Endstation Sackgasse
Die EU-Klimapolitik wird scheitern
Wenn kein Wunder geschieht, werden wir noch in dieser Dekade das Ende der bisherigen europäischen Klimapolitik erleben: Das Zwei-Grad-Ziel ist nicht zu erreichen, die Widerstände auf europäischer und internationaler Ebene sind zu groß. Doch eine alternative Politik ist noch nicht in Sicht, denn die Debatte ist in hohem Maße moralisch aufgeladen.
Die EU-Klimapolitik befindet sich in der Krise. Der Emissionshandel funktioniert technisch zwar ausgezeichnet, leidet aber an einer Überausstattung mit Zertifikaten. Die Preise sind so tief im Keller, dass sie keine Anreize für Investitionen in klimafreundliche Technologien bieten. Die Auseinandersetzungen über eine mögliche Erhöhung des für 2020 geltenden Klimaziels von 20 auf 30 Prozent halten nun schon seit Jahren an. Eine entsprechende Entscheidung scheitert an der Vetomacht einiger Mitgliedstaaten, allen voran Polen. Die Regierung in Warschau hat zudem die Verabschiedung der von der Kommission erarbeiteten Klima-Roadmap 2050 im Ministerrat spektakulär scheitern lassen. Und auch auf UN-Ebene hat die EU zuletzt nur noch neue Verhandlungsfahrpläne durchsetzen können.
Selbstverständlich gibt es zahlreiche Initiativen und Reformversuche, doch kommen diese kaum über den Modus der „Politiksimulation“ hinaus – jedenfalls wenn man den Anspruch erhebt, dass Politik mehr sein sollte als bloße Problembearbeitung. So hat EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard zwar Vorschläge zur Veränderung des Auktionierungszeitplans für Emissionszertifikate vorgelegt. Diese hätten jedoch lediglich zur Folge, dass jetzt einige hundert Millionen Emissionsberechtigungen aus dem Markt genommen werden, nur um sie in der zweiten Hälfte der Dekade wieder einzuspeisen, mit einem nur minimalen Preiseffekt.
Die Debatte um die Verschärfung des Klimaziels auf 30 Prozent nimmt inzwischen fast rituelle Züge an. Die überzeugten Befürworter eines solchen Schrittes glauben zwar selbst nicht mehr an dessen Realisierung, halten die Diskussion aber am Laufen, um Polen zum Buhmann der EU-Klimapolitik zu machen. Und einige westeuropäische Regierungen haben ihre Sympathien für ein 30 Prozent-Ziel erst entdeckt, als bereits klar war, dass die osteuropäischen Mitgliedstaaten eine Verschärfung ohnehin blockieren werden.
Doch selbst wenn es gelänge, den Emissionshandel grundlegend zu reformieren und das europäische Klimaziel anzupassen, gewonnen wäre damit kaum etwas. Denn unter der Oberfläche dieser sichtbarsten und täglich diskutierten Krisenphänomene vollzieht sich eine viel grundlegendere Bewegung, weg von einer ambitionierten und „wissenschaftsbasierten“ Klimapolitik und hin zu …
Ja, wohin eigentlich? Dies lässt sich bislang nur schwer bestimmen, da die politischen Akteure nicht nur jegliche Debatte darüber vermeiden, sondern teilweise auch jegliche Reflexion vermissen lassen. Da die Klimapolitik in hohem Maße moralisch aufgeladen ist, halten sich bislang alle Beteiligten mit solchen Äußerungen zurück, die als offene Infragestellung der Langfristempfehlungen des Weltklimarats (IPCC) interpretiert werden könnten. Das Ergebnis: Die EU hält offiziell strikt an dem vor Jahren eingeschlagenen Pfad fest, wohl wissend oder zumindest ahnend, dass sie auf das Ende einer Sackgasse zufährt.
Gründe fürs Scheitern
Für den Umstand, dass der bisherige Modus der EU-Klimapolitik nicht zum Erfolg führen wird und bei einem ungebremsten Aufprall am Ende der Sackgasse schlimmstenfalls einen Totalschaden erleiden könnte, lassen sich vor allem drei Gründe anführen.
1. Der Begründungszusammenhang von ehrgeiziger Emissionsminderungspolitik ist letztlich ein globaler. Es genügt nicht, dass allein die EU sich anstrengt, wenn sie nur für gut ein Zehntel der globalen Emissionen verantwortlich ist. Andere Industrie- und Schwellenländer werden bald folgen müssen, sonst macht eine unbestritten immer noch vorhandene europäische Vorreiterposition bei der Dekarbonisierung der eigenen Volkswirtschaft auch wirtschafts- und innovationspolitisch keinen Sinn.
Doch obwohl die Verhandlungen auf UN-Ebene seit nunmehr 20 Jahren andauern, sind global keine signifikanten politischen Fortschritte zu erkennen; die Emissionen steigen weiter. Der in Durban versprochene Fahrplan, bis 2015 einen umfassenden Klimavertrag unter Einbeziehung von China, Indien, Russland und den USA zu verabschieden und bis 2020 zu ratifizieren, ist illusorisch. Da die interne EU-Klimapolitik seit jeher stark mit dem Streben nach einer umfassenden Vertragslösung verknüpft ist, wird ein Scheitern der UN-Verhandlungen für die europäischen Emissionsreduktionsziele nicht folgenlos bleiben können.
2. Die meisten osteuropäischen Mitgliedstaaten sind nicht länger willens, ehrgeizige Emissionsminderungen ins Zentrum der EU-Energiepolitik zu stellen. Was sie 2007, als unter deutscher Ratspräsidentschaft die energie- und klimapolitischen Ziele für 2020 festgelegt wurden, noch stillschweigend akzeptiert haben, wird sich zur Mitte der Dekade, wenn die Ziele für 2030 festgelegt werden müssen, nicht wiederholen. Da die Ziele für Emissionsminderungen und den weiteren Ausbau der Erneuerbaren auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs vereinbart werden, hat jeder Mitgliedstaat ein Vetorecht. Aus diesem Grund genügt es den Regierungen von Tschechien, Bulgarien oder der Slowakei derzeit, dass Polen alle entsprechenden Vorfestlegungen im Ministerrat blockiert. Die von den Klimaschutzbefürwortern wie ein Mantra vorgebrachte Deutung, einzig die Regierung in Warschau sperre sich gegen eine ehrgeizige EU-Klimapolitik, geht vollkommen an der Realität vorbei. Die kleineren Mitgliedstaaten wollen lediglich vermeiden, schon jetzt die politischen Kosten einer offenen Verweigerung gegenüber dem noch gültigen EU-Konsens zu tragen.
Im Ergebnis führt dies zu einem erstaunlichen Arbeitsbündnis. Die Mitgliedstaaten ließen die Kommission zwar detaillierte Roadmaps für Klima, Energie und Transport ausarbeiten, denen jeweils eine Emissionsminderung von mindestens 80 Prozent bis 2050 zugrundeliegt. Über rechtlich verbindliche EU-Ziele für 2030 aber will derzeit niemand ernsthaft verhandeln. Die Befürworter einer ambitionierten Klimapolitik wissen, dass ein innereuropäischer Kompromiss, wie er derzeit erreichbar wäre, das Image des Musterschülers ruinieren würde. Dies wollen sie in der sensiblen Phase vor dem Klimagipfel 2015 tunlichst vermeiden.
Auch die Bremser spielen auf Zeit. Sie verweisen auf eine Klausel in den EU-Beschlüssen, die den Reduktionskorridor von 80 bis 95 Prozent nur für den Fall anvisiert, dass andere Industrie- und Schwellenländer ähnliche Verpflichtungen eingehen. Klammheimlich setzen sie darauf, dass die UN-Verhandlungen scheitern und wollen deshalb über neue EU-Ziele erst nach 2015 entscheiden.
3. Der Emissionsreduktionskorridor von 80 bis 95 Prozent bis 2050, der sich auch im deutschen Energiekonzept wiederfindet, ist keine Erfindung der Politik, sondern der klimawissenschaftlichen Politikberatung, im konkreten Fall des IPCC. Eine Minderung in diesem Umfang entspräche dem fairen Anteil der Industrieländer, um das Ziel zu erreichen, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Die europäische Klimapolitik hat der Forschung viel Deutungsmacht bei der Formulierung der gebotenen Veränderungen eingeräumt. Doch Klimapolitik hört nicht auf, nach politischen Regeln zu funktionieren, nur weil sie sich „wissenschaftsbasiert“ nennt. Sie steht sich selbst im Weg, wenn Fachpolitiker und Ministerialbeamte im Modus vermeintlicher Alternativlosigkeit argumentieren.
Eine neue Richtung einschlagen
Bereits Mitte der neunziger Jahre hat sich die EU das Zwei-Grad-Ziel zu eigen gemacht, um es nach fast 15-jährigen Verhandlungen auch auf UN-Ebene durchzusetzen. Doch zielkonforme Maßnahmenpakete sind nicht in Sicht, fast alle Regierungen zeigen mit dem Finger auf andere, die sich zuerst zu bewegen hätten. Wenn die wissenschaftliche Politikberatung dem sanften Druck der Politik standhält und die Kriterien zur Erreichbarkeit des Zwei-Grad-Ziels unverändert lässt, dann wird sie schon bald das Scheitern dieses Limits verkünden müssen – und mit ihm ein Scheitern des Versuchs, die Handlungsspielräume der Politik durch ein „wissenschaftsbasiertes“ Klimaziel wirksam zu begrenzen. Klar ist: Eine Abschwächung des globalen Klimaziels wird auch eine Verminderung der europäischen Anstrengungen nach sich ziehen.
Wenn kein Wunder geschieht, dann werden wir noch in dieser Dekade das Ende der (europäischen) Klimapolitik, wie wir sie kannten, erleben. Das Vorhaben einer stringenten, Zwei-Grad-kompatiblen und damit Roadmap-konformen EU-Klimapolitik wird sich nur noch wenige Jahre aufrechterhalten lassen. Die EU hat ihre Politik zu stark an Fortschritte bei den UN-Verhandlungen und die Legitimation durch wissenschaftliche „Vorgaben“ gekoppelt. Die Befürworter einer ehrgeizigen Klimapolitik haben zudem den wachsenden Widerstand in den osteuropäischen Mitgliedstaaten sträflich unterschätzt.
Niemand kann ernsthaft erwarten, dass die EU schnell einen radikalen Kurswechsel einleitet. Doch statt zumindest Nachdenklichkeit ist der unbedingte Wille zum „more of the same“ zu beobachten. Allenthalben wird „entschieden appelliert“, „weiter intensiviert“ und „noch besser kommuniziert“. Doch so werden die USA, China, Indien und Russland nicht mit ins Boot geholt werden können – und ohne diese Länder wird sich eine globale Klimaschutzpolitik nicht wirksam umsetzen lassen. Den Willen zu einer pragmatischen Klimapolitik sucht man bei der EU bislang jedoch vergebens. Die Europäer scheinen eher die Option eines gesichtswahrenden Scheiterns zu bevorzugen, frei nach dem Motto „An uns hat es nicht gelegen“.
Dr. Oliver Geden arbeitet in der Forschungsgruppe EU-Integration der SWP zu Fragen der Klima- und Energiepolitik der EU.
Internationale Politik 6, November/ Dezember 2012, S. 76-79