein etwa zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko für chronische Krankheiten wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Diabetes.
Die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen sind sichtbarer Ausdruck des moralischen Gebots, Gesundheit weltweit zu fördern: Neben dem expliziten SDG 3 „Gesundheit und Wohlergehen“ beinhalten sie eine Reihe weiterer Ziele, die für Gesundheit unabdingbar oder förderlich sind, wie SDG 2 „kein Hunger“ oder SDG 6 „sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen“.
Traditionellen Herausforderungen wie der Verbesserung der Mutter-Kind-Gesundheit oder der Reduzierung der Kindersterblichkeit infolge von Durchfall- oder Atemwegserkrankungen konnte in einigen Teilen der Welt erfolgreich begegnet werden, in vielen anderen aber nicht. Neue Herausforderungen sind durch den Anstieg von Altersdiabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Verkehrsunfällen als Hauptursache für Behinderung und Tod hinzugekommen. Die Gesundheitssysteme von Ländern mit niedrigen oder mittleren Einkommen sind oftmals nicht ausreichend ausgestattet, um den Bedarf an Gesundheitsförderung sowie Prävention und Kontrolle von Krankheiten inklusive der dafür notwendigen Rechtsvorschriften und Gesundheitsdienstleistungen decken zu können. Dem Menschenrecht auf Gesundheit muss aber für alle Menschen weltweit und ungeachtet ihrer Herkunft Geltung und Durchsetzung verschafft werden. Die Weltgemeinschaft verbindet daher die humanitäre Verpflichtung, das Wohlergehen des Einzelnen nicht auf Kosten anderer zu fördern.
Deutschland als Akteur im Bereich der globalen Gesundheit
In den vergangenen zehn Jahren ist Deutschland ein sichtbarer Akteur in globaler Gesundheit geworden. Als Treiber dieser Entwicklung dienten die politisch hochrangigen deutschen G7- und G20-Präsidentschaften 2015 und 2017 sowie Deutschlands Erfahrungen aus dem Engagement während der Ebola-Krise in Westafrika 2014 bis 2016.
In ihrer ersten Global-Health-Strategie hat die Bundesregierung im Jahr 2013 drei Ziele vorgegeben: 1. Schutz und Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland durch globales Handeln, 2. Wahrnehmung globaler Verantwortung durch die Bereitstellung deutscher Erfahrungen, Expertise und Mittel sowie 3. Stärkung internationaler Institutionen der globalen Gesundheit.
Diese Ziele werden durch fünf Maßnahmen verfolgt:
- wirksam vor grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren schützen,
- Gesundheitssysteme weltweit stärken – Entwicklung ermöglichen,
- intersektorale Kooperationen ausbauen – Wechselwirkungen mit anderen Politikbereichen,
- Gesundheitsforschung und Gesundheitswirtschaft – wichtige Impulse für die globale Gesundheit setzen,
- globale Gesundheitsarchitektur stärken.
Die Global-Health-Strategie von 2013 wird derzeit überarbeitet. Ein durch das BMG im August 2017 eingesetztes internationales Beratergremium zu globaler Gesundheit veröffentlichte im Juni 2019 Empfehlungen für die neue Global-Health-Strategie Deutschlands.
Denen zufolge solle Deutschland a) seine Führungsrolle im Bereich globale Gesundheit festigen und ehrgeizig, kreativ und ergebnisorientiert auf Grundlage eines partnerschaftlichen Ansatzes ausüben; b) seine Aktivitäten auf Bereiche fokussieren, in denen es sein politisches Engagement, seine Expertise und sein Know-how bestmöglich nutzen kann. Deutschland brauche c) eine anerkannte Fachdisziplin und Karrierestruktur im Bereich globale Gesundheit. Es solle in den Aufbau von Fähigkeiten in der globalen Gesundheitsforschung, insbesondere an Universitäten, investieren. Und d) solle Deutschland seiner internationalen Verpflichtung nachkommen, die angestrebte ODA/BNE-Quote in Höhe von 0,7 Prozent zu erreichen, wovon mindestens 0,1 Prozent in den Bereich Gesundheit fließen sollte. Außerdem solle es sich für eine deutliche Erhöhung der Pflichtbeiträge für die WHO einsetzen.
Im Koalitionsvertrag von 2018 wird globale Gesundheit in einem separaten Absatz behandelt. Hiernach hat sich die Bundesregierung den klaren Auftrag erteilt, sich für Gesundheitssicherheit, die Prävention von internationalen Pandemien, die Stärkung von Gesundheitssystemen in Entwicklungsländern sowie die Stärkung der WHO zu engagieren. Die beiden wichtigsten politischen Gremien, die auch eine Verbindung zwischen den Ministerien herstellen sollen, sind der Staatssekretärs(StS)-Ausschuss für nachhaltige Entwicklung und der parlamentarische Unterausschuss (UA) Globale Gesundheit beim Ausschuss für Gesundheit des Bundestags.
In seinem Beschluss vom 29. Oktober 2018 bekräftigt der StS-Ausschuss für nachhaltige Entwicklung, dass „[…] Gesundheit in Deutschland ebenso wie global zugleich Ziel, Voraussetzung und Motor für eine nachhaltige Entwicklung und die Gewährleistung eines erreichbaren Höchstmaßes an körperlicher und geistiger Gesundheit ein unveräußerliches Menschenrecht ist, bei dessen Verwirklichung niemand zurückgelassen werden darf“. Darüber hinaus betont er „[…] die Bedeutung der neuen Strategie der Bundesregierung zu Globaler Gesundheit angesichts der hohen internationalen Erwartungen an Deutschlands Engagement in der Globalen Gesundheit, die ein klares Profil, das auf den Stärken Deutschlands aufbaut, erforderlich machen“.
Der UA Globale Gesundheit des Bundestags wurde in der aktuellen Legislaturperiode mit der Begründung eingerichtet, dass die Auswirkungen von Infektionskrankheiten und Antibiotikaresistenzen weit über nationale Grenzen hinausgingen und dass durch Migrationsbewegungen neue gesundheitliche Herausforderungen entstünden. Aufgabe des UA ist es, die übergreifende Zusammenarbeit und den Austausch aller beteiligten parlamentarischen Gremien zu erleichtern.
Weitere Strukturen und Aktivitäten
Eine Reihe weiterer Strukturen, Aktivitäten und Initiativen zu globaler Gesundheit haben sich in den vergangenen Jahren neben den bereits bestehenden entwickelt. Seit 2009 bringt der World Health Summit jedes Jahr zwischen 1200 und 2500 Expertinnen und Experten aus Politik, Wissenschaft und Medizin, der Privatwirtschaft und aus zivilgesellschaftlichen Organisationen zu Diskussionen über globale Gesundheit in Berlin zusammen. Auch das seit 2016 bestehende Zukunftsforum Public Health beschäftigt sich mit Fragen der globalen Gesundheit.
Ebenfalls seit 2016 finanziert das BMG das Global Health Protection Programme (GHPP). Im Rahmen von GHPP unterstützen Fachinstitute des BMG, wie das Robert Koch-, das Paul-Ehrlich- oder das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, und weitere deutsche Einrichtungen Partner weltweit bei der Prävention und der Bekämpfung von Krankheitsausbrüchen. Die Projekte sind komplementär zu den Maßnahmen für die Entwicklungszusammenarbeit des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), der humanitären Hilfe des Auswärtigen Amtes und der Forschungsförderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) angelegt.
Am Robert Koch-Institut, dem Public-Health-Institut für Deutschland, ist im Januar 2019 eine neue Abteilung eingerichtet worden, das Zentrum für Internationalen Gesundheitsschutz (ZIG). Zu den Hauptaufgaben des ZIG gehören Informationsmanagement, die Entwicklung evidenzbasierter Methoden im Bereich des globalen Gesundheitsschutzes sowie die Unterstützung bei der Umsetzung von internationalen Public-Health-Projekten. Ziel ist es, deutsche Aktivitäten im Bereich globaler Gesundheit nachhaltig zu gestalten und langfristige Partnerschaften aufzubauen. Das ZIG trägt auch zur Erfüllung der neuen Aufgaben im Bereich des internationalen Gesundheitsschutzes bei, wie sie in der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes von 2017 formuliert sind.
Seit Februar 2019 gibt es außerdem den durch das BMG finanzierten Global Health Hub Germany mit 200 Partnern von Gesundheitsorganisationen, Stiftungen, Nichtregierungsorganisationen, aus der Wissenschaft und der Gesundheitswirtschaft. Ziel des Netzwerks ist es, Akteure aus verschiedenen Sektoren und Bereichen der Gesellschaft im weltweiten Kampf gegen Krankheiten und zum Vorantreiben von Präventionsprojekten zu vereinen. Die Geschäftsstelle des Global Health Hub Germany ist bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH angesiedelt. Die GIZ ist im Auftrag verschiedener Ministerien international tätig, insbesondere und seit Langem im Auftrag des BMZ auch in Projekten zur Gesundheitssystemstärkung weltweit.
Eine Vernetzungsplattform „Forschung für Globale Gesundheit“ wird zurzeit aufgebaut. Das BMBF möchte damit die deutsche Forschung im Bereich der Globalen Gesundheit nachhaltig strukturell stärken.
Zu nennen ist auch die Deutsche Plattform für Globale Gesundheit, auf der sich seit 2011 verschiedene im Gesundheitsbereich tätige zivilgesellschaftliche Akteure zusammengefunden haben, um die sozialen Bedingungen für Gesundheit stärker in den Mittelpunkt der nationalen und internationalen Gesundheitsdebatte zu rücken. Unter einem anderen Fokus bildete sich 2017 die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V., deren Ziel es ist, auf die weitreichenden Folgen der Klimakrise auf Gesundheit hinzuweisen. Zur Repräsentation und Förderung von Frauen in globaler Gesundheit wurde 2018 die deutsche Sektion von Women in Global Health gegründet, und in einer Reihe von Nachwuchsinitiativen wie beispielsweise den Young Leaders for Health engagieren sich weitere Aktivisten.
Deutschlands bisherige Zurückhaltung bei der Einnahme einer führenden Rolle in globaler Gesundheit – wie sie von anderen Akteuren als Erwartung formuliert wird, insbesondere im Zusammenhang mit Befürchtungen, dass die beiden größten Geldgeber für globale Gesundheit, USA und Großbritannien, ihr finanzielles Engagement reduzieren könnten – ist zum einen historisch bedingt. Zum anderen ist auch die Expertise im Bereich globaler Gesundheit noch begrenzt und muss weiter entwickelt werden. Vergleichbares gilt für die Übernahme von Finanzverantwortung. In den vergangenen Jahren hat Deutschland seine durchschnittlichen jährlichen Ausgaben für globale Gesundheit von 579 Millionen Dollar Mitte der 2000er Jahre auf fast 1,1 Milliarden Dollar im Zeitraum von 2014 bis 2016 gesteigert. Das WHO-Ziel, 0,1% des Bruttonationaleinkommens für globale Gesundheit auszugeben, ist damit nicht annähernd erreicht, denn zum Erreichen dieses Zieles wären drei Mal so hohe Ausgaben erforderlich.
Was tun?
Sarah Whitmee et al. beschreiben 2015 im Bericht der The Rockefeller Foundation–Lancet Commission on planetary health drei Herausforderungen, die der Erhaltung und Verbesserung von globaler Gesundheit angesichts zunehmender Umweltschäden im Wege stehen: 1. konzeptionelle Fehlannahmen sowie fehlende Empathie (Herausforderungen für die Vorstellungskraft), 2. Erkenntnisfehler und Wissenslücken (Herausforderungen für Forschung und Wissensaustausch) und 3. Implementierungsfehler (Herausforderungen für die politische Steuerung). Diese drei Herausforderungen gelten auch in Bezug auf das deutsche Engagement für globale Gesundheit und Gesundheitsschutz. Im Folgenden werden einige Ideen vorgestellt, wie diesen Herausforderungen begegnet werden kann.
Partnerschaftlichkeit ernsthaft umsetzen
Im Bereich der globalen Gesundheit zeigen sich Herausforderungen für die Vorstellungskraft zum Beispiel durch einen fortbestehenden Glauben daran, dass vertikale, krankheitsbezogene Hilfsprogramme nahezu automatisch ein Gesundheitssystem insgesamt stärken. Auch ein mangelndes Verständnis für die überproportionale Auswirkung fehlender Gesundheitsversorgung auf Arme, Notleidende und Menschen, die in armen Ländern leben, führt zu Fehleinschätzungen. Diesen Herausforderungen kann mit Partnerschaftlichkeit begegnet werden, denn tatsächlich können Aufgaben im Bereich globaler Gesundheit nur gemeinsam bewältigt werden, wenn der Anspruch auf Nachhaltigkeit erhoben wird. Partnerschaftliches Denken ermöglicht die Ausrichtung von Projekten an den Bedürfnissen der jeweiligen Zielgruppe und den strukturellen und politischen Rahmenbedingungen in den Partnerländern, und zu diesem Zweck sind Vertrauen und ein offener Austausch zwischen Ländern und Partnerinstitutionen ebenso wichtig wie die notwendigen finanziellen Mittel. Beide Faktoren, Partnerschaftlichkeit und Zielgruppenorientierung, können sich synergistisch auf Nachhaltigkeit auswirken.
Partnerschaftlichkeit zeigt sich vor allem in der partizipativen Entwicklung von Projekten, insbesondere bei der Auswahl und Priorisierung von Aktivitäten. Dies verlangt einen Dialog nicht nur mit den Projektpartnern vor Ort, sondern auch mit der Zielgruppe, die von den Projektaktivitäten profitieren soll. Ein Projekt zur Infektionsprävention und -kontrolle bei Ebolafieber beispielsweise lässt sich schwer vermitteln, wenn die alltägliche Basishygiene in der lokalen Gesundheitsstation unzureichend ist. Und keiner Mutter ist zu vermitteln, dass ihre an Malaria erkrankten Kinder weniger Aufmerksamkeit durch die nationalen Gesundheitsbehörden und die internationalen Gesundheitsakteure bekommen, als der an Ebolafieber erkrankte Cousin – wie vor Kurzem im Ebolafieber-Ausbruch in der Demokratischen Republik Kongo zu beobachten war.
Partnerschaftlichkeit zeigt sich ebenso in der partizipativen Steuerung von Projekten wie zum Beispiel in geteilter Entscheidungsmacht sowohl über die Verwendung von Finanzmitteln als auch über die Ausrichtung mit dem Ziel einer vollständigen Selbstorganisation der Partner. Hier ist es nicht hilfreich, wenn während eines Projekts komplexe Geräte angeschafft werden und zum Einsatz kommen, die nach Projektende nicht selbständig betrieben und gewartet werden können. Die Nutzung lokaler Produkte und lokaler Lieferketten für Verbrauchsmaterialien ist ein weiteres Beispiel für partizipationsfördernde Verfahren.
Auch die Verwertung von Projektergebnissen muss bewusst partizipativ erfolgen. Dies betrifft die Publikation von Ergebnissen, die Präsentation auf wissenschaftlichen Konferenzen und die Vermittlung von Ergebnissen an lokale und nationale Entscheidungsträger.
Evidenz generieren
Herausforderungen für Forschung und Wissensaustausch bestehen unter anderem in Bezug auf das Wissen über gesellschaftliche und umweltbedingte Treiber für Gesundheit und Krankheit in verschiedenen geografischen und kulturellen Kontexten. Wie die medizinische Versorgung von Erkrankten müssen auch präventive und gesundheitsfördernde Interventionen und Maßnahmen zur Verbesserung der globalen Gesundheit auf validen wissenschaftlichen Daten, sogenannter starker Evidenz, beruhen. Diese Daten zu generieren, dort wo sie fehlen, beziehungsweise die Datenbasis zu verbessern, wo sie lückenhaft oder falsch ist, ist ein entscheidender Teil der Herausforderung, die Global Health darstellt. Global-Health-Forschung zielt auf die Beantwortung von Fragen der Machbarkeit, Akzeptanz, Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit. Die Tatsache allerdings, dass eine stärkere Evidenz notwendig ist, um geeignete gesundheitspolitische Strategien zu verfolgen, die besser sind als die, die derzeit zur Verfügung stehen, darf nicht als Entschuldigung für Untätigkeit dienen.
Neben der Generierung neuer und verlässlicher Daten sollten Global-Health-Projekte immer durch wirkungsorientierte Implementierungsforschung begleitet werden, um bereits im Laufe eines Projekts Adjustierungen vornehmen zu können, wenn gesteckte Ziele nicht oder zu wenig erreicht werden. Wird zum Beispiel eine neue Methode der Vermittlung von Infektionskontrollmaßnahmen eingesetzt, so ist es bereits im Projektverlauf hilfreich zu erheben, ob dadurch die Compliance mit den vorgeschriebenen Maßnahmen steigt.
Die politische Debatte suchen und pflegen
Herausforderungen für die politische Steuerung zeigen sich unter anderem in der verzögerten Art und Weise, wie Regierungen Gesundheitsbedrohungen anerkennen und auf sie reagieren. Das ist insbesondere der Fall, wenn Entscheidungen in einem Kontext von Unsicherheit getroffen werden müssen, gemeinsame Ressourcen zu binden und Zeitverzögerungen zwischen Handlung und Effekten zu erwarten sind. Das Vorliegen starker Evidenz erzeugt bei Entscheidungsträgern nur bedingt Handlungsdruck für eine Umsetzung von Global-Health-Maßnahmen. Unter Umständen stehen Partikularinteressen einzelner Akteure dem Wohl einer oftmals wenig einflussreichen Zielgruppe entgegen.
Ein solcher Akteur kann ein Unternehmen sein, das vorrangig den Regelungen des Marktes folgt, wie Debatten um ein Verbot von Tabakwerbung oder die Preisgestaltung für Medikamente zeigen. Das Konzept von kommerziellen Determinanten von Gesundheit offenbart die Zusammenhänge von unternehmerischen Marketing-, Investitions- und Produktionsstrategien vor allem bei gesundheitsschädigenden Produkten und nicht übertragbaren Erkrankungen wie Diabetes, Adipositas und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Indem wirtschaftliche Akteure das Schicksal von Erkrankten individualisieren, werden präventive Ansätze auf gesellschaftlicher Ebene, wie die Besteuerung von tabak-, alkohol- und zuckerhaltigen Produkten, als politische Regulierungsmaßnahme ausgeschlossen.
Um Gesellschaften langfristig gesund zu erhalten und ihre Gesundheit zu fördern, sind Maßnahmen notwendig, die sich zum Teil erst nach Jahrzehnten auszahlen und daher aus dem Blick mancher auf Wahlperioden fokussierten Politikerinnen und Politiker geraten. Die Werbung um solche Maßnahmen und deren Durchsetzung erfordert Ausdauer und Interesse an langfristiger Planung.
Die Diskussion von Rationierung und Priorisierung ist sowohl in Deutschland als auch in den Partnerländern wichtig. Public-Health-Instituten kommt aufgrund ihrer Expertise eine wichtige Beratungs- und Korrekturfunktion zu. Sie können die Verbindung zwischen Gesundheitsversorgung und Gesundheitspolitik herstellen, wenn vor allem drei Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens muss der Begriff Public Health als multidisziplinäres Konstrukt verstanden werden, das neben vielen anderen Aspekten auch ethische, rechtliche, soziale, ökonomische und ökologische Determinanten von Gesundheit umfasst. Zweitens müssen Public-Health-Institute auf wissenschaftlicher Basis unabhängig von politischen Entscheidungsträgern beraten können, und drittens sollten Public-Health-Institute in allen gesundheitsrelevanten Politikfeldern beratend aktiv sein; bei Entscheidungen über die Nutzung fossiler Energieträger beispielsweise haben sie bisher kein direktes „Beratungsrecht“, obwohl die Auswirkungen auf die Gesundheit unumstritten sind. Forschungserkenntnisse in zielführende und nachhaltig wirksame Politik zu verwandeln, bleibt eine große Herausforderung.
Globales Engagement für Gesundheit als Verpflichtung und Chance
Schutz und Förderung öffentlicher Gesundheit verpflichtet zu globalem Denken und Handeln, da sich die Bedingungen für Gesundheit stark verändert haben („gemeinsam handeln, um unsere Gesundheit zu schützen“). Die Förderung der öffentlichen Gesundheit ist aber auch eine Chance, die Möglichkeit globalen Gestaltens zum Wohle aller zu demonstrieren („gemeinsam handeln für das Wohl aller weltweit“).
Die gerechtere Verteilung von Lebenschancen und Wohlstand durch gemeinsame Anstrengungen voranzubringen, ist insbesondere in Zeiten, in denen multilaterales Handeln zugunsten von nationalstaatlichem interessengeleiteten Denken zurückgedrängt wird, wichtig. Der deutschen normativen Orientierung am Multilateralismus entsprechen die aktuellen Appelle des WHO-Generaldirektors, zum Wohl der Weltgemeinschaft in der SARS-CoV-2-Epidemie global zusammenzuarbeiten: „Let our shared humanity be the antidote to our shared threat.”
Autorinnen und Autoren: Dr. Barbara Buchberger, Prof. Dr. Johanna Hanefeld, Dr. Iris Hunger, Prof. Dr. Lothar H. Wieler, alle Robert Koch-Institut, Maike Voss, Stiftung Wissenschaft und Politik.
Internationale Politik, Online exklusiv, April 2020