Brief aus...

29. Apr. 2024

Brief aus Colombo: Kraft des Volkes

Die Menschen Sri Lankas haben eine Regierung gestürzt. Nun hoffen sie auf den wirtschaftlichen Aufschwung ihres Landes. 

Bild
Bild: Zeichnung Colombo
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten

 

Der Standventilator ist in vollem Betrieb. Ein kaltes Getränk, von dem Wassertropfen abperlen wie Schweiß, hinterlässt einen dunklen Fleck auf dem Holztisch. Obwohl um mich herum die Stille des Abends eingekehrt ist, machen es die 35 Grad Celsius mühsam zu arbeiten. Colombo ist eigentlich an diese Temperaturen gewöhnt. Trotzdem fühlt sich diese Hitze irgendwie fremd an. Zuletzt hat das Bildungsministerium alle sportlichen Aktivitäten im Freien verboten, weil es Gesundheitsrisiken befürchtet. 

Strom und Wasser sind zwei lebensnotwendige Güter, die das Leben in diesen Tagen erträglich machen. Aber sie sind auch das, was dem Durchschnittsbürger die meisten Sorgen bereitet. Nach der jüngsten Wirtschaftskrise hat die Regierung auch die Preise für Strom und Wasser angehoben: Nun zahlen Haushalte in Sri Lanka die höchsten Strompreise in ganz Südostasien. Viele Menschen bringt das an ihre finanziellen Grenzen – die staatliche Elektrizitätsbehörde hat 2023 mehr als einer Million Kunden den Strom abgestellt. 

Vor diesem Hintergrund jährt sich zum zweiten Mal der Volksaufstand, der die Regierung von Präsident Gotabaya Rajapaksa und seinem Bruder, Premierminister Mahinda Rajapaksa, stürzte. Ich erinnere mich an das Jahr 2022, als sich Zehntausende Menschen, vor allem Jugendliche, in Colombo versammelten, um unter dem Slogan „Go Gota Go“ zu protestieren. Es waren Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, die einen Regimewechsel forderten. Sie hatten genug davon, tagelang anstehen zu müssen, um Treibstoff zu kaufen, bis zu 13 Stunden lange Stromausfälle zu ertragen oder das Fehlen von Medikamenten. Die Demonstranten schlugen ihr Lager in Colombos idyllischem Hafenviertel Galle Face Green auf und benannten es kurzerhand in „GotaGoGama“ um: „das Gotabaya-Go-Dorf“. Auf dem Höhepunkt der Krise musste ich in einem Hotel in Colombo übernachten, weil das billiger war, als 45 Minuten vom Protestort zurück und dann wieder dorthin zu fahren. 

Nachdem Tausende Menschen seinen Amtssitz gestürmt hatten, musste Präsident Rajapaksa fliehen. Aus dem Exil verkündete er seinen Rücktritt und das Parlament wählte Ranil Wickremesinghe zu seinem Nachfolger. Dieser erklärte den Staatsbankrott und bat den Internationalen Währungsfonds (IWF) um ein Rettungspaket in Höhe von 2,9 Millionen US-Dollar. Nachdem dieses gewährt wurde, konnte der IWF im März feststellen, dass sich die wirtschaftliche Lage auf der Insel allmählich verbessert. Dennoch sind die Warenpreise immer noch mindestens dreimal so hoch wie vor der Krise. 

Viele Menschen haben sich in der jüngeren Vergangenheit deshalb entschieden, Sri Lanka zu verlassen. Sie hoffen, dass das Gras auf der anderen Seite des Indischen Ozeans grüner ist. Das Gesundheitssystem war von diesem Trend am stärksten betroffen. In einer öffentlichen Ansprache erklärte Wickremesinghe, dass 30 bis 40 Prozent der Ärzte und Krankenschwestern das Land verlassen haben. 

Diese Entwicklung wird von vielen Menschen missbilligt, insbesondere weil Sri Lanka in diesen Fachbereichen kostenlose Ausbildungen anbietet. So scheint es, dass medizinische Fachkräfte ihre Heimat und bedürftige Patienten im Stich lassen und ihre Talente lieber im Ausland anwenden. Daten der Zentralbank CBSL zeigen, dass 2022 über 1,1 Millionen Menschen weggezogen sind. Diejenigen, die zurückbleiben, hoffen auf eine Entspannung der wirtschaftlichen Lage und sinkende Preise. So auch einer meiner engen Freunde, der zunächst auswandern wollte, sich dann jedoch anders entschied: „In einem neuen Land Fuß zu fassen, ist auch nicht so einfach“, sagte er mir. Auch ich denke immer mal wieder darüber nach, wie es wäre, auszuwandern und all die Entbehrungen hinter sich zu lassen. Aber würden wir anderswo wirklich ein besseres Leben haben?


Die Tamilen warten weiterhin auf Gerechtigkeit

Was die mittelfristigen Aussichten angeht, so scheint das Land auf dem richtigen Weg zu sein. Die Wirtschaft erholt sich allmählich, die Inflation sank von 50,6 im Vorjahr auf 5,9 Prozent. Und auch der Tourismus, eine der Haupteinnahmequellen des Inselstaats, gewinnt wieder an Fahrt. 

Nach wie vor hat der große Nachbar Indien viel Einfluss in Sri Lanka, sowohl politisch als auch wirtschaftlich. In der Vergangenheit hatte Indien stets seine Finger im Spiel, wenn es um den Ausbau von erneuerbaren Energien in den ressourcenreichen Gebieten im Norden und Osten ging. Unter Präsident Wickremesinghe wurde mittlerweile jedoch eine Bestimmung außer Kraft gesetzt, die indischen Konzernen einen besonderen Vorteil verschaffen sollte. 

Trotz aller Widerstandsfähigkeit liegt noch ein langer Weg vor uns. Seitdem der fast drei Jahrzehnte andauernde Krieg zwischen der Regierung und den sogenannten Tamilischen Befreiungstigern 2009 beendet wurde, warten die Tamilen immer noch auf Gerechtigkeit. Viele ihrer Angehörigen sind unter ungeklärten Umständen verschwunden – und sie haben bis heute keine Antworten bekommen. Nach Meinung des Menschenrechtsaktivisten Brito Fernando muss sich das schnellstens ändern: „Familien wollen wissen, ob ihre Kinder tot sind – und wenn dem so ist: Warum sie getötet wurden, wer sie getötet hat und wo ihre Leichen begraben sind. Diese Menschen verdienen Seelenfrieden.“

In diesem Jahr soll ein neuer Präsident gewählt werden. Für das Land wird das ein entscheidender Moment sein. Auf eines können sich die Menschen jedoch immer verlassen, um schwierige Zeiten zu überstehen: ihren Optimismus. 

Aus dem Englischen von Kai Schnier

Für Vollzugriff bitte einloggen.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2024, S. 

Teilen

Themen und Regionen

Aanya Wipulasena arbeitet als freiberufliche Journalistin und ist als Sri-Lanka-Korrespondentin für die Nachrichtenagentur Agencia EFE tätig. Außerdem schreibt sie 
für The Guardian, die Australian Broadcasting Cor­poration und die Digitalplattform VaccinesWork.

 

0

Artikel können Sie noch kostenlos lesen.

Die Internationale Politik steht für sorgfältig recherchierte, fundierte Analysen und Artikel. Wir freuen uns, dass Sie sich für unser Angebot interessieren. Drei Texte können Sie kostenlos lesen. Danach empfehlen wir Ihnen ein Abo der IP, im Print, per App und/oder Online, denn unabhängigen Qualitätsjournalismus kann es nicht umsonst geben.