Kaum hatte Mitt Romney seine Entscheidung für den Kongressabgeordneten Paul Ryan als Vizepräsidentschafts-kandidaten verkündet, da begannen Obamas Kampagnenteam und seine Unterstützer aufzuheulen, dass dies die falsche Wahl sei und dass Romney einen furchtbaren Fehler gemacht habe. Nun bedarf es natürlich einiger Phantasie, sich irgendeinen Kandidaten auf dem republikanischen Ticket vorzustellen, den die Verantwortlichen der Demokraten befürworten würden. Und doch sind die kritischen Stimmen, die aus dem demokratischen Lager kommen, schriller als üblich, und sie kontrastieren scharf mit der substanziellen politischen Argumentation auf Seiten der Republikaner. Auf der einen Seite: Beschimpfungen, auf der anderen: die Vision einer Reform. Die Kampagne um die Präsidentschaft wird zu einer Art assymmetrischen Kriegführung.
Obamas Kampagnenteam tat sein Möglichstes, um das öffentliche Bild von Ryan in den Schmutz zu ziehen und zögerte nicht, ihn als rechten Ideologen zu charakterisieren, als einen Mann, der niemals Anklang bei den entscheidenden Wählern in der Mitte finden wird. Doch diese Karikatur Ryans als Extremist wird nicht durch die Fakten gedeckt. Er wurde sieben Mal aus einem politisch ausgesprochen gemäßigten Wahlbezirk in Winsconsin in den Kongress gewählt. Auch wenn dieser Bezirk 2008 eindeutig für den Demokraten Obama stimmte, wählte er den Republikaner Ryan mit fast Zweidrittelmehrheit wieder. Als Verfechter finanzpolitischer Disziplin ist er mit Sicherheit ein Konservativer, aber er ist ein Konservativer, der zu überzeugen versteht und unabhängige Wähler für sich einnehmen kann.
Nichtsdestotrotz geht die Kampage, Ryan als einen Extremisten zu denunzieren, weiter. So behauptet Präsident Obama, eine Regierung Romney/Ryan würde Medicare abschaffen, das Gesundheitsprogramm der Regierung für alte Menschen. Und doch ist gerade Ryan durch den Plan für eine Haushaltsreform bekannt geworden, der Medicare retten würde, zum Teil, indem alte Menschen mehr Wahlmöglichkeiten bekämen, zum Teil durch vorsichtige Reformschritte, etwa dadurch, dass man die Altersgrenze von 65 auf 67 hebt: wohl kaum ein radikaler Wandel. Tatsächlich können die Republikaner mit Recht sagen, dass es der Plan des Präsidenten ist, das so genannte „Obamacare“-Programm, das 716 Milliarden Dollar von Medicare abzweigen wird, um andere Programme zu finanzieren. Zu diesem Zeitpunkt der Kampagne scheint es, als ob die alten Menschen, insbesondere im entscheidenden Swing State Florida, mehr Angst vor dem Obama-Plan haben als vor Ryans Reformen.
Weil die republikanischen Umfragewerte hoch bleiben, sind die Attacken der Demokraten geradezu schmerzhaft schrill geworden. So hat Vizepräsident Biden vor einem vorwiegend afroamerikanischen Publikum in Virginia erklärt, dass die Republikaner danach trachteten, diese Zuhörerschaft „wieder in Ketten“ zu legen, also eine Rückkehr zur Sklaverei anzustreben. Passen Sie auf, wenn die Demokraten im Verlauf der Kampagne weiter die Rassismus-Karte spielen.
Und doch ist noch jede Menge Zeit für Überraschungen. Während die Entscheidung für Ryan Romney beträchtlich geholfen hat, besteht weitgehende Einigkeit, dass Biden nichts zu Obamas Siegeschancen beizutragen hat. Es wird viel spekuliert, dass Obama ihn noch durch einen aufregenderen Kandidaten ersetzen könnte, vielleicht sogar durch Hillary Clinton. Ihr Ehemann wird eine wichtige Ansprache auf dem Parteitag der Demokraten halten. Biden auszutauschen könnte Obamas sinkende Chancen steigen lassen. Doch es geht das Gerücht, dass Hillary abgelehnt hat.
RUSSELL A. BERMAN ist Walter A. Haas-Professor der Humanities an der Stanford University und Senior Fellow der Hoover Institution.