Tempolimit für Seuchenalarm
Schlusspunkt
Wie sich die Medien mit der Schweinegrippe infiziert haben
Der Aufenthalt in einer garantiert medienfreien Zone kann mitunter äußerst gesund sein. Beispielsweise auf den Hochebenen der chilenischen Atacamawüste. Da habe ich Ende April / Anfang Mai 14 Tage verbracht – und doch glatt die Schweinegrippe verpasst. Dafür war meine Familie umso besorgter: Liegt die Atacama nicht in Südamerika, also irgendwie bei Mexiko? Zum Glück funktionierte das Handy nicht und der nächste Hotspot war ziemlich weit entfernt.
Anhand der Erzählungen und des nachträglichen Studiums der Tageszeitungen konnte ich den Hergang der Schweinegrippe aber nach meiner Rückkehr rekonstruieren: zunächst erste Fälle in Mexiko, dann überall diese Atemschutzmasken. Sieht aus wie Giftgasalarm, so etwas lieben Fotografen und Kameramänner. Die Masken werden knapp. Von Tag zu Tag fettere Schlagzeilen: Weltweite Pandemie! Hunderte von Toten! Notstand in Mexiko! Erste Erkrankungen in Deutschland! Ausnahmezustand in USA! Sogar Präsident Obama muss Stellung beziehen. Dann erste vorsichtige Rückzieher. Schließlich die Fakten – nicht mehr in Riesenlettern, sondern in deutlich reduzierter Schriftgröße. Die Weltgesundheitsorganisation zählt insgesamt 65 Tote. Zum Vergleich: Die saisonale „normale“ Grippe fordert weltweit jährlich etwa 200 000 Tote.
Mit etwas Abstand betrachtet wirkt das wie eine gewaltige Dampfmaschine, die erst mächtig in Schwung gebracht wurde und dann leise pfeifend ausläuft. Bis die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird. Nennen wir das mal den Schweinezyklus. Was mich zu folgender Überlegung führt: Sollte man die Zeitung wirklich gleich lesen – oder erst einmal 14 Tage abhängen lassen? Es ist doch erstaunlich, wie sich die ganze Welt immer mal wieder um wenig bis gar nichts drehen kann. Sie torkelt gewissermaßen von einem Hype zum anderen. Von BSE zu SARS zur Vogelgrippe zur Schweinegrippe zur…
Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich darf man solche Krankheitserreger nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sie sind gefährlich, sie können mutieren und gegen Medikamente resistent werden. Gerade deshalb sollten sich Medien ein freiwilliges Tempolimit in Sachen Seuchenalarm und Weltuntergangsverkündung auferlegen. Sonst werden nämlich nicht nur die Viren, sondern auch die Menschen resistent – und zwar gegen solche Warnungen. Und das wäre dann wirklich tödlich.
DIRK MAXEINER ist freier Autor.
Internationale Politik 6, Juni 2009, S. 112.