Wer bewegt Polens Wirtschaft?
Sechs erfolgreiche Geschäftsleute, Manager und Unternehmen in Kurzporträts
Für Leszek Czarnecki begann der große Durchbruch Anfang der neunziger Jahre mit einem geleasten Mercedes. Dem promovierten Wirtschaftswissenschaftler fiel sofort auf, welch große Gewinnspanne das Mietunternehmen einstrich, und so zog er schnell sein eigenes Vermietungsgeschäft auf. Sein 1991 gegründetes Unternehmen European Leasing Fund brachte er 2000 an die Londoner Börse. Ein Jahr später verkaufte er seine Anteile für 270 Millionen Dollar an die französische Großbank Credit Agricole. Danach investierte er sein Geld vor allem in den polnischen Bankensektor (Getin Bank), aber auch in Unternehmen der Versicherungs- und Immobilienbranche. Heute verfügt Czarnecki nach Schätzungen des Magazins Forbes über ein Vermögen von rund 1,3 Milliarden Dollar (Stand: März 2012) und ist weit über Polens Grenzen hinaus tätig, unter anderem in Weißrussland, der Ukraine und Russland. Schon 1998 zählte ihn das Wall Street Journal zu den zehn besten CEOs Mitteleuropas, 2004 kürte ihn die Financial Times zu einem der aufstrebenden Stars der europäischen Wirtschaft. Sein Imperium wuchs selbst während der Weltwirtschaftskrise von 2008, weil Czarnecki schnell und radikal umsteuerte: Seine Getin Bank stellte die Vergabe von Krediten in ausländischer Währung ein und hielt an ihren Einlagen fest; das Verhältnis von Krediten zu Einlagen verbesserte sich binnen zwei Jahren von 114 auf 90 Prozent. Dieses frühe Umsteuern ermöglichte es der Getin Bank, auch während der Krise Zloty-Kredite in großem Umfang vergeben zu können, während sich Konkurrenten gezwungen sahen, ihre Kreditvergabe erheblich einzuschränken oder ganz zu stoppen. Das Kreditgeschäft der Getin Bank wuchs dagegen 2010 um fast ein Drittel. Dieser Erfolg hat Czarneckis Ruf als risikofreudiger, entschlossener und scharfsinniger Manager noch weiter zementiert, der auch jenseits der Geschäftswelt die Extreme austestet: Der passionierte Taucher hält seit 2009 mit seiner Expedition in die mexikanischen Dos-Ojos-Höhlen den Weltrekord im Langstrecken-Höhlentauchen.
Mit einem Jahresumsatz von 26 Milliarden Euro (2011) ist PKN Orlen das größte Unternehmen in ganz Mittel- und Osteuropa – und weiter auf Expansionskurs. Der Mineralöl- und Petrochemiekonzern entstand 1999 aus einem Zusammenschluss der ehemaligen staatlichen Konzerne Petrochemia Plock und Centrala Produktow Naftowych (CPN) und ist seitdem nicht nur in Polen Marktführer. (Das polnische Finanzministerium hält noch 27,5 Prozent der Unternehmensanteile.) PKN Orlen betreibt sieben Raffinerien in Polen, Tschechien und Litauen; diejenige in Plock bei Warschau ist die größte Mineralölraffinerie Mitteleuropas und eine der modernsten und saubersten ihrer Art. Die gesamte Verarbeitungskapazität des polnischen Ölkonzerns liegt derzeit bei 31 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr. Rund die Hälfte davon entfällt auf Polen, wo die Raffinerien 2012 eine Auslastung von 90 Prozent erreichten. Das Unternehmen versorgt auch seine eigenen Tankstellen, von denen es derzeit insgesamt 2681 betreibt. In Polen beherrscht das Unternehmen 70 Prozent des Groß- und fast 30 Prozent des Einzelhandels für Kraftstoffe. Seit März 2003 ist PKN Orlen auch auf dem deutschen Markt vertreten. Das Unternehmen erwarb damals 494 Tankstellen in Norddeutschland vom britischen Energieunternehmen BP. Da BP sich in erster Linie von schwächeren Standorten mit älterer Technik trennte, waren zuerst hohe zusätzliche Investitionen notwendig. So wurde PKN Orlen der größte polnische Investor in Deutschland und setzte sich immer stärker durch. Mit seiner B-Marke „star“ sicherte sich das Unternehmen zuletzt 5 Prozent der Marktanteile auf dem deutschen Tankstellenmarkt.
Jan Kulczyk, mit einem geschätzten Vermögen von 2,7 Milliarden Dollar Polens reichster Mann, entstammt einer Unternehmerfamilie. Nach seiner Promotion in internationalem Recht an der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznan trat er in die Fußstapfen seines Vaters (der, 1956 vor der staatlichen Enteignungswelle geflohen, von West-Berlin aus mit einem Startkapital von einer Million D-Mark half) und gründete 1981 das Import- und Exportunternehmen Interkulpol – eine der ersten polnischen Firmen, die mit ausländischem Kapital ausgestattet waren. Ein paar Jahre später wagte Kulczyk den Einstieg ins Automobilgeschäft und avancierte zum Monopolimporteur von Volkswagen und Porsche. Richtig ins Rollen kamen Kulczyks Geschäfte aber erst nach dem Ende des Kommunismus. Er nutzte die „einmalige Chance, die uns die Geschichte bot“, und investierte – obwohl kein Biertrinker – in zuvor staatliche Brauereien sowie Straßenbau- und Logistikunternehmen, was sich alles als äußerst lukrativ erwies. 1991 gründete er außerdem das Investmentunternehmen Kulczyks Holding S.A. und bahnte sich damit erfolgreich einen Weg in das internationale Öl- und Gasgeschäft. Kulczyks Unternehmen fördern heute unter anderem Öl und Gas in Nigeria und Tansania. In den Zeiten der Privatisierung der polnischen Wirtschaft konnte Kulczyk viele Erfahrungen sammeln, die ihn heute bei Firmenaufkäufen und Investitionsentscheidungen leiten. Für ihn liegt die Zukunft allerdings in Asien und Afrika, nicht in Europa; hierzulande sei man „zu träge und zu wenig risikobereit“ geworden. Altmodisch ist Kulczyk allerdings, wenn es um moderne Medien geht. Der 62-Jährige nutzt weder E-Mail noch das Internet. Er besitzt nicht einmal einen eigenen Computer. „Das kann ich mir nicht leisten. Ich brauche meine Zeit für kreatives und strategisches Denken“, sagte er 2010 dem Handelsblatt. In seiner Freizeit engagiert sich der Milliardär seit 2007 als Präsident des Internationalen Grünen Kreuzes beim Naturschutz in durch Krieg zerstörten Gebieten. Auch das Gedenken an den Holocaust ist dem Ehrenpräsidenten der deutsch-polnischen Handelskammer ein wichtiges Anliegen: Im Juli 2012 spendete er fünf Millionen Euro für das in Warschau geplante Museum der Geschichte der polnischen Juden.
Der Bushersteller Solaris ist ein Familienbetrieb wie aus dem Bilderbuch: 1996 gründete das Ehepaar Solange und Krzysztof Olszewski das Unternehmen, 2010 übernahm Tochter Malgorzata Olszewska die Geschäftsführung der deutschen und österreichischen Niederlassungen. Familienzusammenhalt gilt der Vorstandsvorsitzenden Solange Olszewski, die früher als Zahnärztin gearbeitet hat, als das wichtigste Erfolgsrezept von Solaris: Qualitätsmäßig lägen viele Konkurrenten gleichauf mit Solaris und wären dabei preislich sogar noch günstiger, aber als Familienbetrieb sei man „wohl einfach sympathischer“. Der Erfolg – das Handelsblatt zählte die Firmenchefin 2011 zu den 100 „einflussreichsten Unternehmerinnen der Welt“ – gibt ihr Recht: Waren die Unternehmensgründung noch mühevoll – so fand sich lange keine Bank zu einem Kredit bereit – und der Start bescheiden (nur 35 Mitarbeiter bauten zunächst 50 Busse im Jahr), ist die Zahl der Angestellten allein in Polen mittlerweile auf über 2000 gestiegen. Heute produziert Solaris 1000 Fahrzeuge im Jahr, die nicht nur in 20 europäischen Ländern, sondern auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten gefahren werden. Das Busgeschäft brummt: Allein 2011 kletterte der Umsatz um 17 Prozent von 316 auf 370 Millionen Euro, die Aussichten sind weiter blendend. Dies hängt auch mit der Innovationsfreudigkeit von Solaris zusammen, das als erstes europäisches Unternehmen serienmäßig Hybrid-Busse fertigte. Mit umweltfreundlicher Elektrotechnologie stoßen diese bis zu 78 Prozent weniger Schadstoffe aus als herkömmliche Busse mit Dieselmotoren – bei einem um 25 Prozent geringeren Kraftstoffverbrauch. Die neuesten Solaris-Modelle (Urbino 18 Hybrid) sind bereits in Bremen, Prag und Tampere unterwegs. Als nächstes Großprojekt tüfteln die Solaris-Ingenieure an einem neuen Elektroantrieb. Mit einer „Tankaufladung“ sollen die Hybrid-Busse dann 350 statt bisher 100 Kilometer weit fahren können.
Wanda Rapaczynski – in Polen steht dieser Name wohl für: „Alles ist möglich“. Aus einem Solidarnosc-Untergrundblatt schuf die Managerin einen der größten Medienkonzerne Mitteleuropas. Als 20-Jährige hatte sie Polen aus Protest gegen das kommunistische Regime verlassen. Sie studierte Psychologie, lehrte in Yale und arbeitete im Bereich Produktentwicklung bei der Citibank, wo sie als „Vice President“ in die Unternehmensleitung aufstieg. 1992, mit 41 Jahren, kehrte Rapaczynski nach Polen zurück, um eine Freundin beim Aufbau der Tageszeitung Gazeta Wyborcza und des dazugehörigen Verlags Agora zu unterstützen, deren Geschäftsführerin sie bald wurde. Drei Jahre brauchte Rapaczynski nach eigenem Eingeständnis, um die Produktionsprozesse einer Zeitung vollkommen zu durchschauen. Dann folgte ein atemberaubender Aufstieg: Die Gazeta Wyborcza wurde zur auflagenstärksten Tageszeitung Polens, im Geschäftsjahr 1998/99 verbesserte Agora den Bilanzgewinn um das 30-Fache, von 4,2 Millionen auf 126,4 Millionen Zloty. Rapaczynski setzte nun auf Expansion: Agora wurde zur Mediengruppe und stieg bei Fernsehen, Außenwerbung, Radio und Internet ein. Bald gehörten Agora 29 regionale Radiosender, 26 Kinos, 14 Zeitschriften und zahlreiche Internetportale. Seit sie 2007 die Geschäftsführung aus Altersgründen abgab und in den Aufsichtsrat wechselte, kriselt es bei Agora. Das Unternehmen fand kein Mittel gegen ausländische Konkurrenten wie die Axel Springer AG, die Agora-Aktie verlor 60 Prozent ihres Wertes. Anfang Februar 2013 wurde bekannt, dass Rapaczynski noch einmal in den Chefsessel zurückkehrt, zunächst nur für drei Monate: Sollte sie die Trendwende einleiten, wäre mit ihr wohl tatsächlich „alles möglich“.
Als größter Silber- und neuntgrößter Kupferproduzent der Welt spielt KGHM in der globalen Liga der Erzbergbauunternehmen mit. Das 1961 gegründete Unternehmen befindet sich noch zu 31 Prozent in Staatsbesitz und scheut sich nicht davor, schwierige Konkurrenten einfach aufzukaufen. So verleibte sich KGHM Anfang 2012 für 2,9 Milliarden Dollar die kanadische Firma Quadra FNX Mining Ltd. ein und tätigte damit den größten Auslandseinkauf einer polnischen Firma in der Geschichte des Landes. Damit betreibt KGHM heute Rohstoffförderung an Standorten in Chile, den USA, Polen, Grönland und Kanada – und hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt: Mit der Übernahme von Quadra FNX steigerte das polnische Großunternehmen seine Kupferproduktion um ein Viertel, längerfristig soll sie sogar um die Hälfte steigen. Außerdem plant das Unternehmen, das derzeit rund 18 000 Mitarbeiter beschäftigt, den Einstieg ins Energiegeschäft: Im vergangenen Jahr rief KGHM mit vier anderen polnischen Firmen ein Konsortium zur Schiefergas-Förderung ins Leben, das mit einem Gesamtbudget von rund 405 Millionen Euro ausgestattet wurde. Damit sollen erste Vorbereitungs- und Explorationskosten getragen werden; die Gasförderung soll dann 2016 beginnen. (Zur Schiefergas-Revolution siehe auch die März/April 2013-Ausgabe der IP.)
IP Länderporträt Polen, März/April 2013, S. 50-53