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01. Juli 2013

Wachsen, aber wie?: Stoppt die EU-Jobvernichtungsmaschine!

Rezepte gegen das europäische Auseinanderdriften

Dass wir in Europa Strukturreformen brauchen, um Wachstum zu schaffen, dürfte sich herumgesprochen haben. Dass solche Reformen in einer Periode wirtschaftlichen Wachtums leichter in Angriff zu nehmen sind als während einer Rezession, ebenfalls. Doch sollten sich diese Reformen nicht auf Arbeitsmarkt und Renten beschränken, sondern auch Bildung, Forschung und Entwicklung, Innovationen, Finanzsysteme und öffentliche Verwaltung in den Blick nehmen. Außerdem sollten sie mit Investitionen verbunden sein. Eine weitere Voraussetzung für Wachstum sind vernünftige Finanzierungsbedingungen. Bis zu einem gewissen Grad sind hier die innereuropäischen Unterschiede dem üblichen Länderrisiko geschuldet, also den speziellen Verlustrisiken im Außenwirtschaftsverkehr. Doch zurzeit haben wir es mit Unterschieden zu tun, die wir nicht mehr ohne Weiteres unter solchen Risiken abbuchen können. Wenn etwa der Zinssatz für private Investitionen bei 10 Prozent liegt und der für Staatsanleihen bei 6 Prozent, fällt es schwer, das Wachstum anzukurbeln und Haushaltsdefizite zu reduzieren. Eine wirksame Kombination aus Konsolidierungskurs und Wachstum wird dadurch für einige Länder komplett unmöglich. Von fairen Wettbewerbsregeln für den Binnenmarkt ganz zu schweigen.

In der Rezessionsspirale

In den wirtschaftlich schwächsten Ländern Europas, und gerade in jenen, die den Troika-Programmen ausgesetzt sind, ist eine „Jobvernichtungsmaschine“ unterwegs, die zu einer Jugendarbeitslosenquote von 50 Prozent und 25 Prozent genereller Arbeitslosigkeit führt. Diese Maschinerie hat sich als sehr effektiv darin erwiesen, viele rentable Jobs und Firmen zu zerstören. Die Zugangsmöglichkeit zu Krediten schwindet, während gleichzeitig die Binnennachfrage unter der Dreifachbelastung aus Lohn- und Sozialleistungskürzungen sowie Steuererhöhungen sinkt. 

All das hat eine Rezessionsspirale ausgelöst, die nicht nur Investitionen, Wachstum, Beschäftigung und sozialen Zusammenhalt schwächt, sondern alle bisherigen Bemühungen in Sachen Konsolidierung. Der Schuldenstand steigt und steigt – was beweist, dass allzu harte Sparmaßnahmen kontraproduktiv sind, auch und gerade wenn es um wirtschaftliche Konsolidierung geht.

Kein Wunder, dass sich die Mitgliedstaaten der Euro-Zone bei einer ganzen Reihe von Indikatoren – Investitionsquote, Wachstumsraten, der Arbeitsplatzschaffung und Armutsquote – rasant auseinanderentwickeln. Ein Prozess, der die gesamte Euro-Zone in die Rezession zieht, einschließlich ihrer wohlhabendsten und wettbewerbsfähigsten Länder. Wenn wir ihm entgegenwirken wollen, müssen wir die Maßnahmen auf europäischer Ebene ausweiten: den Europäischen Stabilitätsmechanismus, die Europäische Zentralbank, die Europäische Investitionsbank oder die geplante Bankenunion. 

Makroökonomischer Masterplan

Alle EU-Mitgliedstaaten sollten die gleichen Voraussetzungen haben, um die EU-Strategie für ein neues und zukunftsfähigeres Wachstumsmodell umzusetzen, das „grüner“, intelligenter und inklusiv ist. Das erfordert eine spezielle Kombination aus Investitionen und Reformen, die auf europäischer Ebene im Rahmen der Konsultationen des „Europäischen Semesters für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik“ zentral gesteuert werden sollten. Das bedeutet, dass stets zunächst auf europäischer Ebene geprüft werden sollte, ob geplante Politikmaßnahmen einzelner Staaten mit der EU-Strategie kompatibel sind, bevor es zu einem endgültigen Beschluss durch die nationalen Regierungen und Parlamente kommt. 

Dasselbe gilt für den Kampf gegen makroökonomische Ungleichgewichte innerhalb der Euro-Zone. Im Falle von „asymmetrischen Schocks“ wie etwa einer massiven Verteuerung von Rohstoffen sollten die Maßnahmen der nationalen Regierungen durch Gelder aus den Töpfen der Euro-Zone kofinanziert werden. 

Außerdem müssen wir unsere nationalen Wirtschaftsstrukturen und Investitionsvorhaben auf europäischer Ebene besser miteinander vernetzen. Diese Vernetzung sollte durch den Gemeinschaftshaushalt der EU finanziert werden, beispielsweise über die Programme der Gemeinschaft oder die Strukturfonds, und mit der europäischen Wachstumsstrategie „Europa 2020“ abgestimmt werden. Ein weiteres Finanzierungsmodell für die Lösung von spezifischen Wachstumsproblemen der Euro-Zone könnten neben neuen Euro-Zonen-Steuern Anleihen an den Märkten durch die Emission von Euro-Bonds sein. Dabei sollten wir allerdings jegliche finanzielle Zuwendung aus EU-Mitteln an bestimmte Bedingungen koppeln, die an den Prioritäten der EU ausgerichtet sind.

Derweil sollte sich der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) darauf konzentrieren, souveräne Staaten zu retten. Sofern ein Mitgliedstaat der Euro-Zone dies anfragt, sollte der ESM seine Kompetenzen nutzen und Euro-Bonds ausgeben – auch hier sollten wir uns vom Prinzip der Konditionalität leiten lassen. Der Europäische Rat, der Ministerrat, die Europäische Kommission und das Europäische Parlament müssen sich intern besser organisieren, um die Angelegenheiten der Euro-Zone effektiver regeln zu können; und auch die nationalen Parlamente sollten stärker miteinbezogen werden. 

Und dann sind da noch die Bemühungen zur Schaffung einer Bankenunion. Dieser Prozess, an dessen Ende ein zentrales Aufsichtssystem, ein europäischer Mechanismus zur Abwicklung von Banken und ein harmonisiertes Einlagen­sicherungssystem stehen sollten, dürfte bald abgeschlossen sein. Er ist einer der wichtigsten Schritte, um die Euro-Zonen-Krise zu überwinden. Im Laufe dieses Prozesses wird die EZB eine neue Rolle einnehmen, in der sie sich spezifischer mit finanzieller Stabilität befassen muss.

Natürlich sollte eine solche Entwicklung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion auf einem „New Deal“ fußen. Wenn die Bankenunion erst einmal Wirklichkeit ist, sollten die Mitgliedstaaten eine verstärkte europäische Kontrolle ihrer Banken akzeptieren. Ähnliches gilt für eine stärkere Koordination ihrer wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen – wenn denn einmal eine entsprechende Institution geschaffen ist – und eine stärkere Abtretung von Souveränität auf europäischer Ebene, wenn Entscheidungen demokratischer getroffen werden. Dies sollten die Themen sein, die sich der kürzlich ins Leben gerufene Euro-Zonen-Gipfel auf die Fahnen schreibt. Nur so können wir dem europäischen Auseinanderdriften wirksam begegnen und nachhaltiges Wachstum in Europa schaffen. 

Prof. Maria João Rodrigues ist Politikberaterin und lehrt Europäische Wirtschaftspolitik an der ­Université Libre de Bruxelles.

 
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2013, S. 20-22

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