IP Special

04. Nov. 2022

Unternehmen Umwelt

Elektrisch fahren, CO₂ absaugen, Sonnenenergie nutzen: Wer sind die Macherinnen und Macher, die mit ihren Produkten und Innovationen zu ökologischer Nachhaltigkeit beitragen? Fünf Porträts.

Bild
Schilf vor Wasser
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten

Nils Aldag

Wasserstoff-Revolutionär

Das, was wir die klassische Energiewende nennen, ist global auf einem guten Weg. In vielen Sektoren sind Solar- oder Windkraftanlagen und Batte­rien heute günstiger als fossile Energieträger wie Kohle, Öl und Gas. Doch dabei wird oft verkannt, dass die weit größere Herausforderung darin besteht, diejenigen Sektoren auf erneuer­bare Energieträger umzustellen, die nicht von Elektronen bedient werden – wie rund 20 Prozent des Marktes –, sondern von Molekülen. Das betrifft etwa die Luftfahrt, die Chemie- oder die Stahl­industrie, insgesamt rund 80 Prozent des Energieverbrauchs.

Als sich Nils Aldag, Jahrgang 1986, im Jahr 2010 mit Christian von Olshausen und Carl Berninghausen zusammentat, um das Cleantech-Unternehmen Sunfire zu gründen, war ihnen schnell klar: Grüner Wasserstoff ist die ideale Option, um Industrie, Luftfahrt oder Langstrecken- und Schwerlasttransport mit erneuerbaren Molekülen auf Nachhaltigkeit umzustellen.

Unter der Federführung von Technikchef von Olshausen entwickelte Sunfire einen dreistufigen Prozess, um aus CO2 in der Luft, Wasserstoff aus dem Wasser sowie Ökostrom zunächst Synthesegas und dann synthetische Kraftstoffe zu machen. Das Herzstück bei der Entwicklungsarbeit: eine neue Elektrolyse-Technologie, die Wasser mit hohem Wirkungsgrad in seine Bestandteile zerlegt.

Eine Weile schien es so, als sei Sunfire mit seiner Idee, erneuerbare Energien über Wasserstoff in alle Sektoren zu bringen, der Zeit voraus. Es sollte bis zum Beginn dieses Jahrzehnts dauern, ehe die Projekte aus dem Pilot- und Demonstrationsstatus hinauswuchsen. Heute, zwölf Jahre nach der Gründung, soll sich Sunfire als ein weltweit führender Wasserstoff-Konzern etablieren. Am Standort in Dresden sind mehr als 400 Menschen beschäftigt, weitere Standorte sind hinzugekommen, und durch Zukauf verfügt man über eine zweite Elektrolyse-Technologie. Mit dem französischen Energie­unternehmen Total und dem Climate Pledge Fund von Amazon sind hochkarätige Investoren beim sächsischen Wasserstoff-Pionier eingestiegen. Hinzu kommen Projekte etwa mit Unternehmen der Stahl­industrie in Salzgitter oder dem Chemiepark in Leuna. Auch bei Konzernen wie Uniper oder RWE wächst das Interesse an den effizienten Elektrolyseuren. Eine automatisierte Produktion ist in Planung.

Nachdem er sich zuvor im Wesentlichen um die finanziellen Belange gekümmert hatte, ist Nils Aldag heute CEO von Sun­fire. Die Geduld und die konsequente Weiterentwicklung der eigenen Technologien machen sich allmählich bezahlt für den gebürtigen Hessen, der aus einer Unternehmerfamilie stammt. Aldag ist Teil einer neuen Unternehmergeneration, die den Planeten mit Technologie und Innovation nachhaltiger machen und aus der Verbrennung fossiler Energieträger aussteigen will. Gutes tun, die Transformation ermöglichen und gleichzeitig als Unternehmer erfolgreich sein – diesen Spagat schaffen die Gründer des neuen Typus. Und Nils Aldag sorgt dabei für die so wichtige Wasserstoff-Revolution.

 

Bill Gross  

Nachhaltigkeits-Pionier

Schon seit gut fünf Jahrzehnten widmet sich der Amerikaner Bill Gross den komplexen Herausforderungen der Klimakrise. In seinem Gründungszentrum „Idealab Studio“ in Kalifornien entwickelt der 58-jährige Unternehmer eine Vielzahl von Lösungen: Sobald eine Idee bahnbrechend erscheint, wird ein Unternehmen gestartet, ein Team gebildet und die Technologie entwickelt. Zu den Problemen, mit denen sich das Idealab Studio beschäftigt, gehören die Dekarbonisierung der Stahl- und Zementindustrie, das Herausfiltern von CO2 aus der Umgebungsluft und die kostengünstige Langzeitspeicherung von erneuerbarer Energie.   

Bereits in den 1970er Jahren begeisterte sich der schlaksig wirkende Kalifornier für die Solarenergie. Sein Maschinenbau­studium am California Institute of Tech­nology finanzierte Gross mit Bausätzen für Solarmodule. Fasziniert von Pionieren wie Thomas Alva Edison hegte er früh den Wunsch, Erfinder oder Unternehmer zu werden. „Mein ganzes Leben lang habe ich davon geträumt, neue, nachhaltige Wege zur Deckung unseres Energiebedarfs zu finden“, sagt er heute.

Besonders erfolgreich war Gross zunächst mit Softwarelösungen, die er mit seinen ersten Start-ups schuf: So entstand das heutige Modell zur Monetarisierung des Internets (Pay-per-Click). Und mit Knowledge Adventure entwickelte er Lernsoftware – und machte es zu einem der wertvollsten Unternehmen Amerikas.

Ausgestattet mit Erfahrung als Unternehmer und Kapital für Investitionen gründete Gross 1996 den Inkubator für Technologie-Start-ups Idealab – zu einer Zeit, als kaum jemand solche Unternehmen für lukrativ hielt. Hier entstanden die drei Cleantech-Start-ups, mit denen er sich heute besonders intensiv beschäftigt.

Energy Vault ist ein Unternehmen, das die Schwerkraft nutzt, um überschüssige Sonnen- und Windenergie zu speichern, bis sie gebraucht wird. Dazu werden tonnenschwere Blöcke mit Kränen hochgezogen und bei Bedarf wieder herabgelassen. Das inzwischen börsennotierte Unternehmen hat mit dem japanischen Konzern Softbank einen namhaften Investor gewonnen und bereits zahlreiche Projekte unter anderem in der Schweiz und in China gestartet. Ein Gamechanger? Möglicherweise.

Das zweite Unternehmen hat soeben die weltweit größte Anlage zur Filterung von Kohlendioxid aus der Umgebungsluft angekündigt: CarbonCapture verwendet preisgünstiges Material, das die Filtration in Containern erschwinglich machen soll. 

Und mit Heliogen schließlich will Gross die Dekarbonisierung der energieintensiven Industrie vorantreiben und Kraftstoff auf der Basis von reinem, konzentriertem Sonnenlicht herstellen. Der Clou der Technologie: Die Spiegel, die das Sonnenlicht auf einen bestimmten Punkt lenken, werden je nach Wind und Sonne blitzschnell gedreht oder geschwenkt. Die dabei entstehende thermische Energie kann in elektrische Energie umgewandelt werden oder direkt fossile Prozesswärme ersetzen, etwa in der Stahl- oder Zementproduktion.

 

Laura Gertenbach  

Laborfleisch-Fabrikantin

Die Ernährung der Weltbevölkerung sicherzustellen, ist wohl die größte Menschheitsaufgabe. Allein der global schnell wachsende Fleischhunger wird sich bei unverändertem Verbrauch an Fläche, Wasser oder Energie nicht stillen lassen. Durch die Klimakrise müssen Me­thanemissionen der Viehwirtschaft reduziert werden – und gleichzeitig verschwinden Flächen durch ausgetrocknete Böden.

Die Unternehmerin Laura Gertenbach (37) weiß, dass es so nicht weitergehen kann. Im elterlichen Betrieb hat sie selbst Schlachtungen organisiert: „Weil das so zeitintensiv und teuer ist, war uns immer klar: Das kann nicht die alleinige Zukunft sein.“ 2017 erfährt Gertenbach, wie das Fleisch der Zukunft hergestellt werden könnte: im Bioreaktor, quasi „wie Bier“. Das Clean Meat, zellkultiviertes Fleisch, basiert auf der Entnahme von Gewebe, um aus den tierischen Stammzellen Fett- und Muskelgewebe wachsen zu lassen. „Es ist echtes Fleisch, das nur nicht im Tier heranwächst, sondern im Reaktor“, erklärt Gertenbach. Über zwei bis drei Wochen wird es im Reaktor mit Nährstoffen und anderen Zutaten gefüttert, bis es „geerntet“ werden kann.

Noch 2017 gründet die gebürtige Rostockerin zusammen mit Partner Patrick Inomoto Innocent Meat. „Schon als Jugendliche war mir klar, dass ich lieber unternehmerisch tätig sein möchte, als auf Anweisungen zu reagieren“, erinnert sich Gertenbach. Mit Innocent Meat zählt Gertenbach zu den echten Pionieren in Deutschland. Zwar gibt es weltweit mehr als 70 Unternehmen, die sich mit zell­basiertem Fleisch befassen – diese sitzen aber zumeist in den USA, in Israel, Asien oder den Niederlanden.

Bei aller Heimatverbundenheit geht Laura Gertenbach mutig ihren Weg. Nach der Schule studiert sie Wirtschaftswissenschaften in Spanien, ohne besondere Spanischkenntnisse zu besitzen, und arbeitet anschließend beim Transportdienstleister World Courier. Danach kehrt sie nach Norddeutschland zurück, um IT zu studieren. Einen Teil ihrer Schulzeit verbringt sie auf einer Highschool in den USA; mit Big Ideas Ventures kommt einer der ersten Investoren von Innocent Meat ebenfalls aus den Vereinigten Staaten.

Im Verbund mit Biochemikern und Ingenieuren will Gertenbach den Fleischverarbeitern von Rostock aus eine Plug-and-Produce-Lösung bieten, um auf zellkultiviertes Fleisch umzusteigen. „Das Ziel ist, dass wir dem Partner alles liefern, was er braucht: vom Bioreaktor bis zu den Zutaten. Zusätzlich steuern wir die Produktion remote“, so Gertenbach. Am Ende muss der Kunde nur noch das fertige Produkt „ernten“, verpacken und verkaufen.  

Einen Teil des Weges dahin hat das Team von Innocent Meat bereits zurück­gelegt. Als Prototyp ist Hackfleisch entstanden. Eine Herausforderung bleibt es, die Kosten für das Futter zu reduzieren, denn dieses ist entscheidend für die Gesamtkosten. Die nächsten Etappen sind klar: Abhängig von einer Finanzierungsrunde möchte Innocent Meat 2024 eine Demoanlage bei Kunden aufstellen und 2025 in Produktion gehen.

 

Elon Musk  

Elektroauto-Bauer

Ein Exzentriker, der politisch irrlichtert und die Presse in Brandenburg auslacht, als er mit der Wasserversorgung seiner Gigafactory konfrontiert wird. Aber auch ein Visionär, dessen Mindset seinesgleichen sucht: Elon Musk, geboren 1971 in Südafrika, ist ein Ingenieur und Unternehmer voller Widersprüche.

Musk verschiebt die Grenzen des Machbaren. Er entwickelt Raketen, die punktgenau auf Plattformen im Meer landen, erfindet gigantische Maschinen, die die Grundkonstruktion eines E-Autos aus nur zwei Bauteilen liefern, und konstruiert Batterien, die nicht nur blitzschnell im Terawatt-Maßstab produziert werden können, sondern auch als Unterboden von Elektrofahrzeugen dienen. Inspira­tion zieht Musk aus fast allem, auch aus den Science-Fiction-Büchern, -Comics und -Filmen seiner Jugend.

Mit der Umweltaktivistin Greta Thunberg eint den Tesla-CEO neben dem Asperger-Syndrom der Wunsch, Menschheitsprobleme zu lösen. Während Thunberg Staats- und Regierungschefs beharrlich mahnt, endlich so zu handeln, wie es der Klimakrise angemessen wäre, will Musk den Übergang in eine erneuerbare Welt ermöglichen oder die Technologien ent­wickeln, mit deren Hilfe sich eine Kolonie auf dem Mars errichten ließe.

Seine Jugendjahre in Südafrika bezeichnet Musk rückblickend als „Nonstop-Terror“ – sowohl in der Schule wie im Elternhaus mit einem prügelnden Vater. Damals las Musk viel, zog sich zurück. Seine Talente erprobte er beim Programmieren und Experimentieren an Raketentreibstoff.

Mit 16 Jahren floh Musk nach Kanada, um dem Wehrdienst in Südafrika zu entgehen. Er studierte Volkswirtschaftslehre und Physik in Kanada und den USA; einer Promotion in Stanford zog er allerdings das Unternehmertum im Silicon Valley vor.

Mit SpaceX, Neuralink, Tesla oder The Boring Company steht Musks unternehmerisches Wirken heute auf vielen Beinen. Die Idee, Twitter übernehmen zu wollen, geriet allerdings zwischendurch zu einem Verwirrspiel. Die Frage bleibt: Passt Twitter wirklich zu einem Menschen, der komplizierteste Berechnungen der Raketenwissenschaft in Rekordgeschwindigkeit meistert und spezialisierten Ingenieuren im Technologiewissen überlegen ist? Wie langweilig sind dagegen Bot-Farmen und Social-Media-Algorithmen?

Aus Tesla hat Musk seit 2004 eine Art Disruptor-Konzern geformt, wie es die Ökonomen nennen, wenn mittels „zer­störerischer“ Innovationen alte Geschäftsmodelle oder Technologien ersetzt werden. Trends setzt Tesla nicht nur im Automobilsektor, sondern auch in der Energieversorgung. Eine seiner großen Stärken ist die Wertschöpfungsbreite in der Autoproduktion, vom direkten Zugriff auf Rohstoffe über die Fertigung bis hin zu Software, Versicherungen und Technologien wie dem autonomen Fahren.

Die vielleicht größte Gefahr für Tesla besteht darin, dass sich Elon Musk irgendwann im Gewirr seiner Unternehmungen verzettelt. Und auch für die Welt wäre es besser, wenn Musk sich auf Elektroautos konzentrierte – denn sie braucht dringend eine nachhaltigere Mobilität.

Jan Wurzbacher  

CO₂-Absauger

Er filtert Kohlendioxid aus der Umgebungsluft, um es anschließend nutzbar zu machen: Jan Wurzbacher ist CEO und Co-Gründer des schweizerischen Cleantech-Unternehmens Climeworks.

Angefangen hat die unternehmerische Reise des gebürtigen Hamburgers zusammen mit seinem Freund und Mitgründer Christoph Gebald in den Laboren der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Gipfeln soll sie eines Tages darin, einen entscheidenden Beitrag dazu zu leisten, den Klimawandel „rückgängig“ zu machen.

Am ersten Tag ihres Maschinenbaustudiums trafen sich die beiden Deutschen an der Uni. Sie verband der Traum, gemeinsam ein Unternehmen zu gründen. Während Studium und Promotion entdeckten sie ihre Leidenschaft für die Filterung von Kohlendioxid aus der Umgebungsluft. Im Labor testeten sie unterschiedliche Materialien, durch die sich, vereinfacht gesagt, das Kohlendioxid aus angesaugter Luft in einem Kasten abtrennen lassen sollte.

Nach ersten Erfolgen im Gramm-Maßstab testeten Wurzbacher und Gebald die Technologie erstmals mit einem Kunden, der für sein Gewächshaus Kohlendioxid benötigte, um das Pflanzenwachstum anzukurbeln. Im Jahr 2017 schließlich nahmen die Gründer in der Schweizer Gemeinde Hinwil auf dem Dach der dortigen Müllverwertungsanlage die weltweit erste Anlage zur Filterung von Kohlendioxid aus der Umgebungsluft in Betrieb. Aus wenigen Gramm wurden 900 Tonnen pro Jahr.

Das CO2 aus der Luft lässt sich für eine Reihe von Anwendungen verwenden, um fossile Energieträger zu ersetzen. Etwa bei der Produktion von Kraftstoff oder Plastik. Dadurch wird entweder der Kohlenstoffkreislauf geschlossen oder es werden, im Fall der unterirdischen Speicherung, sogenannte „Negativemissionen“ erzeugt. Auf diese Negativemissionen konzentriert sich Climeworks in wachsendem Maße, für die entsprechenden Zertifikate hat man Abnehmer wie UBS oder Microsoft gewonnen.

Der Weltklimarat IPCC hat errechnet, dass die Menschheit bis 2050 Kohlendioxid im Gigatonnen-Maßstab der Atmosphäre entziehen muss. Das kann durch Einbeziehung in die Produktion von Zement gelingen oder aber durch die „Karbonatisierung“, ein chemisches Verfahren, bei dem mit Wasser vermischtes CO2 in bestimmten Gesteinsformationen tief unter der Erde innerhalb weniger Monate versteinert.

Climeworks realisiert das im kommerziellen Maßstab auf Island. Dort kooperieren Gebald und Wurzbacher mit dem Unternehmen CarbFix, das die Methode zur sicheren Versteinerung von Kohlendioxid entwickelt hat. Neben der ersten kommerziellen Anlage zur Filterung und Speicherung von Kohlendioxid, „Orca“, arbeiten die Unternehmen mittlerweile an „Mammoth“: Diese Anlage, für die der Grundstein im Sommer 2022 gelegt wurde, soll 36 000 Tonnen CO2 pro Jahr abscheiden. Klar ist: Der Weg zum Gigatonnen-Maßstab ist für Climeworks noch weit. Aber das war der Weg von wenigen Gramm in den Tonnen-Maßstab auch. Mit dem Mut und der Weitsicht der Gründer kann solch ein Vorhaben gelingen.

Für Vollzugriff bitte einloggen.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special 6, November 2022, S. 24-29

Teilen

Martin Jendrischik ist Journalist für Fachzeitschriften wie Medium Gas und Cleanroom Magazin, PR-Berater sowie Gründer von cleanthinking.de, das er als Chefredakteur verantwortet.

0

Artikel können Sie noch kostenlos lesen.

Die Internationale Politik steht für sorgfältig recherchierte, fundierte Analysen und Artikel. Wir freuen uns, dass Sie sich für unser Angebot interessieren. Drei Texte können Sie kostenlos lesen. Danach empfehlen wir Ihnen ein Abo der IP, im Print, per App und/oder Online, denn unabhängigen Qualitätsjournalismus kann es nicht umsonst geben.