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01. März 2013

„In Polen sind die Leute noch hungrig“

Interview mit Janusz Filipiak, Gründer und CEO des IT-Unternehmens Comarch

Aus dem Nichts, aber mit vielen talentierten Mitarbeiten baute Universitätsprofessor Janusz Filipiak nach dem Ende des Kommunismus einen der größten Software-Hersteller Mittelosteuropas auf. Vor welchen Herausforderungen steht Polens IT-Branche heute? Ist sie ausreichend innovationsfreudig? Investiert Polen genug in seinen Zukunftssektor?

IP: Sie haben Ihr Unternehmen vor rund 20 Jahren gegründet. Was gab Ihnen das Selbstbewusstsein, gegenüber Großen der Branche wie Microsoft oder IBM, die heute längst in Polen aktiv sind, bestehen zu können? Was war Ihr Wettbewerbsvorteil?

Janusz Filipiak: Ich kam aus der Emigration zurück. Meine Familie und ich hatten für einige Zeit in Ländern wie Australien, Frankreich und Kanada gelebt, und auf diese Weise brachte ich einige internationale Expertise mit, die dringend benötigt wurde. Was uns zugute kam: Es gab viele gut ausgebildete Leute, die – und das war am wichtigsten – zu geringen Löhnen arbeiteten. Ich werde öfter gefragt: „Wie haben Sie es geschafft?“, und meine Antwort ist immer: „Stellen Sie sich ein Land vor mit einer unbegrenzten Zahl talentierter Menschen, die für 450 Euro im Monat arbeiten.“ So ungefähr war das in Polen zu der Zeit. Und wir haben mit sehr einfachen Produkten angefangen. Wir hatten Glück, denn in den neunziger Jahren war die polnische Industrie in Sachen Organisation von Geschäfts- oder Produktionsabläufen noch nicht so weit. Anspruchsvolle Softwareprodukte waren also gar nicht gefragt. Unsere Kunden waren mit unseren recht einfachen Informationssystemen sehr zufrieden, und wir wuchsen dann mit unseren Kunden. Heute haben wir einen entwickelten IT-Sektor, der selbst Westeuropa etwas zu bieten hat. Damals waren die Zeiten einfach gut für Firmengründungen. Rund zwei Millionen neue Unternehmen starteten 1991/92 – eine aufregende Phase!

IP: Wie sieht es heute aus?

Filipiak: Diese schönen Zeiten sind vorbei, leider. Allein in Krakow, wo wir unsere Zentrale haben, sitzen heute Google mit 250 Mitarbeitern, IBM, Motorola, SAP – also eine ganze Reihe internationaler Unternehmen, und jedes ist auf der Suche nach jungen Absolventen, die sie einstellen können, vor allem junge polnische IT-Ingenieure. Heute ist alles anders. In dieser Hinsicht gleicht Polen heute einem alten EU-Mitgliedsland, wo die Konkurrenz um die talentierten Leute groß ist. Es gibt einfach nicht so viele von ihnen. Kurzum: Die Zeiten, als man sein Unternehmen auf Grundlage einer breiten Personalbasis starten konnte, sind in Polen mit Sicherheit vorbei.

IP: Wird genug in die Ausbildung investiert?

Filipiak: Im Grunde ja, aber man darf nicht vergessen: Es kommen ja nicht nur Google und IBM, sondern auch deutsche und Schweizer Unternehmen, die IT-Zentren in Polen aufbauen; manche von ihnen beschäftigen über 1000 polnische IT-Ingenieure. 

IP: Was macht Polen denn so attraktiv für diese Unternehmen?

Filipiak: Als die amerikanischen und die anderen Unternehmen um die Jahrtausendwende kamen, lockte sie die gute Personalsituation an. Die ist heute nicht mehr so gut, obwohl wir viele IT-Ingenieure an den Universitäten ausbilden. Es ist aber nicht allein die Regierung gefragt. Es muss mehr getan werden – wie das in anderen Ländern, in Großbritannien, den Niederlanden oder auch Deutschland der Fall ist –, um junge Menschen für IT zu begeistern. In Polen, ja in ganz Europa gilt es als schwieriges Studienfach, vor dem viele zurückschrecken. Nur in Frankreich liegen die Dinge vielleicht etwas anders. Investitionen in die Universitäten und die IT-Ausbildung sind also nur ein Teil des Ganzen.

IP: Wie sieht es mit der Geschäfts- und Unternehmenskultur aus? Ist Polen ein guter Boden für Startups, gibt es ausreichend Risikokapital?

Filipiak: Startkapital zu finden ist nicht so schwierig. Als EU-Mitglied profitiert Polen von einer Reihe aus Brüssel finanzierten Gründerprogrammen. Das Problem für die Startups ist aber oft, „kritische Masse“ zu erreichen. Wie Sie wissen, sind unsere IT-Märkte ja sehr entwickelt – da ist es schwierig, sich mit einem neuen Produkt durchzusetzen und wirklich Präsenz aufzubauen. Man braucht die langfristige Unterstützung von Investoren, und die ist nicht immer gegeben. Das stellt die neuen, kleinen Unternehmen oft vor Probleme.

IP: In manchen Ländern gibt es so genannte „Brutstätten für Innovationen“, Silicon Valley in den USA zum Beispiel, wobei oft vergessen wird, wie viel dessen Erfolg mit der dortigen Universitätslandschaft und den Risikokapitalgesellschaften zu tun hat. Wie sieht es in Polen aus?

Filipiak: Ich habe in den Vereinigten Staaten im Bereich Forschung und Entwicklung gearbeitet, viel zu diesen Themen publiziert und war Teil dieser Kultur – und die ist mit der europäischer Unternehmen schlicht nicht zu vergleichen, und damit meine ich nicht nur polnische Unternehmen. Die USA haben einen homogenen Markt mit über 300 Millionen Konsumenten; in Europa – wo wir 60 Prozent unseres Umsatzes machen – ist der Markt sehr fragmentiert. In jedem EU-Mitgliedsland muss man praktisch von vorn anfangen. Wenn Sie in Großbritannien eine Niederlassung eröffnen, sind die Leute dort nicht sonderlich überzeugt, wenn sie Referenzen aus Deutschland mitbringen. Wir sind zwar ein geeintes Europa – zumindest sagen das unsere Politiker –, aber praktisch haben wir es mit 27 verschiedenen Märkten zu tun, ob es um rechtliche Fragen, Steuern oder Sprachen geht. Polnische Unternehmen haben erst einmal nur Zugang zum relativ kleinen heimischen Markt. Sich auf ganz Europa auszudehnen, ist sehr kostspielig – ganz im Gegensatz zu den Bedingungen in den USA. Und das ist wirklich ein Problem, auch mit Blick auf Innovationszentren und Startups; Sie brauchen einfach viel mehr Kapital.

IP: Sind Sie dennoch zufrieden mit der Innovationsfähigkeit des polnischen IT-Sektors und der Volkswirtschaft insgesamt?

Filipiak: Nein. Wenn Sie sich ansehen, welcher Anteil des BIP in Polen in die Forschung gesteckt wird – die Zahl liegt unter 1 Prozent. In Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien sind es mehr als 2 Prozent, manchmal sogar 2,5 Prozent. Wir sind also nicht nur ein kleineres Land, wir geben auch weniger für die Forschung aus, und das ist nicht gut.

IP: Liegt dies auch an kulturellen Dingen? Ist die polnische Gesellschaft ausreichend offen und innovationsfreudig? 

Filipiak: Das müssten Sie unsere Politiker fragen. Sie entscheiden über Prioritäten, ob mehr Geld in Sozialleistungen und das Gesundheitssystem fließt und weniger in Forschung. Ich bin da hoffnungslos parteiisch, ich stehe auf der Seite der Forschung.

IP: Blicken Sie optimistisch in die Zukunft?

Filipiak: Wenn es um unser Unternehmen geht, bin ich recht optimistisch. Aber über die polnische Volkswirtschaft insgesamt etwas zu sagen, liegt außerhalb meines Verantwortungsbereichs. Ich bin aber optimistisch in dem Sinne, dass die Leute in Polen immer noch hungriger sind als in Deutschland, hungrig nach Geld, höheren Löhnen und Gehältern, denn das Niveau liegt immer noch deutlich unter dem in den alten EU-Ländern. Die Menschen sind also weiterhin motivierter, etwas in Polen zu erreichen.

Die Fragen stellten Henning Hoff und Sylke Tempel.

Bibliografische Angaben

IP Länderporträt Polen, März/April 2013, S. 54-56

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