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01. Juni 2009

Die Konjunkturpakete der G-20-Staaten

Zahlen, Hintergründe, Auswirkungen

Es wird ja oft genug betont: Wir befinden uns in der größten Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahrzehnte. Und so diskutieren wir über Abwrackprämien und die Rettung des Autoherstellers Opel, über Konjunkturpakete und eine Neuverschuldung, mit der noch die übernächste Generation kämpfen wird. Doch selbst, wenn wir das Attribut „global“ im Zusammenhang mit der Krise selten vergessen, geraten uns die weltweiten Konsequenzen ganz offensichtlich aus dem Blick.

Fast alle bedeutenden Industrie- und Schwellenländer haben mittlerweile so genannte Stimulus- oder Konjunkturpakete für die Jahre 2009 und 2010 aufgelegt. Diese Pakete setzen sich aus einer Reihe fiskalpolitischer Maßnahmen zusammen. Ihr Umfang beträgt in den G-20-Staaten nach Angaben des IWF 820 Milliarden Dollar für 2009 und 660 Milliarden Dollar für 2010. Dies entspricht zwei bzw. 1,5 Prozent des Gesamt-BIP dieser Länder. Konjunkturprogramme dieser Größenordnung, die zeitgleich in allen wichtigen Volkswirtschaften verabschiedet werden, sind ein absolutes Novum in der Wirtschaftsgeschichte.

Gerade aufgrund ihres Umfangs stellen die Maßnahmen jedoch eine immense Belastung für die Staatsfinanzen dar. Diese sind durch die Krise ohnehin in Mitleidenschaft gezogen, denn der krisenbedingte Konjunktureinbruch führt zu sinkenden Einnahmen bei steigenden Kosten (s. Grafik). Das ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen, die sich in Industrie- und Schwellenländern teils unterschiedlich auswirken. Zum einen geht der Abschwung mit einem Rückgang der Steuereinnahmen ebenso einher wie mit erhöhten Anforderungen an die Sozialsysteme. Hinzu kommen Einnahmeausfälle aus dem Rohstoffverkauf, die insbesondere von den Schwellenländern verzeichnet werden. Die schwache Konjunkturlage führt hier zu einer sinkenden Nachfrage. Damit fällt nicht nur die Absatzmenge, sondern auch der Preis. In den Industriestaaten verursachen die Stabilisierungsmaßnahmen für die Finanzsysteme immense Kosten. Die G-20-Industriestaaten stellen hierfür im Schnitt 5,2 Prozent ihres BIP zur Verfügung. Des Weiteren haben die Regierungen der Industriestaaten in erheblichem Umfang Kredite und Garantien für angeschlagene Banken zugesichert. Diese belaufen sich dem IWF zufolge auf bis zu 49,8 Prozent ihres BIP. Inwieweit diese Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden müssen, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings kaum verlässlich abschätzen.

Bereits die Aufwendungen für die Finanzsysteme legen eine Grundlage für die konjunkturelle Entwicklung. Denn indem sie die Verfügbarkeit von Krediten sichern, ermöglichen sie unternehmerische Investitionen. Doch die nationalen Konjunkturpakete gehen über diese indirekten Effekte hinaus und stimulieren gezielt die Realwirtschaft. Dabei variieren die Maßnahmen der einzelnen Staaten erheblich in Größe und Zusammensetzung (s. Grafik). Mehrere Faktoren beeinflussen den Umfang der nationalen Stimuluspakete. Zunächst spielt hier die Intensität des Konjunktureinbruchs eine Rolle. Dies wird etwa am Umfang des amerikanischen Maßnahmenpakets deutlich. Es fällt mit 5,9 Prozent des BIP sehr umfangreich aus und ist in absoluten Zahlen das mit Abstand größte einzelne Paket. Doch auch die Höhe der Staatsverschuldung ist bedeutsam. Je höher die Verschuldung, desto kleiner ist der finanzielle Spielraum der Staaten – und entsprechend bescheidener fallen die Maßnahmen aus, die zur Anregung der Wirtschaftstätigkeit aufgewandt werden können.

Zusätzlich wirken sich Mechanismen wie eine progressive Einkommenssteuer oder Leistungen der Sozialsysteme auf die Größe der Pakete aus. Beide haben in Abschwungphasen positive Auswirkungen auf die konjunkturelle Situation. Solche „automatischen Stabilisatoren“ regen die Nachfrage ohne aktive Einwirkung der Politik an, indem sie den Konsumenten entweder weniger Geld entziehen oder es ihnen zur Verfügung stellen – sie wirken also antizyklisch. Staaten, die über umfassende automatische Stabilisatoren verfügen, benötigen daher weniger umfangreiche Konjunkturpakete. Aus diesem Grund wies eine IWF-Studie vom Januar 2009 die in der ausländischen Presse oft geäußerte Kritik an Deutschlands vermeintlich unzureichendem Konjunkturpaket zurück.

Abgesehen von ihrem Umfang unterscheiden sich die Pakete erheblich in ihrer Zusammensetzung. Grundsätzlich betrifft dies die Gewichtung von Steuersenkungen auf der einen und Investitionen auf der anderen Seite. Während erstere eher langfristig wirken, zielen Ausgabenprogramme auf eine kurzfristige Anregung der Konjunktur ab. Über die G-20-Staaten hinweg zeigt sich hier eine Tendenz von einem Drittel zu zwei Dritteln. Das chinesische Paket besteht jedoch beispielsweise ausschließlich aus Investitionen; das russische hingegen setzt sich zu 100 Prozent aus Steuererleichterungen zusammen. Viele Länder, die mehrere Pakete auf den Weg gebracht haben, neigten bei den späteren Maßnahmen zu einem höheren Anteil von Ausgaben – so auch Deutschland.

Konkret fließt knapp die Hälfte der Gesamtinvestitionen der G-20-Staaten in Infrastrukturprojekte. Auch stellen viele Staaten – darunter Russland, Großbritannien und die USA – große Summen für die sozialen Sicherungssysteme oder direkt für betroffene Personen und Personengruppen zur Verfügung. Steuererleichterungen betreffen primär die Einkommenssteuer, etwa in Deutschland, Frankreich, Japan und den USA. Der zweitgrößte Posten ist hier die Unternehmensbesteuerung, während Senkungen der indirekten Steuern einen verhältnismäßig kleinen Teil der Pakete ausmachen.

Insbesondere die Industriestaaten müssen die Konjunkturpakete zu großen Teilen über Schulden finanzieren. Damit verschärfen die Pakete die Belastungen, die mit den Stabilisierungsmaßnahmen für die Finanzmärkte einhergehen, zusätzlich. Die Folge ist ein deutliches Anwachsen der Staatsverschuldung in den kommenden Jahren (s. Grafik). In Deutschland etwa wird die Verschuldung der öffentlichen Hand nach Berechungen des IWF gegenüber dem Jahr 2007 bis 2010 um 15 Prozentpunkte steigen. Noch drastischer sehen die Vorhersagen für Großbritannien und die USA aus, während die Schwellenländer deutlich weniger stark betroffen sein werden.

Marco Martini       

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, Juni 2009, S. 15 - 17.

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