Energieeffizienz
Eine national und international unbeachtete Chance
Die unterschiedlichen Möglichkeiten der Energie- und Materialeffizienz werden von fast allen
Staaten vernachlässigt, obwohl sie einen Hauptbeitrag zur Lösung des Klimaproblems und zur
Ressourcenschonung von fossilen Energieträgern in den Entwicklungsländern erbringen könnten.
Mit einer hoch effizienten und mit erneuerbaren Energiequellen betriebenen Kreislaufwirtschaft
wäre nach Meinung des Verfassers auch das Problem des Klimawandels langfristig lösbar.
Der Energiebedarf des Menschen ist eine abgeleitete Nachfrage, abgeleitet von unmittelbaren Lebensbedürfnissen wie Nahrung, vor Witterung geschütztes Wohnen, angenehm temperierte Räume, Gesundheits-, Mobilitäts- und Kommunikationsbedürfnisse, die mittels heutiger Technik daraus einen Bedarf nach Nutzenergien (z.B. Wärme, Kraft, Beleuchtung) entstehen lassen. Doch ohne eine erheblich verbesserte Energieeffizienz bei der Befriedigung dieses Bedarfs an Energiedienstleistungen würde sich der globale Pro-Kopf-Primärenergiebedarf von derzeit durchschnittlich 65 Gigajoule (oder 18 000 kWh) pro Kopf und Jahr weltweit schnell und wesentlich erhöhen.
Die Nutzung der Energie wesentlich zu verbessern ist nicht zuletzt deshalb erforderlich, weil derzeit 80% des globalen Primärenergieverbrauchs auf Erdöl, Kohle und Erdgas basieren und damit die energiebedingten CO2-Emissionen von derzeit mehr als 26 Milliarden Tonnen CO2 jährlich freisetzen. Allein um diese heutigen anthropogenen Emissionen an Treibhausgasen so zu verdünnen, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre infolge der begrenzten Adaptionskapazität der Natur nicht zu einem inakzeptablen Klimawandel führt,1 bräuchte die Menschheit drei bis vier Atmosphären.
Weit mehr als die Hälfte der Menschheit muss heute mit weniger Energiedienstleistungen vorlieb nehmen, als für ein menschenwürdiges Leben notwendig sind,2 und zwei Milliarden Menschen haben derzeit noch keinen Zugang zu elektrischer Energie, nicht einmal um Wasser zu pumpen oder ein Krankenhausgerät zu betreiben. Und selbst wenn ein menschenwürdiges Dasein mit etwa 36 Gigajoule (10 000 kWh) jährlichem Energiebedarf pro Kopf (bei heutiger Technologie) in diesen Ländern erreicht würde, würden die Menschen nach dem gleichen Lebensstil und den gleichen Bequemlichkeiten streben, wie es ihnen über Film und Fernsehen oder Erzählungen aus dem „Goldenen Westen“ vor Augen geführt wird. Wenn allein in China mit seiner gut einer Milliarde Menschen die gleiche Pkw-Dichte erreicht würde wie heute in Europa, würde sich der weltweite Pkw-Bestand verdoppeln.
Unterstellt man für dieses Jahrhundert ein Bevölkerungswachstum auf elf Milliarden Menschen, ein moderates Weltwirtschaftswachstum und eine Verbesserung der Energieeffizienz um 1% pro Jahr (ein Durchschnittswert, der in vielen Ländern über mehrere Jahrzehnte ohne spezielle energiepolitische Anstrengungen beobachtet und daher auch als „autonomer technischer Fortschritt“ bezeichnet wird), so wäre der weltweite Energiebedarf im Jahre 2100 vier bis fünf Mal so hoch wie der heutige. Aber schon heute werden vier Mal soviel CO2-Emissionen in die Atmosphäre emittiert wie Ende dieses Jahrhunderts zulässig wäre, um die atmosphärische CO2-Konzentration bis 2100 nicht höher als auf 450 ppm (0,45 Liter CO2 je 1000 Liter Luft) ansteigen zu lassen. Dies ist ein kritischer Konzentrationsanstieg, wenn sich die durchschnittliche Erwärmung der Atmosphäre am Erdboden um nicht mehr als 2°C in diesem Jahrhundert erhöhen soll.
Dieser maximale durchschnittliche Temperaturanstieg ist nach Aussagen der Biologen die Grenze, damit die Wälder der gemäßigten Zonen nicht schneller absterben (und dabei zusätzlich CO2 emittieren) als mediterrane oder subtropische Wälder nachwachsen können. Insofern ist nicht die Verfügbarkeit fossiler Energieträger der Ressourcenengpass dieses Jahrhunderts, sondern die begrenzte Aufnahmekapazität der Treibhausgas-Deponie Atmosphäre.
Dieser Blick in die Zukunft lässt nach Optionen Ausschau halten, die einerseits den wachsenden Bedarf nach Energiedienstleistungen stillen, andererseits den Anstieg der CO2-Emissionen fossiler Energieträger zunächst bremsen und dann umkehren.
Energietechnisch betrachtet weist der heutige Energieverbrauch der Industriestaaten in noch ganz erheblichem Umfang Energieverluste bei den verschiedenen Umwandlungsstufen und beim Nutzenergiebedarf aus: Sie belaufen sich auf etwa 25 bis 30% im Umwandlungssektor (alle Wandlungsprozesse von der Primär- zur Endenergie) mit sehr hohen Verlusten selbst bei neuen thermischen Kraftwerken (Jahresnutzungsgrade zwischen 41 und 60%), auf etwa ein Drittel bei der Wandlung von Endenergie zu Nutzenergie mit extrem hohen Verlusten bei den Antriebssystemen von Straßenfahrzeugen (rund 80%), und auf der Nutzenergie-Ebene selbst mit 30 bis 35% und sehr hohen Verlusten bei Gebäuden und Hochtemperatur-Industrieprozessen.
Exergetisch (d.h. auf ihre Arbeitsfähigkeit oder ihre Temperaturhöhe hin) betrachtet sind die Verluste in den beiden Wandlungsstufen noch höher (durchschnittlich insgesamt ca. 85 bis 90 % für ein Industrieland in der OECD). Nach diesem Bemessungsmaßstab des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik befindet sich die ach so moderne Industriegesellschaft eher im Bereich der Eisenzeit der Energiegeschichte.
Verbesserung der Energieeffizienz
Theoretische Arbeiten Mitte der achtziger bis Anfang der neunziger Jahre (beschrieben z.B. von der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestags im Jahr 1990)3 haben erstmals gezeigt, dass der Primärenergiebedarf je Energiedienstleistung um durchschnittlich mehr als 80 bis 85% des heutigen Energiebedarfs reduziert werden könnte. In Zürich wurde dieses Potenzial 1998 vom Rat der Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH) im Rahmen der Überlegungen zur nachhaltigen Entwicklung als eine technologische Vision der 2000 Watt-Gesellschaft formuliert, die bis etwa Mitte dieses Jahrhunderts erreichbar sein könnte. Bereits Mitte der neunziger Jahre versuchten Technologieproduzenten gemeinsam mit der angewandten Forschung, nicht nur die technische Machbarkeit, sondern auch die wirtschaftliche Machbarkeit und soziale Akzeptanz derartiger Visionen zu überprüfen.4
Die genannten Zielsetzungen und Überlegungen werden in der derzeitigen wissenschaftlichen Diskussion technologisch und organisatorisch wie folgt differenziert:
- erheblich verbesserte Wirkungsgrade bei den beiden Umwandlungsstufen Primärenergie/Endenergie und Endenergie/Nutzenergie, häufig mit neuen Technologien (z.B. Kombianlagen zur Stromerzeugung, Brennstoffzellentechnik, Substitution von Brennern durch Gasturbinen, Wärmepumpen oder Wärmetransformatoren, Sterlingmotoren und andere Energiewandler);
- erheblich verminderter Nutzenergiebedarf pro Energiedienstleistung (z.B. Passivsolar- oder Niedrigenergiegebäude, Substitution thermischer Produktionsprozesse durch physikalisch-chemische oder biotechnologisch basierte Prozesse, leichtere Bauweisen für bewegte Teile und Fahrzeuge, Rückspeisung bzw. Speicherung von Bewegungsenergie);
- verstärktes Recycling und Wiederverwendung von Produkten von energieintensiven Werkstoffen sowie erhöhte Materialeffizienz durch verbesserte Konstruktionen oder Werkstoffeigenschaften mit der Wirkung deutlich verminderter Primärmaterialnachfrage je Werkstoffdienstleistung;
- Nutzungsintensivierung von langlebigen Investitions- und Gebrauchsgütern durch Maschinen- und Geräte-Leasing, Car-Sharing und andere produktbegleitende Dienstleistungen;
- die räumliche Figuration von neuen Industrie- und anderen Siedlungsgebieten nach Energiegesichtspunkten sowie eine bessere Durchmischung der Siedlungsfunktionen von Wohnen, Produktion, Handel und Freizeitaktivitäten zur Reduzierung der motorisierten Mobilität.
Verpasste Chancen
Diese unterschiedlichen Möglichkeiten der Energie- und Materialeffizienz, die häufig rentabel sind, werden von fast allen Ländern vernachlässigt, obwohl sie einen Hauptbeitrag zur Lösung des Klimaproblems in diesem Jahrhundert und zur Ressourcenschonung von fossilen Energieträgern wie von Brennmaterial in den Entwicklungsländern erbringen würden. Die Gründe dieser verpassten Chancen sind zahlreich:5
- Es handelt sich um tausende von Techniken und Millionen von Entscheidungsträgern in Haushalten, Unternehmen, Büros und Dienststellen bei Investitionsentscheidungen, schneller Beseitigung von Störungen durch ausgefallene Aggregate und die Bedienung von Maschinen, Fahrzeugen, Heizungen und energiebetriebenen Anlagen aller Art im Alltag. Die Vielfalt umfasst also technologische Aspekte im gesamten Kapitalstock einer Volkswirtschaft, die Entscheidungen für Neu- und Ersatzinvestitionen auf den verschiedenen technischen Ebenen der Energieumwandlung und -nutzung, der Materialeffizienz und der Materialsubstitution einschließlich der Verhaltensentscheidungen beim Betrieb im Alltag von fast allen Menschen einer Gesellschaft.
- Diese Vielfalt ist vielleicht der Hauptgrund, dass rationelle Energie- und Materialanwendung weder medienattraktiv ist, noch eine klare Interessenformierung „natürlicherweise“ entstehen lässt. Im Gegenteil, es gibt hinreichend Interessenkonflikte bei Technologieproduzenten, Planern, Architekten, Gebäudeeignern, Leasing-Unternehmen, Generalunternehmern und Energielieferanten.
- Der Technologieproduzent könnte hocheffiziente Motoren in die Anlage einbauen, aber der Kunde schaut meist nur nach den Investitionskosten, nicht nach den Lebenszykluskosten. Nicht anders ergeht es den Handwerkern bei ihren Angeboten für eine hocheffiziente Kesselanlage, Fenstersysteme oder Wärmedämmung.
- Planer und Architekten werden nach Maßstäben vergütet, die nicht die Kenntnisse und den Planungsaufwand energiesparenden Bauens erfassen. Das muss der Bauherr oder Gebäudeeigner schon ausdrücklich wollen, ohne die Leistungen meist beurteilen zu können.
- Auch der Energielieferant will Umsatz machen, da verschweigt man schon einmal die effizientere Lösung und preist die zweitbeste an; der Kunde ist zufrieden, kennt er doch die für ihn beste Lösung nicht.
- Mit dem Wettbewerbsargument, das im Übrigen nur für einen Bruchteil der energie-intensiven Industriezweige (wenige Prozent der Wertschöpfung eines Landes) zutrifft, wird dann das Thema der nationalen ressourcenschonenden Rahmenbedingungen über die Forderung zu OECD-weiten Regelungen auch international ad acta gelegt.
Fazit: Nicht nur die überall vorhandenen Möglichkeiten der Energieeffizienz führen ins Banale, sondern auch die Nutzungskonflikte und Entscheidungsabwägungen im Alltag führen in einer Gesellschaft mit geringem Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung dazu, dass man Möglichkeiten effizienter Energieanwendung nicht wahrnimmt – nicht mental und nicht durch Handeln. Dies gilt auch für die Entwicklungsländer, die in ihrem (verständlichen) Streben nach wirtschaftlicher Entwicklung die Entscheidungsmuster der Industriestaaten und im Zweifel auch ihre abgelegten Technologien mit unzureichender Selektion übernehmen.
Nachteile des Handels mit gebrauchten Gütern
Der Export von Gebrauchtmaschinen und -anlagen aus Industrieländern ist im letzten Jahrzehnt weltweit zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig mit einem jährlichen Umsatz von derzeit 100 Milliarden Euro und hohen, teilweise zweistelligen Wachstumsraten geworden.6 Gebrauchte Maschinen und Anlagen aus Industrieländern stellen für die Investoren in Schwellen- und Entwicklungsländern bei geringer Kapitalverfügbarkeit eine kostengünstige und schnelle Lösung für die Substitution veralteter Maschinenparks und insbesondere für den Aufbau neuer Produktionskapazitäten dar. Nicht selten ist es für die Exporteure der Industrieländer auch ein Weg kostengünstiger „Entsorgung“ abgeschriebener Anlagen, Fahrzeuge und Maschinen.
Im Bereich der Investitions- und langlebigen Konsumgüter (z.B. Werkzeug-, Fertigungs- Verpackungs- und Nahrungsmittel-Produktionsmaschinen sowie Dieselgeneratoren) sind diese Exporte in aller Regel von hohem Nutzen für die Importländer, weil diese Maschinen- bzw. Anlagengenerationen erheblich weniger Kapital benötigen und auch noch nicht so Know-how-intensiv sind wie die neuen Generationen, spezifisch mehr Arbeitskräfte benötigen und häufig leichter anpassungs- und reparaturfähig sind. Somit dürften die Importe gebrauchter Investitions- und langlebiger Konsumgüter dazu beitragen, die industrielle und wirtschaftliche Entwicklung in den Schwellen- und Entwicklungsländern schnell voranzubringen und die wichtigsten Grundbedürfnisse ihrer Bewohner zu befriedigen. Zudem sind Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung zwischen zwei Anlagengenerationen in diesen Produktionszweigen nicht sehr unterschiedlich und auch relativ gering im Vergleich zur Grundstoffindustrie.
Dagegen erscheinen die Exporte gebrauchter Anlagen der Grundstoffindustrie (z.B. Anlagen zur Herstellung von Metallen, Steinen und Erden sowie chemischen Grundstoffen) und zentraler Anlagen der Energieumwandlung (Kraftwerke, Raffinerien) zum Teil von zweifelhaftem Nutzen. Denn die älteren Anlagengenerationen haben im Allgemeinen relativ hohe spezifische Energieverbräuche und hohe spezifische Emissionen (Luft, Wasser, Abfall) und relativ lange Restlaufzeiten.
Zurzeit nehmen Raffinerien, Stahlwerke oder Kraftwerke ihre Produktion in Indien, China oder Lateinamerika auf, die seit 30 Jahren in Europa oder Nordamerika ihren Dienst taten und in den letzten Jahren demontiert und in die genannten Länder importiert und dort installiert wurden bzw. werden. Somit werden die geringen Kapitalkosten durch einen – gegenüber Neuanlagen – relativ hohen Ressourcenverbrauch erkauft, so dass der Nettonutzen aus dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit unter Beachtung der eingesparten Investitionsmittel, der veränderten Betriebskosten und -risiken und der Wohlfahrtsgewinne bzw. -verluste bilanziert werden sollte.
Ähnlich wie bei den Maschinen und Anlagen der Grundstoffindustrie hat der Handel von Gebrauchtfahrzeugen, insbesondere von Pkw, im Wert von jährlich 50 Milliarden Euro und ebenfalls schnell steigenden Zuwachsraten einen ambivalenten Aspekt. Einerseits ermöglicht er eine schnelle Befriedigung von Transportnachfrage durch Lastwagen, Busse und Straßenbahnen in den Importländern.
Andererseits werden sehr viele Fahrzeuge – insbesondere Pkw – mit Restnutzungszeiten von zehn und mehr Jahren sowie hohem spezifischen Kraftstoffbedarf und relativ hohen spezifischen Emissionen in diese Länder (darunter auch nach Mittel- und Osteuropa) mit erheblichen Folgeproblemen exportiert, die eine nachhaltige Entwicklung dieser Länder eher behindern könnten.
Die Gründe dafür sind: hohe Devisenabflüsse für zu importierende Kraftstoffe bzw. Erdölmengen, hohe Luftbelastungen insbesondere in urbanen Gebieten, hohe Unfallzahlen wegen zu alter Fahrzeugtechnik, mangelnder Ersatzteile und schlechter Wartung, Behinderungen beim Aufbau einer einheimischen Fahrzeugindustrie, unzureichende oder schrumpfende Nachfrage nach öffentlichen Verkehrsleistungen in Städten und Ballungsgebieten infolge der Zunahme des Straßenverkehrs.
Verluste durch schlechtes Bauen
Der Anteil der Entwicklungsländer an den weltweiten Aktivitäten im Hochbau beträgt derzeit rund ein Drittel mit schnell wachsender Zunahme. (In China wurde die Hälfte aller städtischen Wohngebäude erst in den neunziger Jahren gebaut.) Aufgrund unzureichend strikter Baustandards oder nicht hinreichend an den Standards orientierter Baupraxis benötigen die neuen Gebäude in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern ein bis zwei Drittel mehr Energie zur Beheizung bzw. zur Klimatisierung, als es wirtschaftlich angebracht wäre. Diese unangepasste Bauweise verursacht nicht nur hohe gesamtwirtschaftliche Kosten und Devisenabflüsse infolge der benötigten Energiemengen, sondern auch hohe Emissionen sowohl auf lokaler und regionaler Ebene als auch bei den Treibhausgasen auf globaler Ebene.
Der Import gebrauchter, energie-intensiver Anlagen der Grundstoffindustrie und der Energiewirtschaft sowie gebrauchter Pkw und der Bau unzureichend an das Klima angepasste Gebäude sind im Interesse der Import- und Entwicklungsländer wegen der hohen Ressourcen-Inanspruchnahme (Energie, Rohstoffe, Wasser, Deponieflächen), der höheren Unfallgefährdung und der örtlichen und regionalen Umweltbelastungen auf ihren volkswirtschaftlichen Wert hin kritisch zu betrachten. Zudem wirken die Emissionen von emittierten Klimagasen, insbesondere die energiebedingten Emissionen von CO2, Methan und N2O sowie indirekt erzeugtes troposphärisches Ozon auch auf die Exportländer zurück: sei es durch höhere Schäden des Klimawandels und dadurch notwendig werdende höhere Adaptionsinvestitionen, sei es durch höhere Anforderungen zur Emissionsminderung in den Industrieländern infolge des global zu begrenzenden Anstiegs der atmosphärischen Konzentrationen von Treibhausgasen.
Der Gebrauchtgüterhandel und die unzureichenden Baustandards werden durch eine Reihe von Faktoren und Rahmenbedingungen begünstigt,7 wie z.B.
- Kapitalmangel in den Schwellen- und Entwicklungsländern, die derzeit im Allgemeinen eine wesentlich schnellere Entwicklung durchlaufen als die Industrieländer vor 150 bis 50 Jahren,
- unzureichende Informationen der Maschinen-, Anlagen- und Fahrzeughändler für ihre Kunden bzw. der Architekten und Baufachleute (bzgl. Energieverbrauch, Gebäudetechnik, Emissionen, Nachrüstmöglichkeiten, Wartungserfordernissen),
- unzureichende Informationen der Investoren in den Schwellen- und Entwicklungsländern über die Betriebs- und Kapitalkosten (d.h. Lebenszykluskosten) neuer Anlagen und Maschinen bzw. angepasster Gebäudekonzepte als Investitionsalternativen oder über Contracting als Handlungsalternative,
- unzureichende Importauflagen der Einfuhrländer zu importierten Gebrauchtgütern und unzureichende Gebäudestandards; eventuell auch Umgehung bestehender Auflagen,
- das bei Gebäuden häufig anzutreffende Investor/Nutzer-Dilemma (der Investor baut suboptimal, der Nutzer muss die hohen Energiekosten zahlen),
- unzureichende Exportauflagen für Gebrauchtgüter, insbesondere durch Abfall- und Produktrücknahmeregelungen in Industrieländern (z.B. bei Pkw in Deutschland),
- die Vermittlung von Angeboten und Nachfrage über das Internet mit hoher Schnelligkeit und relativ geringen Suchkosten.
Bei den Exporten der Gebrauchtgüter besteht zum Teil eine politisch-administrative Lücke, nicht zuletzt wegen fehlender systematischer Handelsdaten (mit Ausnahme von Pkw), welche die Grundlage für die genauere Bewertung zu Arbeits-, Ressourcen- und Umweltwirkungen sowie für weitere Handlungsschritte sein könnten. Für den Bereich der Gebäude fehlt ein systematischer Überblick über die derzeitigen Baustandards für Neubau und Modernisierung sowie für die Heizungs-, Lüftungs- und Klimatisierungstechnik, um daraus Empfehlungen für einzelne Länder, Investoren, internationale oder Finanzierungs-Institutionen ableiten zu können.
Auswirkungen auf Umwelt und Wachstum
Es ist sehr wahrscheinlich, dass der nunmehr schnell wachsende Gebrauchtgüterhandel von Anlagen der Grundstoffindustrie und der Energiewirtschaft sowie von Straßenfahrzeugen zu signifikant höheren örtlichen und auch globalen Emissionen beiträgt. Denn allein der Transfer von fossil gefeuerten Gebrauchtkraftwerken mit einer Gesamtkapazität von 23 Gigawatt jährlich führt zu mehr CO2-Emissionen im Vergleich zu modernen Kraftwerken von etwa 220 Millionen Tonnen pro Jahr (d.h. von 25% der gesamten jährlichen CO2-Emissionen von Deutschland) und von einer Million Tonnen Schwefeldioxid pro Jahr.
Die drei Millionen Pkw, die jährlich gebraucht von den OECD-Ländern in die übrige Welt exportiert werden, erzeugen Mehremissionen von mindestens zehn bis zwölf Millionen Tonnen CO2 und mehr als das Doppelte an Kohlenwasserstoff-, CO- und Kohlenwasserstoffemissionen im Vergleich zu Neufahrzeugen. Letztere führen zu erheblichen Gesundheitsschäden in urbanen Regionen der Entwicklungsländer, deren Bedeutung mit 1% und mehr des Bruttoinlandsprodukts beziffert werden. Die zusätzliche Umweltbelastung sowie Strom- und Brennstoffversorgungsengpässe mit wirtschaftlichen Folgewirkungen durch die unzureichend wärmegedämmten Gebäude dürften vielfach unterschätzt werden.
Im Durchschnitt liegen die möglichen Energieeffizienzgewinne bei 15 bis 25% (Industrieanlagen) und bei 40 bis 60% (Gebäude). Dieser Ressourcenmehrverbrauch kostet die Entwicklungs- und Schwellenländer in hohem Umfang ökonomische Ressourcen für zusätzliche Investitionen und harte Devisen für die (meist) erforderlichen Energieimporte bzw. die inländische Energieproduktion. Es wäre zu prüfen, inwieweit diese ökonomischen Aufwendungen den Wachstumsprozess der Entwicklungs- und Schwellenländer merklich verlangsamen. Es wird dringend empfohlen, zwischen den Klassen und Jahrgängen der verschiedenen Importgüter wesentlich genauer zu differenzieren, um eine nachhaltige Entwicklung in den Entwicklungsländern zu gewährleisten.
Das Aufgreifen dieser Thematik soll nicht den Blick von den immer noch großen Mängeln ressourcenschonender Fortschritte in den Industrieländern ablenken. Aber der Rat für Nachhaltige Entwicklung gibt zu bedenken, dass das Hauptwachstum des Verbrauchs natürlicher Ressourcen in den nächsten Dekaden in den Entwicklungsländern erfolgt;8 hier werden deshalb zentrale Weichen des ressourcenbezogenen Pfades einer nachhaltigen Entwicklung gestellt. Der Rat sieht hier die Chance einer nachhaltigen Entwicklung in Entwicklungs- und Schwellenländern, ohne die Fehler ineffizienter Ressourceninanspruchnahme zu machen, die bei den heutigen Industrieländern noch immer zu beobachten sind.
Vision der Kreislaufwirtschaft
Neben diesen technischen und organisatorischen Möglichkeiten der Energie- und Materialeffizienz, der Kreislaufwirtschaft und der Nutzungsintensivierung stellt sich auch die Frage, welche Faktoren die Nachfrage nach zusätzlichem Bedarf an Energie- und Materialdienstleistungen beeinflussen. Denn ein zunehmendes Einkommen, eine höhere Ressourceneffizienz und neue Technologien wie die Informatisierung der Gesellschaft eröffnen eine weitere Nachfrage nach Energie- und Materialdienstleistungen.
Um eine 2000 Watt-Industriegesellschaft bis Mitte dieses Jahrhunderts zu erreichen und langfristig zu gewährleisten, stellt sich die Frage, ob es langfristig auch der Suffizienz (Selbstgenügsamkeit) in materiellen Dingen (einschließlich der Mobilität) in einer postindustriellen Gesellschaft bedarf. Die Frage nach einer langfristig stationären Weltwirtschaft stellt sich damit nicht, da das Wachstum nach immateriellen Gütern (z.B. Dienstleistungen) keineswegs eingeschränkt wäre. Denn es ist theoretisch denkbar, dass in einer (fast) vollständigen (materiellen) Kreislaufwirtschaft, die sich ausschließlich der erneuerbaren Energien für verbleibende Energieverluste bedient, die energiebezogene Suffizienz nicht mehr eine notwendige Bedingung der Entwicklung der postindustriellen Gesellschaft ist.
Mit dieser Vision der stofflich stationären, aber hoch effizienten und mit erneuerbaren Energiequellen betriebenen Kreislaufwirtschaft wäre auch das Problem des Klimawandels langfristig lösbar.
Anmerkungen
1 Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), Climate Change 2001 – Mitigation: Contribution of Working Group III to TAR of the IPCC, Cambridge University Press, Cambridge 2001.
2 UNDP/World Energy Council/DESA, World Energy Assessment. Chapter 6: End-use Energy Efficiency; United Nations Development Programme (UNDP), New York 2000.
3 Enquête-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ des 11. Deutschen Bundestags, Schutz der Erde. Eine Bestandsaufnahme mit Vorschlägen zu einer neuen Energiepolitik, Bonn 1990.
4 Jochem, R&D and Innovation Policy – Preconditions for making steps towards a 2000 Watt/cap society, in: Energy and Environment, 15 (2004)2, S. 283–296.
5 Jochem, Energie rationeller nutzen – Zwischen Wissen und Handeln, in: GAIA, 11 (2003) 4, S. 9–14.
6 Jörg Janischweski, Michael P. Henzler, Walter Kahlenborn, Gebrauchtgüterexporte und Technologietransfer – Ein Hindernis für nachhaltige Entwicklung in Entwicklungs- und Schwellenländern? Rat für Nachhaltige Entwicklung (Hrsg.), Berlin 2003.
7 Bert Metz, Ogunlade R. Davidson, Jan-Willem Martens, Sascha van Rooijen, Laura Van Wie McGrory, Methodological and Technological Issues in Technology Transfer Special Report of IPCC, Working Group III. Cambridge 2000.
8 Rat für Nachhaltige Entwicklung, Gebrauchtgüterexporte und Baupraxis von Gebäuden. Empfehlungen des Rates für Nachhaltige Entwicklung an die Bundesregierung. Texte Nr. 5, November 2003.
Internationale Politik 8, August 2004, S. 39‑47
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