Nach dem Weltklimagipfel von Montreal
Neue Hoffnung für die globale Klimapolitik?
Die Weltklimakonferenz in Montreal hat dem Kyoto-Protokoll neues Leben eingehaucht und die Weichen für die Zeit nach 2012 gestellt. Dann nämlich läuft die erste Etappe von Kyoto aus. In den folgenden Jahren geht es darum, sicherzustellen, dass die bisher beschlossenen Maßnahmen auch greifen und darüber hinaus ambitionierte Folgevereinbarungen getroffen werden. Vor allem gilt es, Anreize dafür zu schaffen, dass mehr Staaten als bisher eine aktive Klimapolitik betreiben.
Das Ergebnis der Weltklimakonferenz, die vom 28. November bis zum 10. Dezember 2005 im kanadischen Montreal stattfand, wurde von Teilnehmern wie Beobachtern als Erfolg gewertet und vielerorts mit Erleichterung aufgenommen. Auch wenn es wenig Anzeichen dafür gab, dass die klimatischen Extremereignisse des Jahres 2005 zu einem Umdenken geführt und die Verhandlungspositionen beeinflusst haben, dürfte kein Zweifel mehr daran bestehen, dass die Auswirkungen des Klimawandels schon heute zu spüren sind und dieses Politikfeld zu den drängendsten des 21. Jahrhundert gehört.1 Wie kaum ein anderer Bereich globaler Umweltpolitik ist das Klima in den vergangenen Jahren ins öffentliche Bewusstsein gerückt – und wie in kaum einem anderen fällt es der Staatengemeinschaft schwer, sich auf gemeinsame Bearbeitungsmodi zu verständigen. Erfreulich ist, dass die über 40 in Mont-real getroffenen Entscheidungen eine Stärkung des Kampfes gegen den globalen Klimawandel bedeuten und der Kyoto-Prozess endlich an Tempo gewinnt. So mögen zwar allzu euphorische Reaktionen unangemessen scheinen, dennoch konnte mit diesem positiven Ausgang einer der wichtigsten Klimakonferenzen überhaupt kaum gerechnet werden.
Das von nahezu 10 000 Teilnehmern besuchte Treffen war sowohl die elfte Vertragsstaatenkonferenz der 1992 verabschiedeten und praktisch von allen Staaten unterzeichneten Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC), gleichzeitig jedoch auch das erste Treffen der 155 Mitgliedsstaaten des Kyoto-Protokolls seit dessen Inkrafttreten. Jetzt liegt es an den Unterzeichnerstaaten, durch die Umsetzung getroffener Vereinbarungen und mögliche Ergänzungen das Protokoll zum operativen Rückgrat des Klimaregimes zu machen und über den allgemeinen Charakter der Rahmenkonvention hinauszugehen. Bekanntlich wurde nach der lange erwarteten und hart erkämpften Ratifizierung des Kyoto-Protokolls durch Russland am 16. Februar 2005 der Weg frei für verbindliche Reduktionsvorgaben für CO2-Emissionen und fünf weitere Treibhausgase. Das gilt zumindest für diejenigen Industriestaaten, die das Protokoll ratifiziert haben (so genannte Annex-I-Staaten).
Die Ergebnisse der Konferenz
Was genau wurde ganze acht Jahre nach Verabschiedung des Kyoto-Protokolls in Montreal verhandelt? Wie sah der viel zu lange verzögerte Neustart globaler Klimapolitik aus? Der Präsident der Konferenz, der kanadische Umweltminister Stéphane Dion, fokussierte die Aufmerksamkeit der Konferenzteilnehmer auf drei „I“, anhand derer auch hier die Ergebnisse von Montreal vorgestellt werden sollen: Implementierung, Verbesserung (Improvement) und Innovation. Mit dieser Agenda versuchte die kanadische Verhandlungsführung angesichts des beträchtlichen Arbeitspensums und erheblich divergierender Interessen einen erfolgreichen Verlauf zu sichern, im Wissen, dass bei weitem nicht alle Akteure erfolgreiche Verhandlungen anstrebten und viele den multilateralen Charakter des Kyoto-Protokolls ablehnen.
Implementierung
Das womöglich wichtigste Ziel von Montreal war es, neben Anpassungen innerhalb der Rahmenkonvention die Implementierung des Kyoto-Protokolls einzuleiten. Mit Erreichen der notwendigen Anzahl an Ratifikationen war das Protokoll zwar als rechtliches Instrument etabliert; ohne die ebenfalls notwendige formale Zustimmung der Unterzeichnerstaaten zu den bereits 2001 im marokkanischen Marrakesch ausgehandelten konkreten Bestimmungen (Marrakesh Accords) wäre ein Großteil seiner Schlagkraft jedoch verpufft. Die Einigungen hierüber gelangen erfreulich schnell, was auch ein Indiz dafür ist, dass die vom Kyoto-Protokoll gesetzten Anreize greifen und die Mitglieder des Protokolls an einem schnellen Arbeiten der Kyoto-Mechanismen interessiert sind.
Neben Fragen zur Überprüfung der Reduktionsverpflichtungen der Annex-I-Staaten2 ist hier vor allem der Emissionshandel zu nennen, wobei die Beschlüsse von Montreal genügend Vertrauen schaffen sollten, dass dieser nach und nach im weltweiten Maßstab aufgebaut werden kann. Derzeit durchläuft der Handel mit Emissionszertifikaten in Europa eine erste Testphase (2005 bis 2007), womit Europa als erstes die ursprüngliche Intention der USA umsetzt, marktbasierte Anreizsysteme großflächig zur Erreichung vorher festgesetzter Ziele zu nutzen.3 Um derartige Mechanismen zielgerichtet einsetzen zu können und unbeabsichtigte Nebeneffekte zu vermeiden, müssen einige Grundvoraussetzungen gegeben sein.
Doch bislang ist nicht nur offen, welche Emissionsobergrenze letztlich gesetzt werden soll bzw. kann, sondern auch, nach welchen Kriterien einzelnen Ländern Zertifikate, d.h. „Verschmutzungsrechte“, erteilt werden sollen. Im Kern geht es um die Frage, ob die gewachsenen Emissionsstrukturen zugrunde gelegt werden sollen (Grandfathering Principle), was die bereits entwickelten Industrienationen bevorteilen würde, oder ob eine weltweite Pro-Kopf-Verteilung angestrebt werden soll. Solche Fragen werden vor allem dann relevant, wenn ein Handel über den Kreis der Annex-I-Staaten hinaus auf die Agenda rückt.4
Neben Bestimmungen zu gemeinsamen Umsetzungsprojekten von Industriestaaten (Joint Implementation, JI) ist vor allem der Clean Development Mechanism (CDM) als dritte tragende Säule des Kyoto-Protokolls zu nennen. Dieser erlaubt es Industrienationen, eigenen Reduktionsverpflichtungen durch Maßnahmen zur Emissionsreduktion in Entwicklungsländern nachzukommen (weil es prinzipiell keinen Unterschied macht, an welchem Ort Treibhausgase verringert werden). Da mit dem CDM in der Regel ein Technologie- und Know-how-Transfer einhergeht, besitzt er zudem eine begrüßenswerte entwicklungspolitische Dimension. Neben diesen drei Säulen des Protokolls (Emissionshandel, JI und CDM) enthalten die Bestimmungen eine Fülle an Empfehlungen zu Effizienz- und Suffizienzmaßnahmen und umweltverträglichem Konsum. Auch Maßnahmen zum Ausbau erneuerbarer Energien sind hier zu nennen.
Improvement
Insbesondere die in den vergangenen Jahren verstärkte Hinwendung zu Anpassungsmaßnahmen (Adaptation) wurde in Montreal als Fortschritt des klimapolitischen Dialogs betrachtet. Als die Klimarahmenkonvention 1992 verabschiedet wurde, lag der Schwerpunkt noch deutlich auf Verminderungsvorgaben (Mitigation of Climate Change). Das hat sich in den letzten Jahren als zu optimistisch, zumindest aber als zu einseitig herausgestellt. Da die Folgen des Klimawandels schon heute zu spüren sind – insbesondere in den ärmsten Regionen der Welt –, sind geeignete Anpassungsmaßnahmen geboten, und zwar parallel zur Bekämpfung des Klimawandels, nicht als Ersatz dafür.5 Ein Fünfjahrearbeitsplan zum Thema „Anpassung“, der auf der zehnten Vertragsstaatenkonferenz ausgearbeitet wurde, konnte in Montreal verabschiedet werden und ist in den nächsten Monaten durch einen Adaptation-Fonds zu ergänzen.
Ebenfalls wurden Konkretisierungen und Vereinfachungen beim Clean Development Mechanism vorgenommen, die als Fortschritt anzusehen sind, auch wenn sie im Einzelnen nicht weit genug reichen mögen. Hervorzuheben ist beispielsweise die Stärkung des Exekutivausschusses des CDM, dessen Aufgabe es ist, Projekte zu unterstützen und zu überwachen. Die Fülle an Absichtserklärungen, diesen Mechanismus nutzen zu wollen, zeigt, dass es sich hierbei um einen Erfolg versprechenden Weg zum globalen Klimaschutz handelt, der auch die Potenziale privater Akteure einzubinden vermag.
Innovation
Die größte Herausforderung in Montreal bestand aber darin, einen Konsens darüber zu erzielen, welchen institutionellen Rahmen globale Klimapolitik nach 2012, d.h. nach dem Ende der ersten Kyoto-Periode, erhalten soll. Nicht nur das Kyoto-Protokoll selbst fordert dazu auf, im Jahr 2005 mit diesbezüglichen Überlegungen zu beginnen, sondern auch viele Stimmen aus Wissenschaft und Politik haben in den vergangenen Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass das Protokoll in seiner aktuellen Form keineswegs ausreichend sei und eine Folgevereinbarung deutlich über die bislang getroffenen Bestimmungen hinausgehen müsse.6 Wichtiger noch als ein Follow-up des Protokolls, das nur die gewillten Staaten und ein begrenztes Volumen klimaschädlicher Emissionen erfasst (etwa 20 Prozent), war das Signal der Staatengemeinschaft, globale Klimapolitik als einen langfristigen politischen Prozess zu verankern. Somit betrachteten viele als den größten Erfolg von Montreal, dass nicht nur eine Arbeitsgruppe zur Erstellung neuer Reduktionsziele der Annex-I-Staaten gegründet wurde, die ihre Arbeit schon im Mai dieses Jahres aufnehmen wird, sondern darüber hinaus ein offener, freilich weiterhin unverbindlicher Dialog über eine langfristige internationale Kooperation im Rahmen der Klimarahmenkonvention beschlossen wurde. Hierzu wurden eine Reihe von Workshops für die nächsten zwei Jahre ins Auge gefasst, in denen alle Mitglieder der Konvention, also auch die USA und so wichtige Entwicklungs- bzw. Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien, integriert sind. Das Ziel, zumindest aber die Hoffnung, von Staaten wie Deutschland ist es, dass sich durch diesen Dialogprozess nach 2012 eine breitere Basis an Staaten bereit findet, sich im Sinne des Kyoto-Protokolls auf Emissionsreduktionen zu verpflichten. Insofern spricht Bundesumweltminister Sigmar Gabriel auch davon, dass „Montreal das Signal für die Weiterentwicklung des Kyoto-Protokolls gegeben hat“.7
Eckpfeiler eines Kyoto-Folgeregimes
Die bloße Einigung, den globalen klimapolitischen Prozess in Gang zu halten, gewährleistet noch nicht, dass ein zukünftiges Abkommen in der Sache ambitioniert ist und den Herausforderungen gerecht wird. Wird die Staatengemeinschaft in der Lage sein, in den Jahren bis 2012 ein Kyoto-Folgeregime zu etablieren, das in seiner Wirkung noch einmal weit über die Vereinbarungen der ersten Periode hinausweist? Nach Montreal besteht vorsichtiger Optimismus dahingehend, dass die Zeiten der völligen Blockade vorbei sein könnten. Das liegt zum einen an den zügigen Verhandlungen zu den Marrakesh Accords, zum anderen an der Tatsache, dass die US-Regierung ihre starre Haltung aufgeben musste und zu (unverbindlichen) Folgevereinbarungen an den Verhandlungstisch zurückkehrte.
Zugleich ist jedoch zu bedenken, dass das insbesondere in Europa beliebte Ritual, die Politik der USA zu kritisieren und sich selbst als Vorreiterregion darzustellen, nicht sehr hilfreich und in großen Teilen auch unbegründet ist. So wird die EU (der 15) ihr Kyoto-Ziel, bis 2012 eine Reduktion um acht Prozent der Treibhausgase gegenüber dem Basisjahr 1990 zu erreichen, deutlich verfehlen. Auch Deutschland hat bislang das selbstgesetzte Ziel einer 21-prozentigen Reduktion nicht erreicht und verharrt seit Jahren bei gut 18 Prozent. Es ist eine weithin akzeptierte Auffassung, dass nur ein entschlossenes Handeln seitens der EU, das den großen Worten auch Taten folgen lässt, Entwicklungs- und Schwellenländer dazu bewegen wird, im Rahmen der Klimaverhandlungen zukünftig eigene Verpflichtungen einzugehen. Das ist sowohl aus normativen Gründen geboten – schließlich basiert ein großer Teil der Entwicklung Europas auf der Verbrennung fossiler Energieträger – als auch aus strategischen Überlegungen sinnvoll. Wenn sich zeigen lässt, dass die Technologieführerschaft im Bereich Energie eine Zukunftsbranche erschließt und im globalen Wettbewerb Vorteile verschafft, wird das viele Nachahmer zur Folge haben – so lautet ein immer wieder vorgetragenes Argument. Auch eine erfolgreiche Pilotphase des EU-Emissionshandels könnte zu besonders wichtigen „lessons learned“ werden, die ebenfalls weltweit Nachfolger animieren und den Handel mit Emissionszertifikaten im globalen Maßstab voranbringen würden.
Auch wenn bis 2008 kaum noch mit einer grundlegenden Änderung in der US-amerikanischen Klimapolitik gerechnet werden kann,8 sind die USA als weltweit größter Emittent (bis zu einem Drittel aller Treibhausgase gehen auf die USA zurück) und strategischer Partner, insbesondere für neue Technologien, unbedingt (wieder) ins globale Klimaregime einzubinden. Hier dürfte sich die transatlantische Partnerschaft zwischen den USA und der EU als vielversprechend erweisen, die allen aktuellen Verwerfungen zum Trotz auch in der Klimapolitik auf gemeinsamen Überzeugungen fußt, wie zum Beispiel der Nutzung marktbasierter Instrumente und des Einbezugs privater Akteure sowie der Notwendigkeit, die aufstrebenden Schwellenländer in ein Kyoto-Folgeregime einzubeziehen.9 Angesichts der neuen Entwicklungen im Rahmen der Asia-Pacific-Partnership, die in Bezug auf das Klimaproblem einen starken Fokus auf technische Entwicklungen legt und der unter anderem die USA, Australien, Indien und China angehören, dürfte Europa gut beraten sein, sich erneut als strategischer Partner der USA und der anderen genannten Staaten anzubieten. Die „Technologie-Option“ hat gewiss ihre Grenzen,10 und insbesondere die Möglichkeiten zur geologischen Speicherung von CO2 (Carbon Sequestration) müssen weiterhin kritisch untersucht werden. Dennoch ist dieser Pfeiler globaler Klimapolitik zukünftig weiter zu stärken, beispielsweise durch einen „europäisch-amerikanischen Motor“. Schließlich ist es geboten, die vielfältigen Aktivitäten auf der Ebene der US-Bundesstaaten zu verfolgen und, wo nötig und möglich, zu unterstützen. So haben beispielsweise verschiedene Bundesstaaten erklärt, das frühere Kyoto-Ziel der US-Regierung, eine Reduzierung um sieben Prozent vorzunehmen, selbst erfüllen zu wollen. Auf dieser subnationalen Ebene zeichnet sich also eine Reihe innovativer Entwicklungen ab, die partnerschaftlich ausgebaut werden könnten und deren Vertreter auch in Montreal präsent und aktiv waren.11
Um die vor uns liegende Herausforderung nochmals klar zu benennen: Selbst die (nicht mehr erreichbare) vollständige Umsetzung der ursprünglichen Bestimmungen des Kyoto-Protokolls, die auf eine Reduzierung der Treibhausgase um 5,4 Prozent gegenüber 1990 abzielen – die durch den Ausstieg der USA (und Australiens) de facto hinfällig geworden sind –, würde für sich genommen wenig zur Lösung des Klimaproblems beitragen. Mit den bisher verabschiedeten Bemühungen könnte die derzeit als Richtwert vorgegebene Obergrenze einer Erderwärmung um höchstens zwei Grad Celsius nicht eingehalten werden. Um diese Vorgabe nicht zu überschreiten, müssten die derzeitigen Treibhausgasemissionen bis 2050 ungefähr halbiert und durch schon heute notwendige Anpassungsmaßnahmen ergänzt werden, um in besonders gefährdeten Regionen, wie etwa Küstengebieten, Gefahren für die menschliche Sicherheit einzudämmen. Daraus folgt, dass fortan alle Anstrengungen darauf gerichtet sein müssen, die Basis der Länder zu verbreitern, die sich Reduktionsverpflichtungen unterwerfen. Insbesondere die Einbeziehung großer Schwellenländer wie China – schon heute der (absolut, nicht pro Kopf) weltweit zweitgrößte Emittent – und Indien ist hierzu geboten und muss bei den jetzt begonnenen Verhandlungen für die Zeit nach 2012 Priorität haben. Alles deutet darauf hin, dass der Einstieg dieser Länder in eine aktive Klimapolitik nicht gleich Reduktionsverpflichtungen zur Folge hat, sondern über langfristige Kooperationen führen wird, beispielsweise innerhalb von Technologiepartnerschaften, mit großen Potenzialen etwa in Fragen der Energieeffizienz und beim Aufbau von Technologien für die Nutzung erneuerbarer Energien. Diese könnten einen Lernprozess in Gang setzen und eine gegenseitige Vertrauensbasis schaffen, an deren Ende auch über rechtlich verbindliche Schritte nachgedacht werden kann. Die Einbindung aufstrebender Entwicklungsländer ist dabei nicht allein der Sache nach geboten (bis circa 2020 wird der weltweite Anstieg von Treibhausgasemissionen um bis zu 70 Prozent in diesen Ländern stattfinden), sondern würde auch den USA, aber auch Russland, entgegen kommen, die gegen die Nichteinbeziehung dieser Länder strategische Bedenken hegen.
Vor dem Hintergrund dieser Eckpfeiler eines Kyoto-Folgeregimes kommt es also darauf an, die in Montreal entstandenen Optionen zu nutzen. Jene Staaten, die sich bereits Reduktionsverpflichtungen auferlegt haben, müssen diesen Weg jetzt energisch weiter gehen und damit eine Vorbildfunktion übernehmen. Sie müssen demonstrieren, dass die Mechanismen von Kyoto die beabsichtigten Ergebnisse in einer Weise erbringen, die die teilnehmenden Länder im globalen Wettbewerb nicht schwächt, sondern ihre Volkswirtschaften im zentralen Bereich der Energiepolitik sogar stärkt. Das zu erreichen, ist auch vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um die Energiesicherheit von großer Bedeutung. Die in Mont-real beschlossenen Gespräche über langfristige Kooperationen in der globalen Klimapolitik sind ein Hoffnungsschimmer, dessen Potenzial mit genügend Nachdruck und diplomatischem Geschick realisiert werden muss. Hierbei gilt es, die genannten Kernstaaten eines zukünftigen Klimaregimes wieder stärker einzubinden, ohne das Tempo allein von Blockierern bestimmen zu lassen.
Das Klimaregime im Rahmen globaler Umwelt-Governance
Das Klimaproblem ist wegen seines genuin globalen Charakters wie kaum ein anderer Bereich ein Fall globaler Umweltpolitik – und repräsentiert auch deren gemeinhin attestierte geringe Effektivität in ernüchternder Art und Weise.12 Zum Schluss soll deshalb das Gesagte in den größeren Kontext globaler Umwelt-Governance eingeordnet werden. Dazu seien drei Merkmale genannt.
Nach der Euphorie der Rio-Konferenz (1992), die einen bis dato nicht gekannten Auftrieb für multilaterale Kooperationen zur Lösung globaler Umweltprobleme brachte, machte sich bald wieder Ernüchterung breit. Diese war in der schleppenden Implementierung der Beschlüsse von Rio begründet und erreichte ihren Höhepunkt kurz vor der Konferenz von Johannesburg für Nachhaltige Entwicklung (2002). Um den aktuellen Zustand globaler Umweltpolitik adäquat zu beschreiben, haben wir die Bezeichnung „Synchronizität der Realitäten“ eingeführt.13 Darunter verstehen wir, dass trotz der Aktivitäten blockierender Staaten und einer vielfach beschworenen Krise des Multilateralismus zwischenstaatliche Umweltabkommen (zum Beispiel die Klimarahmenkonvention) weiterhin bestehen. Zunehmend wird es aber auch „Koalitionen gewillter Staaten“ erlaubt, schnellere und tiefer greifende Entscheidungen zu treffen und umzusetzen. War diese Entwicklung vor Johannesburg noch vielerorts Anlass heftiger Kritik, zum Beispiel in Bezug auf die so genannten Typ-II-Abkommen, hat sich die „Politik der verschiedenen Geschwindigkeiten“ (two-track approach) seither durchaus als sinnvoll erwiesen. Dieses Vorgehen ist in Montreal in Bezug auf das Kyoto-Follow-up erneut zum Tragen gekommen. Unterschiedlichen Staaten wurden verschiedene Wege aufgezeigt. Diese Politik, dem Diktat des kleinsten gemeinsamen Nenners zu entkommen, muss in den Jahren bis 2012 durch eine Fülle projektbezogener Partnerschaften ergänzt werden, die im Rahmen des klima-politischen Gesamtprozesses Staaten wie China oder Indien näher an Bestimmungen eines Kyoto-Folgeregimes heranführen sollten.
Aktuelle Umweltpolitik hat darüber hinaus einen neuen Fokus erhalten, indem sie die Themen „Umwelt“ und „menschliche Sicherheit“ miteinander verknüpft. Angesichts sich verstärkender Umweltprobleme ist eine stetig wachsende Weltbevölkerung heute einer weitaus größeren Vulnerabilität ausgesetzt als jemals zuvor, mit dem globalen Klimawandel als einer der zentralen Gefahrenquellen. Auch wenn sich die Staatengemeinschaft nach wie vor schwer tut, sich auf durchgreifende Reformschritte, wie die konsequente Weiterentwicklung des Klimaregimes, politisch verbindlich zu verständigen, wird doch zunehmend klar, dass Umwelt, Ressourcenbedrohung und menschliche Sicherheit mittlerweile auf der Agenda internationaler Politik ganz oben rangieren und der Begriff kollektiver Sicherheit immer stärker von nichtmilitärischen Szenarien geprägt werden wird.14 Dieser Perspektivenwechsel und dessen Folgen sind für die Bemühungen innerhalb der Klimapolitik fruchtbar zu machen.
Schließlich sei ein letztes Merkmal gegenwärtiger globaler Umweltpolitik angeführt, das ebenfalls für die künftigen Klimaverhandlungen von Bedeutung sein wird. Seit sich der französische Staatspräsident Jacques Chirac 2003 offen für die Gründung einer United Nations Environment Organization (UNEO) ausgesprochen hat, ist diese Debatte, die lange Zeit eine primär akademische war, in den Prozess politischer Entscheidungsfindung eingedrungen. Ziel dieser Initiative ist es, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) signifikant aufzuwerten, mit dem Ziel, globaler Umweltpolitik innerhalb des UN-Systems eine stärkere Stimme zu verleihen.15 Das hoch fragmentierte Netzwerk globaler Umweltpolitik braucht ein Gravitationszentrum, das seinen Einzelregimen genügend Freiheit und Flexibilität lässt, problemspezifische Lösungen voran zu treiben, gleichzeitig aber vorhandene Synergien nutzt und potenzielle Regimekonflikte verhindert.16 Da der Klimawandel weitreichende Auswirkungen auf Mensch und Umwelt hat und die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen letztlich der allein geeignete Mechanismus für dessen gemeinschaftliche Bewältigung ist – worauf sich die Staatsoberhäupter auf dem eingangs erwähnten Weltgipfel 2005 geeinigt haben –, wird ein nachhaltiger Erfolg des Klimaregimes wesentlich von der Stärkung dieses zentralen Akteurs globaler Umweltpolitik abhängen.
Für wertvolle Hinweise bedanken sich die Autoren bei Alexander Ochs, Heike Schröder und Valery Detemmerman.
Dr. ANDREAS RECHKEMMER, geb. 1966, ist Exekutivdirektor des International Human Dimensions Programme on Global Environmental Change (IHDP).
FALK SCHMIDT, geb. 1975, promoviert im Themengebiet „Globale Umweltregime“ an der FU Berlin und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim IHDP.
- 1Der UN-Weltgipfel, der im September 2005 in New York tagte, hielt beispielsweise in seinem Abschlussdokument fest, dass der Klimawandel eine ernste und langanhaltende Bedrohung für potenziell alle Gebiete der Erde darstellt, der nur in gemeinsamer Kooperation begegnet werden kann. Vgl. dazu die Resolution A/RES/60/1 der UN-Generalversammlung, besonders die Paragraphen 50–55, zu finden beim Deutschen Übersetzungsdienst bei den Vereinten Nationen unter http://www.un.org/Depts/german/neue_dok/fs_neuedok.html. Dieses Dokument stellt das Zwischenergebnis einer weitreichenden UN-Reformdebatte dar.
- 2Das Earth Negotiations Bulletin schreibt hierzu in seiner Analyse, dass das Klimaregime jetzt über den elaboriertesten Befolgungsmechanismus aller multilateralen Umweltabkommen verfügt. Vgl. dazu http://www.iisd.ca/download/pdf/enb12291e.pdf, S. 19.
- 3Vgl. hierzu allgemein Sebastian Oberthür und Hermann E. Ott: Das Kyoto-Protokoll. Internationale Klimapolitik für das 21. Jahrhundert, Opladen 2000.
- 4Vgl. dazu etwa Friedemann Müller: Rückenwind für die Klimapolitik, SWP-Aktuell 55, Dezember 2004, Berlin, S. 2ff.
- 5Vgl. dazu etwa die Pressemitteilung von UNEP, 24. November 2005, UN Climate Change Conference in Montreal: Creating a Climate of Cooperation, abrufbar unter http://www.unep.org/Documents.Multilingual/Default.Print.asp?DocumentID….
- 6Vgl. dazu Friedemann Müller: Kyoto-Protokoll ohne USA – wie weiter?, SWP-Studie, Berlin 2003; Oran R. Young: Wir müssen uns an den Klimawandel anpassen, Interview, Neues Deutschland, 17.10.2005; Bernd Brouns und Hermann E. Ott: Taking the Lead: Post-2012 Climate Targets for the North, Wuppertal Papers Nr. 155, November 2005.
- 7BMU Pressemitteilung 310/05 vom 12. Dezember 2005: Klimakonferenz Ansporn und Verpflichtung für Vorreiter-Rolle Deutschlands im Klimaschutz.
- 8Symptomatisch dafür war auch das Verhalten der Bush-Regierung, die lange Zeit mit allen Mitteln versuchte, den symbolischen Auftritt Bill Clintons – in dessen Amtszeit die USA das Kyoto-Protokoll mit ausgehandelt hatten – in Montreal zu verhindern.
- 9Vgl. Alexander Ochs: Reviving Transatlantic Cooperation towards a Global Threat, SWP-Konferenz-Papier, Berlin 2003. Siehe auch The International Network to Advance Climate Talks (INTACT), das sich der Förderung des transatlantischen Klima-Dialogs verschrieben hat, unter http://www.intact-climate.org.
- 10Vgl. hierzu das Papier von Udo E. Simonis, der an die Potenziale der „Naturoption“ erinnert: Energieoption und Waldoption – der technische und der natürliche Weg zum Internationalen Klimaschutz, WZB-Diskussionspapier, Berlin 2004.
- 11So auch der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seiner Presseerklärung Kleiner Hoffnungsschimmer aus Montreal – nun Blockaden überwinden, Berlin 10.12.2005. Vgl. zum Thema auch den Beitrag von Heike Schröder im Annual Report 2003–2004 des International Human Dimensions Programme on Global Environmental Change (IHDP), Bonn 2004, S. 17 f.
- 12Es ist leicht einsehbar, dass ein derart tief in die Wirkungszusammenhänge der Mitgliedsstaaten eingreifendes Regime schwerer zu implementieren ist als Vereinbarungen zum Schutz der Ozonschicht, die den Fokus auf wenige, relativ leicht zu substituierende Gefahrenstoffe legen.
- 13Vgl. dazu Andreas Rechkemmer und Falk Schmidt: Neue globale Umweltpolitik. Die Bedeutung der UN-Reform für eine nachhaltige Wasser- und Waldpolitik, Berlin 2006, besonders Kapitel 1–3.
- 14Vgl. Hans Günter Brauch: Threats, Challenges, Vulnerabilities and Risks in Environmental and Human Security (UNU-EHS SOURCE No. 1), Bonn 2005, sowie die Websites des United Nations University Institute for Environment and Human Security (UNU-EHS) www.ehs.unu.edu und des International Human Dimensions Programme (IHDP) www.ihdp.org.
- 15 Vgl. dazu Rechkemmer und Schmidt (Anm. 13), sowie Andreas Rechkemmer (Hrsg.): UNEO – Towards an International Environment Organization. Approaches to a sustainable reform of global environmental governance, Baden-Baden 2005. Vgl. auch das so genannte „Cartagena-Paket“, das bis zu einem möglichen Erfolg der UNEO-Initiative den Referenzpunkt für die Bemühungen der UN-Mitgliedsstaaten darstellt: UNEP/GCSS/VII/1.
- 16Wenn beispielsweise die Wald-Option im Rahmen des Klimaregimes stärker verfolgt werden soll, müssen negative Effekte auf Biodiversität oder den Wasserhaushalt betroffener Gebiete vermieden werden – Probleme, die im Rahmen plantagenartiger Aufforstung heute noch bestehen.
Internationale Politik 2, Februar 2006, S. 64 - 71