Rumänische Ränkespiele
Ende des Jahres stehen Wahlen an: für die Nachfolge von Staatspräsident Klaus Iohannis und ein neues Parlament. Doch die Auswahl im demokratischen Spektrum Rumäniens ist gering, und rechtsextreme Parteien sind auf dem Vormarsch.
Noch nie seit der Wende vor 35 Jahren sind Wahlen in Rumänien als so wenig polarisierend wahrgenommen worden; am Ende könnte aber die Gefahr von Rechtsaußen doch noch Spannung bringen. Am 24. November wählen die Rumänen einen neuen Staatspräsidenten. Wahrscheinlich kommt es am 8. Dezember zu einer Stichwahl, weil in der ersten Runde keiner der Kandidaten auf die notwendige absolute Mehrheit kommen dürfte. Dazwischen, am 1. Dezember, ist die Parlamentswahl angesetzt.
In Bukarest regiert seit 2021 eine große Koalition aus Sozialdemokraten (PSD) und Bürgerlichen (PNL), die auch zur Europäischen Volkspartei gehört. Beide Parteien sind seit Jahrzehnten im Land präsent und waren in wechselnden Konstellationen an der Macht – meistens zusammen mit der kleinen Partei der ungarischen Minderheit, UDMR. Die Opposition bilden jüngere Parteien: Stärkste Kraft ist im Parlament die 2016 gegründete konservativ-liberale Reformpartei USR, gefolgt von der 2019 gegründeten extrem rechten Partei AUR. In den Umfragen ist AUR aber im Vormarsch, ebenso wie die mit ihr konkurrierende rechte, russlandfreundliche Partei S.O.S. Romania. Beide Parteien sind demnach zusammen stärker als USR, die Partei der jungen, urbanen Intelligenzja.
Zwei Monate vor den Wahlen war das beherrschende Thema auf der politischen Bühne und in den Medien des Landes die mögliche weitere Rolle des scheidenden Staatspräsidenten Klaus Iohannis, der nach zwei Amtszeiten nicht erneut kandidieren darf. Dieser Schwerpunkt ist wohl dem durchweg schlechten Image aller Politiker geschuldet – Iohannis inbegriffen.
„Sie sind unseriös. Alle“, schreibt Teodor Tiță in der liberalen Bukarester Wochenzeitschrift Dilema über die Kandidaten für die Präsidentenwahl. „Das mesquine Kalkül ersetzt Plan und Vision. Ihre Strategien wirken so, als hätten Ingenieure diese erdacht, die nur primitiver Emotionen fähig sind.“ Dilema wurde nach der Wende von dem Philosophen und Dissidenten Andrei Plesu gegründet.
Auf den Spitzenplätzen für die Präsidentenwahl lagen nach einer Umfrage des Instituts Inscop im September der parteilose Kandidat Mircea Geoana mit 21,4 Prozent und der derzeitige Ministerpräsident Marcel Ciolacu, Vorsitzender der PSD, mit 20,3 Prozent. Platz drei nimmt Elena Lasconi von der USR mit 14,6 Prozent ein.
Geoana war bis vor Kurzem Vize-Generalsekretär der NATO und wirbt mit seiner dort erworbenen internationalen Expertise. Als Nachteil gilt, dass Geoana jahrezehntelang Mitglied der PSD war, die aus der aufgelösten Kommunistischen Partei des Diktators Nicolae Ceaușescu hervorgegangen war. Und weil Geoana bereits 2009 erfolglos für die PSD für das Präsidentenamt kandidierte, hat er in den Medien ein Loser-Image; Wahlsieger war damals der bürgerliche Amtsinhaber Traian Basescu.
Präsident Iohannis wird in den meisten rumänischen Medien heute extrem negativ bewertet. Dabei hatte der Siebenbürger Sachse in den 2000er Jahren einen hervorragenden Ruf als Bürgermeister seiner mittelalterlichen Heimatstadt Hermannstadt (Sibiu), die er zum Wirtschafts- und Tourismusmagneten machte. 2014 gewann er erstmals die Präsidentenwahl. Er galt damals als Verlegenheitskandidat der PNL. Diese Partei hatte den bis dahin regierenden charismatischen Präsidenten Basescu unterstützt, der nach zwei Amtszeiten nicht erneut kandidieren durfte.
In seinem ersten Mandat erwarb sich Iohannis viel Sympathie der reformwilligen Rumänen, weil er gegen Korruption eintrat. 2017 mischte er sich sogar deutlich in roter Jacke sichtbar unter die Demonstranten, die damals gegen die Regierung der PSD protestierten. Chef der PSD war zu jenem Zeitpunkt – inoffiziell, aber faktisch – der inzwischen wegen Korruption verurteilte Liviu Dragnea. Vor diesem Hintergrund wurde Iohannis 2021 in Aachen der Karlspreis verliehen.
Iohannis große Koalition
Dann aber wendete sich das Blatt: Die PSD wurde nach dem Abgang Dragneas auch für Iohannis wieder salonfähig. Und nachdem im Herbst 2021 die Regierungskoalition zwischen PNL und USR zerbrach, wurde die bis heute regierende große Koalition von PNL und PSD geschmiedet. Sie gilt als Werk von Iohannis.
Dem Präsidenten war die USR ein Dorn im Auge, weil sie nicht auf sein Kommando hörte. So sieht es auch der Politologe Cristian Pîrvulescu, der dem Staatschef bei aller Kritik freundlich gesonnen ist. „Es war klar, dass der ganze Vorgang nicht ohne die Erlaubnis des Präsidenten stattfinden konnte“, sagte Pîrvulescu damals der Zeitung Libertatea. Iohannis habe eine ihm untertane Regierung gewollt. Die dem Staatschef damals noch gewogenen Medien hatten stets damit argumentiert, dass das Land angesichts der Corona-Pandemie „Stabilität“ brauche, die nur eine große Koalition garantieren könne. Als 2022 Russland das Nachbarland Ukraine angriff, galt dies als weiteres Argument für ein Gebot der Stabilität.
In Rumänien hat der Staatspräsident eine hohe demokratische Legitimation, weil er direkt vom Volk gewählt wird. Gemessen daran hat er aber wenig Macht. Zwar bestimmt er die Richtung der Außen- und Verteidigungspolitik und kontrolliert die Geheimdienste. Aber die Zusammensetzung der Regierung kann er formell nicht bestimmen, sondern nur durch persönliche Autorität beeinflussen. Im Fall der Krise von 2021 wirkte Iohannis’ Autorität auf die PNL, der er formell als Staatschef nicht angehören darf. Er hatte diese seit Jahrzehnten chronisch vom Untergang bedrohte Partei 2014 gerettet, indem er blitzschnell ihr Mitglied, ihr Präsident und ihr Zugpferd bei den Wahlen wurde.
Zehn Jahre später sind PNL und ihr Präsidentenkandidat Nicolae Ciuca in den Umfragen im Keller und PSD im Aufwind. „Die Revitalisierung der PSD und das Erstarken der (rechtsextremen) AUR sind vielleicht die bedeutendsten Bestandteile seines politischen Erbes“, schreibt der Politologe Ioan Stanomir auf der Plattform contributors.ro über Iohannis. Seine Zugpferdkraft scheint dahin zu sein. Dennoch will PNL ihn weiter einbinden.
Eine enttäuschende Bilanz
„Iohannis ist süchtig nach Ämtern, Vergünstigungen und Protokoll“, schreibt die Journalistin Andreea Pora dazu in der Wochenzeitung „22“, dem Organ der „Gruppe für sozialen Dialog“, die antikommunistische Regimegegner nach der Wende gegründet hatten. Dass PNL auf Iohannis setze, zeuge von Realitätsferne.
Er sei eher eine Belastung. Iohannis’ politische Bilanz sei „eine Enttäuschung“, schrieb Pora schon im Februar 2023. „Es geht um seine sprichwörtliche Abwesenheit von der politischen Bühne in Schlüsselmomenten und darum, dass er nichts vorweisen kann.“ Er habe PSD zurück an die Macht gebracht und damit alle Reformansätze beendet. Er habe nichts dafür getan, die von der EU hoch geschätzte Chefin der Antikorruptionseinheit der Staatsanwaltschaft, Laura Kövesi, zu schützen. Kövesi war 2018 auf Betreiben von PSD abgesetzt worden; jetzt leitet sie die neue EU-Staatsanwaltschaft EPPO.
Noch dazu habe Iohannis Regierungspolitiker in Schutz genommen, die des Plagiats verdächtig sind. Er habe toleriert, dass Parteien mit Steuergeldern Medienorgane kaufen und dass die Geheimdienste zu viel Einfluss hätten. Zudem habe er zu blass auf Russlands Versuche reagiert, das Nachbarland Moldau zu destabilisieren, schreibt Pora weiter. „Viele fragen sich, ob es an einer geistigen Bequemlichkeit (von Iohannis) liegt, an mangelndem Verständnis für die Probleme des Landes oder schlichtweg an krasser Gleichgültigkeit. Schwer zu sagen, wahrscheinlich ist es eine Mischung von allem.“
Tatsächlich hatte sich Iohannis vor allem in seiner zweiten Amtszeit in der Öffentlichkeit rar gemacht. Er hatte nicht einmal einen Pressesprecher. Besonders wortkarg war Iohannis hinsichtlich der Ukraine-Politik. Durch das Karpatenland gehen sehr wahrscheinlich viele Waffentransporte nach Kiew. Zwar hat es Iohannis öffentlich nie ausgesprochen, jedoch ist klar, dass er Details über Hilfe für die Ukraine geheim halten wollte, um Russland keine Informationen zu liefern. Deutlich wurde dies im März 2023, als ein BBC-Journalist den damaligen Außenminister Bogdan Aurescu mit entsprechenden Fragen bedrängte – und damit abblitzte. Nach dem Krieg werde man über alles sprechen, wehrte Aurescu ab. Angesichts der internationalen öffentlichen Debatte machte Bukarest aber in diesem Sommer notgedrungen publik, dass das Land der Ukraine eine seiner Patriot-Raketen spendet. Zudem baut Rumänien für die Ausbildung ukrainischer Soldaten sogar einen Marine-Stützpunkt als Teil des neuen NATO- Hilfsprogramms NSATU.
Die geopolitische Lage seines Landes hatte wohl dazu geführt, dass sich Iohannis in diesem Frühjahr Chancen ausgerechnet hat, nächster NATO-Generalsekretär zu werden. Dass er damit gescheitert ist, brachte ihm zu Hause viel Spott ein. Hinzu kam auch Empörung über seine häufigen Reisen in einem sehr teuren, auf Staatskosten gemieteten Luxusjet. Immer wieder erinnern die Medien an seine Geste vom Anfang seiner Amtszeit, als er vor allen Fernsehkameras seinen Mantel auf die Motorhaube seiner Staatslimousine warf – entnervt, weil ein Adjutant nicht schnell genug da war, um ihm dieses Kleidungsstück abzunehmen.
„Dem Präsidenten sind die Wahlen und die Wähler anscheinend egal. Warum verhält er sich so unvernünftig? Woher all diese Arroganz? Wie erklärt sich sein mangelndes Gespür für das Lächerliche? Warum verstößt er weiter gegen den elementaren Anstand?“, fragt Dan Tăpălagă, Chef der liberalen Internetzeitung g4media.ro.
Statistisch betrachtet geht es den Rumänen wirtschaftlich besser als noch vor zehn Jahren. Der Netto-Durchschnittslohn hat sich nahezu verdreifacht: von umgerechnet 382 Euro im Jahr 2014 auf 1030 im Mai 2024. Allerdings war die Inflation zuletzt mit 5,3 Prozent die höchste in der EU und die Erwartung der BIP-Steigerung musste dieses Jahr von 3 auf 1,8 Prozent heruntergeschraubt werden. Zudem ist der Wohlstand ungleich verteilt zwischen den sozialen Schichten. Im Gesundheits- und Pflegebereich sowie in der Privatwirtschaft fehlt das Personal wegen Abwanderung und Geburtenrückgang – Rumänien holt bereits seit Jahren Gastarbeiter aus dem Fernen Osten. Themen für Oppositionspolitiker sind demnach da. Doch bleibt dieses Potenzial zunehmend den neuen extrem rechten Parteien überlassen.
Die erst 2019 gegründete rechtsextreme Partei AUR wurde zum politischen Senkrechtstarter. Sie profilierte sich vor allem mit Propaganda gegen Corona- Maßnahmen und schaffte es damit 2020 ins Parlament. Prorussisch gefärbte antiwestliche Töne waren immer dabei. Ab 2022 erstarkte zudem die Partei S.O.S. Romania, weil die prominente AUR-Politikerin Diana Șoșoacă in diese übertrat. Șoșoacă ist regelmäßig zu Gast in der Bukarester russischen Botschaft.
Regierung oder Rechtsaußen
AUR und S.O.S. Romania liegen ideologisch fast auf derselben Linie und rivalisieren miteinander. In Umfragen bilden sie zusammengenommen die stärkste Oppositionskraft. Beide Parteien sitzen seit diesem Sommer sogar im EU-Parlament. Eine neue Dynamik könnte ein Schritt des Verfassungsgerichts bringen, das mehrheitlich mit PSD-freundlichen Richtern besetzt ist: Es hat zwei Monate vor der Wahl die Kandidatur von Șoșoacă für das Präsidentenamt verboten.
Dahinter wittert der Journalist Dan Tăpălagă ein Kalkül der PSD, dem zufolge Șoșoacăs Sympathisanten deren Konkurrenten von AUR, George Simion, wählen würden, sodass dieser sich für die Präsidenten-Stichwahl qualifiziert. Șoșoacă kam zuletzt auf 13,6 Prozent und Simion auf 12 Prozent. Wer demnach Rechtsaußen verhindern wolle, sei gezwungen, den PSD-Kandidaten Ciolacu zu wählen – so die Rechnung der PSD, Tăpălagă zufolge. Derartige Ränkespiele wären keine Premiere in Rumänien.
Die Ideologie von AUR sieht der Wiener Osteuropa-Historiker Oliver Jens Schmitt in der Nähe des Faschismus und des 1989 gestürzten Diktators Ceaușescu. Die vor 1945 populären und zeitweise auch regierenden rumänischen Faschisten nannten sich Legionäre, Ceaușescu hatte sich ihnen angenähert. „AUR präsentiert sich aggressiv als Alternative für die existierenden Parteien und benutzt dabei Dekorstücke aus der ideologischen Mischung, die im 20. Jahrhundert aus dem Legionarismus und Ceausismus entstanden ist“, sagte Schmitt 2022 dem Sender Freies Europa.
Demokratisch gesonnenen Rumänen bleiben angesichts der Rechtsradikalen kaum Optionen, meint der Publizist und Philosophie-Spezialist Andrei Cornea in der Zeitung „22“. „Bisher galt die Regel: Wenn man nicht mag, was die Regierung bietet, wählt man die Opposition und bleibt immer noch, allgemein, in den Grenzen eines demokratischen und liberalen Konsenses. Das stimmt nicht mehr. Die Marginalen sind zentral geworden – was bedeutet, dass, wenn man die Regierenden nicht wählt, im demokratischen Spektrum fast nichts Nennenswertes findet“, bedauert Cornea.
Internationale Politik 6, November/Dezember 2024, S. 120-123
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