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29. Juni 2018

Atomrisiko Ukraine

Angesichts von Krieg und Krise vernachlässigt Kiew die nukleare Sicherheit

Veraltete und überlastete Reaktoren, zu wenig Geld und dann noch der Krieg im Osten: Von den ukrainischen Atomanlagen, vor allem ihren vier riesigen Kernkraftwerken, geht für ganz Europa große ­Gefahr aus. Die internationale Gemeinschaft muss sich dringend um die Probleme der Atomwirtschaft in der Ukraine kümmern.

Seit der Stilllegung des letzten Reaktors von Tschernobyl im Jahr 2000 verfügt die Ukraine noch über vier Atomkraftwerke mit insgesamt 15 Druckwasserreaktoren: Khmelnitsky, Riwne, Saporischschja und Südukraine. Doch die politische und wirtschaftliche Unsicherheit in der Ukraine hat für die Atom- und Strahlungssicherheit äußerst negative Folgen. Im Jahr 2017 kam es in den ukrainischen Atomkraftwerken zu 17 Funktionsstörungen, wie die staatliche Atomaufsicht der Ukraine am 30. März 2018 mitteilte. Dies wirft Probleme auf, um die sich die internationale Gemeinschaft kümmern sollte, denn ein größerer Unfall in der Ukraine hätte Auswirkungen weit über die Grenzen des Landes hinaus.

Schon seit dem Ende der Sowjetunion werden die ukrainischen Atomkraftwerke nur in den allerdringendsten Fällen repariert. Es finden kaum Modernisierungen statt, was zeigt, wie wenig Wert die Ukraine auf Atom- und Strahlungssicherheit legt. Ohnehin gibt es in jedem Kernreaktor Komponenten, die sich nicht ersetzen lassen. Dazu gehört das Reaktordruckgefäß, dessen Zustand sich im Laufe der Zeit verschlechtert. 13 der 15 Reaktoren in der Ukraine haben ihr Leistungspotenzial erschöpft oder beinahe erschöpft. In dieser Situation hat die Ukraine entschieden, die Laufzeit einiger Kernkraftwerke um acht bis zehn Jahre zu verlängern. Dazu fehlt allerdings die Zustimmung von Rosatom, der Föderalen Agentur für Atomenergie in Russland, die die Reaktoren erbaut hat.

Allein im Jahr 2016 registrierte die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) zehn Unfälle in ukrainischen Atomkraftwerken. Am 16. Juli 2016 kam es zu einem Notfall in Block 1 des Atomkraftwerks Khmelnitsky, als sich Druck in der Dampf­erzeugungseinheit aufbaute. Der erste Kraftwerksblock musste vom Netz genommen werden, um repariert zu werden. Die ukrainische Regierung versicherte zwar, es sei keine Radio­aktivität freigesetzt worden. Aber der ukrainische Abgeordnete Andrej Artemenko erklärt, die Regierung habe die Schwere des Vorfalls verheimlicht. Sie habe nicht berichtet, dass bei dem Unfall nicht nur Druck im Primärkreislauf des Reaktors freigesetzt wurde und Kühlmittel in den Dampfgenerator leckte. Es sei außerdem zu einem Druckabfall bei den nuklearen Brennstoffpatronen gekommen. Im Januar 2018 wurde außerdem Block 2 des Atomkraftwerks Khmelnitsky wegen einer technischen Fehlfunk­tion abgeschaltet.

Müllfässer unter offenem Himmel

Im AKW Saporischschja wurden die verschiedenen Kraftwerksblöcke seit 2014 insgesamt mindestens zehnmal abgeschaltet. Im November 2015 verstärkten Vertreter der Streitkräfte in diesem Verwaltungsbezirk ihre Sicherheitsmaßnahmen, nachdem es in dem AKW zu einem starken Leistungsabfall gekommen war. Alle Soldaten und Offiziere erhielten eine besondere Ausrüstung, um sich vor Strahlung und Chemikalien zu schützen. Im selben Jahr enthüllten Journalisten, dass auf dem Gelände des AKW Saporischschja Metallfässer mit über 3000 verbrauchten nuklearen Brennelementen unter offenem Himmel lagern. Besonders beunruhigend ist, dass das Atomkraftwerk in nicht allzu großer Entfernung des umkämpften Verwaltungsbezirks Donezk liegt. Inzwischen befinden sich nur noch vier der sechs Blöcke des größten Atomkraftwerks der Ukraine am Netz.

Im AKW Riwne wurde Block 3 bereits 2016 mindestens zweimal abgeschaltet, weil es Probleme mit dem Kühlsystem gab. Das Gleiche ereignete sich in Block 3 und 4 im August und im Oktober 2017. Im April 2017 wurde Block 6 aus nicht bekannten Gründen abgeschaltet. Im November wurde derselbe Reaktor wegen Reparaturen abgeschaltet, ebenso im Januar 2018 wegen eines Versagens der Pumpturbine. Derzeit werden Block 2 und 3 des Atomkraftwerks repariert.

Auch Modernisierungsmaßnahmen, die für die Sicherheit wichtig sind und deren Notwendigkeit in den Stresstests nach dem Unfall im AKW Fukushima festgestellt wurden, werden nicht wie ursprünglich geplant ausgeführt, sondern zum Teil jahrelang aufgeschoben. Das Reaktordruckgefäß im ersten Block des Atomkraftwerks Südukraine weist eine Reihe von gefährlichen Schwachstellen auf, die Mikrorisse im Metallbehälter des Reaktors verursachen können. Einige Teile des Reaktorbehälters sind offensichtlich bereits zehnmal so stark abgenutzt wie zulässig. Allein 2015 wurden im Block 2 des Atomkraftwerks 33 Abweichungen von den Sicherheitsnormen für Kernkraft und Strahlung festgestellt.

Die Situation wird durch die Tatsache verschlimmert, dass die Auslastung der Atomkraftwerke steigt, weil eine Reihe von kombinierten Heiz- und Stromkraftwerken abgeschaltet wurden und es an Kohle mangelt. Zwischen 2013 und 2017 stieg der Anteil der Atomkraft an der Stromproduktion in der Ukraine von 47 auf 60 Prozent. Dieser Anstieg der Auslastung fand statt, obwohl er die internationalen Normen und Sicherheitsmaßnahmen verletzt, und ohne dass ein Entwicklungsingenieur für Reaktoren eingeschaltet wurde. Vor diesem Hintergrund – und angesichts des Mangels an Alternativen – wird die Atomwirtschaft in der Ukraine immer mehr zu einer Quelle von Sicherheitsrisiken, die zu gefährlichen Vorfällen führen können.

Noch immer besteht die Gefahr, dass in den ukrainischen Reaktoren nichtautorisierte Brennelemente verwendet werden. 2005 begannen die Atomkraftwerke vor allem aus politischen Motiven, Brennelemente des amerikanischen Unternehmens Westinghouse einzusetzen. Das ist der Grund, warum Russland als Erbauer der Atomkraftwerke nicht mehr bereit ist, ihre Sicherheit zu garantieren. Der amerikanische Brennstoff ist nicht für russische Reaktoren ausgelegt, und trotz aller Verbesserung kommt es immer noch zu Fehlfunktionen. Beispielsweise wurde im September 2017 der zweite Block des AKW der Südukraine, der diesen amerikanischen Brennstoff verwendet, vom Netz genommen, als das Schutzsystem ansprang.

Vor einem Jahr wurde dann Block 3 wegen eines Druckverlusts abgeschaltet. Nach diesem Vorfall wandte sich eine Gruppe von Beschäftigten dieses Atomkraftwerks an den Ministerpräsidenten der Ukraine, um wegen des hohen Risikos für die Atom- und Strahlungssicherheit einen sofortigen Verwendungsstopp für Westinghouse-Brennstoff in dem AKW zu fordern. Trotzdem hat niemand vor, die Zusammenarbeit mit der amerikanischen Firma zu beenden. Die ukrainische nukleare Aufsichtsbehörde – das State Nuclear Regulatory Inspectorate of Ukraine (SNRIU) – hat auch die Verwendung von Westinghouse-Brennstoff in Block 1 und Block 4 des AKW Saporischschja ­genehmigt.

Vor dem Hintergrund der politischen Wirren im ersten Halbjahr 2014 wandte sich das ukrainische Außenministerium mit offiziellen Briefen an die NATO, die Vereinigten Staaten und die EU, um Hilfe bei der Sicherung der nuklearen Anlagen zu erbitten. Mit Unterstützung der USA fand im Oktober 2017 eine Übung statt, um die kritische Infrastruktur des AKW Saporischschja zu schützen. Zur selben Zeit bat die Ukraine um ihre Aufnahme in das ­NATO-Exzellenzzentrum für Energie­sicherheit.

Gefahr eines Terroranschlags

Auch wenn die Sicherheit der ukrainischen Atomkraftwerke von der IAEO in den Blick genommen wird, sind andere atomare und radiologische Infrastrukturen weiterhin unzureichend geschützt. Im März 2017 besetzten Kämpfer des Aidar-Bataillons das Institut für Fragen der Kernkraftwerksicherheit der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine. Weder der staatliche Sicherheitsdienst noch das Innenministerium konnten dies verhindern. Ein weiteres Beispiel: Im September 2017 wurden zwei Strafprozesse eröffnet, bei denen den Angeklagten vorgeworfen wurde, sie hätten eine radioaktive Müllhalde aufgraben wollen, um Metall zu stehlen und später zu verkaufen. Es ist auch eine Tatsache, dass die Chemiefabrik Pridniprowski schlecht eingezäunt ist und nicht von bewaffneten Sicherheitsleuten bewacht wird. Die Gefahr besteht, dass diese Fabrik Ziel eines atomaren Terroranschlags wird.

Cybersicherheit ist ebenfalls nicht gewährleistet, wie der Cyberangriff Ende 2015 auf „Prikarpattja Oblenergo“ im Verwaltungsbezirk Iwano-Frankiwsk zeigte. „In der Ukraine erreicht der Schutz wichtiger Infrastruktureinrichtungen vor Cyber­angriffen auf einer Skala von eins bis zehn sieben Punkte“, sagte Dmitri Dubow, Chef der Abteilung für Informationssicherheit des Nationalen Instituts für Strategische Studien. Wie gut eine Einrichtung geschützt ist, hängt vom Eigentümer ab – nach ukrainischem Recht ist er für die Sicherheit verantwortlich. Der Staat – also die Ukraine – gewährleistet auch nicht die Cybersicherheit wichtiger Einrichtungen der nuklearen Infrastruktur. Dieses Problem könnte gelöst werden, wenn man die Gesetzeslage ändert, aber das steht bislang nicht zur Debatte.

Den Vorschriften zufolge sollen die Atomeinrichtungen in der Ukraine einer unabhängigen staatlichen Atomaufsicht, der SNRIU, unterstellt sein. Tatsächlich aber werden die dortigen Abteilungsleiter vom staatlichen Energoatom-Konzern ernannt. Dies führt dazu, dass die Aufsichtsbehörde de facto dem zu beaufsichtigenden Unternehmen untersteht. Bestechlichkeit führt zu Unverantwortlichkeit und Pflichtvergessenheit im Umgang mit kritischer Infrastruktur. Zudem bleiben viele Stellen in der SNRIU jahrelang unbesetzt. So dauerte es drei Jahre, bis die Stelle des staatlichen Chefinspektors für Atom- und Strahlungssicherheit neu besetzt wurde.

In dieser Situation gibt es keinerlei Druck auf Energoatom, sich bei der Beschaffung an internationale Standards oder auch nur an interne Regeln zu halten. Statt die Verfahren der IAEO zu befolgen und Verträge mit Unternehmen abzuschließen, die die erforderliche Erfahrung nachweisen können, arbeitet Energoatom mit merkwürdigen Unternehmen ohne die nötige Erfahrung und Kompetenz zusammen. So fand die Nationale Sicherheitsbehörde 2017 heraus, dass technische Berichte über die Konstruktionsanalyse und Erdbebensicherheit von Anlagen, die von einer privaten Firma vorgelegt wurden, zahlreiche Fehler enthielten. Bei der vorgeschriebenen Prüfung durch die staatliche Inspektion für die Atomregulierung fielen diese Berichte durch. Die Inspektion offenbarte, dass die Not-Dieselgeneratoren, die bei einem Stromausfall die Reaktoren kühlen sollten, in der Praxis außerstande sind, ihre Aufgabe zu erfüllen. Außerdem gibt es Beweise dafür, dass Mitarbeiter wegen ihrer politischen Haltung eingestellt oder entlassen wurden.

Die Fachpublikation Energy Re­search & Social Science betonte im Oktober 2017, dass „die meisten Abstürze und Vorfälle im ukrainischen Energiesektor nicht in den Berichten der vergangenen Jahre aufgeführt wurden, obwohl die staatlichen Medien bestätigen, dass es sie gab“. Es sollte auch festgehalten werden, dass der bestehende Finanzengpass der Branche bestimmte Leute nicht davon abhalte, Gelder zu stehlen. Kürzlich wurde dem Generaldirektor des AKW Tschernobyl Igor Gramotkin vorgeworfen, er habe 690 000 Dollar unterschlagen.

Neue Deponie im Sperrgebiet

2001 ratifizierte die Ukraine das Gemeinsame Übereinkommen über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente. Es sieht vor, dass sämtlicher radioaktiver Müll auf dem Territorium des jeweiligen Landes gelagert werden muss. Alle Verträge mit Russland über die Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen enthalten eine Klausel, nach der die Ukraine ab 2018 die Abfallprodukte zurücknehmen muss; andernfalls drohen internationale Sanktionen. 2013 billigte die Atomaufsichtsbehörde eine Machbarkeitsstudie für eine zentrale Deponie für abgebrannten Brennstoff im Sperrgebiet von Tschernobyl. Dazu gehört auch der Transport von 95 000 Tonnen verbrauchter ionisierender Strahlungsquellen von der Fabrik in Kiew in das Sperrgebiet um Tschernobyl.

Der Bau der neuen Deponie weist aber mehrere grundlegende Probleme auf. Die Ausschreibung für Bauunternehmen war weder transparent noch offen, und das Unternehmen, das die Ausschreibung 2015 gewann, die amerikanische Firma Holtec International, verfügt weder über die notwendige Erfahrung noch die technologische Ausrüstung für diese Arbeiten. Außerdem ist allein die ukrainische Seite für die Lagerung der Abfälle zuständig, ohne Beteiligung der internationalen Gemeinschaft. Offen ist auch, wie die Einrichtung vor Terroristen und Eindringlingen geschützt werden soll.

Seit 2015 sind die geschätzten Kosten des Projekts von 126 auf 300 Millionen Dollar gestiegen. Der Bau ist mehrmals vertagt worden, weil die staatliche Aufsicht sich weigert, die notwendigen Ausgaben in den Kosten von Energoatom zu berücksichtigen. Zudem gab es Probleme mit der Verteilung von Land im Sperrgebiet um Tschernobyl. Im Oktober 2016 wies das Regierungskabinett der Deponie einen Teil (42,5 Hektar) des Sperrgebiets zu, der zum Verwaltungsbezirk Kiew gehört, also nicht weit von der ukrainischen Hauptstadt Kiew und dem größten Fluss des Landes, dem Dnjepr. Normalerweise werden Deponien für Atommüll weit entfernt von großen Städten und Flüssen angelegt, um radioaktive Kontaminierungen zu vermeiden.

Gefährliche Geldnot

Das monatliche Durchschnittsgehalt der Experten in der zentralen Deponie für abgebrannte Strahlungsquellen soll etwa 220 Dollar betragen. Bei Energoatom sind die Gehälter viel höher, und so ist es offensichtlich, dass es schwierig sein wird, qualifiziertes Personal für die Arbeit mit dem Atommüll zu gewinnen. Dies wirkt sich auch auf die Verhaltenskultur aus. Im Juni 2017 verbreitete sich im Atomkraftwerk Tschernobyl Rauch, nachdem ein Arbeiter einen Zigarettenstummel hatte fallen lassen.

Die Infrastruktur des staatlichen ukrainischen Unternehmens Radon – es betreibt integrierte Spezialanlagen, die verbrauchte ionisierende Strahlungsquellen entgegennehmen und zwischenzeitig lagern – wird seit Langem nur aus Restmitteln finanziert. Das Ergebnis ist, dass die integrierte Spezialanlage in Kiew sich in kritischem Zustand befindet, wie die Strahlungsvorfälle auf ihrem Gelände zeigen. Das Problem kann nur gelöst werden, wenn die alten Deponien vollständig aufgelöst werden. Dies erfordert Ressourcen, die die Ukraine nicht hat. Denn ohne eigene Finanzmittel hängen die Einrichtung und der Betrieb der zentralen Deponie in der Ukraine komplett von ausländischen Geldgebern ab.

Für den Bau der ersten Phase der Deponie, die Ende 2018 in Betrieb gehen soll, ist das Geld aufgetrieben worden. Doch ist auch dieses Projekt nicht vor den systemischen Problemen der Atomindustrie in der Ukraine gefeit. Es fehlt an Geld für Benzin für Transportfahrzeuge, um den Müll aus den veralteten Spezialanlagen zu holen und die Deponie damit zu füllen. Es gibt auch nicht genug Mittel, um allen radioaktiven Abfall sofort in das Sperrgebiet zu bringen. Meist ist es so, dass der radioaktive Abfall in Zwischenlagern aufbewahrt wird, um dort auf Zuwendungen aus dem Ausland und den Weitertransport zur Deponie im Sperrgebiet zu warten. Das Geld ist so knapp, dass der Minister für natürliche Ressourcen angeboten hat, einen Teil des Gebiets von Tschernobyl zu verpachten.

Auch die Atomkraftwerke selbst leiden unter Geldnot. Nach einer Untersuchung der Firma ReMark und des Zentrums für Information und Analyse für Atomenergie (EUAXIS) sind 60 Prozent der befragten ukrainischen Experten der Überzeugung, dass die Abnutzung der Ausrüstung die größte Herausforderung für die Atomindustrie in der Ukraine ist. Nach der anfänglichen Kostenschätzung sind etwa eine Milliarde Dollar erforderlich, um die Laufzeit der 15 Kernkraftblöcke zu verlängern. Der Betreiber der Atomkraftwerke, Energoatom, verfügt aber nicht über so viel Geld. Deswegen nahm man 2014 einen Kredit von über 600 Millionen Euro bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung auf. Es gab auch die Hoffnung auf Unterstützung von Westinghouse. Doch da das US-Unternehmen 2017 in Konkurs ging, wird es schwerlich in der Lage sein, die Modernisierung der ukrainischen Atomkraftwerke zur unterstützen. So kommt es, dass die Atomsicherheit Europas davon abhängt, ob es der ukrainischen Regierung gelingt, ausländische Investoren zu finden.

Die Sicherheit nuklearer Einrichtungen in Gebieten außerhalb der Kontrolle der ukrainischen Regierung hat sich erheblich verschlechtert. In der Ostukraine gibt es zahlreiche Einrichtungen der Atominfrastruktur, die nicht kontrolliert werden können. Dazu gehören 1200 ionisierende Radionuklid-Strahlungsquellen, 65 Einrichtungen, die ionisierende Strahlenquellen benutzen, eine Deponie für radioaktiven Abfall und insgesamt 142 Strahlenquellen in Kohlebergwerken. Zu den meisten dieser Strahlenquellen gibt es überhaupt keine Informationen.

Im Juli 2015 fand die Nationale Sicherheitsagentur heraus, dass Aufständische in Luhansk mehrere Quellen ionisierender Strahlung aus den besetzten Kohlekraftwerken verkauft hatten. Im März 2016 fing die Nationale Sicherheitsagentur drei Quellen ionisierender Strahlung in Saporischschja ab, die angeblich durch die unkontrollierten Gebiete an der russisch-ukrainischen Grenze in die Ukraine gebracht worden waren. 15 Strahlungsquellen, die im Flughafen Luhansk und dem dazugehörigen Flugzeugreparaturbetrieb installiert waren, wurden zerstört.

2015 löste die Explosion von Munition in der Nähe des Chemieunternehmens Donezk, die die nahegelegene Deponie für Strahlungsquellen hätte zerstören können, große Beunruhigung aus. Schon in den 2000er Jahren hatte eine Inspektion der Deponie ergeben, dass der Zementbunker, der den radioaktiven Abfall enthält, Risse hat. Inzwischen hat man damit begonnen, den Abfall neu einzusargen. Dazu sind drei Gebiete vorgesehen, die allerdings in Territorien liegen, die derzeit nicht von der Ukraine kontrolliert werden.

Das Zusammenwirken all dieser Risikofaktoren bedeutet, dass es in der Ukraine eine ernste Bedrohung durch nukleare Unfälle und gewaltige Strahlenkontaminationen gibt. Sie würde auch nicht nur das Land selbst, sondern ganz Europa betreffen. Deswegen muss unbedingt geprüft werden, wie weit die Ukraine die internationalen Atomsicherheitsstandards einhält. Bei Verletzungen muss der Betrieb problematischer Einrichtungen oder nuklearer Anlagen eingestellt werden.

Dringend erforderlich wäre auch, eine internationale Kommission unter Trägerschaft der IAEO einzurichten. Diese sollte die Schritte der ukrainischen Regierung im Umgang mit radioaktivem Abfall überwachen und prüfen, ob sie im Einklang mit dem Gemeinsamen Übereinkommen über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle stehen. Zum jetzigen Zeitpunkt können die nationalen Aufsichtsbehörden der Ukraine die notwendige Kontrolle der Atomsicherheit nicht in allen Gebieten des Landes sicherstellen.

Dr. Maxim Starchak beschäftigt sich als Fellow am Center for International and Defence Policy der kanadischen Queen’s University mit nuklearer Nichtverbreitung.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli-August 2018, S. 47 - 53

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