IP Special

04. Nov. 2022

Klimaneutrale Streitkräfte?

Die Umrüstung der Bundeswehr darf nicht in eine Bestellung von klimapolitisch fragwürdigem Gerät münden. Amerika macht es besser.

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Ein Tankwagen vor einem Depot der Bundeswehr
Nachhaltig tanken: Auch durch die Verwendung von Treibstoffen aus regenerativen Quellen soll die Bundes- wehr dazu beitragen, die schädlichen Emissionen Deutschlands bis 2050 auf Null zu bringen.

Eine seltsame Hemmung geht um in Deutschland, sie umweht das Verhältnis von Militär und Klimapolitik.

Die entschiedene, die „industriepolitische“ Wende der Klimapolitik in Deutschland und Europa nahm mit der Europawahl im Mai 2019 ihren Ausgang. Seitdem und mit ihr ist in Deutschland klar und auch bereits gesetzlich gefasst: Die Treibhausgasemissionen dieses Landes werden bis 2050 – i Jahre 2021 in einer ersten Novelle des Klimaschutzgesetzes (KSG) korrigiert auf 2045 – auf Null gehen. Sämtliche Sektoren haben dazu beizutragen, nach jahresgenau definierten Pfaden.

Für die Bundesregierung und deren Verwaltung gilt mehr: Ihre Emissionen sind bis 2030 bereits auf Null zurückzuführen. Die Verpflichtung für die Verwaltung des Bundes ist weit, wenn auch nicht umfassend gefasst. Sie gilt immerhin auch für die „unter seiner Aufsicht stehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen, ... Sondervermögen sowie ... sich ausschließlich oder zum Teil in seinem Eigentum befindenden juristischen Personen des Privatrechts“. Das Motiv: die Vorreiterrolle der öffentlichen Hand.

All dessen ungeachtet aber gilt: Die Bundeswehr fehlt. Es gibt sehr wohl Teile des Verteidigungsressorts, die „Verwaltung“ sind. Für sie gilt die allgemeine Maßgabe „auf Null bis 2030!“ Für das Verteidigungsministerium gilt sogar die Vorgabe „klimaneutral bis 2023“. Die Streitkräfte aber sind keine Verwaltung.

Zunächst zur Größenordnung, zitiert aus der Emissionsbilanz der Bundeswehr in Deutschland, nach Angaben für das Jahr 2019. Demnach entfielen 1,45 Millionen Tonnen (Mio. t) CO2, davon 0,82 Mio. (57 Prozent) auf Liegenschaften und 0,63 Mio. (43 Prozent) auf Mobilität. Die Emissionen für Auslandseinsätze sind nicht erhoben, methodisch gilt das Territorialprinzip. Gleiches gilt für die Emissionen anderer Treibhausgase als CO2 aus fossilen Energieträgern.

Für die deutschen Streitkräfte gibt es keine Klimazielvorgabe. Sie sind die einzige Institution auf Bundesebene, für die die Vorreiterrolle der öffentlichen Hand nicht gilt. Hinsichtlich der Sektorziele bis 2045 gilt: Sie sind der einzige Subsektor, für den das „auf Null bis 2045“ nicht gilt. Dagegen werden jedes Jahr die Ressorts für Gebäude (die Liegenschaften der Bundeswehr sind Teil des Sektors „Gebäude“) und Verkehr (die Fahrzeuge der Bundeswehr sind Teil des Sektors „Verkehr“) vom „Expertenrat Klima“ stellvertretend gemaßregelt, damit die Vorgaben des KSG eingehalten werden.

Sicher ist allerdings: Wenn das so weitergeht, schadet es dem Klima eher nicht. Denn der Staat ist zur Kompensation verpflichtet, sein Null-Ziel ist in Wahrheit ein Netto-Null-Ziel. Es schadet also der Staatskasse und es schadet den Streitkräften. Die Zusagen von Bundeskanzler Olaf ­Scholz vom 27. Februar 2022 bedeuten: Die Streitkräfte sollen zur Spitzenklasse in der Europa-Liga umgerüstet werden, modernisiert auf den neuesten Stand. Geldmangel spielt keine Rolle mehr. Wenn jetzt zugelassen wird, dass die Umrüstung in die Bestellung von lauter Gerät klimapolitischer Altlasten mündet, würde eine Riesenchance vertan.

Die Biden-Regierung geht voran

Die Vereinigten Staaten gehen einen anderen Weg. Die US-Regierung unter Präsident Joe Biden hat im ersten Jahr nach Amtsantritt vorgemacht, wie man das Projekt „klimaneutrale Streitkräfte“ professionell angeht.

Aus der Emissionsbilanz des amerika­nischen Militärs: Die Emissionen belaufen sich dort (2019) insgesamt auf etwa 51 Mio. t. CO2 eq. Der Index „eq.“ besagt: Hier wurden sämtliche Treibhausgase berücksichtigt, nicht nur CO2 wie in der deutschen Bilanz. Die Aufteilung der Emissionen auf Subsektoren des Militärs: Beim „installation use“, also den „Liegenschaften“, werden in den USA 30 Prozent der Treibhausgasemissionen verursacht. Der Rest, „operational use“ genannt, ist für 70 Prozent der Emissionen des Militärs (36 Mio. t CO2) verantwortlich. Auf die Streitkräfte teilt der sich wie folgt auf: Luft (57 Prozent), Marine (30 Prozent), Land (13 Prozent).

Die USA haben eine klimaneutrale Stromversorgung bis 2035 vorgegeben. Gesamtwirtschaftlich soll „net-zero“ bis spätestens 2050 erreicht sein.

Auch in den USA gilt das Prinzip einer Vorreiterrolle der öffentlichen Hand. Während diese aber bei uns allein moralisch interpretiert und folglich trotz EU-Vorgabe nicht ernst genommen wird, verspricht man sich in den USA davon ökonomisch vorteilhafte Effekte.

Es gilt, bei neuen Technologien erst einmal eine Schwelle zu überwinden, bis man in die kostensparenden Skaleneffekte kommt. Geht der Staat mit seinem enormen Nachfragevolumen in die Pionierrolle, hat später, wenn die Schwelle überwunden ist, die ganze Bevölkerung etwas davon. Festgehalten ist das alles in einem Regierungserlass (Executive Order) vom 8. Dezember 2021.

Das Entscheidende, was die US-Regierung anders macht als die deutsche, ist ein ganzheitlicher Ansatz über die gesamte Regierung hinweg, kein Teil des Ganzen würde sich hinter einer anderen Säule verstecken. Der Verdacht stand alsbald im Raum, weil die Executive Order eine Ausnahmeklausel enthielt: Wenn Gründe nationaler Sicherheit dagegenstehen, müsse die Maßgabe nicht umgesetzt werden. Doch kaum, dass dieser Verdacht öffentlich wurde, versicherte der US-Verteidigungsminister, dass man nicht gedenke, diese Klausel zu nutzen.

Die Vorgaben im Einzelnen:

• Die von den US-Militärs bezogene Elektrizität soll bis 2030, also fünf Jahre früher als landesweit, zu 100 Prozent klimaneutral erzeugt sein. Dabei ist ausdrücklich eine Durchschnittsbetrachtung erlaubt, d.h. das Militär kann Strom aus erneuerbaren Quellen selbst erzeugen und Überschüsse in der einen Periode mit einem Defizit in einer anderen Periode verrechnen („100 percent carbon pollution-free electricity on a net annual basis by 2030“).

• Für die vielen zivilen Fahrzeuge des ­Militärs gilt, dass bis zum Jahr 2035 nur noch Null-Emissions-Fahrzeuge angeschafft werden sollen. Für eine spezielle Fahrzeugkategorie, die Lieferfahrzeuge, ist dieses Ziel bereits 2027 zu erfüllen („100 percent zero-emission vehicle acquisitions by 2035, including 100 percent zero-emission light-duty vehicle acquisitions by 2027“).

• Auch für den Bereich der Liegenschaften sind Vorgaben gemacht, sehr weitreichende sogar – bei Liegenschaften mit ihren langen Standzeiten ist es bekanntlich besonders herausfordernd, Vorhaben eine neue Richtung zu geben. Das Ziel ist für 2045 formuliert: In gut 20 Jahren also soll der Gebäudebestand vollständig bei „net-zero emissions“ angelangt sein. Ein Zwischenziel ist für 2032 vorgegeben, bis dahin müssen die Emissionen aus Liegenschaften halbiert sein („a net-zero emissions building portfolio by 2045, including a 50 percent emissions reduction by 2032“).

• Das weite Feld von Einkäufen soll unterhalb der Schwelle von langlebigen Investitionsgütern bleiben, also von Verbrauchsmaterial, wozu beim Militär bekanntlich alle Art von Munition zählt. Auch hier wird eine Null-Emissions-Einkaufspolitik vorgeschrieben; ohne Zeitangabe, also sobald wie möglich („net-zero emissions from Federal procurement, including a Buy Clean policy to promote use of construction materials with lower embodied emissions“).

Die industriepolitische Bedeutung

Auch in Deutschland wird ein Änderungsbedarf klimapolitisch motiviert: Die ganze Gesellschaft müsse weg von den fossilen Brennstoffen, da dürfe das Militär keine Sonderrolle für sich in Anspruch nehmen. In sicherheitspolitischen Kreisen wird dem schon fast habituell entgegnet: Für die Motoren von Kampfflugzeugen und Panzern seien die heutigen fossilen Treibstoffe unverzichtbar – man solle, als Zeichen guten Willens, mal bei den nichtessenziellen Bedürfnissen anfangen, bei den militärischen Liegenschaften. Diese Debattenlage ist unfruchtbar und eigentlich auch unaufgeklärt.

Technisch gilt nun einmal: Energieträger sind, mit hinreichendem Einsatz von Energie, ineinander umwandelbar. Und die heutigen „fossilen Treibstoffe“ sind, exakt formuliert, „Treibstoffe, produziert aus fossilen Quellen“. Fossil ist eine Herkunftsbezeichnung, keine Bezeichnung einer Qualität, einer Eigenschaft. Wenn man Treibstoff mit denselben Eigenschaften aus regenerativen Quellen herstellt, ist das dem Kampfflugzeug völlig egal – es ist allein ein festsitzendes Vorurteil in technisch nicht sattelfesten sicherheitspolitischen Kreisen, dass den militärischen Maschinen die Herkunftsbezeichnung „fossil“ essenziell wichtig sei. Nach Lage der Dinge ist nicht die Treibstoffqualität das Nadelöhr bei einer Wende auf diesem Gebiet, sondern die Logistik samt Treibstoffbeschaffung.

Mit der „industriepolitischen“ Wende in der Hauptmotivation der Klimapolitik in Europa und in den USA ist man einen entscheidenden Schritt weiter. Logistik und Anlagen zur Treibstoffbeschaffung sind nicht wirklich feinsäuberlich zwischen militärisch und zivil zu trennen. Zivil aber ist die Sache inzwischen entschieden. Luftfahrt und Treibstofflieferketten (Raffinerien, Tanker) gehen konsequent den Weg in die postfossilen Energieträger. Diese Entwicklung stellt das Militär vor die Frage: Wollen wir, wie in der Vergangenheit, in enger Kuppelproduktion mit diesen zivilen Industriebereichen unseren technologischen Weg gehen? Oder wollen wir beim Gegebenen verharren und so den Weg in eine Sondersituation gehen, wodurch die überkommene, fossil basierte Versorgung samt ihrer Logistik allein noch für militärische Institutionen aufrecht­erhalten wird?

Vorbild der Gesellschaft

Letztlich geht es um mehr, was die Biden-Regierung auch deutlich gemacht hat: Es geht nicht nur um die Streitkräfte selbst und deren Klimafreundlichkeit; es geht auch um positiv überschwappende Effekte in andere Bereiche der Gesellschaft. Ausgehend von der Entwicklung von Technologien und industriellen Kapazitäten sollen etwa auch der zivilen technologischen Entwicklung, gerade im Luftfahrtbereich, Anstöße gegeben werden. Es gilt, die technologische Selbstbezüglichkeit der Streitkräfte auf ihrem Weg zur Klima­neutralität zu überwinden.

Aufgabe der Politik ist es, dem Geist des Hauses BMVg eine offensive Wende zu geben, Lust auf Handeln zu machen. Die Chance liegt in einer Verabredung im Ampelvertrag: Das Klimaschutzgesetz soll bald angepasst werden. Dabei ist geboten, der Bundeswehr das Ziel vorzugeben, alsbald eine klimaneutrale Streitmacht zu werden. Es braucht eine Ansprache, die den Streitkräften und dem Ressort den ­defensiven Geist nimmt und sie die Chancen dieser gewaltigen Wende erkennen lässt – wenn man sie zivil-militärisch kooperativ fasst.

Schlüsselrolle der NATO

Auch in anderen NATO-Mitgliedstaaten als den USA sind programmatische Schritte in Richtung einer Netto-Null-Verpflichtung unternommen worden. Das ist der Fall im Vereinigten Königreich, das gilt auch für den Europäischen Verteidigungsfonds aus dem militärpolitischen Arm der EU.

Eine Schlüsselrolle hat sicherlich die NATO zu spielen. Ihr letztes Dokument dazu aber, der Climate and Security Action Plan vom Juni 2021, ist programmatisch eher schwachbrüstig ausgefallen. Versprochen wird lediglich eine Standardisierung des Monitorings der eigenen Emissionen – durch eine „NATO-Kartierung und Analysemethode für Treibhausgasemissionen aus militärischen Aktivitäten und Einrichtungen“. Ansonsten will die NATO lediglich einige „innovative kohlenstoffarme Technologien“ probehalber anschaffen, um zu untersuchen, ob man sie breiter einsetzen kann. Die Koordinierungs­instrumente der NATO (standardization agreements) bleiben noch unerwähnt. Die NATO sitzt in den Startlöchern, kommt aber nicht aus ihnen heraus.

Das ist eine aus der Geschichte der Klimapolitik bekannte Haltung. Was jetzt noch blockiert wird, wird später dann doch als unumgänglich erkannt. Der erste Effekt der Blockade sind deutlich erhöhte Kosten. Negativ auf die Sicherheit wirkt sich aus, wenn die Gesellschaft nicht bereit ist, diese erhöhten Kosten zu tragen; wenn sie also mit einigem Recht urteilt: Für die Altlasten der Modernisierung der Streitkräfte nach der „Zeitenwende“ müsst ihr selbst aufkommen.

 

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special 6, November 2022, S. 17-21

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Dr. Hans-Jochen Luhmann ist Mathematiker und Philosoph sowie  Senior Expert am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie.

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