Titelthema

24. Juni 2024

Frauen, Frieden und Sicherheit

Konfliktlösung statt militärischer Machismo: Die israelische Verteidigungspolitik aus einer feministischen außenpolitischen Perspektive.

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Bild: Skizze einer Frau in Uniform
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Zur Beantwortung der Frage, wie sich in Israel eine integrative, inklusive und feministische Außen- und Sicherheitspolitik etablieren lässt, müssen wir zunächst die Grundlagen der israelischen Politik in den Blick nehmen; einer Politik, die prinzipiell demokratischen Werten und dem Anspruch, die Rechte der Frauen zu wahren, verpflichtet ist. Zu dieser Politik gehören aber auch sehr spezielle, im Grunde einzigartige Sicherheits­herausforderungen. Der Weg zu einem integrativeren Sicherheitsparadigma in Israel ist daher mit einigen Hindernissen behaftet. Zunächst gilt es, in Richtung einer inklusiven Gesellschaft voranzukommen, um dann im nächsten Schritt die Voraussetzungen für eine inklusive Staatsführung und Sicherheitspolitik zu schaffen.

Es hat viel mit der Geschichte der Judenverfolgung und mit den Sicherheitsbedrohungen zu tun, denen Israel sich gegenübersieht – dem israelisch-palästinensischen Konflikt, dem iranischen Atomprogramm oder den Angriffen von Terrorgruppen wie der Hisbollah im Libanon oder der Hamas im Gazastreifen –, dass Israel nicht nur auf seinem Recht auf Selbstverteidigung und Abschreckung besteht, sondern auch und sogar Präventivschläge als zulässig erachtet.


Stärke als Prämisse

Um die Sicherheit des jüdischen Staates zu gewährleisten, hat Israel über die Jahrzehnte einen mächtigen Militärapparat aufgebaut; das Land verfügt über hochmoderne Waffensysteme. Seine Politik beruht auf der Prämisse, dass Israel seine Feinde nur dann von Angriffen abschrecken kann, wenn es Stärke zeigt. Israel wird immer wieder dafür kritisiert, dass es gegen das Völkerrecht und das Grundprinzip der Selbstverteidigung verstoße, es hält jedoch an seiner Position fest, dass präventive Fähigkeiten für das Überleben des Staates in einem instabilen und volatilen Umfeld notwendig sind.


Gegen die Kultur der Gewalt

Schaut man aus einer feministischen außen­politischen Perspektive auf die Werte hinter der israelischen Sicherheitspolitik, so wird man feststellen, dass es männliche Vorstellungen von Gewalt, Macht und militärischer Kontrolle sind, die Vorrang vor gewaltfreien Ansätzen wie Konflikt­lösung und friedlichen Verhandlungen haben und damit vor Ansätzen, die menschliche Sicherheit und den Schutz gefährdeter Gemeinschaften in den Mittelpunkt stellen. 

Ein feministischer außenpolitischer Ansatz würde die Notwendigkeit eines starken Militärs und die Anwendung von Gewalt zur Erreichung strategischer Ziele infrage stellen. Er würde zudem die Art und Weise bewerten, wie der traditionelle Militarismus eine Kultur der Gewalt und Aggression aufrechterhält, und versuchen, gewaltfreie Strategien aufzuzeigen: etwa Investitionen in Bildung und Chancengleichheit, um die Grundursachen von Konflikten zu bearbeiten und Sicherheit und Stabilität für alle zu fördern. 

Diese Strategie gibt der menschlichen Sicherheit Vorrang vor der staatlichen Sicherheit. Aus dieser Perspektive hätten Maßnahmen, die dem Schutz der Zivilbevölkerung in Konfliktgebieten dienen und sich mit Fragen der geschlechtsspezifischen Gewalt befassen, Vorrang vor staatlichen Interessen. Frauen könnten zur Konfliktprävention beitragen, sagt etwa der Konfliktforscher Nir Levitan, indem sie aktiv den Dialog und Ver­mittlungs­prozesse förderten und so die Ursachen von Konflikten angingen, insbesondere in Gebieten, die von Gewalt betroffen sind. Levitan zufolge würde ein größerer Anteil von Frauen in Führungs­positionen auf der ganzen Welt die Aussichten auf dauerhaften Frieden und Stabilität verbessern.

Mit dem 7. Oktober war die Hoffnung auf Normalisierung ohne Anerkennung der palästinensischen Forderungen erledigt

Schon in der im Jahre 2000 verabschiedeten Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrats zu „Frauen, Frieden und Sicherheit“ wurde die Bedeutung der Beteiligung von Frauen an Friedenspro­zessen und an der Konfliktlösung unterstrichen, und auch hier wurde eine angemessene Vertretung von Frauen auf allen Entscheidungsebenen gefordert. Trotz der Verpflichtung aller Unterzeichnerstaaten, die Resolution umzusetzen, ergriff in der Folge allerdings nur eine kleine Minderheit konkrete Maßnahmen. Auch in Israel nahm man die Resolution seinerzeit zwar an und verpflich­tete sich, internationale Normen in die Gesetzgebung zu integrieren; vollständig umgesetzt wurden die Beschlüsse aber nicht. 

Ein weiterer zentraler Wert der israelischen Sicherheitspolitik ist die Diplomatie. Neben den schon länger bestehenden Friedensabkommen mit Ägypten und Jordanien hat Israel in den vergangenen Jahren seine diplomatischen Beziehungen zu anderen arabischen Staaten wie den Vereinig­ten Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko und dem Sudan ausgebaut. Die daraus resultierenden Friedens-, Normalisierungs- und Handelsabkommen zeigen das Engagement Israels und sein Bestreben, Sicherheit und Stabilität in der Region zu ­verbessern. Mit dem von der Hamas am 7. Oktober begonnenen Krieg wurde allerdings die Vorstellung erschüttert, Israel könnte eine Normalisierung im gesamten Nahen Osten erreichen, ohne die palästinensischen Forderungen anzuerkennen. Heute besteht in Israel ein allgemeiner Konsens darüber, dass eine dauerhafte Lösung für diesen Konflikt gefunden werden muss.


Gleichstellung und Stabilität

Ungeachtet seiner speziellen Sicherheitsherausforderungen ist Israel als demokratischer Staat bestrebt, die Freiheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu schützen und die Menschenrechte zu achten. Dementsprechend sorgte im Juli 2023 eine von der Knesset verabschiedete Gesetzesänderung, wonach die gerichtliche Überprüfung von Regierungsentscheidungen erschwert werden sollte, für erhebliche Bedenken. Trotz des Widerstands aus der israelischen Gesellschaft und von Experten setzte die Koalition den Gesetzesentwurf im Rahmen ihres Justizreformpakets durch. Schlussendlich sollte das Gesetz der Regierung uneingeschränkte Handlungsfreiheit geben und den Obersten Gerichtshof als Kontrollinstanz ausschalten. Regierungsentscheidungen, die auf Korruption beruhen oder in sonst einer Weise rücksichtslos sind, hätte so nichts mehr im Weg gestanden. 

Am 1. Januar 2024 erklärte der Oberste Gerichts­hof diese Gesetzesänderung jedoch mit einer 8:7-Mehrheit für ungültig und bestätigte darüber hinaus mit einer 12:3-Mehrheit seine Befugnis zur Aufhebung von Grundgesetzen. Das Parlament stellte fest, dass „die Änderung einen schweren und noch nie dagewesenen Schaden für die zen­tralen Merkmale Israels als Demokratie verursacht“ hätten. Dies löste eine hitzige Debatte in der Knesset aus – bis heute herrscht große Unsicherheit über die Zukunft der Justizreform.

Durch den Krieg in Gaza wurden die Diskussionen über die Justizreform unterbrochen, doch sie dürften nach dem Ende des Konflikts wieder aufgenommen werden. Es wächst die Sorge, gerade unter den Frauen, vor Verletzungen ihrer Rechte. Im Laufe der Geschichte war es immer die Justiz, die die Rechte der Frauen, einschließlich ihres Grundrechts auf Gleichberechtigung, aufrecht­erhalten und verteidigt hat – etwa durch die Zulassung von Frauen als Militärpilotinnen oder als Mitglieder religiöser Räte. Außerdem haben die Gerichte die Geschlechtertrennung in öffentlichen Bereichen verboten, etwa auf Friedhöfen. Sollte nun die Unabhängigkeit der Justiz infrage gestellt werden, so könnte das israelischen Frauen schwe­ren Schaden zufügen.

Wie die Politikwissenschaftlerinnen Dara Kay Cohen und Valerie M. Hudson in der New York Times schreiben, könnten die negativen Auswirkungen der Justizreform auf den Status der Frauen sogar die nationale Sicherheit des Landes beeinträchtigen. Forschungsergebnisse aus mehr als einem Jahrzehnt belegen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Gleichstellung der Geschlechter und dem wirtschaftlichen Wachstum und der politischen Stabilität eines Landes. 

Der Frauenanteil in bestimmten Positionen dient als Indikator für den Entwicklungsstand eines Landes, wobei eine bemerkenswerte positive Korrelation zwischen dem Lebensstandard eines Landes und dem Grad der Gleichstellung der Geschlechter besteht. In Regionen, in denen Frauen ein Mitspracherecht haben und sich verwirklichen können, gedeihen in der Regel auch Sicherheit und Wohlstand. Und das wirtschaftliche Wohlergehen einer Nation wirkt sich wiederum direkt auf ihre nationale Sicherheit aus, da ein finanziell star­kes Land über mehr Ressourcen für Investitionen in Sicherheitsmaßnahmen verfügt. Diese Tatsache ist für Israel, das ständig von außen bedroht wird, von besonderer Bedeutung. Ein möglicher Schaden für den Verteidigungshaushalt ist eine konkrete Gefahr für die nationale Sicherheit. 


Kreativität, Improvisation, Intuition

Ein feministischer außenpolitischer Ansatz würde die Bedeutung der Einbeziehung von Frauen in die Gestaltung sicherheitspolitischer Entscheidungen anerkennen. Nach Ansicht von Oberst a.D. Pnina Sharvit Baruch bringen Frauen „­Professio­nalität, ein starkes Engagement für ihre Arbeit, hohe Motivation, Direktheit, die Bereitschaft, Rat einzuholen und andere zu konsultieren, mit und sind weniger egoistisch. Sie zeigen auch Einfühlungsvermögen, ein Verständnis für den Faktor Mensch und nehmen Rücksicht auf zivile Belange, einschließlich der Auswirkungen von Sicherheitsentscheidungen auf das Familienleben, Kinder und Minderheiten.“ Wenn in Entscheidungsgremien keine Frauen, sondern nur Männer vertreten seien, so bedeute das im Grunde, „dass aufgrund des Fehlens talentierter Frauen nur durchschnittliche Männer übrigbleiben. Denn offensichtlich war die Auswahl, die zur Besetzung der Gremien zur Verfügung stand, zu begrenzt.“

Miri Eisin, Oberstleutnant a. D. der israelischen Streitkräfte, weist darauf hin, dass Frauen Sicher­heitsfragen in einem breiteren Sinne betrachte­ten, indem sie Faktoren wie die Wirtschaft und das Bildungssystem miteinbezögen, anstatt sich ausschließlich auf militärische Gesichtspunkte zu konzentrieren. Miri Eisin kommt zum Schluss, dass der Mangel an Diversität in der Entscheidungsfindung in allen Bereichen nachteilig sei. Im Sicherheitsbereich aber sei er besonders stark ausgeprägt, da hier nach wie vor die Tendenz bestehe, einer engen militärischen Perspektive gegenüber einem umfassenden Sicherheitsansatz den Vorrang zu geben.

Eine andere ehemalige hochrangige Mi­­li­tärangehörige, Oberstleutnant a.D. Orna Mizrahi, zitiert zahlreiche Studien, wonach heterogene Gruppen im Vergleich zu homogenen Gruppen durchweg bessere Ergebnisse erzielen und so­gar jene homogen zusammengestellten Teams übertre­ffen, die aus besonders qualifizierten Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern bestehen. Sie betont daher, dass die Integration von Frauen die Effizienz von Entscheidungs­­prozessen steigert. 

Darüber hinaus weist sie darauf hin, dass zahlreiche Studien die Vorteile der weiblichen Führung, insbesondere in Zeiten von Krisen und Unsicherheit, belegen. „Es hat den Anschein, dass Frauen sich besonders gut in ungewohnten Situationen zurechtfinden, in denen Kreativität, Improvisation und Intuition gefragt sind – Eigenschaften, die Frauen nachweislich in hohem Maße besitzen.“

Diese Eigenschaften wurden während des Überraschungsangriffs der Hamas im Oktober 2023 besonders deutlich. Das mutige und schnel­le Handeln von Frauen wie Inbal Rabin-Lieberman und Nira Shpak trug entscheidend dazu bei, dass ihre Dörfer vor gefährlichen Angriffen geschützt werden konnten. Andere Frauen wie Tali Hadad, Michal Alon und Amit Mann, die sich um Verletzte kümmerten oder sie unter Beschuss in medizi­nische Kliniken transportierten, bewiesen Kreativität, Führungsqualitäten und Widerstandsfähigkeit. 

Darüber hinaus kämpfte Israels erste weibliche Panzereinheit 17 Stunden lang geradezu heldenhaft und schaltete über 50 Terroristen aus, die in den Gazagürtel, das israelische Grenzgebiet zum Gazastreifen, eingedrungen waren. Auf diese Weise gelang es ihnen, einen weiteren Angriff der Hamas auf den Süden Israels zu verhindern. 

Dies war auch der erste Krieg, in dem Soldatinnen die Bodenoffensive im Gazastreifen unterstützten. Bemerkenswert war auch der starke Anstieg der Zahl von Frauen im Reservedienst, etwa im Sanitätskorps, in der Logistik und in technischen Abteilungen. Inspiriert von diesen Berichten gibt es nun in der gesamten israelischen Gesellschaft eine breite Unterstützung für die Einbeziehung von Frauen in Kampf- und Sicherheitsfunktionen.


Rückschritt unter Netanjahu

Im Rahmen eines feministischen außenpolitischen Ansatzes würden auch Forderungen nach einer stärkeren Vertretung von Frauen in Schlüsselpositionen in der gesamten Regierung lauter werden. Während der kurzen Amtszeit der Regierung von Naftali Bennett und Jair Lapid (2021/22) hatte Israel in dieser Hinsicht bereits bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Die Regierung stellte neue Rekorde auf, was die Zahl von Ministerinnen und Direktorinnen anging. Darüber hinaus machte sich die Bennett-Lapid-Regierung einen Bericht des israelischen Nationalen Sicherheitsrats zu eigen, wonach mindestens ein Drittel der Mitglieder des Sicherheitskabinetts Frauen sein sollten.

Im Gegensatz dazu verfolgt die sechste Netanjahu-Regierung einen Ansatz, der zu einem weit geringeren Frauenanteil führte. Derzeit gibt es nur sechs weibliche Regierungsbeamte im Vergleich zu 26 männlichen Ministern, zwei weibliche Vorstandsvorsitzende im Vergleich zu 32 männlichen Vorstandsvorsitzenden, 29 weibliche Mitglieder der Knesset im Vergleich zu 91 männlichen Mitgliedern, eine weibliche Ministerin im Sicherheits­kabinett im Vergleich zu neun männlichen Ministern und zwei weibliche Ministerinnen im ministeriellen Ausschuss für legislative Angelegenheiten im Vergleich zu neun männlichen Ministern. 

Was die Gleichstellung der Geschlechter betrifft, ist Israel laut Global-Gender-Gap-Report das Schlusslicht unter den OECD-
Ländern

Darüber hinaus wurden Frauen von wichtigen Posten abberufen und mit weniger zentralen Aufgabenbereichen wie dem Nachrichtendienst betraut. Einige Abgeordnete der derzeitigen Koalition vertreten zudem religiöse Weltanschauungen, die ein männerzentriertes Weltbild fördern und im Widerspruch zu den Grundsätzen der Gleichstellung der Geschlechter stehen. Die Parteien Vereinigtes Tora-Judentum und Schas schließen Frauen sogar vollständig aus ihren Reihen aus. In anderen Parteien sind Frauen eine Seltenheit; feministische Grundsätze werden abgelehnt.

Laut Global-Gender-Gap-Report 2023 ist Israel das Schlusslicht unter den OECD-Ländern, was die Gleichstellung der Geschlechter betrifft. Der Bericht weist auf erhebliche Lücken bei der Gleichstellung hin, insbesondere in Bezug auf familiäre Diskriminierung und die Verwirklichung der bürgerlichen Freiheiten von Frauen. 

Die Daten des Berichts wurden von März 2022 bis Februar 2023 erhoben; Frauenorganisationen äußern die Befürchtung, dass sich die Situation unter der Regierung Netanjahu noch weiter verschlechtern könnte. Entgegen ihrer eigentlichen Absicht hat die Regierung die Integration von Frauen zunächst quasi ungewollt in den Vorder­grund des öffentlichen Diskurses gerückt. Für Israel kann das auch eine Chance sein, einen Wandel anzustoßen. 


Die gläserne Decke durchbrechen

Ein feministischer außenpolitischer Ansatz unterstützt die Einbeziehung von Frauen in alle militärischen Bereiche. In Israel gab es hier im Laufe der Jahre einige Fortschritte. Klar ist aber auch, dass noch mehr getan werden muss, um die geschlechterbasierte Diskriminierung zu überwinden. Oberstleutnant a.D. Orna Mizrahi sagt dazu: „Ich bin ein Paradebeispiel für die erheblichen Hindernisse, denen Frauen beim Aufstieg in höhere Positionen noch immer gegenüberstehen. Trotz herausragender Leistungen als Offizierin habe ich viele Jahre gebraucht, um den Rang des Oberstleutnants zu erreichen. In dieser Position hatte ich zwei Funktionen inne, die zuvor noch nie von einer Frau bekleidet worden waren. Ich durchbrach also in gewisser Weise die gläserne Decke. Im Laufe der Zeit traf ich dann aber die Entscheidung, als Oberstleutnant in den Ruhestand zu gehen. Ich hatte erkannt, dass es für mich als Frau keine Möglichkeit für eine Beförderung in den Rang eines Obersten gab.“ 

Diese Probleme gehen auf die patriarchali­schen Werte zurück, die in den staatlichen Institutionen, einschließlich des Militärs, bis heute tief verwurzelt sind. Ein feministischer Ansatz würde die Gleichstellung der Geschlechter in der gesamten israelischen Gesellschaft fördern und anerkennen, dass Fortschritte bei der Geschlechtergerechtigkeit im Militär ohne einen breiteren gesellschaftlichen Wandel nicht vollständig erreicht werden können. 

Ein solcher Ansatz könnte die Förderung der Selbstbestimmung von Frauen, die Beseitigung struktureller Ungleichheiten und die Änderung gesellschaftlicher Normen und Werte in Bezug auf Geschlechterrollen und -erwartungen beinhalten. Oberst a.D. Pnina Sharvit Baruch hebt hervor, wie wichtig es ist, die in unserer Gesellschaft vorherrschenden machistischen und chauvinistischen Haltungen zu bekämpfen. Sie betont dabei insbesondere, dass wir gegen die Vorstellung ankämpfen müssen, wonach eine „Gleichstellung von Frauen im Widerspruch zum Streben nach Erfolg steht, ganz so, als ob Frauen eine Belastung und keine Bereicherung wären“. 

Daneben unterstreicht Pnina Sharvit Baruch die Notwendigkeit, religiöse und konservative Einflüsse, die die Beteiligung von Frauen in verschiedenen Bereichen einschränken wollen, zurückzudrängen, um die Gleichstellung der Geschlechter auch in der Sicherheitspolitik wirksam voranzutreiben. 

Es ist eine Kombination aus strukturellen und kulturellen Hindernissen, die Fortschritte verhindert. Führende Regierungsgremien wie das israelische Sicherheitskabinett sind nach wie vor überwiegend militaristisch ausgerichtet. Und das, obwohl die jüngsten Erfahrungen mit der Coronavirus-Pandemie und der globalen Klimakrise eindrücklich gezeigt haben, dass nationale Bedrohungen über den Militärsektor hinausgehen. Die vorherrschende militaristische Kultur durchdringt die zivilen Institutionen, die für Außen- und Sicherheitsangelegenheiten zuständig sind. Solange das Konzept der nationalen Resilienz auf militärische Bedrohungen ausgerichtet bleibt, werden die Profile der Entscheidungsträger weiterhin militärisch orientiert und männlich dominiert sein. Es braucht einen Paradigmenwechsel, um das Verständnis von nationaler Sicherheit zu erweitern und einen integrativeren Ansatz bei der Entscheidungsfin­dung zu fördern. 


Demokratische statt religiöse Werte

Darüber hinaus herrscht in einigen Teilen der Gesellschaft der Glaube vor, dass Feminismus mit Verletzlichkeit verbunden sei und Frauen nicht in der Lage seien, sich mit sicherheitsrelevanten Themen zu befassen. Das hat dazu geführt, dass Frauen nicht nur aus sicherheitsrelevanten Institutionen ausgeschlossen werden, sondern auch aus Positionen, die für die Gestaltung von Außenpolitik zentral sind. Dementsprechend ist es notwendig, den Feminismus als Quelle der Stärke neu zu definieren und die Außenpolitik nicht mehr ausschließlich mit Sicherheitsfragen in Verbindung zu bringen. Der starke Beitrag von Frauen im Oktober 2023 hat ihren Wert bewiesen und kann auch den Weg zu einer integrativeren Sicherheitspolitik in der Nachkriegszeit ebnen.

Wie Thania Paffenholz, Exekutivdirektorin von Inclusive Peace, hervorhebt, geht es bei einem feministischen außenpolitischen Ansatz jedoch nicht nur darum, die Frauen in wichtigen Positionen zu zählen, sondern die Frauen zählen zu lassen. Der Schwerpunkt sollte also nicht nur auf der Anwesenheit von Frauen am Verhandlungstisch liegen, sondern auch darauf, ob sie inhaltlich eingebunden und angesprochen werden. Die Ein­beziehung der einzigartigen Perspektiven und Erfahrungen, die Frauen mitbringen, ist ent­scheidend für eine umfassende Bewertung und Behandlung von Sicherheitsthemen. Dieser Ansatz würde das Verständnis für Sicherheitsbelange erweitern und bei der Erarbeitung nachhaltiger Lösungen helfen.

Echte Fortschritte bei der militärischen Geschlechtergerechtigkeit sind ohne breiten gesellschaftlichen Wandel nicht möglich

Auch religiöse und konservative Einflüsse tragen dazu bei, dass die Marginalisierung von Frauen im Sicherheitsbereich fortbesteht. Ein großer Teil der Bevölkerung ist der Ansicht, dass Israels Regierungsführung auf demokratischen Grundsätzen beruhen sollte, während eine andere Fraktion für eine Art der Regierungsführung eintritt, die in traditionellen jüdischen Werten verwurzelt ist. Um jedoch ein integratives Umfeld zu schaffen, muss Israel unbedingt demokratischen Werten Vorrang vor religiösen Werten einräumen. Dies muss durch entsprechende Gesetze untermauert werden; andernfalls läuft Israel Gefahr, das Konzept der Gleichstellung zu untergraben.


Die Öffentlichkeit sensibilisieren

Angesichts dieser Herausforderungen ist es von entscheidender Bedeutung, die Öffentlichkeit für Geschlechtergerechtigkeit zu sensibilisieren und die Umsetzung einer integrativen Sicherheitspolitik zu fördern. Während sich das auf politischer Ebene als schwierig erweisen mag, können Fortschritte in Fachkreisen, im Bildungssystem und im Rahmen eines informierten öffentlichen Diskurses erzielt werden. Bemühungen, die kurzfristig auf Gleichberechtigung in der israelischen Gesellschaft abzielen, könnten langfristig die Schaffung einer integrativen Sicherheitspolitik fördern. 

Um dies zu erreichen, sollten Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit in Lehrpläne aufgenommen und schon von klein auf vermittelt werden, um die Perspektiven künftiger Führungskräfte zu prägen. Darüber hinaus könnte in Schulungsprogrammen für Regierungsbeamte, Sicherheitsexperten und Militärangehörige ein Schwerpunkt auf die Vorteile der Vielfalt in Entschei­dungsprozessen gelegt werden. 

Um die Rekrutierung von Frauen für wichtige Positionen in der Sicherheits- und Außenpolitik zu unterstützen, könnten gezielte Medienkampagnen entwickelt werden, die Frauen für diese Berufe begeistern. Außerdem sollten Interessengruppen und Nichtregierungsorganisationen aktiv mit der Regierung zusammenarbeiten, um Gesetzesänderungen zu unterstützen, die die Gleichstellung fördern. 

Die sich daraus ergebenden Maßnahmen sollten auch die Diskriminierung innerhalb staatlicher Einrichtungen und die Einbeziehung von Frauen in Entscheidungsprozesse betreffen. Darüber hinaus sollten wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt werden, um den Zusammenhang zwischen der Beteiligung von Frauen an der Sicher­heitspolitik und der Gesamtwirksamkeit der daraus resultierenden Maßnahmen zu erforschen. So ließe sich die Bedeutung einer integrativen Entscheidungsfindung in der Sicherheitspolitik überzeugend darstellen, und die Kombination dieser proaktiven Maßnahmen würde kurzfristige Fortschritte auf dem Weg zu einer inklusiveren Gesellschaft bewirken und den Weg für längerfristige Fortschritte in einer integrativen Staatsführung und Sicherheitspolitik ebnen. 

Aus dem Englischen von Kai Schnier

Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special 3, Juli/August 2024, S. 18-25

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Themen und Regionen

Elianne Shewring  hat einen Bachelor-­Abschluss in Informatik von der Universität  Auckland und einen Master-Abschluss in Internationaler Sicher­heit von der Massey-
Universität, beide Neuseeland. Derzeit arbeitet sie als Forscherin für Mitvim, das israelische Institut für regionale Außenpolitik, und verfasst ein Grundsatzpapier zur Wasserpolitik im Nahen Osten. Zuvor war Elianne unter anderem beim Militär tätig, in der psychischen Gesundheit und in der Grenzsicherheit.