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01. Juli 2007

Die Merkel-Methode

... hat das Projekt Europa gerettet. Zumindest fürs Erste

Es war im vergangenen Dezember, auf dem Kongress der sozialistischen Parteien Europas in Porto, als Jacques Delors erklärte, es mangele in eklatanter Weise an Vertrauen zwischen den Mitgliedsstaaten der EU. Nicht einmal ein „Minimum an gegenseitigem Vertrauen“ könne er erkennen, so der ehemalige Präsident der EU-Kommission. Das habe gravierende Folgen – denn ohne ein solches Vertrauen werde die EU scheitern. Darum plädierte Delors zumindest für einen „Waffenstillstand“ in der psychologischen Kriegsführung zwischen Europas Regierungen.

Ein halbes Jahr später sieht es so aus, als sei es Bundeskanzlerin Angela Merkel tatsächlich gelungen, einen Waffenstillstand zustande zu bringen. Das psychologische Klima innerhalb der EU scheint sich derzeit zu wandeln – fraglos ein persönlicher Triumph für Frau Merkel, deren Strategie einige Kommentatoren in Europa bereits als die „Merkel-Methode“ feiern. Mit Beharrlichkeit, Vermittlungskunst, Überzeugungskraft und zuweilen schlicht mit großer Aufrichtigkeit ist es ihr immer wieder gelungen, ihren Willen durchzusetzen. Dadurch hat sie die Grundlage dafür gelegt, das aufgrund mangelnder politischer Führung in den vergangenen Jahren in Europa entstandene politische Vakuum zu füllen. Nach einer mehrjährigen Denkpause, die größtenteils wohl eher eine intellektuelle Siesta war, steht Angela Merkel heute als Europas rettender Engel da.

Konkret bezieht sich das auf zwei politische Durchbrüche bei zwei Gipfeltreffen. Im März gelang es Frau Merkel, eine sehr ambitionierte europäische Haltung in der Klimapolitik durchzusetzen, und Ende Juni hat sie den Plänen für eine europäische Verfassung neues Leben eingehaucht. Die Staats- und Regierungschefs haben sich auf dem Gipfel in Brüssel geeinigt, eine Regierungskonferenz einzuberufen, die den jetzt beschlossenen Kompromiss in ein grundlegend neues EU-Vertragswerk ab 2009 umsetzen soll. Damit hätte die EU sich erfolgreich aus der politischen Sackgasse herausmanövriert, in die sie zuletzt geraten war.

Nun ist Frau Merkels Methode darauf ausgerichtet, schnelle Ergebnisse zu erzielen. Dafür wird sie zuweilen scharf kritisiert. Völlig im Gegensatz zur Transparenz und der parlamentarischen Verankerung des Konvents orientiert sich diese Methode an der klassischen zwischenstaatlichen Tradition, bei der einem sehr begrenzten Kreis von Regierungsbeamten eine sehr bedeutende Rolle zukommt. Die Methode mag effizient sein, doch sie kann zu Spannungen führen, wenn die Regierungen der EU sich zwecks Ratifizierung an ihre Parlamente wenden. Die EU wird in der Öffentlichkeit ohnehin bereits in viel zu hohem Maße als eine Angelegenheit der Regierungen und ihrer Beamten aufgefasst – was auf Kosten aller Parlamentarier geht, deren Aufgabe es ist, für Transparenz und demokratische Kontrolle zu sorgen.

Ich persönlich sehe ein noch größeres Problem in der Taktik, die hinter Frau Merkels Methode steht. Dabei handelt es sich um eine Strategie, die man als „Flucht nach vorn“ bezeichnen kann. Die Beschlüsse zur Klima- und Energiepolitik beim Gipfeltreffen im März etwa enthielten äußerst ehrgeizige Zielsetzungen für die Begrenzung von Kohlendioxidemissionen und die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien. Um in diesen Fragen Einigkeit zu erzielen, war Frau Merkel gezwungen, die Formel zu akzeptieren, wonach diese Zielsetzungen in einer einvernehmlichen Lastenverteilung zwischen den 27 Mitgliedsstaaten umgesetzt werden sollen. Wenn also die EU-Kommission Ende des Jahres ihren Entwurf für eine Paketlösung vorlegt, wird man sich wohl auf harte politische Kämpfe um Prinzipien und Gelder einstellen dürfen. Nur, dann hat Deutschland nicht mehr den Vorsitz.

Ebenso ist es natürlich erheblich leichter, eine Revision des EU-Vertrags anzuleiern als eine Verhandlung mit 27 Regierungen, die sich in allen Fragen einig sein müssen, zum Abschluss zu bringen. Und nichts ist klar, bevor alles zu Ende ist. Die Erfahrungen von Maastricht, Amsterdam und Nizza lehren, dass die Regierungen erst im entscheidenden Endspiel alle Karten auf den Tisch zu legen pflegen. Und wenn der Karren sich dann gänzlich festgefahren hat, heißt die Standardlösung: neue „Leftovers“. So ist die „Flucht nach vorn“ zu einer Konstante in der Funktionsweise der EU geworden.

In einer nach innen gekehrten EU hat diese Taktik bislang ganz passabel funktioniert. Ich glaube jedoch, dass die introvertierte EU der Vergangenheit angehört. Europa ist wohl oder übel zunehmend gezwungen, ein aktiver internationaler Akteur zu werden. Gleich um die Ecke wartet die neue Welt, die „Post-Bush“- und „Post-Putin“-Ära. Im globalen Umfeld muss die EU eine wachsende internationale Verantwortung übernehmen. Da ist es nicht damit getan, „die Flucht nach vorn“ anzutreten.

ROLF GUSTAVSSON, geb. 1944, ist EUKorrespondent des Svenska Dagbladet in Brüssel.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7/8, Juli/August 2007, S. 141 - 143.

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