Porträt

24. Apr. 2023

Vanessa Nakate: Afrikas Klimabotschafterin

Noch vor drei Jahren wurde sie aus einem Gruppenfoto mit der schwedischen Umwelt­aktivistin Greta Thunberg herausgeschnitten, weil niemand sie kannte. Mittlerweile ist die 26-jährige Vanessa Nakate die berühmteste Uganderin weltweit.

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Bild: Vanessa Nakate u.a. mit Luisa Neubauer und Greta Thunberg in Davos
„Es war, als ob ich nicht existierte“: Als dieses Gruppenbild aus Davos Anfang 2020 in alle Welt verbreitet wurde, schnitt man Vanessa Nakate kurzerhand aus dem Foto.
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Es war an einem Sonntag im Januar 2019, als der gewaltige Victoriasee im Herzen Afrikas über die Ufer trat. Vanessa Nakate verfolgte die TV-Nachrichten mit ihrer Mutter beim Abendessen in Ugandas Hauptstadt Kampala. „Was ich dort sah, hat mich aufgerüttelt“, erinnerte sie sich später in einem Interview. Das Ereignis sollte das Leben der damals 22-Jährigen von heute auf morgen grundlegend verändern.



Nach heftigen Regenfällen hatte das Wasser des Victoriasees, keine fünf Kilometer vom Haus der Familie Nakate entfernt, Holz- und Lehmhütten eines Fischerdorfs am Ufer überschwemmt. „Das schmutzige Seewasser stand den Menschen bis zum Hals“, so Nakate. Eine Mutter habe ihr Kleinkind weinend über dem Kopf getragen, um es aus den Fluten zu retten. Da sei ihr klar geworden, dass es Zeit sei, etwas zu ändern: „In Afrika ist der Klimawandel kein Problem der Zukunft – er geschieht schon jetzt.“



Allein an der Straßenkreuzung

An jenem Abend hatte sich Vanessa Nakate eigentlich auf die Abschlusszeremonie an der staatlichen Makerere-Universität vorbereitet, die am folgenden Tag anstand. Sechs Monate hatte sie an ihrer Abschlussarbeit im Fach Betriebswirtschaft gesessen; Thema war der Klimawandel. Nakate hatte recherchiert, wie anhaltende Regenfälle und lange Dürreperioden die Landwirtschaft Ugandas beeinflussen – ein Land, in dem ein Großteil der Bevölkerung von dem lebt, was im eigenen Garten wächst.



Doch nach den Abendnachrichten hatte Vanessa Nakate die Uni-Abschlussparty schon fast vergessen. Anstatt sich Kleider zurechtzulegen und sich die Haare zu machen, habe sie die ganze Nacht daran gesessen, ein Plakat zu malen: „Green love, green peace. Beat plastic. Polythene pollution. Thanks for the global warming. Climate strike now“ stand darauf.



Direkt nach der Ansprache des Universitätsdekans am nächsten Vormittag stürmte Nakate in ihrem schwarzen Universitätstalar vom Campus, um sich mit dem Plakat auf eine der geschäftigsten Straßenkreuzungen der staugeplagten Innenstadt Kampalas zu stellen – der Anfang der Fridays for Future-Bewegung in Uganda. „Ich stand dort stundenlang alleine. Und auch die nächsten Freitage war ich meistens ganz allein“, erzählt sie rückblickend.



Die Sache mit dem Foto

Doch das änderte sich nur knapp ein Jahr später. Anfang 2020 reiste Vanessa Nakate auf Einladung der Fridays for Future-Bewegung ins schweizerische Davos, wo das jährliche Weltwirtschaftsforum abgehalten wurde. Jugendliche Aktivisten, darunter Nakate und die Initiatorin Greta Thunberg, hielten eine Pressekonferenz ab und ließen sich anschließend auf der Terrasse des Konferenzzentrums fotografieren. Doch als das Gruppenbild in alle Welt verbreitet wurde, fehlte Vanessa Nakate. Die AP-Bildredaktion hatte sie als einzige Teilnehmerin mit dunkler Hautfarbe aus dem Bild geschnitten, zu sehen waren nur die vier weißen Frauen. „Es war, als ob ich nicht existierte“, so Nakate.



Die Klimaaktivistin war geschockt und ließ ihre Wut auf Twitter raus: „Ich war Teil dieser Gruppe, aber sehe mich nicht auf dem Foto – warum habt ihr mich ausgeschnitten?“ Als Vanessa Nakate die überwältigenden Reaktionen auf ihren Kommentar sah – „ganz ehrlich, ich habe in diesem Moment nicht geahnt, wie viral das gehen würde“ –, fühlte sie sich ermutigt, noch ein Video zu posten. „Aber dann bin ich live vor der Kamera zusammengebrochen und habe geweint.“



Immerhin: Das Video zeigte Wirkung. Die Chefredakteurin des Magazins, das Nakate aus dem Foto herausgeschnitten hatte, entschuldigte sich daraufhin bei ihr. „Aber sie haben mich immer noch als ‚afrikanische Klimaaktivistin‘ bezeichnet, statt meinen Namen zu nennen“, so Nakate kopfschüttelnd. Doch letztlich habe dieser Zwischenfall dazu geführt, dass „wir Aktivistinnen und Aktivisten in Afrika nun unsere Stimme erheben. Denn es ist eindeutig Rassismus.“



Die Sache mit dem Foto hat Vanessa Nakate letztlich weltweit berühmt gemacht. Von da an bekam sie bei ihren Demos in Kampala Unterstützung: „Wenn ich freitagfrüh auf Twitter bekannt gebe, wo ich an diesem Tag streiken werde, dann stehen dort schon andere Leute mit Plakaten“, stellte sie wenige Wochen später zufrieden fest.



Seitdem jettet die junge Uganderin um die Welt, um sich gegen die Klimakrise und vor allem gegen die Förderung fossiler Brennstoffe einzusetzen. Im Juli 2020 wurde Nakate von der US-Schauspielerin Angelina Jolie interviewt und über die Bedeutung afrikanischer Stimmen in der Bewegung für Klimagerechtigkeit gefragt. Im August zählte das Magazin Jeune Afrique Na­kate zu den 100 einflussreichsten Afrikanern. Kurz darauf traf sie sich mit dem ehemaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, um über Klimaaktivismus zu diskutieren. Das Kinderhilfswerk UNICEF machte Nakate 2022 zur Botschafterin des guten Willens.



„Eine Pipeline sprengen“

Nakates Berühmtheit ist dem Regime in Uganda ein Dorn im Auge. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich die 26-Jährige gegen die geplante ostafrikanische Ölpipeline (EACOP) ausgesprochen hat, die quer durch Uganda und Tansania gebaut werden soll. Ugandas Präsident Yoweri Museveni gab zu Beginn des Jahres den Startschuss für den Bau. Nach ihrer Fertigstellung, voraussichtlich im Jahr 2025, wird sie mit 1400 Kilometern die längste beheizte und mit vier Milliarden Dollar die teuerste Ölpipeline der Welt sein.



Mit ihrer Aussage „Wir planen, eine Pipeline in die Luft zu jagen“ sorgte Luisa Neubauer, Nakates deutsche Mitstreiterin bei Fridays for Future, im Februar 2022 für Wirbel. Sie bezog sich damit zwar auf ein Buch, das in der radikalen Szene bekannt ist: „Wie man eine Pipeline sprengt“ des schwedischen Umweltaktivisten Andreas Malm. Doch die Aussage wurde immer wieder zitiert, und das ließ auch das Regime in Uganda aufhorchen.



Die Ölprojekte sind die Grundpfeiler von Musevenis Zukunftsvision einer Industrialisierung Ugandas, die der 74-jährige Präsident, seit 37 Jahren an der Macht, über Jahrzehnte verfolgt hat. Das stark landwirtschaftlich geprägte Land hat nicht nur eine der höchsten Geburtenraten weltweit, sondern auch eine gewaltige Jugendarbeitslosigkeit, die ständig noch wächst. Dass nun mit der jungen, gebildeten städtischen Elite ausgerechnet die Gruppe gegen die Ölförderung aufbegehrt, die von den dadurch entstehenden Jobs am meisten profitieren sollte, kommt für Museveni einer Majestätsbeleidigung gleich. Und dass weltweit junge Aktivistinnen wie Nakate gegen die ugandischen Pipelinepläne mobil machen, betrachtet das Regime als Kampfansage.

Am selben Tag, als der Präsident am Albertsee den Startknopf für die Ölförderung drückte, planten Umweltorganisationen in Kampala eine Diskussionsrunde zu Risiken und Alternativen der Ölförderung. Das Hotel, in dem die Veranstaltung stattfinden sollte, wurde von Polizisten belagert. Niemand durfte hinein. Es kam zu Raufereien, ein Aktivist wurde festgenommen.



Konspirative Klimaaktivisten

Kein Wunder, dass die ugandischen Klimaaktivisten vorsichtig geworden sind. Sie fürchten die Brutalität der Geheim­dienste. In den vergangenen Jahren wurden Oppositionelle immer wieder gefoltert, Demonstranten wurden mit Tränengas attackiert, verhaftet und anschließend angeklagt; sie kamen nur auf Bewährung wieder frei. Büros von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen wurden vom Geheimdienst gestürmt, Computer und Akten konfisziert; einige Nichtregierungsorganisationen wurden ganz dichtgemacht. Eine EU-Resolution hat im September 2022 auf die Menschenrechtsverletzungen in Uganda im Zusammenhang mit den Ölprojekten hingewiesen, auch auf den brutalen Umgang mit Kritikern.



Mittlerweile kommunizieren die Mitglieder der ugandischen Klimabewegung bevorzugt abhörsicher und verschlüsselt; sie treffen sich nur an geheimen Orten. Die meisten agieren wie Nakate zu Beginn als Einzelkämpfer in kleinen Gruppen, wissen voneinander nur wenig. Viele haben sich erst im November 2022 bei der UN-Klimakonferenz kennengelernt, als sie zusammen mit Vanessa Nakate im Flugzeug nach Ägypten saßen. Nach und nach versuchen sich Ugandas Klimaaktivisten zu vernetzen: innerhalb des Landes sowie innerhalb Afrikas. Noch mag diese Klimabewegung überschaubar sein. Aber sie wächst.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2023, S. 9-11

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Simone Schlindwein lebt seit 2008 als freie Korrespondentin in Uganda und schreibt vor allem für die tageszeitung (taz) in Berlin.

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