Komplizierter als gedacht
Eine deutsche KI-Strategie darf nicht einfach auf Programme zur Forschungsförderung hinauslaufen, sondern sollte auf den Aufbau eines europäisch eingebundenen Ökosystems zielen. Auch der deutschen Außenpolitik wachsen neue Aufgaben zu: bei der Ächtung autonomer Waffen und dem Kampf gegen den repressiven Einsatz von KI-Technologie.
Frankreich hat bereits eine nationale KI-Strategie verabschiedet, die Europäische Union kündigte Ende April strategische Maßnahmenpakete zur KI-Förderung an. Deutschland dagegen steht bei den politischen Planungen erst am Anfang. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung war ursprünglich beauftragt, bis zum Herbst 2018 eine nationale KI-Strategie auszuarbeiten. Dieser Termin wurde mittlerweile nach hinten korrigiert, auf Dezember. Es ist also komplizierter als gedacht.
Bislang deutet alles darauf hin, dass mehrheitlich bundesweit ausgerichtete Programme zur Forschungsförderung den Mittelpunkt der deutschen KI-Strategie bilden werden. Das allerdings lässt außer Acht, dass im Gegensatz zum Nuklearzeitalter KI-Spitzenforschung sich nicht mehr ausschließlich im staatlichen Einflussbereich, in Universitäten und beim Militär vollzieht, sondern vor allem an Forschungszentren global operierender Technologiekonzerne – mit Hauptsitz entweder in den USA oder in China. Diese Unternehmen verfügen über die relevanten Zutaten für die Entwicklung von KI: Talentpool mit Fachexpertise, Daten und Hardware. Zugleich löst sich die Unterscheidung von Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung auf. Vielmehr verläuft sie parallel zur Entwicklung neuer Produkte und Geschäftsmodelle. Und zivil gewonnene Erkenntnisse lassen sich leicht ins Militärische transferieren.
Eine deutsche KI-Strategie sollte sich daher nicht nur auf die Erforschung einzelner Technologien fokussieren, sondern darauf abzielen, den Aufbau und die Förderung eines starken, international wettbewerbsfähigen KI-Ökosystems hervorzubringen. Das bedeutet: einen Nährboden zu schaffen, der sowohl die Entwicklung von KI-Technologie fördert, aber auch einen Technologietransfer in den weiteren Wirtschaftskreislauf ermöglicht. Dazu müssen enge Netzwerke entstehen, die einen Austausch zwischen Forschern, Entwicklern, Investoren, Universitäten und Start-ups unterstützen. Das erfordert Maßnahmenpakete in verschiedenen Politikbereichen – von der Erhöhung der Forschungsausgaben für KI über Konzepte zum Pooling von Daten, strategischer Investitionen in Chiptechnologie oder staatlich geförderter KI-Labore, die den Mittelstand beim Übergang in die nächste Stufe der Digitalisierung unterstützen.
Aber ein rein deutsches KI-Ökosystem ist zu klein gedacht. Im internationalen Wettbewerb mit China und den USA kann Deutschland nur mit einem europäischen Ansatz bestehen. Dieser sollte die unterschiedlichen Anstrengungen der EU-Mitgliedstaaten bei der KI-Entwicklung bündeln und den gemeinsamen digitalen Binnenmarkt derart gestalten, dass er imstande ist, KI-basierte Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Bis die strategischen Ziele der EU formuliert und implementiert sind, vergeht erfahrungsgemäß viel Zeit. Daher sollten zunächst Deutschland und Frankreich enger kooperieren – und Berlin könnte sich einiges vom KI-Cluster abschauen, das derzeit in und um Paris entsteht.
KI als außenpolitische Aufgabe
Hinzu kommt die außenpolitische Dimension. Die USA, China, aber auch Russland verfolgen mit ihren expliziten oder impliziten KI-Strategien auch dezidiert militärstrategische Ziele – und damit ganz unterschiedliche Interessen bei der Verschmelzung von KI und offensiven sowie defensiven Waffensystemen. Diese Verhaltensweisen lassen sich im Rahmen der Gespräche bei den Vereinten Nationen in Genf über ein Verbot autonomer Waffensysteme (Lethal Autonomous Weapon Systems, kurz: LAWS) beobachten, im Rahmen der UN-Waffenkonvention über „Certain Conventional Weapons“. Die USA versuchen ihre militärische Vormachtstellung mithilfe von KI aufrechtzuerhalten und haben bereits angekündigt, sich keinem Verbotsregime unterwerfen zu wollen. China versucht, KI-Technologie im militärischen Bereich dafür einzusetzen, die amerikanische Vormachtstellung herauszufordern.
Den großen Militärmächten steht die Allianz der Blockfreien Staaten gegenüber. Diese sprechen sich für ein sofortiges, präventives Verbot der weiteren Entwicklung von LAWS aus. Unterstützt werden sie durch eine Reihe wirkmächtiger NGOs – z.B. Campaign to Stop Killer Robots – sowie durch einflussreiche Wissenschaftler, die in offenen Briefen an die Vereinten Nationen für ein präventives Verbot von „Killerrobotern“ plädieren. Deutschland vermittelt zusammen mit Frankreich zwischen diesen Polen. Beide Staaten sprechen sich für ein Verbot von LAWS aus und versuchen, dieses Ziel über einen stufenweisen Verhandlungsprozess zu erreichen, bislang ohne Erfolg. Mehr noch: Es ist zu erwarten, dass der Prozess in Genf – der Einstimmigkeit voraussetzt – noch in diesem Jahr scheitern wird.
Kommt es nicht zu einer politischen Erklärung über die Ächtung dieser Waffensysteme im aktuellen Verhandlungsformat, ist das für die Militärmacht Frankreich vielleicht hinnehmbar – für Deutschland ist dies nicht akzeptabel. Beim Scheitern gibt es zwei Optionen: Entweder muss das Forum derart reformiert werden, dass es wieder handlungs- und beschlussfähig wird. Das wäre nur möglich, wenn die erforderliche Einstimmigkeit durch einen Mehrheitsbeschluss ersetzt wird. Oder Deutschland darf nicht davor zurückschrecken, das Thema in anderen Formaten auf die Tagesordnung zu setzen, um zunächst eine Koalition der Willigen für ein Verbot von LAWS zu organisieren. Hier sollte Deutschland, im Zusammenspiel mit Frankreich, aktiv auf andere Mittelmächte mit diplomatischem Gewicht wie Großbritannien, Kanada oder Japan zugehen. Zusammen mit Vertretern der Blockfreien könnte eine Mehrheit der Staaten LAWS politisch ächten und damit notwendigen diplomatischen Druck auf diejenigen Länder ausüben, die den aktuellen Prozess verschleppen. Als Vorbild könnte der Ottawa-Prozess zum Verbot von Antipersonenminen dienen.
Weitere Themen sind Überwachung und Repression: Bei der musterbasierten Bild- und Spracherkennung hat KI enorme Fortschritte gemacht, vor allem in China, wo Datenschutz praktisch nicht existiert. Megvii, ein auf Gesichtserkennung spezialisiertes chinesisches Start-up, trainiert seine neuronalen Netzwerke mit den biometrischen Aufnahmen aus der Datenbank des chinesischen Ministeriums für Öffentliche Sicherheit. Die Datenbank enthält die Gesichtsdaten von 1,3 Milliarden Chinesen. Dass Megviis Gesichtserkennungssoftware zu den besten der Welt gehört, sollte nicht verwundern. Die Möglichkeiten des chinesischen Staates hinsichtlich präventiver Kontrolle und repressiver Überwachung der eigenen Bevölkerung sind international ohne Beispiel. Andere nichtdemokratische Regime könnten dem Vorbild Chinas immer lückenloser werdender Überwachungsmöglichkeiten folgen.
Der deutschen Außenpolitik kommt hier nicht nur die Aufgabe zu, die Weiterentwicklung und den Einsatz von Überwachungstechnologie aktiv zu verfolgen, sondern auch den Weiterverkauf derselben an andere autoritäre Regime zu ächten. Repressiver Einsatz dieser Technologie und Unterstützung der betroffenen Zivilgesellschaft sollten bei befürchteten Menschenrechtsverstößen in internationalen Foren thematisiert werden. Ein weitergehender Schritt – entlehnt aus der Privacy-Debatte der vergangenen Jahre, als es darum ging, Bürgerrechtlern den Zugang zu Verschlüsselungssoftware zu ermöglichen – sähe die Unterstützung einer Zivilgesellschaft mit Technologie vor, die einer Gesichtserkennung vorbeugen kann.
Deutschland sollte hier vorangehen und sich im Kontext der KI-Entwicklung für einen effektiven Schutz der Menschenrechte einsetzen. Aber dieses Engagement muss strategisch und nicht lediglich plakativ sein. Insbesondere sollte die Außenpolitik in Deutschland beheimatete zivilgesellschaftliche Organisationen und NGOs dazu befähigen, mit Institutionen in betroffenen Ländern einen Arbeitskontakt herzustellen, und weltweit diejenigen stärken, die unsere Werte teilen.
Kurz gesagt: Allein mit nationalen Forschungsförderungen kann den angesprochenen Herausforderungen nicht begegnet werden. Daher ist eine deutsche KI-Strategie auch im Zusammenhang mit anderen Politikfeldern zu denken – gerade auch der Außenpolitik.
Philippe Lorenz leitet das Projekt Künstliche Intelligenz und Außenpolitik bei der Stiftung Neue Verantwortung.
Internationale Politik 4, Juli-August 2018, S. 29 - 31