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09. März 2022

Zwischen Ausverkauf und Protektionismus

Um im geoökonomischen Wettbewerb auf der Weltbühne bestehen zu können, braucht die EU eine einheitliche Investitionskontrolle. Wie sollte die aussehen? Ein paar Vorschläge.

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Bild: Bug eines Containerschiffs von oben
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Der geoökonomische Wettstreit zwischen den USA und China ist in vollem Gange. Durch ihre enge wirtschaftliche Verflechtung hat der Einsatz ökonomischer Mittel zur Durchsetzung strategisch-außenpolitischer Ziele auf beiden Seiten Hochkonjunktur. Ausländische Direktinvestitionen (ADI) stehen besonders im Fokus, da sie den Zugriff und die Kontrolle über strategische Sektoren und kritische Infrastrukturen erlauben. So werden auch diese Direktinvestitionen in der EU immer öfter als Ankäufe in Hochtechnologiebranchen und von Firmen unter – teilweiser – Staatskontrolle getätigt.

 

Als Reaktion haben viele EU-Mitgliedstaaten eine nationale Investitionskontrolle eingeführt. Darüber hinaus gibt es seit Oktober 2020 einen EU-weiten Rahmen zur Koordinierung der verschiedenen nationalen Kontrollmechanismen. Wenn die EU als geopolitischer Akteur bestehen will, braucht sie mehr als nur einen solchen Rahmen. Die Mitgliedstaaten müssen sich auf eine verbindliche und einheitliche europäische Investitionskontrolle einigen. Ansonsten bleibt die EU-Investitionspolitik gefangen zwischen dem Spannungsfeld von Vergemeinschaftung und nationaler Souveränität sowie zwischen Ausverkauf und Protektionismus.

 

Sicherheit und Wirtschaft zusammendenken

Gerade in den USA und China sind Sicherheits- und Wirtschaftspolitik in wachsendem Maße miteinander verflochten. Der EU hingegen fehlt eine gemeinsame sicherheits- und wirtschaftspolitische Beurteilung, da diese zu einem sehr unterschiedlichen Grad vergemeinschaftet sind. Sicherheit bleibt in der nationalen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, während die Handelspolitik supranational organisiert ist.

 

Beim Investitionsschutz liegt die Zuständigkeit bei den Mitgliedstaaten, ansonsten in der alleinigen EU-Kompetenz. Dabei ist der Zugang zum Binnenmarkt eine der wichtigsten geopolitischen Karten der EU. Um den Binnenmarkt als geoökonomischen Trumpf auch einsetzen zu können, braucht es für zentrale wirtschaftspolitische Entscheidungen eine von allen Mitgliedstaaten mitgetragene, einheitliche europäische Strategie. Gerade in der Investitionspolitik fehlt diese aber noch.

 

Immer mehr ausländische Direktinvestitionen beziehen sich aber nicht nur auf einen EU-Mitgliedstaat und bergen so potenzielle Risiken für mehrere Staaten oder die EU. Durch den neuen EU-Rahmen von 2020 zur Investitionskontrolle versucht man, da Abhilfe zu schaffen. Er ist als Informations- und Koordinierungsmechanismus für die einzelnen nationalen Kontrollmechanismen konzipiert. Er verpflichtet die Mitgliedstaaten zu prüfen, ob von einer bestimmten ADI nicht nur ein nationales Sicherheitsrisiko ausgeht, sondern ob auch die Sicherheit oder öffentliche Ordnung in mehreren Mitgliedstaaten oder EU-Interessen im Allgemeinen einem tatsächlichen oder potenziellen Risiko ausgesetzt sind.

 

Sollte sich im nationalen Prüfverfahren eine solche potenzielle Gefährdung abzeichnen, ist der prüfende Staat verpflichtet, die Kommission und die anderen betroffenen Mitgliedstaaten zu informieren. Die Kommission hat dann das Recht, die geplante Investition zu kommentieren. Das letzte Wort bleibt jedoch bei den Mitgliedstaaten.

 

Neben diesen wenigen Verpflichtungen ist der EU-Rahmen aber größtenteils unverbindlich und belässt die Investitionskontrolle in nationaler Zuständigkeit. Er enthält zwar einen Appell an die Mitgliedstaaten, eigene nationale Kontrollmechanismen einzuführen, und Empfehlungen und Beispiele dafür. Er gibt aber weder die zu prüfenden Sektoren noch die Prüfkriterien vor.

 

Daher weichen die nationalen Mechanismen teilweise beträchtlich voneinander ab. Sie unterscheiden sich bei den geltenden Fristen, geprüften Sektoren, Prüfgrenzen und -kriterien sowie bei der Frage, was eine förmliche Überprüfung von Investitionen eigentlich ist. Das Ergebnis ist ein Neben- und Durcheinander von verschiedenen nationalen ADI-Überprüfungsmechanismen und dem neuen EU-Rahmenmechanismus – ein Wirrwarr, das von Mitgliedstaaten und ausländischen Investoren gleichermaßen beklagt wird.

 

Trotz des EU-Rahmens ist nicht garantiert, dass ausländische Direktinvestitionen, die potenziell für EU-Interessen oder für andere Mitgliedstaaten riskant sind, auch geprüft werden: Es werden zwar alle geprüften ADI weitergeleitet, doch wenn beispielsweise Frankreich nach anderen Kriterien prüft als Griechenland, kann es passieren, dass für Griechenland als gefährlich einzustufende ADI von Frankreich gar nicht überprüft werden.

 

So stärkt der EU-Rahmen in seiner aktuellen Ausgestaltung weder die strategische Souveränität der Union, noch schützt er europäische Firmen ausreichend vor dem Ausverkauf an oder der Einflussnahme durch potenziell kritische Investoren, noch informiert er interessierte Investoren, koordiniert die innereuropäische Zusammenarbeit oder gibt Planungssicherheit. Damit hat die EU einen strategischen Nachteil gegenüber anderen Ländern wie den USA und China. Eine europäische Investitionskontrolle kann nur als geoökonomisches Instrument der EU funktionieren, wenn die Einschätzung des Spannungsfelds von Sicherheits- und Handelspolitik europaweit kohärent ist.

 

Investitionen einheitlich und verbindlich kontrollieren

Um eine verbindliche und einheitliche Investitionskontrolle EU-weit umzusetzen, sollte die EU – nach amerikanischem Vorbild – ein Committee on Foreign Investment in the European Union (CFIEU) als zentrales Gremium einführen. Dieses sollte ressortübergreifend besetzt sein und die Interessen der EU und ihrer Mitgliedstaaten repräsentieren. Daher wäre eine die verschiedenen Ressorts abdeckende gleichmäßige Besetzung durch Kommission, Rat und EU-Parlament sinnvoll.

 

Erstens sollte das CFIEU die Interessen der EU und der Mitgliedstaaten bündeln und so langfristig die Risikoeinschätzung innerhalb der EU vereinheitlichen. In einem ersten Schritt wäre es wichtig, dass sich ohne Ausnahme alle Mitgliedstaaten verpflichten, einen nationalen Überprüfungsmechanismus einzuführen. Bislang gibt es einen solchen Mechanismus erst in 18 Staaten, in sechs wird derzeit darüber verhandelt, in drei Mitgliedstaaten (Bulgarien, Kroatien, Zypern) ist der Prozess noch nicht einmal angestoßen.

 

Aufbauend auf der aktuellen Verordnung und ihren Empfehlungen, bereits gesammelten Erfahrungen des EU-Rahmens sowie den bestehenden nationalen Prüfmechanismen sollte das CFIEU einen einheitlichen Grundstock von verbindlich zu prüfenden Sektoren sowie gemeinsamen Grenzen für die Überprüfung, Prüfungsfaktoren und die bei der Prüfung einzuhaltenden Fristen erarbeiten.

 

Selbstverständlich sollte den unterschiedlichen strategischen und ökonomischen Interessen der Mitgliedstaaten Rechnung getragen werden. Um begründete nationale Unterschiede in der Investitionskontrolle zu berücksichtigen, könnte das CFIEU auch diese Interessen bündeln und moderieren und die Möglichkeit für nationale Ergänzungen sicherstellen.

 

Zweitens sollte das CFIEU die Zusammenarbeit zwischen der EU und den Mitgliedstaaten koordinieren. Als zentrale Anlauf- und Schnittstelle für die Kommission und die Mitgliedstaaten würde das CFIEU für Beständigkeit und Transparenz in der europäischen Investitionskontrolle sorgen. Das CFIEU sollte sicherstellen, dass die gemeinschaftlich vereinbarten Kriterien zur Investitionsprüfung national umgesetzt werden, aber auch je nach den Bedürfnissen der Mitgliedstaaten an die sich ändernden nationalen Erfordernisse angepasst werden können.

 

Das CFIEU sollte die kontinuierliche Evaluierung sowie regelmäßige Überarbeitung des gemeinsamen Grundstocks übernehmen. Um den sich stetig weiterentwickelnden Märkten und Sicherheitsinteressen Rechnung zu tragen, sollten alle Kriterien als automatisch ablaufende „Sunset Provisions“ (Auslaufklauseln) konzipiert werden. Dazu gehört ebenso das Überprüfen der nationalen Besonderheiten in regelmäßigen Abständen.

 

Als koordinierende Instanz trägt das CFIEU die Verantwortung, für Transparenz in der Investitionskontrolle zu sorgen, so dass ein ausreichendes Maß an Vertrauen und gegenseitiger Rücksichtnahme möglich ist. Außerdem sollten Länder mit weniger Ressourcen und Problemen bei der Umsetzung der gemeinschaftlich vereinbarten Investitionskontrolle finanzielle oder personelle Unterstützung beim CFIEU erhalten.

 

Drittens sollte das CFIEU die internationale Kooperation in der Investitionskontrolle weiter ausbauen. Dafür gilt es einen regelmäßigen Informationsaustausch zu institutionalisieren. Die USA haben bereits langjährige Erfahrungen in der Investitionskontrolle, und der 2021 gegründete Trade and Technology Council (TTC) von EU und USA hat eine ständige Arbeitsgruppe zu Investitionskontrollen etabliert. Ebenso wurde unter der britischen G7-Präsidentschaft 2021 bereits ein gegenseitiger Informationsaustausch vereinbart.

 

Aufbauend auf der ähnlichen Gefahreneinschätzung sollen im TTC nicht nur Best Practices, sondern auch Informationen über ADI-Trends ausgetauscht werden, beispielsweise welche Sektoren von ADI mit sicherheitspolitischer Relevanz betroffen sind. Außerdem sollten gemeinsam verschiedene politische Instrumente besprochen werden, mit denen Sicherheitsbedenken in Schlüsseltechnologien adressiert werden können. Das TTC kann damit als Vorreiter für eine internationale Kooperation im Rahmen der G7 dienen.

 

Jetzt ist es an Deutschland und Frankreich, während ihrer G7- und EU-Ratspräsidentschaft weitere Weichen für eine enge Abstimmung zu stellen. Wenn die EU mit einer Stimme sprechen kann und die Zusammenarbeit mit den USA im TTC bereits etabliert ist, hat Deutschland beste Voraussetzungen, sich für eine intensivere Kooperation innerhalb der G7 stark zu machen.

 

Elisabeth Winter ist Junge DGAP-Fellow im Geoökonomie-Programm der DGAP und Programmleiterin Globalel Märkte und soziale Gerechtigkeit der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung.

Bibliografische Angaben

IP Online Exclusive, März 2022

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