IP Special

18. Nov. 2022

Unsere Werte sind unsere Zukunft

Ein Grußwort von Tzipi Livni

Die Herausforderungen, denen sich die freie Welt gegenübersieht, nehmen rapide zu. Die Welt hat den Kampf gegen das Corona­virus noch nicht gewonnen, während die Erd­erwärmung und ihre dramatischen Folgen unsere Zukunft bedrohen. Der Krieg in Europa, Russlands Einmarsch in die Ukraine, ist nicht einfach nur ein weiterer Krieg, auch wenn er zunächst nicht über die Grenzen der Ukraine hinausgegangen ist. Er ist vielmehr eine direkte Provokation und eine unmissverständliche Herausforderung der gesamten westlichen Welt.



Kein Zweifel: Die komplexen Herausforderungen, vor denen wir stehen, erfordern eine weltweite, aufrichtige und grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Leider sind unsere internationalen Organisationen, die nach dem Zweiten Weltkrieg genau dazu gegründet wurden, im Laufe der Jahre jedoch erheblich geschwächt worden. Der UN-­Sicherheitsrat ist praktisch gelähmt und unfähig, verbindliche Konsensentscheidungen zu treffen. 



Die Rivalität zwischen den USA, Anführerin der freien Welt, und China, einer aufstrebenden und bedeutsamen Weltmacht, wirkt sich unmittelbar auf die Weltgemeinschaft aus – insbesondere auf demokratische Länder wie Deutschland und Israel. Die Dilemmata, mit denen alle freien Länder infolge dieser Rivalität zwischen den beiden Supermächten konfrontiert sind, werden uns noch jahrelang begleiten.



Das Gleiche gilt für die Bedrohungen der globalen Sicherheit. Während die freie Welt gemeinsame Maßnahmen ergriffen hat, um den Iran an der Entwicklung von Atomwaffen zu hindern, hat die enge Zusammenarbeit zwischen China und dem Iran bereits heute direkte gefährliche Auswirkungen auf den Nahen Osten. Die Abraham-Abkommen – Verträge zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und arabischen Staaten – waren noch vor wenigen Jahren kaum vorstellbar. Sie sind nicht nur Teil einer gemeinsamen großen Anstrengung in Richtung Iran, sondern markieren eine echte Zeitenwende. An ihrem Ende könnte ein neuer, wirtschaftlich und sicherheitspolitisch zusammengewachsener Naher Osten mit einer besseren Zukunftsperspektive stehen. Dennoch sind Terror und Extremismus in der Region noch nicht verschwunden. Für Israelis, die an die Werte Israels als gesicherter jüdisch-demokratischer Staat glauben, ist die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts von wesentlicher Bedeutung.   



Neben diesen und anderen globalen Herausforderungen sehen sich derzeit immer mehr Demokratien mit lokalen extremistischen Elementen konfrontiert, von denen einige leider breite öffentliche Unterstützung in einer Weise erhalten, die die Werte der Demokratie untergräbt. Angesichts dieser Herausforderungen müssen wir unsere Ansichten und Ideen unbedingt austauschen. Wir sind Teil einer Gruppe, die an dieselben Werte glaubt. Werte, die auch Deutschland und Israel verbinden, die geschützt werden und Grundlage jeder Lösung sein müssen.



Aus dem Englischen von Kai Schnier

Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special 07, November 2022, S.4

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Tzipi Livni war von 2006 bis 2009 Außenministerin Israels sowie 2013/14 Justizministerin. Sie ist Schirmherrin des Sylke-Tempel-Fellowship-Programms.