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Das Ende der Zwei-Staaten-Lösung

Frieden im Nahen Osten, wann endlich? Und wie? Es ist höchste Zeit, offen über die Alternativen einer Ein-Staaten-Regelung oder einer Konföderation zu diskutieren.

Seit Jahren steckt der israelisch-palästinensische Konflikt in einer Sackgasse. Die wichtigsten politischen Bedingungen für die Durchsetzung einer Zwei-Staaten-Regelung sind nicht mehr gegeben: Der Siedlungsbau schreitet massiv voran; den beiden Konfliktparteien fehlt der politische Wille für eine Lösung; für die meisten arabischen Staaten ist die „palästinensische Solidarität“ zu einer Last geworden; und die USA fallen als ehrlicher Vermittler im Konflikt aus.



Alle Blaupausen für eine Lösung des Konflikts liegen seit Jahren auf dem Verhandlungstisch, angefangen von den Clinton-Parametern vom Dezember 2000 über Taba 2001, Annapolis 2007 und die Olmert-Vorschläge 2008 bis hin zu den Gesprächen durch die Obama-Kerry-Regierung 2013 bis 2014. Aber die Konfliktparteien haben sich seither nicht mehr an einen Tisch gesetzt. Die Gründe hierfür sind offensichtlich: Auf beiden Seiten ist im Grunde der politische Wille für eine Verhandlungslösung nicht mehr vorhanden – trotz gegenteiliger öffentlicher Beteuerungen.



Auf israelischer Seite hat man sich seit Jahren mit dem Status quo abgefunden. Der langjährige Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist ein Meister darin, diese Situation möglichst lange aufrechtzuerhalten – selbst gegen Druck aus seiner eigenen Regierung, in der mindestens die Hälfte der Minister offen gegen zwei Staaten und für weitere Annexionen sind.  



Aber auch für den palästinensischen Präsidenten Machmud Abbas ist die Fortsetzung des Status quo zurzeit die komfortabelste Lage, denn jede Veränderung, auch Neuwahlen und erst recht eine Vereinbarung mit den Israelis, würde für ihn und seine Fatah den völligen Machtverlust bedeuten. Ganz zu schweigen von der Hamas, die nicht nur gegen eine Zwei-Staaten-Lösung ist, sondern Israel vernichten will.



Mit der Vorlage des Trump-Planes fallen nun auch noch die Vereinigten Staaten als wichtigster internationaler Player und notwendiger Vermittler aus. Der sogenannte Jahrhundertdeal der Trump-Regierung präsentiert sich zwar als „realistische Zwei-Staaten-Regelung“. De facto zementiert er jedoch die Ein-Staaten-Realität und ist damit das komplette Gegenteil einer fairen Lösung.



Noch nie hat eine US-Regierung ein Dokument im israelisch-palästinensischen Konflikt vorgelegt, das derart einseitig den ideologischen und sicherheitspolitischen Vorstellungen der israelischen Rechten folgt. So ist vorgesehen, dass die Sicherheitsverantwortung für das gesamte Land, die Kontrollen an den Grenzen sowie über den Luftraum und die Küstengewässer, bei Israel verbleibt. Territorial wird der gegenwärtige Flickenteppich, bestehend aus Siedlungen und palästinensischen Dörfern und Städten, festgeschrieben. Diese sollen durch ein System aus Tunneln, Brücken und Straßen verbunden werden. Auch Siedlungen und illegale Outposts außerhalb der großen Blöcke bleiben erhalten.



Da weitere Annexionen, wie die des strategisch wichtigen Jordantals, vorgesehen sind, hat dieser palästinensische Staat à la Trump aber vor allem – außer in Gaza und zu Ägypten hin – keine eigenen Außengrenzen, sondern ist vollständig von Israel umgeben. Von staatlicher Souveränität kann man daher kaum mehr sprechen. Zum Ausgleich soll gegebenenfalls eine Triangel im Norden Israels für die Palästinenser abgespalten werden. Da dies aber die Ausbürgerung von bis zu 300 000 arabisch-israelischen Staatsbürgern zur Folge hätte, birgt dieser Vorschlag besonderen Konfliktstoff.



Einen Affront stellt auch der Vorschlag zu Jerusalem dar: Die Hauptstadt des palästinensischen Staates wird kurzerhand in die Jerusalemer Vororte verlagert, nach Abu Dis, während die Israelis die Souveränität über den gesamten Restteil von Jerusalem erhalten, einschließlich der Heiligen Stätten. Mit dieser Katzentisch-Lösung würden außerdem rund 140 000 Palästinenser ihr Aufenthaltsrecht für Jerusalem verlieren.



Die Palästinenser stehen allein da

Mit diesen Vorschlägen ist der Trump-Plan ein Non-Starter – jedenfalls im Hinblick auf eine verhandelte Zwei-Staaten-Regelung. Keine palästinensische Regierung wird sich darauf einlassen, denn mit der Gründung eines lebensfähigen Staates hat dieser Vorschlag nichts mehr zu tun. Dennoch wird er die Realität verändern; nicht nur, weil er ein Freifahrtschein für weitere Annexionen ist, sondern vor allem, weil kommende israelische Regierungen ihn als Ausgangspunkt für mögliche Gespräche sehen werden.



Hinzu kommt, dass auch die arabische Welt, die zuvor immer als wichtiger Garant für eine Durchsetzung einer Zwei-Staaten-Regelung galt und deren „Friedensinitiative“ von 2002 internationaler Bezugspunkt war, heute offensichtlich von den Palästinensern abgerückt ist. Das hat ihre Reaktion auf den Trump-Plan gezeigt. Wichtige Staaten wie Saudi-Arabien waren wohl vorab durch die US-Regierung eingekauft worden. Jordaniens und Ägyptens Reaktionen waren verhalten positiv. Bahrain, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate nahmen gar an der Präsentation im Weißen Haus teil.



Es ist also dringend notwendig, sich der Realität zu stellen, und zwar sowohl für die Akteure vor Ort als auch für die internationale Gemeinschaft: Die Zwei-Staaten-Lösung ist tot. Statt aber weiter diesen „toten Tiger“ zu reiten, müssen endlich Alternativen diskutiert werden.



In dieser Situation könnte eine alte Idee wiederaufleben: ein Staat für Juden und Palästinenser. Dabei wird sowohl auf israelischer als auch auf palästinensischer Seite ein breites Spektrum an Ideen von ganz rechts bis ganz links vertreten.



Die Forderung nach „einem Staat“

Auf der israelischen Linken fordert eine kleine Initiative um den Friedensaktivisten Jeff Halper, einen demokratischen Staat im historischen Palästina zu etablieren. Jüdische und palästinensische Staatsbürger sollen die gleichen Bürgerrechte erhalten. Die Kampagne fordert die sofortige „Abschaffung des Apartheidregimes im historischen Palästina“ sowie die vollständige Umsetzung des palästinensischen Rückkehrrechts. Da dies jedoch das Ende eines mehrheitlich jüdischen Staates bedeuten würde, ist auf israelischer Seite kaum Unterstützung für einen solchen binationalen Staat zu finden.



Auf der israelischen Rechten wird im Grunde mit der Forderung nach Annexion der ganzen oder von Teilen der Westbank auch „ein Staat“ anvisiert. Da vielen Akteuren auf der politischen Rechten allerdings die demografische Entwicklung als zu risikoreich erscheint, werden hier inzwischen Teilannexionen vertreten. So fordern die nationalreligiöse Yamina-Partei, aber auch weite Teile des Likud, zunächst mit der Annexion der C-Gebiete zu beginnen, wo die größte Zahl der Siedlungen liegt, um dort eine jüdische Mehrheit halten zu können.

Angesichts von 165 separaten palästinensischen Enklaven in den A- und B-Gebieten würden solche Vorstellungen allerdings endgültig auf ein Apartheidsystem hinauslaufen.



Erstaunlich ist daher, dass die Forderung nach „einem Staat“ auch in der palästinensischen Zivilgesellschaft immer mehr vertreten wird. Schon 2011 forderte der prominente ehemalige Präsident der Al-Quds-Universität Sari Nusseibeh in einem Buch „einen Staat für Palästinenser und Juden“, weil er keine Chance mehr auf eine Realisierung der Zwei-Staaten-Lösung sah. Um den Israelis die Angst vor einer politischen Dominanz der palästinensischen Bevölkerung zu nehmen, schlug er vor, dass die Palästinenser zwar alle bürgerlichen Rechte, nicht jedoch das politische Wahlrecht bekommen sollten.



Das war eine Provokation – ausgerechnet von einem der großen palästinensischen Intellektuellen. Nusseibeh erklärt zugespitzt in seinem Plädoyer: Vor die Wahl gestellt, weitere 40 Jahre unter der Okkupation oder in einem Schein-Palästinenserstaat zu leben, erscheine die dritte Variante – die Annexion des gesamten Gebiets bei Gewährung der Bürgerrechte, ohne Wahlrecht, für die Palästinenser – die weitaus humanere Alternative. Denn er meint: „So könnten die Juden das Land regieren, während die Araber zumindest das Leben dort genießen könnten.“



Solche Überlegungen passen zwar kaum in das Machtkalkül der Fatah-Regierung, erst recht nicht in die gewaltbereite Strategie der Hamas; aber in der palästinensischen wie auch in der israelischen Zivilgesellschaft bekommen solche Strategien immer mehr Zuspruch, weil sie die Option eines „Plan B“ eröffnen.



Um die Probleme der Annexion zu vermeiden, werden zwei weitere Alternativmodelle diskutiert: die Idee einer Konföderation und das Konzept einer Föderation. Die Föderationsbewegung wurde vor sechs Jahren unter anderem von dem ehemaligen Mossad-Offizier Emanuel Shahaf und dem ehemaligen Generalsekretär der Jewish Agency Aryeh Hess gegründet. Das Modell sieht vor, dass zwar israelisches Recht auf die gesamte Westbank ausgedehnt wird, aber die Palästinenser volle Bürgerrechte erhalten, einschließlich des Wahlrechts.



Da aber der gesamte Staat in 30 Kantone aufgeteilt werden soll, von denen 20 eine jüdische Mehrheit haben sollen, würde dieser weiter mehrheitlich jüdisch sein, auch wenn man in der Bevölkerung keine jüdische Mehrheit mehr hätte. Da sämtliche Sicherheitsangelegenheiten bei Israel verbleiben würden, die Siedlungen erhalten blieben und die Autonomiebehörde aufgelöst würde, findet das Modell allerdings kaum Anhänger auf der palästinensischen Seite, sondern eher bei den israelischen Rechten.



Die Konföderation: ein Land für alle

Völlig anders verhält es sich mit der Idee einer israelisch-palästinensischen Konföderation, die in beiden Gesellschaften immer mehr Zustimmung findet. Anfangs noch von vielen belächelt, ist inzwischen sogar eine Bewegung entstanden, die sich „A land for all“ beziehungsweise „Two States in One Homeland“ nennt. Gegründet von dem israelischen Journalisten Meron Rappaport und dem palästinensischen Aktivisten Awnis Almsni schließen sich immer mehr prominente jüdische und arabische Israelis sowie auch Palästinenser der Bewegung an, sogar moderate Siedler wie der Poet Eliaz Cohen. Und obwohl die Idee im politischen Raum bislang kaum aufgegriffen wurde, erhielt sie in Umfragen schon 30 Prozent Zustimmung.



Auch nach diesem Konzept müsste niemand das Land verlassen, auf dem er lebt, das heißt weder die jüdischen Siedlungen noch palästinensische Dörfer würden geräumt. Es sollen zwar nach wie vor zwei souveräne Staaten entlang der Grenzen von 1967 geschaffen werden; aber Israelis und Palästinenser hätten beide das Recht auf Bewegungsfreiheit und Niederlassung im ganzen Land. Denn das Konzept vertritt die Vision von einem „offenem Land“ und geht davon aus, dass „Eretz Israel“ beziehungsweise Palästina eine historisch gewachsene Einheit vom Jordan bis zum Mittelmeer ist.



Bestechend sind vor allem die Vorstellungen für Jerusalem: Die Stadt soll ungeteilte Hauptstadt beider Völker werden, über deren Angelegenheiten eine Lokalregierung aus beiden Bevölkerungsgruppen entscheidet. Die Heiligen Stätten sollen von den Religionsgemeinschaften und der internationalen Gemeinschaft zusammen verwaltet werden. Vor allem landesweite Sicherheitsfragen sowie Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse sollen durch gemeinsame Institutionen der Konföderation verwaltet werden.



Sicherlich klingt das Konzept sehr visionär. Dennoch zeugt es von mehr Realismus als die Zwei-Staaten-Lösung. Denn es nimmt die neue Realität und die Verwobenheit der beiden Völker, die durch die gemeinsamen religiösen, kulturellen und historischen Bezüge entstanden ist, zum Ausgangpunkt seiner Vorschläge. Es versucht so, einen realistischen Kompromiss zwischen der strikten Trennung der Zwei-Staaten-Regelung auf der einen und dem Ein-Staaten-Konzept auf der anderen Seite zu formulieren.



Offen für neue Wege

Da sowohl in der israelischen als auch in der palästinensischen Zivilgesellschaft ernsthaft nach alternativen Wegen gesucht wird, ist das Festhalten der internationalen Staatengemeinschaft an der Zwei-Staaten-Regelung nicht mehr zu rechtfertigen. Auch die EU und die Bundesregierung müssen sich die Frage gefallen lassen, ob ihre Politik nicht illusionär ist, wenn sie ausschließlich auf die Zwei-Staaten-Lösung setzen.



Die EU muss sich entscheiden: Entweder ist man tatsächlich der Überzeugung, auch ohne die USA und die arabischen Staaten die Zwei-Staaten-Regelung durchsetzen zu können. Dann müsste die EU aber endlich die „Hardware“ auspacken, was hieße, sich zur Verhängung von Sanktionen gegen Israel durchzuringen und dafür internationale Unterstützer zu suchen. Eine solche Option erscheint allerdings angesichts der Zerstrittenheit der EU unrealistisch und ist wegen des besonderen Verhältnisses, das vor allem die Deutschen aufgrund ihrer Geschichte zu Israel haben, auf keinen Fall anzuraten.



Die wesentlich attraktivere Option ist, dass die Europäische Union, allen voran Deutschland, endlich den Blick auf die Alternativen richtet: Die EU sollte einen offenen Dialog mit der israelischen und palästinensischen Regierung, aber vor allem mit den beiden Zivilgesellschaften führen, in dem die Vor- und Nachteile einer Ein-Staaten-Regelung sowie die Möglichkeiten einer Föderation, Konföderation oder anderer Optionen diskutiert werden. Die EU sowie die internationale Gemeinschaft müssen endlich signalisieren, dass sie die Akteure ernst nehmen und dass auch sie offen für neue Wege sind.

 

Kerstin Müller ist Senior Associate Fellow der DGAP. Sie leitete das Israel-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung (2013–2018), war Staatsministerin im Auswärtigen Amt (2002–2005)und saß 19 Jahre für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2020, S. 71-75

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