Titelthema

29. Aug. 2022

Mehr Frieden für eine fragile Welt

Um internationale Konflikte und Krisen im Ansatz zu erkennen, zu verhindern oder zu lindern, engagiert sich Deutschland seit Jahrzehnten. Wie sieht das konkret aus? Einblicke in die Arbeit des Auswärtigen Amtes.

 

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Bild: Reispflanzer in Nigeria
Wenn der Klimawandel Konflikte befeuert: In Nigeria 
bedrohen Auseinandersetzungen zwischen Ackerbauern und nomadischen Viehhirten die Stabilität. Bild: Reispflanzer in Suru/Nigeria.
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Eine „Zeitenwende“ hat es Bundeskanzler Olaf Scholz genannt: Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wird nicht nur für die NATO, die europäische und die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik Folgen haben – für grundlegende Strategien und für unsere Fähigkeiten und Instrumente. Der Krieg verändert auch – zumal in Deutschland – den Blick auf die eigene Sicherheit und die Betroffenheit von Konflikten. Der Krieg weckt Ängste und Erinnerungen, die in Europa als überwunden galten, während unmittelbare Kriegs- und Konflikterfahrung für viele Menschen in anderen Teilen der Welt grausamer Alltag sind.



Umfassender Blick auf Sicherheit

Die Fragen nach den politischen und praktischen Folgen des russischen Krieges gegen die Ukraine prägen auch die Diskussion um die Nationale Sicherheitsstrategie in Deutschland, an der die Bundesregierung derzeit unter Federführung des Auswärtigen Amtes (AA) arbeitet.



Geleitet von der Erkenntnis, dass Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas und als Land mit erheblichem außenpolitischen Einfluss eine stärkere außen- und sicherheitspolitische Diskussionskultur und einen klareren Fokus auf Fragen strategischer Sicherheit und entsprechende Antworten braucht, hat sich die Bundesregierung 2021 im Koalitionsvertrag – und bereits vor Beginn des Krieges gegen die Ukraine – vorgenommen, eine Nationale Sicherheitsstrategie zu erarbeiten. Diese soll und wird nicht nur eine Reaktion auf den Krieg sein, sondern eine umfassende Bestandsaufnahme der sicherheitspolitischen Situation. Sie wird, wie Außenministerin Annalena Baerbock es in ihrer Rede zur Sicherheitsstrategie am 18. März 2022 angekündigt hat, Aussagen treffen zu unserer Haltung, unserer Handlungsfähigkeit und unseren außenpolitischen Instrumenten.



Der Prozess zu dieser Strategie bietet die Gelegenheit, auch in der deutschen Öffentlichkeit und Gesellschaft verstärkt über Fragen von Frieden und Sicherheit zu diskutieren. Hierzu werden Annalena Baerbock und andere Mitglieder der Regierung auch weiterhin das direkte Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern suchen.



Die Nationale Sicherheitsstrategie hat einen umfassenden Blick auf Sicherheit: Alle für Frieden und Sicherheit relevanten Fragen sollen Thema sein, und alle dafür zuständigen Ressorts tragen zur Erarbeitung der Strategie bei. Im Zentrum stehen menschliche Sicherheit und die Sicherheit des Individuums. Dies ist auch und gerade für die Außen- und Sicherheitspolitik entscheidend, wo es darauf ankommen wird, einen breiten und umfassenden Sicherheitsbegriff zugrunde zu legen.



Damit rücken neben Instrumenten militärischer „harter“ Sicherheit die Instrumente zivilen Krisenengagements und präventiven Handelns in den Fokus, mit denen Deutschland umfassende Erfahrungen in Krisen und Konflikten in fragilen Regionen dieser Welt hat – Erfahrungen, die unser außenpolitisches Handeln und Denken prägen und aus denen sich politische und operative Schlussfolgerungen ziehen lassen.



Die Gründung der Abteilung S

Diese über viele Jahre gesammelten Erfahrungen haben bereits in Konzeptionen und strukturellen Entscheidungen Niederschlag gefunden. 2017 hat sich die Bundesregierung mit den Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ ein umfassendes Konzept und ein Kompendium an Aufgaben gegeben, die kontinuierlich bearbeitet werden und deren Umsetzung immer wieder überprüft wird. Deshalb haben wir 2021 einen umfangreichen Bericht zur Umsetzung dieser Leitlinien herausgegeben und dabei neue Akzente gesetzt. So wollen wir die Rolle der Europäischen Union bei der Bewältigung von Krisen stärken, Krisenfrüherkennung und Krisenprävention besser verzahnen, Klimakrise und Sicherheitsfragen zusammendenken und die Erfahrungen aus der Covid-19-Pandemie für den Umgang mit Gesundheitsrisiken auswerten.



Auch strukturell hat die Bundesregierung ihr Instrumentarium kontinuierlich geschärft. Das Auswärtige Amt hat nach einem intensiven Review-Prozess in der vergangenen Dekade das Wissen und Handeln zum Umgang mit Krisen und bewaffneten Konflikten in einer Abteilung gebündelt. Krisenprävention, Stabilisierung, Friedensförderung, Ertüchtigung und humanitäre Hilfe werden seit 2015 in der Abteilung S (für Stabilisierung) verantwortet.



Die Zusammenführung von finanziellen Mitteln und Strukturen für ziviles Krisenengagement hat zu mehr Wissen, intensiverem Arbeiten und gezielterem Engagement für die Lösung von Konflikten und Krisen geführt. Daraus ergeben sich immer wieder Erkenntnisse über erfolgversprechende Methoden und Instrumente, die uns helfen, uns weltweit früher, entschiedener und substanzieller bei der Vermeidung und Bewältigung von Krisen und Konflikten zu engagieren. Das können wir, das wird von uns erwartet, und das liegt im deutschen Interesse.



Einsatz mit Erfolg

Ein Beispiel für geglücktes deutsches Stabilisierungsengagement ist der Irak: Im Jahr 2014 kam es im Distrikt Sindjar durch den „Islamischen Staat“ (IS) zu grausamen Verbrechen an den dort lebenden Jesiden.



Die Welt blickte mit Entsetzen auf den brutalen Krieg, auf Massaker, Vergewaltigungen und Versklavungen von Mädchen und Frauen. Der IS wurde zur Bedrohung für die Stabilität des Irak und der gesamten Region. Zur Bekämpfung waren militärische Maßnahmen erforderlich; Deutschland unterstützte etwa die Peschmerga mit Waffen und übernahm im Rahmen der internationalen Koalition gegen den IS eine Führungsrolle für Stabilisierung. Im Mai 2017 konnten wichtige Teile der Region vom IS befreit werden. Seit 2019 werden Massengräber rund um das Dorf durch UN-Ermittler exhumiert.



Deutschland half von Anfang an mit Maßnahmen, die die rasche Rückkehr von Binnenflüchtlingen ermöglichten und der Aufarbeitung der IS-Verbrechen dienten. So unterstützen wir die Economic ­Crimes Unit der UNITAD, dem UN-Untersuchungsteam zur Aufklärung der durch den IS begangenen Verbrechen, dabei, Beweismittel zu sichern, die die Grausamkeiten der Dschihadistenmiliz belegen und eine juristische Aufarbeitung ermöglichen.



Schutt, Minen, Sprengfallen

Die gravierendsten physischen Hindernisse, die der Rückkehr von Vertriebenen in ehemals umkämpfte Gebiete entgegenstehen, sind Schutt, Minen und versteckte Sprengfallen. Deutschland hilft bei ihrer Beseitigung. Ein wichtiger Partner dabei ist UNMAS, der UN-Minenaktionsdienst, der allein in den Jahren 2017 bis 2021 vom Auswärtigen Amt 38 Millionen Euro für seine Projekte erhielt. Deutschland setzt dabei auf nachhaltige Unterstützung, deshalb werden die Menschen in den betroffenen Gebieten dafür ausgebildet, Kampfmittel eigenständig zu räumen.



Dank einer Förderung durch die International Commission for Missing Persons (ICMP), einer Organisation, die sich um Vermisste nach Kriegen, Katastrophen und Konflikten bemüht, haben wir im vergangenen Jahr Projekte unterstützt, die den Opfern bei der emotionalen Verarbeitung der Verbrechen helfen. So konnten Jesidinnen und Jesiden, die in Deutschland lebten, die Überführung und Beisetzung der sterblichen Überreste ihrer Verwandten begleiten und an der Beisetzung vor Ort teilnehmen. Auch wenn die Schreckensherrschaft des IS inzwischen weitgehend gebrochen ist, benötigen die Aufarbeitung der Verbrechen und der Wiederaufbau noch Jahre. Deutschland wird dies auch in Zukunft unterstützen. Konkrete Projekterfahrungen wie aus dem Irak können perspektivisch auch in anderen Ländern von Bedeutung sein, möglicherweise auch in der Ukraine.



Zurückgenommene Rolle

Im Sahel kommt ein weiteres im Irak erprobtes Instrument zum Einsatz: die Stabilisierungsfazilitäten. Das sind multilaterale Fonds, in die verschiedene Partnerländer Geld einzahlen. Der Erfolg so realisierter Projekte geht ausschließlich auf das Konto der lokalen Partner. In dieser zurückgenommenen Rolle engagiert sich die deutsche Außenpolitik seit Jahren, um das Vertrauen der Menschen in die eigenen Staaten zu stärken und so ihr Leben sicherer zu machen.



So auch in der westafrikanischen Tschadsee-Region: An der Grenze zwischen Nigeria und Kamerun war aufgrund der Überfälle der Terrororganisation Boko Haram die Sicherheitslage so angespannt, dass seit 2014 die Grenzen geschlossen waren. Das hatte verheerende Folgen für die Versorgung der Bevölkerung und ließ den humanitären Bedarf sprunghaft ­wachsen. Die vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen UNDP verwaltete und vom AA mitfinanzierte Tschadsee-Fazilität führt seit 2019 Maßnahmen in der Grenz­region durch, die staatliche Strukturen und Grunddienstleistungen zurück­brachten und damit auch die Öffnung des Grenz­übergangs ermöglichten.



Schmerzhafter Abzug

Im August 2021 wurde in dramatischen Bildern aus Afghanistan deutlich, dass die vermeintlichen Erfolge des 20-jährigen internationalen Einsatzes am Hindukusch in wenigen Tagen zunichte gemacht waren. Die Bilder aus Kabul schockierten und befeuerten die Diskussion über die Gründe der dramatischen Entwicklungen.



Trotz der Kombination aus langfristiger militärischer Mission und umfänglichen finanziellen und zivilen Mitteln für Staatsaufbau und Unterstützung der Zivilgesellschaft ist es im Rahmen des Einsatzes nicht gelungen, dauerhafte Stabilität zu schaffen. Die Erfahrungen aus Afghanistan, die zahlreiche Menschen im Auswärtigen Amt, in anderen Ministerien, in der Bundeswehr, in der deutschen Zivilgesellschaft und in Durchführungsorganisationen gesammelt haben, gilt es jetzt aufzuarbeiten und die richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen.



Das Auswärtige Amt, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluieren nun gemeinsam im Rahmen einer bereits im November 2020 beschlossenen Auswertung die zivile Komponente des Afghanistan-Einsatzes. Diese Evaluierung befindet sich momentan in der Analysephase und wird vom Bundesministerium der Verteidigung mit Blick auf die Schnittstellen zwischen militärischer und ziviler Zusammenarbeit begleitet; wir rechnen im kommenden Jahr mit Ergebnissen. Daraus werden wir dann Lehren nicht nur für unser künftiges Engagement in Afghanistan ziehen, sondern auch für andere Krisenregionen.



 Ohne den Ergebnissen vorzugreifen, mag eine der Lehren sein, dass weder sozio­ökonomische Fortschritte noch militärischer Einsatz allein Frieden und Stabilität bringen. Entscheidend ist der politische Wille im Land selbst, zu nachhaltigen Lösungen zu gelangen. Es bedarf politischer Prozesse, die von regionalen oder internationalen Partnern gestützt werden können, aber letztlich ­müssen diese im und vom Land selbst getragen werden.

Das internationale Engagement in Af­ghanistan hat nicht dazu geführt, dass die damalige afghanische Regierung in den Augen der eigenen Bevölkerung dauerhaft als legitim angesehen wurde. Damit wurde ein zentrales Ziel von Stabilisierung nicht erreicht. Um Stabilität zu schaffen, ist es unerlässlich, politische Prozesse in der betroffenen Region ins Zentrum der Bemühungen zu stellen. Zugleich ist für ein erfolgreiches Engagement – und für die Kommunikation – wichtig: Die Ziele ziviler, militärischer und entwicklungspolitischer Einsätze müssen klar definiert und Risiken ehrlich benannt werden. Das Risiko des Scheiterns muss offen ausgesprochen werden.



Was nach dem Krieg zu tun bleibt

Erfahrungen von Erfolg und Misserfolg, von gelungener Krisenprävention und Friedensförderung wie von Entwicklungen, wo unsere Instrumente zu kurz gegriffen haben – all dies wird in die Nationale Sicherheitsstrategie und selbstverständlich auch in die konkrete Arbeit an künftigen Herausforderungen einfließen.



Zu diesen Aufgaben und Herausforderungen gehören zweifellos die fortlaufende Unterstützung für die Ukraine, die Bewältigung der globalen humanitären und politischen Folgen des Krieges gegen die Ukraine und die sich verstärkenden Auswirkungen des Klimawandels.

Mit Beginn des russischen Angriffs hat Deutschland die Ukraine und die betroffenen Menschen auf vielfältige Art unterstützt, in enger Abstimmung und nach dem Bedarf des Landes selbst – darunter mit schneller humanitärer Versorgung, Aufnahme von Flüchtenden, Unterstützung von Militär und Sicherheitskräften mit Waffen und anderem Material sowie Hilfe beim Katastrophenschutz.



Neben der andauernden politischen Unterstützung für die Ukraine geht es nun weiter um schnelle und praktische Hilfe zur Stabilisierung von Gebieten, die durch den Krieg betroffen sind, und perspektivisch um Investitionen in den Wiederaufbau.



Bei der zivilen Unterstützung, die das Auswärtige Amt für die Ukraine leistet, schauen wir unter anderem auf Fragen der Resilienz ukrainischer Strukturen, auf Hilfe für frontnahe Gemeinden nach der Befreiung von russischen Truppen und auf erste Instandsetzungen, das Aufräumen von Schutt, das Entschärfen von Minen, die rasche Wiedereröffnung von Schulen, die Unterstützung der Zivilgesellschaft und die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen.



Neben der Versorgung mit humanitärer Hilfe für unmittelbar notleidende Teile der Bevölkerung unterstützen wir solche ersten Schritte, um Gewalt und Zerstörung zu überwinden und stabilere Verhältnisse für grundlegenderen Wiederaufbau in der Folge zu schaffen. Wir tun das zum einen bilateral, und wir sorgen zugleich mit einer eigenen Struktur für enge Koordinierung zwischen der Ukraine, der EU und weiteren Staaten, um internationale Unterstützung effizient zusammenzubringen.



Ein solcher integrierter Stabilisierungsansatz kann auf Erfahrungen aufbauen, die in anderen Kontexten erprobt wurden, etwa im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Auch wenn die Verhältnisse sich stark ­unterscheiden – Konfliktexpertise aus anderen Ländern und Regionen der Welt wie Syrien, dem Sahel, Afghanistan, dem Irak, Libyen oder dem Jemen hilft, während des Konflikts selbst oder rasch nach dessen Ende konkret zu handeln, um positive Veränderungen anzustoßen.



Hurrikan des Hungers

Der Krieg gegen die Ukraine hat nicht nur dort verheerende Auswirkungen, sondern lässt auch weltweit die Anzahl derer steigen, die Hunger leiden, weil Nahrungsmittelexporte aus der Ukraine fehlen, Energie- und Nahrungspreise steigen und die Verschuldung von Staaten und Menschen wächst. Am Horn von Afrika, im Sahel, in der MENA-Region und in anderen Teilen der Welt werden nach Prognosen der UN-Ernährungsorganisation dieses Jahr bis zu 345 Millionen Menschen von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sein.



Nach den Folgen der andauernden ­Covid-19-Pandemie, extremen Wetterereignissen und bewaffneten Konflikten ist nun der Angriffskrieg Russlands ein weiterer Treiber für menschliche Not, humanitären Bedarf und ein potenzieller Faktor für politische Instabilität und staatliche Fragilität. Denn steigende Nahrungspreise, Nahrungsmittelknappheit und Unzufriedenheit mit der sozialen und ökonomischen Situation können ein explosives Gemisch ergeben.



Befeuert durch das bewusste Verdrehen von Tatsachen und geschickt inszenierte Desinformationskampagnen besteht zudem die Gefahr, dass Ursache und Wirkung und die tatsächliche Verantwortung für die Krisen, nämlich der russische Angriff auf die Ukraine als eine Kornkammer der Welt, aus dem Blick geraten.



Deutschland – im Jahr 2022 auch in der Rolle des Vorsitzes der G7-Staaten – hat sich vorgenommen, auch den globalen Folgen des Krieges starkes Engagement und klare politische Signale entgegenzustellen. Wir haben das Thema der drohenden Ernährungskrise frühzeitig auf die Agenda der hochrangigen politischen Treffen im Rahmen der G7 gesetzt. Wir unterstützen die von UN-Generalsekretär António Guterres im März 2022 eingesetzte „Global Crisis Response Group on Food, Energy and Finance“, die globale Lösungen auch unter Einbeziehung des Privatsektors und der Zivilgesellschaft sucht.



Die Bundesregierung hat erhebliche zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, um über humanitäre Hilfe sowie mittel- und langfristige Entwicklungszusammenarbeit die drohende Krise frühzeitig und praktisch zu bekämpfen. Im Rahmen der EU, in multilateralen Formaten wie G20 und in internationalen Finanzinstitutionen setzen wir uns dafür ein, strukturelle Lösungen etwa in der Landwirtschaft und im Handel zu suchen, um besonders betroffene Staaten nachhaltiger wirtschaften zu lassen und weniger import­abhängig zu machen. Gemeinsam mit der Weltbank hat die Bundesregierung im Mai 2022 die sogenannte „Global Alliance for Food Security“ (GAFS) initiiert, die in diesem Sinne für eine nachhaltige Änderung von Strukturen arbeiten soll.



Faktor Klimawandel

Klima- und Energiepolitik werden immer stärker Teil von Außen- und Sicherheitspolitik. Laut Bericht des Weltklimarats von Anfang 2022 leben bis zu 3,6 Milliarden Menschen in Regionen, die sehr anfällig für Auswirkungen des Klimawandels sind. Von den 20 am stärksten vom Klimawandel bedrohten Staaten sind fast zwei Drittel zugleich von bewaffneten Konflikten betroffen. Auswirkungen des Klimawandels können sich auch direkt in politischen Konflikten niederschlagen; der Umgang mit Klimafolgen wird daher in wachsendem Maße zu einer wichtigen Aufgabe für ein präventives, integriertes Friedensengagement.



In Nigeria zählen beispielsweise Konflikte zwischen Ackerbauern und nomadischen Viehhirten seit einigen Jahren zu den großen Bedrohungen für Frieden und Stabilität. Da sich durch den Klimawandel die landwirtschaftlich nutzbare Fläche verringert, steigt die Konkurrenz zwischen Bauern und Hirten. Die gewaltsame Austragung des Konflikts führt wiederum zu Umweltzerstörungen und verhindert, dass sich die Gemeinschaften an die veränderten Klimabedingungen anpassen. Ein Schlüsselelement für Lösungen in den vielschichtigen Konflikten in Nigeria ist somit auch die Frage, wie lokale Gemeinschaften einen Weg zu gemeinsamer, friedlicher Nutzung von Land und anderen natürlichen Ressourcen finden können.



Um solche Spiralen aus Umweltzerstörung und Gewalt zu durchbrechen, unterstützt das Auswärtige Amt Bemühungen, Vereinbarungen zur Teilung von Ressourcen zwischen lokalen Gemeinschaften zu entwickeln. Anfang 2022 konnte – unterstützt durch ein Projekt unseres Media­tionsteams – ein erstes solches Abkommen vermittelt und unterzeichnet werden. Auf diesem Erfolg wollen wir für weitere Abkommen aufbauen.



Mehr Mittel für ziviles Engagement

Das beschriebene Krisenengagement erfordert Ressourcen. Das AA und andere Teile der Bundesregierung können sich nur dann wirkungsvoll und substanziell engagieren, wenn personelle und finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Deutschland ist in der humanitären Hilfe, bei der Friedensförderung und in der Entwicklungszusammenarbeit einer der größten Geber weltweit. Das ist nur durch die Unterstützung des Deutschen Bundestags möglich, der durch die Bewilligung des Haushalts unser Engagement ermöglicht. Mit dem Mittelaufwuchs im Jahr 2022 unterstreicht der Bundestag sein Bestreben, dass Deutschland in globalen Krisen handlungsfähig bleibt.



In der Folge des Krieges gegen die Ukraine wurde nicht nur die Finanzausstattung der Bundeswehr deutlich erhöht. Zugleich hat der Bundestag auch die Mittel für ziviles Engagement in der Krisenprävention und für die humanitäre Hilfe im Haushalt 2022 aufgestockt. Dadurch stellen wir sicher, dass trotz des verstärkten Engagements für die Ukraine Mittel zur Bewältigung der globalen Kriegsfolgen und anderer Krisen vorhanden sind.



Zweitgrößter humanitärer Geber

In den vergangen zehn Jahren sind die Mittel für die humanitäre Hilfe etwa um das Zehnfache auf heute 2,7 Milliarden Euro gestiegen. Deutschland ist damit weltweit der zweitgrößte Geber humanitärer Hilfe. Im Jahr 2022 umfassen die Mittel für Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung 555 Millionen Euro.



Daneben verfügt das Auswärtige Amt über Mittel, mit denen Beratung, Ausbildung und Ausstattung von Sicherheitskräften anderer Staaten gefördert werden. Gemeinsam mit dem Bundesministerium der Verteidigung verantwortet das Auswärtige Amt den Einsatz solcher Ertüchtigungsmaßnahmen. Diese Mittel wurden aufgrund des Ukraine-Krieges für 2022 auf insgesamt zwei Milliarden Euro angehoben.



Die Bandbreite der geschilderten Projekte und Herausforderungen spiegelt wider, mit welcher faktischen und politischen Komplexität sich das Friedens­engagement des Auswärtigen Amtes täglich beschäftigt. Allen Instrumenten, die wir zum Einsatz bringen, und allem Engagement, ob Krisenprävention, Stabilisierungsmaßnahmen oder Mediation, liegt immer das gleiche Ziel zugrunde: den Boden für friedlichen Interessenausgleich zu bereiten, Konflikte zu bewältigen und letztlich Frieden zu schaffen.



Integriertes Friedensengagement ist zugleich Ausdruck der Übernahme von Verantwortung durch deutsche Außenpolitik in der Welt und des Engagements für die eigene Sicherheit. Denn es liegt in unserem eigenen deutschen Interesse, Konflikte und Instabilität in anderen Teilen der Welt zu bekämpfen, die so häufig Auswirkungen auf unsere eigene Sicherheit haben. Daran arbeitet die deutsche Diplomatie, oft wenig sichtbar, aber kontinuierlich. Die hohe Bedeutung von Krisenprävention und Konfliktbewältigung wird deshalb auch Ausdruck finden in der Formulierung der Nationalen Sicherheitsstrategie.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special 5, September 2022, S. 16-23

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Deike Potzel ist Leiterin der Abteilung Stabilisierung im Auswärtigen Amt.