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01. März 2015

Roboter-Revolution

Roboter in der Altenpflege, im Kirchendienst oder als Teilnehmer „Robolympischer Spiele“: Nichts scheint unmöglich in einem Land, in dem Zeichentrick-Roboter den Status von Popstars haben. Doch das ambitionierte Regierungsprogramm, mit dessen Hilfe sich Japan endgültig als „Roboter-Großmacht“ etablieren soll, stößt auf Bedenken.

Ist die moderne Industriegesellschaft ein „Technotop“? Der Technikphilosoph Günter Ropohl hat das schon im Jahre 1979 so gesehen und auf den Begriff des „Technotops“ gebracht – eine Zusammensetzung aus den Begriffen „Biotop“ und „Technik“, die auf die rasante Technisierung der Umwelt seit dem 18. Jahrhundert verweist. Auch die japanische Lebenswelt ist, soziologisch gesprochen, „technisch überformt“. Betrachtet man die staatliche Technologie­politik der vergangenen 15 Jahre, so scheint die Transformation des japanischen Alltags in ein „Robotop“ unmittelbar bevorzustehen.

Schon zu Beginn der achtziger Jahre wurde Japan unter Verweis auf die seit den siebziger Jahren steigende Anzahl von Industrie-Robotern als „Königreich der Roboter“ bezeichnet. In einer Pionierstudie beschrieb der Wissenschaftsjournalist Frederik L. Schodt 1988 die japanischen Roboter als Symbole für technischen Fortschritt und technologisches Wissen schlechthin: „Das Königreich der Roboter in Japan ist teils Mythos, teils Realität, teils Ausdruck einer bestimmten Gemütsverfassung. Der Roboter selbst ist die Erfüllung eines mechanischen Traums.“

Dieser „mechanische Traum“ kommt nicht nur in der Konstruktion von Robotern als maschinellen Artefakten in Forschung und Industrie zum Ausdruck, sondern auch in unzähligen Roboter-Geschichten der Populärkultur, insbesondere in Manga und Anime. Hier wird seit den fünfziger Jahren der Traum vom menschenfreundlichen Roboter als Symbol für technologischen Optimismus visuell und literarisch beschworen. Die bekanntesten Figuren dieser Serien wie der Roboter-Junge Astro Boy des Manga-Zeichners Osamu Tezuka oder die Roboter-Katze Doraemon von Hiroshi Fujimoto haben Ikonenstatus erlangt und dienen als Referenz für die Idee vom sozialen Roboter als Freund und Helfer des Menschen.

Die Zukunft ist mechanisch

Unter dem Schlagwort „next generation robot“ soll der „mechanische Traum“ nun in die Realität umgesetzt werden. Zwar gibt es außerhalb der Industrie bislang nur sehr wenige marktreife, in der Anwendung sichere Roboter der nächsten Generation zu Preisen, die für private Nutzer erschwinglich wären.Doch wird ihnen nach wie vor ein großes Marktpotenzial zugeschrieben – allzu optimistische Prognosen der 2000er Jahre mussten allerdings bereits nach unten korrigiert werden.

Das Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (METI) erklärte die Förderung von „Next generation“-Roboter-Technologie im Jahre 2002 zu einer der wichtigsten gesellschaftspolitischen Aufgaben der Zukunft und betraute eine Reihe so genannter „Arbeitsgruppen für Roboter-Maßnahmen“ mit der Entwicklung von Visionen und Leitfäden für den Aufbau einer „mechatronics society“ der Zukunft.

Zuletzt machte der japanische Premierminister Shinzo Abe das Thema zur Chefsache und berief im September 2014 ein „Robot Revolution Realisation Council“ als Beratergremium seines Kabinetts in Sachen Roboter-Technologie. „2015 wird das Jahr eins der Roboter-Revolution in Japan“ verkündete er am 23. Januar 2015, nachdem er den Abschlussbericht der 18-köpfigen Strategiekom­mission entgegengenommen hatte. Im Bericht ist auf 90 Seiten nachzulesen, wie mit der Förderung von Roboter-Technologie für alle Bereiche des Alltagslebens – von der Arbeit in der Industrie, der Landwirtschaft, dem Dienstleistungsbereich, der Pflege bis hin zum Katastropheneinsatz – eine zweite industrielle Revolution im Land auf den Weg gebracht werden könnte.

Wie Abe zugleich bekräftigte, genieße Japan zwar seit Langem den Ruf einer „Roboter-Großmacht“, dieser würde dem Land jedoch durch die Konkurrenz aus den USA und Europa streitig gemacht. Wenn man die Hände jetzt in den Schoß lege, sei man bald nur noch ein Zulieferunternehmen für den Westen. Der vorliegende „Neue Roboter-Strategieplan“ zeige einen Weg auf, wie Japan als „Zentrum der Welt aufleuchten und zum Schaufenster einer weltweit führenden Roboter-Anwendungsgesellschaft“ werden könne.

Visionen für eine alternde Gesellschaft

Der Bericht nennt drei Säulen, auf denen die Roboter-Revolutionsstrategie beruht. Zunächst einmal soll Japans Innovationsfähigkeit in der Roboter-Technologie durch eine enge Zusammenarbeit von Industrie, Wissenschaft und Verwaltung gestärkt werden. Dafür soll ein „Robot Revolution Initiative“-Konsortium eingesetzt und ein Roboter-Testareal in der Präfektur Fukushima geschaffen werden. Ein weiterer Punkt ist die Verbreitung der Nutzung von Roboter-Technologie durch Anwendungs-Fallstudien in einer ganzen Reihe von Bereichen – von der Warenherstellung und Dienstleistung über Pflege und Medizin bis hin zu Baugewerbe, Katastropheneinsatz, Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie. Um die internationale Ausstrahlung der Initiative zu fördern, seien parallel zu den Olympischen Spielen in Japan im Jahr 2020 „Robolympische Spiele“ auszurichten, die der Welt die technologische Fortschrittlichkeit der japanischen Gesellschaft deutlich machten.

Schließlich gelte es, japanische Roboter-Technologie weltweit vorzustellen und weiterzuentwickeln – durch internationale Kooperationen, etwa auf dem Gebiet der Zertifizierung. Wenn man nicht an internationalen Normierungsaktivitäten auf dem Gebiet beteiligt sei, drohe ein „Galapagos-Effekt“, der Japan vom Weltmarkt für Roboter-Technologie abkoppele. Neben dem globalen Wettstreit um technologische Vormacht verweist der Bericht auf den demografischen Wandel, der in Japan weltweit am schnellsten voranschreite und Roboter als Lösung für daraus folgende gesellschaftliche Probleme notwendig mache. Zur finanziellen Förderung der Roboter-Revolution wurde für die Fiskaljahre 2014 und 2015 ein Gesamtbudget von 17,3 Milliarden Yen (ca. 132 Millionen Euro) anvisiert.

Schon diese kurze Skizze verdeutlicht, welchen Stellenwert Roboter als nationale Aushängeschilder für technologisch-ökonomische Stärke und als Zukunftsvision für eine alternde Gesellschaft haben. Nichtsdestotrotz müssen Zweifel am Erfolg der „Roboter-Revolution von oben“ angemeldet werden. Das gilt etwa für die oft postulierte hohe Akzeptanz von Robotern in der Bevölkerung. Denn in Japan gibt es auch kritische Stimmen in Bezug auf die staatlichen Roboter-Zukunftsentwürfe und ihre ausschließliche Fokussierung auf wirtschaftliche Prognosen eines zukünftigen Roboter-Marktes.

Der Informatiker und Ingenieur Hirohiko Arai gibt in einem Artikel für das Roboter-Informationsportal „Robonable“ zu bedenken, dass bei der groß angelegten staatlichen Förderung von „Next generation“-Robotern die derzeitige wirtschaftliche Rezession mit ihrer Auswirkung auf die Beschäftigungssituation nicht berücksichtigt worden sei.

Angesichts der hohen Arbeitslosenquote unter den 30- bis 40-Jährigen seien die Prognosen des METI zu bezweifeln, dass es künftig aufgrund des demografischen Wandels zu wenige Arbeitskräfte gebe. Derzeit mangele es an Arbeitsplätzen, nicht an Arbeitskräften. Berücksichtige man die Armutsrate von fast 16 Prozent in Japan – die sechsthöchste aller OECD-Staaten – und die Zunahme an prekären Beschäftigungsverhältnissen, so könnten sich zukünftig wohl nur wohlhabende Schichten „Haus-Roboter“ leisten. Die optimistischen Wachstumsprognosen des Marktes für „Next generation“-Roboter seien angesichts des wachsenden sozialen Gefälles innerhalb der japanischen Gesellschaft Makulatur. Wie sich gezeigt habe, sei der Verkauf von Service-Robotern kein „Selbstläufer“ und bedürfe einer vernünftigen Analyse der tatsächlichen Wünsche der Verbraucher.

Kritik am „Robo-Sexismus“

Doch Kritik kam auch von einer anderen Warte, aus der Gender-Forschung. So untersuchte die Anthropologin Jennifer Robertson die Entwicklung von „Next generation“-Robotern in Japan und kritisierte die Tatsache, dass Frauen weder an der politischen Planung noch an der technischen Entwicklung der Roboter-Zukunftsgesellschaft beteiligt seien. Überhaupt seien die Interessen von Frauen im gesamten Technik-Planungsprozess nicht angemessen repräsentiert. Robertson konstatierte einen „Robo-Sexismus“, der Geschlechterrollen bei der Entwicklung von typisch weiblichen und typisch männlichen Roboter-Modellen konstruiere und zementiere.

Auch in Internetblogs wurde das Familienbild kritisiert, das in staatlichen Roboter-Visionen zum Ausdruck komme und die Frau als „Herrin des Hauses“ und Managerin einer „Roboter-Dienerschaft“ inszeniere. Die Roboter-Visionen der „Innovation 25“-Kommission des Cabinet Office (CAO) aus dem Jahr 2007 – auch damals war Shinzo Abe Premierminister – läsen sich wie „20 Jahre alte Science Fiction-Romane“, zitiert Robertson Blogeinträge.

Wenn Japan zum Schaufenster für eine „Roboter-Anwendungsgesellschaft“ werden soll und sich bei ähnlichen Technikplanungsprozessen in der EU und anderen internationalen Kooperationen engagiert, kann es nichts schaden, genauer hinzuschauen und einen kritischen Dialog über die weitere Technisierung des Alltagslebens im „Robotop“ sowie die ethischen und sozialen Folgen des Einsatzes von Service-Robotern zu führen.

Dr. Cosima Wagner ist Japanologin an der FU Berlin. Jüngste Veröffentlichung: „Robotopia Nipponica - Recherchen zur Akzeptanz von Robotern in Japan“ (Tectum Verlag 2013).
 

Bibliografische Angaben

IP-Länderporträt 1, März-Juni 2015, S. 60-63

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